Inhaltsverzeichnis vom 23.06.2022

Die Zahl zeigt nur einen Teil der Wahrheit, aber trotzdem ist sie beeindruckend: 282 ausländische Firmen siedelten sich im vergangenen Jahr mit staatlicher Hilfe in der Schweiz an. So zeigt es die Statistik, welche die Konferenz der Volkswirtschaftsdirektoren alljährlich zusammentragen lässt. Gelockt wurden die Unternehmen von den regionalen, kantonalen und nationalen Standortpromotoren. Insgesamt 1400 Arbeitsplätze schufen sie in ihrem ersten Betriebsjahr.

Klar, das ist nicht viel im Vergleich zu den 5,24 Millionen Stellen, die in der Schweiz Ende 2021 gemeldet wurden. Ein neuer Rekord. Aber die mit staatlicher Hilfe ins Land manövrierten Firmen und ihre Arbeitsplätze sind Teil eines ...

Die zwei Schwestern sehen sich auffallend ähnlich: dieselbe Kurzhaarfrisur, die gleiche Nase, ein offener, aufmerksamer Blick. Géral dine Marquis sitzt am Esstisch in ihrem Wohnzimmer in Courfaivre im Jura. Von Mélanie, ihrer jüngeren Schwester, steht ein Foto auf der Kommode. Sie ist tot.

Mélanie wurde 2019, mit 39 Jahren, Opfer eines Femizids, eines Frauenmordes. Sie hatte sich von ihrem Ehemann getrennt und sagte ihm, dass sie die Scheidung wolle. Zwei Tage danach lockte er sie unter einem Vorwand in sein Auto, bedrohte sie mit einer Waffe und vergewaltigte sie. Mélanie erstattete Anzeige. Ihr Mann wurde festgenommen, gestand die Tat. Weil er ...

Weit dramatischer als alles, was die Kunst sonst zu bieten hat, ist das, was sich gerade bei der Documenta in Kassel abspielt: ein Fall von geistigem Klimakollaps, könnte man sagen. Das Ende einer großen Idee, bedeutend für die Künste und auch fürs deutsche Selbstverständnis.

Als fiele ein schwarzer Vorhang, senkten sich am Montagabend drei Stoffbahnen über ein riesiges Gemälde, aufgebaut im Zentrum Kassels. Verhüllt wurde ein Werk des indonesischen Kollektivs Taring Padi, das neben anderen, kapitalismuskritisch gemeinten Motiven auch zwei anti semi ti sche Dämonisierungen zeigt. Völlig zu Recht fühlte sich die israelische Botschaft in Berlin an "Propaganda im Goeb bels- Stil" erinnert. Eine Verhöhnung ...

Am vergangenen Wochenende wurde ein grünes Tabu beerdigt. Ausgerechnet Robert Habeck, der noch im Wahlkampf leidenschaftlich für die Energiewende warb, will die Kohlekraftwerke wieder anwerfen. Zeitweise nur, aber immerhin. Und dann verkündet er das auch noch, während bei Berlin die Wälder brennen, halb Deutschland unter einer Hitzewelle stöhnt und langsam der Letzte begreift: Klimakrise ist nichts Abstraktes. Sie ist hier. Jetzt. Und wir heizen sie mit an.

Man kann das tragisch nennen. Man kann darüber rätseln, wie die Grünen das den Aktivistinnen und Aktivisten bei Fridays for Future erklären wollen. Man kann aber auch einfach fragen: Muss das sein?

Ja, e ...

Der Tod kommt an den schönsten Tagen des Jahres, wenn die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlt und sich Schlangen vor den Freibädern bilden. Jahr um Jahr bricht dann eine Katastrophe über das Land herein. Sie ist tödlicher als Starkregen, Überschwemmungen und Waldbrände. Hunderte, oft sogar Tausende Menschen sterben, vor allem Alte, chronisch Kranke, kleine Kinder, aber auch junge Sportler. Sie fallen den Hitzewellen zum Opfer, die wegen des Klimawandels stetig zunehmen - nicht nur, wie am vergangenen Wochenende, in Las Vegas, Sevilla und Bordeaux, sondern auch in Freiburg, Mannheim und Cottbus.

Doch obwohl Klimaforscher schon seit Jahren vor dieser wiederkehrenden ...

In Großlohe, genauer in der Straße Wiesenredder, ist es sehr leise. Einfamilienhäuser und Reihenhäuser stehen herum, niemand kommt raus. Die Leute, die über die Straße gehen, mit Einkaufstüten oder Schulkindern oder beidem, sprechen nicht. Die Teenager hören ihre Musik über Kopfhörer. Auf einer Wiese grasen fünf Ponys und sagen ebenfalls kein Wort.

Entgegen allen Erwartungen ist der Wiesenredder jedoch hochpolitisch. Es ist hier nämlich nur so still, an diesem warmen Freitagnachmittag, weil die Lokalpolitik vor genau einem Jahr das Freibad geschlossen hat. Da sollen jetzt Wohnungen hin, ein Naturschutzgebiet, ein Spielplatz. Worüber alle, die hier bereits wohnen, empört sind. Sogar ...

Es gibt dieses Selfie vom vergangenen Oktober. Darauf zu sehen sind vier Menschen, die damals noch kein Amt hatten und heute Minister sind: Robert Habeck und Anna lena Baer bock von den Grünen. Und Volker Wissing und Chris tian Lindner von der FDP. Die vier lächeln in die Kamera, sie strahlen nicht, es ist ein vorsichtiges, zurückhaltendes Lächeln. Das Foto war damals ein Si gnal an das Land: Hier entsteht etwas Neues. Wenige Wochen später unterzeichneten Grüne und FDP gemeinsam mit der SPD den Koa li tions ver trag. Lindner steht auf dem Bild ein wenig im Hintergrund, die ersten beiden Knöpfe seines Polohemds sind geöffnet. Sein Lächeln ...

Leiden, das hat Michael Roth gerade bewiesen, kann man selbst dann noch wegschauspielern, wenn es Tag für Tag größer wird. In den vergangenen Monaten war der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt so präsent wie nie zuvor in seiner politischen Karriere. Besuche in den Talkshows von Anne Will, Maybrit Illner, Frank Plasberg, Interviews mit dem Deutschlandfunk und der Bild- Zeitung, eine Reise nach Lwiw: Der Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine und seine neue Rolle als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses haben Roth ins Rampenlicht gerückt. Einen Mann, der im mittleren Politikeralter von 51 Jahren den Weg nach oben einschlägt. So schien ...

