Inhaltsverzeichnis vom 17.02.2022

Islam Alijaj steuert seinen Rollstuhl zielstrebig auf den Bundesplatz. Es regnet, seine schwarze Jacke glänzt vor Nässe. Ein paar Menschen versammeln sich zu einer Kundgebung, halb versteckt unter den Regenschirmen. In der Straße dahinter leert die Müllabfuhr die Container vor Restaurants, Glaslawinen donnern. Die Leute auf dem Platz rücken zusammen, damit sie einander verstehen. Mikrofone sind verboten, weil im Bundeshaus das Parlament tagt.

Alijaj lacht. Das garstige Wetter, der Lärm, es passt zum Unmut, der ihn und seine Mitstreiter nach Bern geführt hat: "Man lässt uns Behinderte im Regen stehen und hört uns nicht zu." Dass sich das ändert, d ...

Es ist noch kein Jahr her, da wurde Samih Sawiris zum Urner Ehrenbürger ernannt. Der schwerreiche Ägypter habe "Außerordentliches" für den Innerschweizer Kanton geleistet, sagte der Landrat, und es klang nach der Vollendung einer ungleichen Allianz, die vor 17 Jahren begonnen hatte. Damals flog Sawiris erstmals mit dem Helikopter über das Urserental wie ein Erlöser aus einer anderen Welt. Der Rest ist Tourismusgeschichte: Mehr als eine Milliarde Franken steckte Sawiris seither in die Region um Andermatt und verwandelte das ehemalige Militärdorf im verschatteten Talkessel zu einem weltbekannten Skiresort für die Schönen und Reichen der Welt. Gerade erst eröffnete er in ...

DIE ZEIT: Frau Colcuc, Sie erforschen die Sprachen und Dialekte des Alpenraums. Mit welcher Sprache sind Sie selbst aufgewachsen?

Beatrice Colcuc: Ich komme aus Colle Santa Lucia, einem kleinen Dorf in den italienischen Dolomiten, in der Nähe von Cortina d′Ampezzo. Dort wird Ladinisch gesprochen.

ZEIT: Diese romanische Sprache sprechen nur 30.000 Menschen. Gehören Sie heute auch noch dazu?

Colcuc: Ja, aber ich spreche auch viel Italienisch. In der Schule durften wir nur Italienisch sprechen, in dieser Sprache wurde ich alphabetisiert. In die Oberschule ging ich in Brixen in Südtirol und habe ein Auslandsjahr in Regensburg gemacht. Dort habe ich ...

Wie jede Krise legt auch der Konflikt um die Ukraine vieles offen, was vorher beschwiegen, ignoriert oder verdrängt wurde. Und wie immer, wie schon in der Pandemie, sieht das, was dann zum Vorschein kommt, meist nicht nur hübsch aus: Da zeigt sich dann zum Beispiel, dass die in Deutschland weit verbreitete Friedensliebe reale Bedrohungen auch schon mal ignoriert; dass die tiefe Sehnsucht nach einem entspannten Verhältnis zu Russland mitunter ausblendet, wenn der Kreml die Spannungen hochfährt. Lauter verständliche Haltungen, geboren aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und allesamt nun infrage gestellt durch die neuen Konflikte des 21. Jahrhunderts.

Ganz gleich, o ...

Mit der Wahl von Friedrich Merz zum Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag kommt ein Prozess zum Abschluss, der in der Geschichte der CDU ohne Beispiel ist. Ein Aufstand der Basis, der fast das gesamte Establishment hinweggefegt hat, endet mit der Etablierung einer innerparteilichen Autoritätsfülle, von der Angela Merkel trotz Kanzlerschaft zuletzt nur noch träumen konnte. Parteichef, Fraktionschef, Oppositionsführer - es ist weit und breit nun niemand mehr in Sicht, der Friedrich Merz da noch irgendetwas streitig machen könnte.

Was aber bedeutet dieser Triumph? Merz spricht für diejenigen in der CDU, die sich jahrelang nicht mehr ausreichend gehört fühlten und die ...

Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 Außenminister im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder.Seit dem Ende seiner politischen Karriere ist er als Berater und Autor tätig. Sigmar Gabriel war von 2009 bis 2017 Bundesvorsitzender der SPD. Von 2017 bis 2018 war er Außenminister, von 2013 bis 2018 Vizekanzler von Angela Merkel. Er ist Vorsitzender der Atlantik-Brücke.

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Joschka Fischer

Was will Putin? Mehr Einfluss oder auch mehr Land?



Es geht Putin meines Erachtens um viel mehr als um die Ukraine, nämlich um eine Revision der europäischen Ordnung nach dem Kalten Krieg zugunsten russischer Großmacht. Dazu bedarf es aus seiner Sicht keiner ...

