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Greenwashing versus Nachhaltigkeit - oder: das Problem von allzu großer Ehrlichkeit

MARKETING UND VERTRIEB | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 06 vom 08.06.2011


97 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen kennen den Begriff Nachhaltigkeit

Einer Studie der puls Marktforschung GmbH zufolge können nur drei Prozent von tausend ausgewählten Personen in Deutschland nichts mit dem Begriff Nachhaltigkeit verbinden. Die überwiegende Mehrheit - also 97 Prozent - hat dazu durchaus eine Meinung. Ihr fällt zu diesem Thema allerdings gleich eine ganze Reihe von Definitionen ein: Diese reichen von ökologischer Vernunft, über Glaubwürdigkeit und zukunftsorientiertes Denken, bis hin zu einer ehrlichen Kundenkommunikation. So disparat und weitgespannt diese Erklärungen auch sein mögen, sie haben einen gemeinsamen Nenner: Nachhaltigkeit ist rundum positiv besetzt; der Begriff hat im weitesten Sinne mit Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit, konkreter gefasst mit ökologischem Verantwortungsbewusstsein zu tun. Der große Antagonist von Nachhaltigkeit heißt Greenwashing. Auch dieser Begriff lässt sich mittlerweile nicht mehr eindeutig festlegen. Bezog er sich ursprünglich wohl ausschließlich auf Produkte, die von Marketingabteilungen ohne faktische Grundlage auf "Bio" oder "Öko" getrimmt wurden, hat Greenwashing im Laufe seines Gebrauchs die etwas schwammige Konnotation von "Schönfärberei" angenommen. Gemeint ist damit - abstrakt formuliert - das Anpreisen eines Produkts oder einer Dienstleistung als etwas, was es de facto nicht ist. Die entscheidenden Fragen in diesem Kontext lauten: Können es sich Unternehmen überhaupt leisten, nachhaltig, das heißt oft teurer zu produzieren als die Konkurrenz, die dem Nachhaltigkeitscredo nicht folgt? Können sie wirklich Dienstleistungen anbieten, die vor allem den Kunden im Blick haben, ohne ihren Gewinn zu schmälern? Oder anderes formuliert: Ist es für Unternehmen, die in einer Gesellschaft agieren, für die Nachhaltigkeit ein immens wichtiges Thema ist, oftmals nicht geradezu unumgänglich, Greenwashing zu betreiben? (1), (2)


Nachhaltigkeit - "nice to have", aber bitte schön zu einem guten Preis

Zwar wird in der Regel jede Art von Schönfärberei verurteilt, trotzdem erinnert Engagement für eine gerechtere und "nachhaltigere" Welt immer ein wenig an den Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlen: Solange sich Nachhaltigkeit nicht für Unternehmen lohnt, werden sie einen Teufel tun, sich tatsächlich dafür zu engagieren. Oder pointierter formuliert: Der Markt ist stärker als das Ideal. Auch dem Verbraucher wird oftmals kaum zugetraut, eine Nachhaltigkeitsrevolution anzuzetteln. Am treffendsten lässt sich das wohl folgendermaßen auf den Punkt bringen: Jeder ist sich selbst der Nächste. Warum also mehr Geld für ein Ökoprodukt ausgegeben, wenn es das billigere, nicht nachhaltig produzierte, genauso tut? So gesehen, wäre Nachhaltigkeit eine Modeströmung der Gesellschaft - ein "nice to have", aber bitte schön zu einem guten Preis. Eine mögliche Lösung des Dilemmas sieht beispielsweise der Greenpeace-Aktivist und Foodwatch Chef Bode in der staatlichen Intervention. Selbst für wohlwollende Betrachter hat dieser Vorschlag allerdings den etwas faden Beigeschmack einer längst überlebten kommunistischen Doktrin. (3)


Greenwashing lohnt sich nicht - Kunden zeigen Banken rote Karte

Ein grüner Anstrich wird auf Dauer aber nicht ausreichen, wenn das Marketing nicht wirkungslos verpuffen soll. Die bereits eingangs zitierte Studie der puls Marktforschung GmbH hat neben dem Nachweis der hohen gesellschaftlichen Relevanz, den Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft zu haben scheint, ebenfalls zutage gefördert, dass sich aus Sicht der Verbraucher bisher noch kein Industriezweig durch überzeugende Konzepte in dieser Hinsicht ausgezeichnet hat. Immerhin gestehen rund jeweils dreißig Prozent der Befragten der Lebensmittel- und der Energiebranche zu, dass sie nachhaltig wirtschaften. Die Automobil- und die Finanzbranche schneiden im Vergleich dazu viel schlechter ab: Nur jeweils rund 15 Prozent der Interviewten nehmen den Unternehmen in diesen Branchen vertrauenswürdige Nachhaltigkeitskonzepte ab. Allerdings kommt die puls Marktforschung GmbH zu dem Schluss, dass sich Nachhaltigkeit durchaus lohnen könnte - zumindest für die Banken, die im Zentrum ihrer Analyse steht. Das wesentliche Argument: Wer Greenwashing betreibt, wird abgestraft. Der Kunde wendet sich ab und geht zu einem anderen Finanzinstitut, bei dem er besser und nachhaltiger beraten wird. Handelt die neue Bank tatsächlich im Interesse des Kunden, wird sie zwar wahrscheinlich wirklich auf Gewinne verzichten müssen - die gute Reputation wird ihr aber Neukunden zuführen, so dass sie auf diesem Wege ihre Verluste ausgleicht. (1), (4)