DIE ZEIT: Frau Premierministerin, nach zweijähriger Abschottung wegen der Pandemie ist Neuseeland wieder geöffnet. Sie besuchen nun ein Europa, das sich dramatisch verändert hat. Wie blicken Sie auf den Krieg in der Ukraine?

Jacinda Ardern: Als Inselstaat, der so sehr auf Handelsbeziehungen und Austausch mit anderen angewiesen ist, können wir nicht ausblenden, was anderswo auf der Welt geschieht. Im Krieg in der Ukraine erkennen wir eine unmittelbare Bedrohung der territorialen Integrität eines anderen Landes, der Demokratie und der regelbasierten Weltordnung, auf die auch Länder wie wir sich verlassen. Deshalb verurteilt Neuseeland die russische Invasion und unterstützt die Ukraine.

ZEIT: Was ...

Bevor Jehor Tschernew mit seinem Kleinbus losfährt, legt er zwei Maschinen gewehre in den Stauraum zwischen Fahrer- und Beifahrersitz. In Griffweite, man weiß ja nie. Dann steigt er aufs Gaspedal, lässt den Kiewer Morgenverkehr hinter sich, die goldenen Kuppeln der ukrainischen Hauptstadt, die Wohnblöcke, die langen Schlangen vor den Tankstellen. Je weiter er auf der Schnellstraße gen Osten fährt, vorbei an riesigen Maisfeldern und über den Fluss Dnipro, desto häufiger werden die Checkpoints, die Soldaten an den Tankstellen und die Hiobsbotschaften von der Front. Eine Sprachnachricht poppt auf seinem Handy auf: "Hier ist es total beschissen", schimpft eine Männerstimme. "Ich wurde ...

Zum ersten Mal seit Jahren nahm Andreas Franz ein Arzneimittel zu sich, als er sich am 19. Juli 2021 mit dem Covid-19-Impfstoff von BioNTech impfen ließ. Rund fünfzig Menschen trainierte er damals in Taekwondo, stundenlang zeigte er ihnen die traditionellen Fuß- und Faustübungen, täglich fuhr er mit dem Fahrrad 20 Kilometer zur Arbeit in einem Möbelhaus. Wegen seines muskulösen Körpers und der straffen Haltung hätten ihn viele Menschen für jünger als 52 Jahre gehalten, erzählt er heute.

Mit der Vakzine, die er anfangs herbeigesehnt hatte, begann ein Martyrium, sagt Franz. Schon am Tag nach der Spritze habe er sich nur ...

Der Corona-Sommer ist auch nicht mehr das, was er mal war. In den vergangenen zwei Jahren bedeutete die heiße Jahreszeit Entspannung, auch politisch. Die Infektionszahlen sanken, weil alle sich mehr im Freien aufhielten, man ließ es laufen. Aber in diesem Sommer steigen sie - auf derzeit rund 90.000 registrierte Neuinfektionen innerhalb eines Tages, die 7-Tage- Inzidenz liegt nun bei 416 Fällen auf 100.000 Einwohner. Schuld ist, neben dem Verzicht auf die meisten Maßnahmen, die rasante Verbreitung zweier Sublinien der Omikron- Variante, BA4 und BA5, die schon in Portugal - trotz bester Impfquoten - für eine sechste Welle mit gestiegenen Todeszahlen ...

Die Nato war sich so sicher. Vor sechs Wochen noch schien der Beitritt von Schweden und Finnland zum atlantischen Bündnis eine ausgemachte Sache zu sein. Finnen und Schweden hatten vor ihrem Beitrittsgesuch alle Nato-Hauptstädte abgeklappert und die Stimmung getestet. Es gab nirgends Einwände gegen die Erweiterung, auch nicht in Ankara. Doch als die Regierungen den Beitritt beantragten, protestierte der türkische Präsident Tayyip Erdogan plötzlich und behauptete: Schweden unterstütze die kurdische PKK-Guerilla. Seither verhandeln Schweden und Türken, zuletzt in dieser Woche, wieder ohne Erfolg.

Nun droht der Nato-Gipfel am 29. Juni in Madrid, auf dem der Beitritt Finnlands und Schwedens beschlossen ...

DIE ZEIT: Herr Birol, Russland kürzt die Gaslieferungen. Wirtschaftsminister Robert Habeck fährt jetzt die Kohleproduktion hoch, um die Energieversorgung zu sichern. Wird das funktionieren?

Fatih Birol: Deutschland wird es sehr schwer haben, weil das Land sich sehr abhängig von Russland gemacht hat. Ich würde nicht ausschließen, dass Deutschland in diesem Winter Gas rationieren muss. Und zwar zuerst bei den großen Gasverbrauchern der Industrie. Die Regierung muss das vorbereiten: Welche Industriebetriebe können im Ernstfall vom Netz gehen? Wo muss die Produktion aufrechterhalten werden? Das muss jetzt entschieden werden. Es muss aber noch mehr passieren.

ZEIT: Was?

Birol: Wir müssen Gas einsparen. W ...

Man tritt den französischen Abgeordneten nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass sie in der Vergangenheit in der Politik ihres Landes nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Auch Emmanuel Macron hat dem Parlament, seit er regiert, keine allzu große Beachtung geschenkt. Erst kommt der Präsident, und dann kommt lange nichts.

Nun erschüttert ausgerechnet eine Parlamentswahl das Land - und seinen Präsidenten. Die Parteien, die Macron bislang unterstützen, haben keine Mehrheit mehr. Es ist aber auch keine andere Mehrheit in Sicht. Frankreich er lebe "die schwerste politische und institutionelle Krise" seit dem Beginn der Fünften Republik, schreibt der konservative Figaro. Die Fünfte ...

Politische Urteilskraft beweist sich auch dadurch, dass man bei plausiblen Verallgemeinerungen genau hinschaut. Nach dem ersten Entsetzen über Putins Angriff auf die Ukraine schien das offenbare Versagen seiner Armee eine dem Westen lieb gewordene Gewissheit zu bestätigen: Autokratien würden immer an sich selbst scheitern. Niemand traue sich, dem Herrscher die Wahrheit vorzusetzen; diese Regime seien unfähig, Fehler zu korrigieren. Allein Demokratien erwiesen sich als lernfähig, während Autokratien früher oder später jämmerlich wie die Sow jet union 1991 enden würden. Unser Zeitalter der Desillusionierungen hat gezeigt, dass Autokraten sehr wohl lernen können - aus der Geschichte und von ein an der. Das rechtfertigt nun keineswegs, von ...

DIE ZEIT: Frau Kappert-Gonther, das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag vor mehr als zwei Jahren den Auftrag erteilt, die Sterbehilfe zu erleichtern. Jetzt sind drei Gesetzentwürfe in der parlamentarischen Debatte, der Fraktionszwang wurde aufgehoben. Sie sind Bundestagsabgeordnete der Grünen und Medizinerin - und haben mit Parlamentariern anderer Fraktionen einen dieser drei Entwürfe erarbeitet. Fiel Ihnen das schwer?

Kirsten Kappert-Gonther: Tatsächlich hat mich überrascht, dass das Urteil keine absoluten Grenzen definiert: So bindet das Gericht die Suizidbeihilfe nicht an Voraussetzungen wie etwa eine schwere Krankheit. Andererseits erlaubt es dem Ge setz geber aber auch, Schutzmechanismen einzuziehen. Denn die Selbstbestimmung, die das Gericht ins Zentrum ...

Aktuelle Civey-Umfrage für die ZEIT

Als Wessi (eigentlich Südwessi) hat es mich zu Beginn der Neunzigerjahre in den Osten verschlagen. Der größte deutsch-deutsche Unterschied, der mir damals ins West auge fiel, bestand darin, dass man sich im Osten, sobald es zwei Tage geregnet hatte, aller Kleider entledigte und nackt in den Pfützen badete (das ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber, wie gesagt: nur ein bisschen). Den ungezwungenen Umgang der Ossis mit Nacktheit interpretierte ich abwechselnd als körperlichen Ausdruck einer inneren Befindlichkeit nach dem Verlust von Ostmark, Job, dem Getränkestützpunkt und "Putzi", der "Kinderzahnpaste mit Fruchtgeschmack". Oder als Sehnsucht nach einem paradiesischen Urzustand, v ...

Der Streit um den Springer-Verlag, der sich gerade vor aller Augen abspielt, lässt sich in zwei ziemlich unterschiedlichen Story-Varianten schildern. Die erste Variante ist das ultimative Drama, die blockbusterreife Kulmination der schärfsten aller Kulturkämpfe. In ihr geht es um alles. Um Menschenwürde und Meinungsfreiheit. Um Millionengeschäfte und Moral. Um einen mächtigen Mann und eine junge Frau. Um Lüge und Leidenschaft.

In der anderen Variante hat einfach jemand ein kleines, aber sachlich wichtiges Wort in einem Artikel weggelassen.

Was also ist das für ein Konflikt - und welche Lehren hält er bereit?

Beginnen wir mit dem, was unbestritten geschehen ist: Am ...

POLITIK

Hitze An den Folgen der steigenden Temperaturen sterben in Deutschland immer mehr Menschen. Doch auf diese Katastrophe ist kaum ein Landkreis vorbereitet VON KAI BIERMANN, ASTRID GEISLER, KARSTEN POLKE-MAJEWSKI UND SASCHA VENOHR 2

Olaf Scholz Mit seiner Ukraine-Politik sind trotz medialer Kritik 70 Prozent der Deutschen zufrieden. Warum? Ein Besuch in der alten Heimat des Bundeskanzlers VON ANNA MAYR 3

FDP Nach einem halben Jahr in der Regierung stürzen die Liberalen in den Umfragen ab. Parteichef Christian Lindner setzt auf Krawall VON PAUL MIDDELHOFF 4

Erschöpfung Wie der politische Betrieb seine Akteure zermürbt VON PETER DAUSEND 6

Internationale Beziehungen Ende der Abschottung: Nach zwei ...

Wie ernst die Sache mit Harry und mir war, merkte ich, als ich meinen ersten Korb bekam. Ich war in der achten Klasse und verliebt in Laura. Ihre blonden Haare reichten ihr bis zur Taille, und mit ihren dunkel geschminkten Augen sah sie aus wie ein Panda nach einer durchzechten Nacht. Im Unterricht saß sie neben mir. Sehr praktisch, um zu fragen, ob sie nach der Schule mit mir einen Crêpe essen wolle. Nicht so praktisch war, dass sie einen Freund hatte. Er war 16 und hatte ein Moped, mit dem er regelmäßig Bier holte. Ich war 13, fuhr einen ...

Sechs Monate hatte Angela Merkel sich nicht in der Öffentlichkeit gezeigt. Und nun dieser denkwürdige Auftritt, bei dem die Kanzlerin a. D. mit sich und ihrer Regierungszeit offenbar komplett im Reinen zu sein schien. Kurios! Denn: Die prall gefüllte Kriegskasse Wladimir Putins ist ein Erbe der Kanzlerschaft Merkels.

Und ebenso die horrenden Energiepreise und die Inflation. Die marode Bahn und die maroden Autobahnen. Kurz gesagt: Merkel und ihre Partei haben eine katastrophale Bilanz ihrer Amtszeit hinterlassen. STEFAN BLUEMER, ESSEN

Die Ex-Kanzlerin hat nicht wiedergutzumachendes Unheil angerichtet. Und die von ihr jetzt vorgebrachten Erläuterungen (nicht Entschuldigungen) sind wenig plausibel. KLAUS GRASENICK, HOFHEIM

Ich ...

In ihrem Loblied auf das "Sommermärchen Nahverkehr" schreibt Petra Pinzler, das 9-Euro-Ticket sollte verlängert werden. Nur nicht!