Internationale Richtlinie für Ökomarketing wird weitgehend ignoriert

Die Internationale Handelskammer ICC hat angesichts der eklatanten Verstöße gegen Nachhaltigkeitsprinzipien Empfehlungen ausgesprochen, die wiederum auf einer Richtlinie beruhen, die die International Organization for Standardization (ISO) bereits vor der Jahrtausendwende herausgegeben hat (ISO 14021). Darin heißt es unter anderem, dass Ökomarketing den Verbraucher nicht in die Irre führen dürfe. Für einige Aussagen - zum Beispiel "energieeffizient" oder "wassersparend" - hat die ISO Kriterien festgelegt. Leider aber scheinen diese von den Unternehmen kaum ernstgenommen zu werden. Ein Wunder ist das allerdings nicht: Schließlich besteht keinerlei Verpflichtung, diese Vorgaben auch einzuhalten. (8)



Trends


Mögliches Zukunftsszenario: Greenwashing als Übergangsphänomen

Die Meinung, dass die Verbraucher sich selbst am nächsten seien und daher eine Nachhaltigkeitsrevolution ausgeschlossen bleibe, so lange Nachhaltigkeit mit teuer gleichzusetzen sei, ist nicht bewiesen. Vorstellbar ist daher auch folgendes Szenario: Der Druck der Straße wird immer größer. Unternehmen sehen sich infolgedessen gezwungen, immer nachhaltiger zu produzieren beziehungsweise immer nachhaltigere Dienstleistungen anzubieten, wollen sie ihre Kunden nicht verlieren. So verstanden, wäre Greenwashing nur ein Übergangsphänomen: Noch sind die Preise für nachhaltig produzierte Waren zu hoch; noch kann Nachhaltigkeit im Dienstleistungssektor zu Gewinneinbußen führen. Da aber das gesellschaftliche Bedürfnis nach Nachhaltigkeit schon jetzt sehr groß ist und voraussichtlich weiter wachsen wird, wird sich Greenwashing spätestens dann von selbst erledigen, wenn kein Unternehmen mehr am Thema Nachhaltigkeit vorbeikommt und sich die Preise demzufolge nivellieren.



Fallbeispiele


Öko-Pionier gugler arbeitet bereits seit zwei Jahrzehnten nachhaltig

Der österreichische Cross-Media-Dienstleister gugler hat sich schon vor zwei Jahrzehnten eine konsequente Nachhaltigkeitspolitik auf die Firmenfahne geschrieben. Damit zählt das Unternehmen zu den Öko-Pionieren seiner Branche. Der Einsatz für die Umwelt geht so weit, dass gugler sogar die Vorgaben der staatlichen Gütesiegel übertrifft. Mit dem Label "Greenprint" hat der Media-Experte einen eigenen Standard geschaffen. Hier ist ein Auszug aus dem Nachhaltigkeitsportfolio des Unternehmens: gugler hat zusammen mit alchemia nova ein neues Reinigungsmittel entwickelt, das auf natürlichem Öl basiert und damit den Einsatz umweltschädigender Gifte erheblich verringert; der Öko-Pionier verwendet Dispersionslacke, die sich aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen lassen und zu 75 Prozent biologisch abbaubar sind; eine neue Filteranlage reduziert die Verschmutzung und damit den Verbrauch von Kühlwasser drastisch. Geschäftsführer Ernst Gugler spricht angesichts der konsequenten ökologischen Ausrichtung seines Unternehmens auch von "Greenovation statt Greenwashing". Sein nächster Plan: Er setzt sich für ein "sauberes" Internet ein und fordert von den Providern seines Landes ein "Öko Hosting" - das heißt den Einsatz von Strom aus regenerativen Energiequellen. Zu diesem Zweck hat Gugler eine eigene Internetplattform eingerichtet, auf der Interessenten seine Initiative unterstützen können (www.oekohosting.at). (5)