Als 86-jährige, mehrfach behinderte Rollatorfahrerin bin ich darauf angewiesen, regelmäßig mit dem Bus zum Arzt zu gelangen. Unglück licherweise nutze ich dafür die Buslinie, die den Bahnhof mit den Kurgebieten an Cuxhavens Stränden verbindet. Und dank der segensreichen Einrichtung des 9-Euro-Tickets ziehen nun aus Nahverkehrszügen Hamburger und Bremer in Karawanen zu den Bussen. Einheimische, die unterwegs zusteigen wollen, drohen buchstäblich auf der Strecke zu bleiben - zumal, wenn sie Kinderwagen oder Rollatoren dabeihaben. HELLA STOLLE, CUXHAVEN

In der Tat erzählt Petra Pinzler - vorläufig - ...

Als Walther Rathenau erschossen wurde, verlor die Weimarer Republik nicht nur ihren Außenminister, sondern eine ihrer schillerndsten Persönlichkeiten. Was war Rathenau nicht alles zugleich: ein Großindustrieller, der in die Fußstapfen seines Vaters, des Gründers der AEG, trat; ein Schriftsteller, der in avantgardistischen Kunstzirkeln verkehrte; ein Berliner Jude, der sich danach sehnte, Preuße zu sein; ein liberaler Theoretiker mit Sympathien für planwirtschaftliche Konzepte; ein Patriot, ein Kosmopolit - als hätte Rathenau der Welt zeigen wollen, dass man mehrere Leben auf einmal leben kann, nicht nur jenes eine, das in seinem Fall verfrüht endete, als ihn Rechtsradikale vor 100 Jahren auf offener ...

Noa Rabin hat sich immer geweigert, den Namen des Attentäters auszusprechen, der ihr den geliebten Großvater, Israel den Premier und Friedensnobelpreisträger entrissen hat. "Der Täter war ein Roboter ohne menschliche Gefühle, indoktriniert von einem System des Hasses, das sich wie ein Krebsgeschwür tief in unsere Gesellschaft gefressen hatte", schrieb die damals Achtzehnjährige in ihr Tagebuch. Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Mord, sagt sie bei unserem Gespräch im Rabin-Gedenkzentrum über den Dächern von Tel Aviv: "Ich wollte, ich könnte sagen, dass dieser Hass längst der Vergangenheit angehört. Wer das Andenken meines Großvaters hochhalten will, darf sich nicht vor Radikalen ...

Der Unruhestifter der deutschen Gas-Debatte ist gerade in Europa unterwegs. Eigentlich lehrt Rüdiger Bachmann, Wirtschaftswissenschaftler,47 Jahre alt, in den USA. Jetzt tourt er durch Europa, besucht Konferenzen, macht einen Trip mit der Familie. Präsent war Bachmann hier aber schon vorher, auch von Amerika aus: wegen einer Studie, in der er mit anderen Wissenschaftlern, etwa Moritz Schularick und Chris tian Bayer, beide von der Universität Bonn, im März berechnet hat, was ein Gas-Embargo die deutsche Wirtschaft kosten könnte.

Das Ergebnis: gar nicht so viel.

Ein Gas-Embargo, an sich ganz harmlos? Als wäre das nicht aufsehenerregend genug, macht Bachmann auch noch mit ...

Wien, im Juni. Vor dem Hotel Sacher parkt ein Bulli, gelb-weiß, mit abgerundeten Kanten. Wie ein großes Spielzeugauto. "Ist der nicht toll?" Herbert Diess, 63, VW-Vorstandsvorsitzender, tritt aus dem Hotel. Trachtenjacke, glänzende Hirschhornknöpfe, glänzende Laune. In Wien sind Elektrotage, dort war er Gast auf einem Podium, es ging auch um den ID.Buzz, VWs Elektro-Bulli. "Führen wir das Gespräch im Auto?" Diess steigt ein, setzt sich ans Steuer. Der Bulli fährt mit leisem Surren los. Wien, 1. Bezirk.

DIE ZEIT: Herr Diess, wer hat mehr Leben: eine Katze oder Sie als VW-Chef?

Herbert Diess: Wie viele Leben hat ...

Falls Sie es nicht mit bekommen haben sollten: Am vergangenen Mittwoch hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine Krisensitzung einberufen. So etwas kommt in der geordneten Welt der Notenbanken eher selten vor. Thema der Sitzung: der Anstieg der Zinsen, vor allem in den Ländern Südeuropas. Zinsen? Südeuropa? Krisensitzung? Genau. Das klingt irgendwie nach vorgestern. Beziehungsweise nach 2012, als die Währungsunion auseinander zubrechen drohte und die EZB zur Abwehr der Gefahr milliardenschwere Hilfsprogramme auflegte. Schon warnen Experten wie Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut vor einer "Rückkehr der Euro-Krise". Droht also nach Corona, Dürre und Krieg nun der nächste Schlamassel?

Tatsächlich sieht es auf ...

In Towson leben etwa 55.000 Menschen. Bis zum vergangenen Samstag rühmte sich der Vorort von Baltimore seiner Öko-Häuser, Radwege sowie der Tat sache, dass Schwimmlegende Michael Phelps dort aufwuchs. Jetzt kann Towson auf eine weitere Besonderheit stolz sein: Die Angestellten des lokalen Apple-Stores stimmten dafür, eine Gewerkschaft zu gründen. Es ist das erste Mal, dass sich Mitarbeiter des Tech-Giganten erfolgreich gewerkschaftlich organisiert haben. In einem Brief an den Apple-CEO Tim Cook finden sie klare Worte: Sie wollen mehr Rechte am Arbeitsplatz. Und mehr Anerkennung: "Wir sind das Gesicht von Apple."

Nicht nur Apple muss sich neuerdings solche Töne anhören - ...

Wenn man Anika Decker fragt, wann sie Macht spürt, dann erzählt sie die Geschichte vom Klo. Filmdrehs sind hierarchisch organisiert, am Set kreisen Dutzende Menschen um den Regisseur. Oder um die Regisseurin. Und wenn die pinkeln muss, steht der Betrieb still. Decker sagt: "Alle wissen dann, wo du bist, und warten auf dich. Und weil ich so harmoniebedürftig bin, beeile ich mich."

Ein Donnerstag Anfang April. Anika Decker kommt einen schmalen Weg durch den Berliner Weinbergspark entlang. Sie trägt eine bunte Trainingsjacke und schwere Stiefel. Eben hat sie ihren Hund Rudi zu seiner Auslaufgruppe gebracht. Jetzt führt sie die Reporterin ...

Dass der große Crash kommen würde, das glaubte im Februar in den USA kaum jemand. Beim Superbowl, dem alljährlichen Football-Großereignis, schalteten so viele Firmen der Branche Werbespots, dass Me dien wie die New York Times das Event in "Crypto Bowl" umtauften. In einem Werbespot für eine Kryptobörse trat Hollywoodstar Matt Damon auf und verglich bei einem Streifzug durch die Menschheitsgeschichte Krypto-Anleger mit Entdeckern, Erfindern und Raumfahrern. Dann zitierte er die alten Römer: "Dem Tüchtigen hilft das Glück."

Nun scheint Fortuna die Krypto-Gläubigen verlassen zu haben. Die Kurse digitaler Währungen sind eingebrochen. Noch im November konnte man einen Bitcoin, die prominenteste Digitalwährung, g ...

Wenn es richtig schlecht läuft mit den Kryptowährungen, dann gibt es zumindest eines noch gratis: gut gemeinte Ratschläge. "Schleunigst zur Schuldnerberatung und keine falsche Scham", rät auf der Plattform Coinforum.de ein Nutzer namens Rhönersauwanst. Und ein Nutzer mit dem Pseudonym Axiom0815 empfiehlt: "Psychologen kontaktieren und dort reden."

Der Mann, dem diese Empfehlungen gelten, will anonym bleiben. Seine Geschichte ist bedrückend. Sie lässt sich nicht in allen Details überprüfen, aber seine Forenbeiträge und seine Antworten im Chat klingen stimmig: Er habe mit Kryptowährungen gehandelt und dafür 10.000 Euro Schulden gemacht, Screenshots seiner Konten belegen es. Ende 2021 sei der ...

Lieber Herr Hausmann,

es kommt in Deutschland derzeit ziemlich oft vor, dass Menschen ein Erbe ihrer Eltern oder anderer Verwandter antreten, obwohl sie selbst schon an der Grenze zum Ruhestand stehen - oder diese bereits überschritten haben. Die hohe Lebenserwartung, vor allem bei den Frauen, hat oftmals zur Folge, dass die "Kinder" ihr Berufsleben schon beendet haben, wenn sie den letzten Elternteil verlieren und der Erbfall eintritt. Jede zehnte Frau wird 95 oder sogar noch älter. Hat eine solche Frau mit 25 Jahren ein Kind geboren, ist es beim Tod der Mutter selbst schon 70 Jahre oder älter.

In der ...

Bürgermeister Peter Ebertsch ist stolz, wenn er durch Tettau fährt, "Deddau", so spricht er den Ortsnamen aus, das klingt weich, fast zärtlich. "Berlin und München liechen dezendral, wir sind die Midde Deutschlands", sagt er, und dass der Ort schon immer gut darin gewesen sei, Krisen zu meistern. In diesem Jahr lässt Ebertsch das Schulschwimmbad geschlossen: "Jeder Kubikmeter Gas, den ich spare, erhält vielleicht meine Betriebe." Und damit seine Gemeinde.

Denn Tettau lebt, wie die ganze Region am oberfränkischen Teil des Rennsteigs in Bayern, von der Glasindustrie. Allein hier, in einer Gemeinde mit knapp 2200 Einwohnern, produzieren oder verarbeiten vier ...

Morgens, bevor der Unterricht losgeht, schaut Jessika Hellge manchmal vom Balkon vor ihrem Büro aus über den Schulhof. Sie sieht die Kinder trödeln, hüpfen oder rennen - und die Schulleiterin sieht ihren Stellvertreter, der an der Tür steht und alle begrüßt. Sie mag dieses Bild, aber es macht ihr auch Angst. Ein paar Wochen noch, dann ist da keiner mehr an der Tür. Dann ist er weg, der Kollege. Er geht in den Ruhestand, etliche andere werden bald folgen. Innerhalb der nächsten vier Jahre verlassen 19 Lehrerinnen und Lehrer der Comenius-Sekundarschule in Stendal ihren Arbeitsplatz.

Eine Schule leiten, der die ...

DIE ZEIT: Frau Thiel, Sie beobachten als offizielle Beraterin der Kultusminister die Situation in den Schulen: Wie bedrohlich ist der Lehrermangel?

Felicitas Thiel: Die Lage ist dramatisch, das zeigen die Zahlen aus fast allen Bundesländern - immer wieder fällt Unterricht aus, weil Lehrkräfte fehlen. Das hat Konsequenzen für den Bildungserfolg. Natürlich kommt es auf die Qualität dessen an, was im Klassenraum passiert. Aber damit etwas passiert, braucht es Lehrkräfte: ohne Unterricht kein Lernfortschritt.

ZEIT: Der Lehrkräftemangel beschäftigt die Kultusminister seit Jahren: Sie haben Seiteneinsteiger angeheuert, die Einkommen erhöht und die Unis verpflichtet, mehr Pädagogen auszubilden. Dennoch scheinen die bisherigen Maßnahmen ...

Als wäre vor seinem Sterben nicht genug passiert! Das Leben nach dem Tod hält für Paulinus endlose Strapazen bereit. Erst wird er in eine Holzkiste gebettet, die nicht für die ewige Ruhe bestimmt ist, im Gegenteil. Der Schiebedeckel ergibt, so wird der Trierer Archäologe Winfried Weber später festhalten, "für einen zur Bestattung bestimmten Holzsarg keinen Sinn". Vielmehr handelt es sich um einen Transportbehälter, der mit Eckverstärkungen und Bändern stabilisiert ist.

Dann geht die Totenkiste auf Reisen. Zieht man heute die Tabula Peutingeriana zurate, die mittelalterliche Kopie einer spätantiken Straßenkarte, dann ist folgende Route denkbar: Von Anatolien aus - vielleicht dem ...

Quecksilber ist viel zu lang ein Liebling der Quacksalber gewesen. Über Jahrhunderte verabreichten zweifelhafte Heiler das giftige Element ihren bemitleidenswerten Patienten als, nun ja, Me dizin. Auch Alchemisten faszinierte das exotische Übergangsmetall. Bei Raumtemperatur ist es flüssig, sickert aber nicht etwa in eine Unterlage hinein, sondern bildet perlenförmige Tropfen, die sich trennen und verbinden lassen. Das liegt an der starken Oberflächenspannung des Quecksilbers.