"Toys Go Green": Initiative gegen Greenwashing in der Spielwarenindustrie

Auf der Spielwarenmesse, die vor wenigen Monaten in Nürnberg ausgerichtet wurde, war Greenwashing ein zentrales Thema. Der Veranstalter klärte unter dem Motto "Toys Go Green" über nachhaltig produziertes Spielzeug auf und sprach sich vehement gegen Greenwashing aus. Bereits vor der Messe hatte der GfK-Lehrstuhl für Marketing Intelligence der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg eine Untersuchung zum Thema Nachhaltigkeit in der Spielwarenindustrie durchgeführt. Für die Studie standen 450 Verbraucher und 150 Konsumenten Rede und Antwort. Die wesentlichen Ergebnisse: Über 90 Prozent der Befragten sind bereit, mehr Geld für nachhaltig produzierte Spielwaren auszugeben. 45 Prozent gaben zu Protokoll, dass sie dafür sogar Mehrkosten bis zu 15 Prozent in Kauf nehmen würden. Interessant waren auch die Antworten auf die Frage, ob sich Spielwaren, die nach dem Nachhaltigkeitsprinzip hergestellt werden, durchsetzen werden: 40 Prozent der Konsumenten antworteten mit ja, 30 Prozent waren unsicher, ebenfalls 30 Prozenten glaubten nicht daran. Bei den Händlern sah das Resultat folgendermaßen aus: Fast alle waren sich einig, dass die Nachfrage nach nachhaltig produzierten Spielwaren während der nächsten drei Jahre auf demselben Niveau bleiben würde; mehr als die Hälfte ging davon aus, dass sie sogar steigen werde. (6)


REWE Group in punkto Nachhaltigkeit vorbildlich

Die REWE Group zeichnet sich nach Ansicht von Experten unter den deutschen Handelskonzernen besonders in punkto Nachhaltigkeit aus. Unternehmenslenker Alain Caparros hat dieses Thema sogar als eigenständiges Geschäftsfeld definiert. Vergleichbare Beispiele im europäischen Ausland finden sich in der Schweiz mit der Detailhandelsgesellschaft Migros und in Großbritannien mit der Supermarktkette Tesco. Die Geschichte dieser Unternehmen zeigt, dass erfolgreiches nachhaltiges Wirtschaften ohne Greenwashing möglich ist. (7)


Greenwashing ist auch in den USA und Kanada ein weitverbreitetes Phänomen

Was Greenwashing betrifft, lohnt sich auch ein Blick über den großen Teich. Die renommierte Marketingagentur Terra Choice hat vor Kurzem eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Im Blickpunkt standen amerikanische und kanadische Unternehmen des Einzelhandels. Ein Auszug aus dem ernüchternden Ergebnis: Zwischen 2009 und 2010 stieg zwar die Zahl der als "grün" bezeichnenden Waren um 73 Prozent. Lediglich fünf Prozent der Produkte verdienten allerdings wirklich diese Bezeichnung. Auffällig war weiterhin, dass sich nicht etwa kleine Reform- oder Bioläden als Ökovorreiter hervortaten, sondern im Gegenteil einige Riesen der Branchen, wie zum Beispiel Wal-Mart. Immerhin waren rund 23 Prozent ihrer Produkte ökologisch glaubwürdig. Die entsprechenden Zahlen für Reformläden bzw. Spezialitätengeschäfte: zwei bzw. elf Prozent. (8)



Weiterführende Literatur:

(1.) Nachhaltigkeit muss glaubwürdig kommuniziert werden. "Greenwashing" wird abgestraft
aus Die SparkassenZeitung, 04.02.2011, Nr. 05, S. B10

(2.) Nachhaltig in die Zukunft
aus gv praxis Nr. 04 vom 20.04.2011 Seite 056

(3.) Streitbar. Keiner kritisiert die Branche so hart wie Thilo Bode. Was denkt der Chef von Foodwatch über Nachhaltigkeit in Handel und Industrie? Eine kleine Annäherung
aus Lebensmittel Zeitung 15 vom 15.04.2011 Seite 055

(4.) TREND. Kritische Konsumenten
aus Berliner Zeitung, Ausgabe 114 vom 17.05.2011, S. 9

(5.) "Greenovations statt Greenwashing"
aus "medianet" Nr. 1342/09 vom 13.10.2009 Seite: 23

(6.) Nachhaltigkeit im Kinderzimmer
aus Kunststoffe - Werkstoffe, Verarbeitung, Anwendung, Heft 04/2011, S. 14-16

(7.) "Mehr Mut"
aus Lebensmittel Zeitung 15 vom 15.04.2011 Seite 051

(8.) Alte Sünder
aus "medianet" Nr. 1457/11 vom 11.03.2011 Seite: 4

Harald Reil

Metainformationen

Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 06 vom 08.06.2011
Dokument-ID: c_marketing_20110608

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