Diese nutzen Astronominnen und Astronomen in Indien nun zu gänzlich anderen Zwecken: Auf dem Gipfel des Devasthal, eines 2450 Meter hohen Berges rund dreihundert Kilometer nordöstlich von Delhi, haben sie mithilfe des glänzenden Elements "das weltweit größte Teleskop ...

DIE ZEIT: Christoph, stimmt′s, dass Stimmt′s? ursprünglich gar nicht deine Idee war?

Christoph Drösser: Doch, war′s! Es gab allerdings Ideengeber. Das waren die Newsgroups im aufblühenden Internet. Unter Namen wie "alt.folklore.urban" und "alt.folklore.science" wurde über die Richtung des Badewannenstrudels debattiert oder über Legenden wie jene von der Spinne in der Yuccapalme. Da diskutierten echte Nerds, zum Teil auch Wissenschaftler, und es herrschte ein anderer Ton als heute in Facebook-Gruppen. Ich fand das journalistisch attraktiv und habe dieses Frage-Antwort-Format dann der ZEIT vorgeschlagen.

ZEIT: Du warst damals noch freier Journalist, und die Serie war nur auf ein ...

Als Duyen* in Frankfurt am Main landete, hatte sie einen Traum: Sie wollte eines Tages als Forscherin arbeiten, durch die Welt reisen, vielleicht sogar selbst lehren. In den ersten Stunden kam ihr Deutschland so freundlich vor: Am Flughafen half ihr ein Paar, den richtigen Zug nach Göttingen zu finden, am Bahnhof dort holte sie eine Mitarbeiterin der Uni ab. Sie hatte das Gefühl: Hier beginnt ein neues Leben. Heute, zwölf Jahre später, als promovierte Forstwissenschaftlerin, wünscht sie sich nur noch, Deutschland zu verlassen. Sie kann sich nicht mehr vorstellen, jemals wieder an einer Universität zu forschen.

Duyen beginnt ihr Studium ...

Mit der Twitter-Kampagne IchbinHanna machen seit Juni 2021 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam. Das deutsche Hochschulsystem setzt auf befristete Stellen, zudem begrenzt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz die Qualifizierungszeit stark. Was in der Diskussion bislang kaum vorkam: Für ausländische Forschende ist der Druck noch größer, denn zu den unsicheren Beschäftigungsbedingungen treten Sprachbarrieren, bürokratische Hürden oder Nachteile bei der Wohnungssuche. Heutzutage sind es nicht ihre Ideen, die junge (deutsche wie nichtdeutsche) Forschende bei einem Kaffee diskutieren. Sie sprechen über ihre verbleibende Zeit im akademischen Betrieb und über ihre Pläne "nach Deutschland".

Denn für viele ausländische Forschende ist Deutschland nur eine ...

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Feldarbeit statt Freizeit

Im Jahr 1749 gab es in Deutschland erstmals Schulferien. Anfangs waren es aber nur einzelne Tage, an denen die Kinder auf den Feldern bei der Ernte helfen sollten. Erst vor knapp 60 Jahren wurden die sechs freien Wochen im Sommer festgelegt, damit Kinder sich erholen können.

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Deutschen, also fast jeder dritte, fliegt in den Urlaub. Noch mehr, nämlich jeder zweite, nimmt das Auto.

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Deutschen, die nicht ins Ausland reisten, besuchten im vergangenen ...

Es ist eines der größten Kunstwerke dieser Documenta, wenn nicht sogar das größte: Viele Dutzend Meter Tuchbahnen mussten aufgespannt, ein Baugerüst musste drei, vier Stockwerke hoch auf dem zentralen Kasseler Friedrichsplatz errichtet werden, um das Schlachtengemälde zeigen zu können. Bereits drei Tage nach der Enthüllung wurde es, acht mal zwölf Meter groß, wieder verhängt. Ein großes, schwarzes Emblem des Scheiterns. Jetzt wird es abgebaut. Mit einer kurzen Verspätung - der Bundespräsident war am Woche nende nach seinem Eröffnungsrundgang und der Mahnung vor womöglich antiisraelischen und anti semitischen Tendenzen auf der Documenta schon wieder abgereist - hatten aufmerksame Betrachter auf dem Bild des ...

Für die Verwalter der aktuellen Documenta, für deren hessische Fürsprecher und intellektuellen Verteidiger stellt es so ziemlich den größten anzunehmenden Unfall dar, dass nach der Debatte um israelbezogenen Antisemitismus und nach all den Beteuerungen, derselbe habe gewiss keinen Platz in dieser Ausstellung, er nun doch seinen Auftritt hatte. Offensichtlich wollte niemand irgendeine Form der Aufsicht führen. Bestimmt gab es ein strenges Controlling, aber auf die Exponate scheint keine und keiner genauer geschaut zu haben. Vielleicht war das eine Form der Vertrauens seligkeit, die sich jetzt rächt, vielleicht stand dahinter auch ein trotziges Spiel, eine Art Ausreizen des Streits im Vorlauf, um ...

Nun hat man in Kassel das Justice-Banner also erst verhüllt und dann doch abgebaut. Wir wollen rückblickend ein wenig bei dieser Sternstunde deutscher Peinlichkeit verweilen. Was war da, krampftechnisch, theaterhistorisch, eigentlich geschehen?

Es war geschrieben worden, auf der Documenta fifteen habe man das riesige Bild der Künstlergruppe Taring Padi aufgrund seiner antisemitischen Details zur Schadensbegrenzung "verhüllt". Aber ist das wirklich eine Verhüllung gewesen? Unter dem Begriff stellt man sich, spätestens seit Christo, eigentlich etwas Planvolles vor, einen zeremoniellen Vorgang. In Kassel wurde einem anstößigen Objekt aber bloß etwas übergeworfen, ungefähr so, wie man einem Exhibitionisten eine Decke oder einem eingefangenen ...

Natürlich ist man in Israel daran gewöhnt, dass es auf der Welt starke Ressentiments gegen Israel gibt. Und auch daran, dass ein globales progressives Milieu sich schwertut mit der Idee eines ethnischen Staates, der im israelischen Fall Juden privilegiert und der nichtjüdische Menschen, vor allen Dingen die arabische Bevölkerung, sozial und politisch benachteiligt. Denn in einer fortschrittlichen Welt geht es um Gleichheit als oberstes Gesetz, Gleichheit als Prinzip und auch Gleichheit als Leidenschaft, die eigentlich nie befriedigt werden kann.

Der ethnische Staat Israel beruht bei aller sozialen und kulturellen Angleichung zwischen arabischen und jüdischen Staatsbürgern nicht auf politischer Gleichheit. Und ...

Tief im Westen, also in Bochum, und da direkt an der Böschung einer doch ziemlich autobahnähnlichen Ausfallstraße, steht, wie im Lärm verloren, ein Haus, in dem im dritten Stock gerade neuer Teppich verlegt wurde. Zwei Zimmer, Küche, Bad sowie Balkon mit Baustellenblick: Das ist natürlich besser als die Flüchtlingsunterkunft, in der Karim Asir, seine Frau Samira und die gut einjährige Tochter Setaish die ersten Wochen seit ihrer Ankunft verbracht haben. Setaish klebt vor dem Fernseher, auf dem ein Zeichentrickfilm läuft. Samira stellt Kekse und Tee auf den Tisch. Und Karim beginnt zu erzählen wie einer, der keine Zeit zu verlieren ...

Gründungsverleger:Gerd Bucerius (1906-1995)

Herausgeberrat:Prof. Jutta Allmendinger, Dr. Nicola Leibinger- Kammüller, Zanny Minton Beddoes, Florian Illies, Dr. Josef JoffeEhemalige Herausgeber:Dr. Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002)Helmut Schmidt (1918-2015)

Vorsitzender der Chefredaktionen des Zeitverlags und Chefredakteur: Giovanni di LorenzoStellvertretende Chefredakteure: Moritz Müller-Wirth (Managing Editor),Sabine Rückert, Holger Stark, Bernd UlrichMitglieder der Chefredaktion:Malin Schulz, Tanja Stelzer, Jochen Wegner Chef/in vom Dienst: Iris Mainka (verantwortlich), Mark Spörrle

Chefreporter: Dr. Stefan Willeke

Textchef: Dr. Christof Siemes

Geschäftsführende Redakteure: Patrik Schwarz, Andreas Sentker

Internationaler Korrespondent: Matthias Naß

Leitender Redakteur: Hanns-Bruno Kammertöns

Redaktionsleiter Digitale Ausgaben: Götz Hamann

Parlamentarischer Korrespondent: Matthias Geis

Politik Hamburg/Berlin: Tina Hildebrandt/Dr. Heinrich Wefing (verantwortlich), Mark Schieritz (stellv.), Elisabeth Raether (Seite 3), A ...

Das erste Mal hat mich Deniz wegen der PEN-Sache im März angerufen, glaube ich. Wir kennen uns eigentlich gar nicht, wir telefonieren immer nur, und eine Weile war er sauer auf mich, weil ich etwas über ihn geschrieben hatte, das ihm nicht gefallen hat. Damals saß er in der Türkei im Gefängnis und wollte immer noch mit Erdogan über Demokratie diskutieren, statt ihn um Gnade zu bitten, wie man es bei Diktatoren so macht. Das fand ich naiv und traurig, er fand mich geschmacklos, aber jetzt war zwischen uns wieder alles okay.

"Willst du nicht Mitglied beim PEN werden?", s ...

Nachdem sich die Freude darüber, dass es in Deutschland seit ein paar Wochen zwei PEN-Clubs gibt, zusammen mit dem heißen Sommerwetter etwas abgekühlt hat, bleibt die Frage, ob die Existenz von zwei PEN-Clubs in Deutschland denn wirklich eine gute Idee ist. Zwei deutsche PEN-Clubs gab es zuletzt nach der deutschen Teilung. Die Wiedervereinigung des westdeutschen und des ostdeutschen PEN in den Neunzigerjahren war eine ziemlich lähmende und schmerzhafte Angelegenheit. Alle waren froh, als es nach end losem Streit endlich geschafft war.

Jetzt reißt man den PEN - die Abkürzung steht für die Berufsbezeichnung seiner Mitglieder Poets, Essayists, Novelists - wieder aus ein an der, d ...

Als der schöne, zarte Junge mit den kajalumrandeten Augen erstmals eine Bühne betritt, aufgeregt zitternd, in der Hand seine Gitarre, sieht er sich einem Publikum gegenüber, das skeptisch, wenn nicht gar feindselig wirkt. Er will die Leute zum Tanzen bringen, aber sie sitzen fest und steif in ihren Reihen. Immerhin, die jungen Frauen scheinen neugierig auf ihn zu sein, die jungen Männer schauen hingegen grimmig, ein Typ zischt: "Schwuchtel." Aber der wird sich gleich ganz schön umschauen: Denn als Elvis zu spielen und zu singen beginnt, wird aus seinem furchtsamen Zittern plötzlich ein erotisches Vibrieren. Die Glieder schlackern, das ...

Gudrun Krämers Architekt des Islamismus ist ein bemerkenswertes Buch, weniger weil es das Leben einer historisch weitgehend unbekannten, wenn auch bedeutsamen Figur erzählt, sondern weil es in eine hierzulande kaum zur Kenntnis genommene, gelegentlich mystifizierte, meist dämonisierte Richtung muslimischen Denkens und islamischer Politik einführt. Diese Biografie Hasan al-Bannas (1906-1949) umreißt eine Genealogie der Bewegung der von Al-Banna gegründeten Muslimbruderschaft. Ihre Wirkung ging früh schon über Ägypten hinaus und gehört heute zu den einflussreichsten geistig-politischen Strömungen in der arabischen Welt - wenn sie für westliche Augen auch weitgehend unsichtbar und deswegen auch kaum realistisch einschätzbar geblieben ist.

Widersprüchlich nahmen sich die ...

Etwas in Amelia ist stehen geblieben seit jenem Donnerstag im Jahr 1969, mit dem Anna Burns′ Roman Amelia beginnt. Damals hatte die Siebenjährige noch die Augen verdreht, als die Spielfreundin wichtigtuerisch verkündet hatte, "in Derry isses losgegangen ... das heißt, dass wir nicht mehr hier spielen können". Aber schon eine Woche später waren auf der anderen Straßenseite im katholischen Belfaster Viertel Ardoyne 13 Häuser niedergebrannt.

Seither fliegt zwar permanent irgendetwas in die Luft, jahrzehntelang, aber das Leben selbst macht es wie Amelia: Es erstarrt. Es ist beim Thema Gewalt eingerastet und produziert Varianten des Immergleichen. Wir folgen dem Roman in ...

Heinz Strunk ist kürzlich 60 Jahre alt geworden. Man würde nun langsam das Alterswerk vermuten, das oft mit einer lite rarischen Neuerfindung einhergeht. Thomas Mann etwa emigrierte in seinen Sechzigern in die USA und schrieb nach seinen Monumentalwerken bald eher heitere Erzählungen. Kann aber Alterswerk der richtige Begriff sein für jemanden, der mit 42, quasi als Quereinsteiger, seinen Erstling veröffentlicht hat?

Sprachlich jedenfalls hält der Kabarettist in seinem neuen Roman Ein Sommer in Niendorf an Altbewährtem fest, an hohem Tempo und irrwitzigen Bildern: Das Pferdemädchen mit dem unglaublich langen Gesicht, "als hätte jemand sehr fest daran ge zogen". Der alte, sich verbeugende ...

Ruth Beckermann benutzte das Buch in ihrem jüngsten Film im Berlinale-Programm als Katalysator für das Sprechen über männliche Sexualität. Kritische Stimmen tadeln es vor allem als Anleitung zu Inzest und pädophiler Praxis; bis 2017 war der Roman in Deutschland als "jugendgefährdend" verboten. Nun gibt es auch die "Wiener Ausgabe", eine wissenschaftlich fundierte Pracht edition, die getreulich dem anonymen Erstdruck von 1906 folgt: Die Mutzenbacher ist in aller Munde - wobei die Metapher bei diesem Genre gewagt erscheint.

Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt macht der Rezensentin das Zitieren ebenso schwer wie die Inhaltsangabe. Kann man ...

Viktor Martinowitsch, vermutlich der be deu tends te belarussische Schriftsteller der Gegenwart, ist ein mutiger Mann. Er gehört zu den Kritikern seiner Regierung. Daheim darf er nicht mehr publizieren; jederzeit muss er mit seiner Verhaftung rechnen. Dennoch kehrt er von Reisen stets nach Hause zurück. Vor einigen Wochen trafen wir uns in Hamburg zum Gespräch. Auf elektronischem Wege hat er nun, von Belarus aus, seine Aussagen aktualisiert. Soeben, so schreibt er uns in seiner jüngsten Mail, habe man die letzten Exemplare seiner Bücher aus den belarussischen Buchhandlungen entfernt. Er beendet die Nachricht sarkastisch: "Es ist Juni, der Himmel ist blau, die Spatzen zwitschern. M ...

Und wieder eine dieser Geschichten, über die man am liebsten die Augen rollen möchte: Eine Schlangenfrau kann nur dann vor der kompletten Reptilwerdung bewahrt werden, wenn der Ehemann sie in den Momenten ihrer Verwandlung nicht nackt sieht. Das Melusinen-Thema ist alt, ein patriarchales Märchen, das die Hypersexualisierung und Dämonisierung des weiblichen Körpes fortschreibt und erzählt, wie alles Hybride, Uneindeutige als "Verfluchtes" geheim gehalten werden muss. Die Melusine als bemitleidenswerte Schöpfung männlicher Fantasie - zumindest in der Sage.

Die Komponistin Catalina Rueda und die Librettistin Lisa Pottstock haben einen Ansatz gefunden, diese alte Geschichte zeitgemäß zu befragen - künstlerisch wie inhaltlich ...

So ein Oppositionspolitiker hat nicht oft die Gelegenheit, öffentlich unter Beweis zu stellen, dass er gute Entscheidungen treffen kann. Es müssen deshalb, ganz klar, wenigstens die Entscheidungen sitzen, die dieser Politiker für sein eigenes Leben trifft.

Nun: Friedrich Merz hat für sein Leben eine Entscheidung getroffen, und sie sitzt.

Sie sitzt, um genau zu sein, auf seinem Nasenrücken. Der Chef der CDU trägt eine neue Brille. Er trägt, soweit man sich erinnern kann, sogar erstmals überhaupt öffentlich und dauerhaft eine Brille. Sie hat, seit sie Ende April in Friedrich Merz′ Gesicht auftauchte, kurz vor der Kiew-Reise ihres Besitzers, direkt Schlagzeilen ...

Ein Ruderboot aus Zedernholz schwebt im blassen Morgenlicht über die Alster, wie jeden Dienstag und Donnerstag zwischen sieben und acht. Ein Hauben taucher paar beobachtet, wie der Steuermann und seine acht Ruderer ihre letzten Schläge setzen, noch drei, noch zwei, noch einer, dann treibt der Achter an den Steg der Gurlittinsel am Ostufer von Hamburgs Außenalster. Erst jetzt, als sich die Männer in ihren rot-grauen Trainingsjacken aus dem Boot schälen, sich gegenseitig stützend, wacklig nach einer Stunde sitzen, sieht man, dass sie vielleicht doch ein bisschen alt sind.

Im Frühstücksraum des Bootshauses, eine halbe Stunde später.

"Ein bisschen alt, hahaha!", ruft ...

Am Samstagmorgen um 10.07 Uhr macht der elegant ergraute Steward des Eurowings-Flugs EW 6004 von Palma de Mallorca nach Düsseldorf, ursprünglich disponiert für früh um sechs, eine Ansage, die von Herzen kommt, aber trotzdem völlig daneben ist. Er wisse zwar nicht genau, was in den vergangenen zwei Tagen alles schiefgelaufen sei, aber er wisse, dass über Gebühr viel schiefgelaufen sei. "Und zumindest das kann ich Ihnen jetzt versprechen: Heute bringen wir Sie sicher nach Hause."

Die Sache ist nur: Die Passagiere dieser Eurowings-Maschine wollen zwar schon lange nach Hause, aber eben nicht nach Düsseldorf. Geschätzte 99 Prozent waren ursprünglich ...