Da ist er wieder. Gut sechs Meter lang ist der Tisch, an dem Olaf Scholz und Wladimir Putin einander gegenübersitzen. Den französischen Präsidenten Emmanuel Macron hatte Putin auch an diesen Tisch gesetzt und damit auf Abstand gehalten - aus Furcht vor Corona. Scholz hat noch am Morgen in Moskau einen PCR-Test gemacht, an Bord der deutschen Regierungs maschine. Trotzdem sitzt er nun weit weg von Putin. Dabei soll es in diesem Gespräch doch um eine diplomatische Annäherung gehen.

Es ist mehr als ein Symbolbild. Wenige Minuten nach der Landung des Bundeskanzlers in Moskau gibt das russische Verteidigungsministerium bekannt, es ziehe Truppenteile ...

DIE ZEIT: Während wir sprechen, trifft der deutsche Kanzler Olaf Scholz Wladimir Putin in Moskau. Was erwarten Sie?

Jens Stoltenberg: Es ist gut, dass Bundeskanzler Scholz in Moskau ist, um eine politische Lösung zu finden. Das ist ein Beweis für die Bedeutung Deutschlands innerhalb unseres Bündnisses. Und es ist ein Beleg dafür, dass Deutschland den zweigleisigen Ansatz der Nato unterstützt: Abschreckung und Verteidigung sowie Dialog.

ZEIT: Letzthin gab es Zweifel an der Zuverlässigkeit Deutschlands in Bezug auf Russland - manchen erschien Deutschland wie ein unsicherer Kantonist. Verstehen Sie die Zweifel, die da aufgekommen sind?

Stoltenberg: Ich sehe hier im Nato-Hauptquartier, a ...

Es gibt Krisen, die vorbeiziehen wie ein kurzer Regenguss. Ein Staatschef kann versuchen, sie zu ignorieren. Und es gibt Krisen, die nicht vorbeiziehen, die sich halten wie ein tagelanges Unwetter. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hatte versucht, die Krise, die sich vor seinem Regierungssitz abspielt, an sich vorbeiziehen zu lassen. Es ist ihm nicht gelungen.

Seit Ende Januar blockieren Hunderte Trucker mit ihren Lastwagen das Zentrum der kanadischen Hauptstadt Ottawa und protestieren gegen die Corona-Politik von Trudeaus Regierung. Die Proteste haben sich inzwischen auf andere Teile des Landes ausgeweitet, die Trucker haben mit ihren Blockaden auch mehrere Grenzübergänge zwischen Kanada ...

Nur mehr 123 britische Hundebesitzer geben an, im vergangenen Jahr für ihren Liebling den Namen Boris gewählt zu haben. 2020 waren es noch 313. Die Zahlen entstammen einer Umfrage der Tierversicherung Agria. Auch hier also, wie in den Erhebungen der Demoskopen und den Kommentaren selbst der konservativen Presse, ein dramatischer Absturz in der Popularität des Premierministers. Seit mehr als zwei Monaten beschäftigt "Partygate" die Öffentlichkeit im Vereinigten Königreich: der Vorwurf, dass der Regierungschef und zahlreiche Mitarbeiter bei geselligen Zusammenkünften am Rande ihrer Arbeitstage gegen die Corona-Regeln verstoßen hätten.

Unablässig wird darüber spekuliert, wann die Unterhausfraktion der konservativen Partei ihrem angeschlagenen ...

Das Rauchen, sagt Qais Ahmadi, helfe ihm, für einen Moment alles zu vergessen. "Wenn dir das Nikotin zu Kopf steigt, musst du über nichts nachdenken. Für eine Zigarettenlänge fühlt sich das Leben leicht an." Eigentlich habe er längst aufgehört, sagt Ahmadi, erst seit seiner Flucht nach Deutschland ist die Sucht zurück.

Wegen der Deutschen hatte Ahmadi überhaupt erst angefangen mit den Zigaretten. Damals, vor zehn Jahren, als er Dolmetscher für die Bundeswehr in Afghanistan war. Wie sie trug er eine Uniform mit schwarz-rot-goldener Flagge. In den Pausen lernte er von ihnen das Fluchen, das Biertrinken und das Rauchen. "Ich ...

Ihr Essen fischt Carla Hinrichs schon lange aus dem Müll. "Ich hole seit Jahren einen Großteil meiner Nahrungsmittel aus den Abfalltonnen von Supermärkten", sagt die 25-jährige Studentin. Sie finde dort Obst, Gemüse, Milchprodukte, Brot - "alles einwandfrei genießbar". Es sei "schmerzhaft", zu sehen, welche Mengen an wertvollen Lebensmitteln der Handel Tag für Tag einfach wegschmeiße. Diese Verschwendung will Carla Hinrichs nicht mehr hinnehmen. Deshalb sitzen sie und ihre Mitstreiter nun fast jeden Tag auf der Straße.

"Letzte Generation" nennt sich die Protestbewegung, die seit dem 24. Januar immer wieder den Autoverkehr blockiert, in Frankfurt, München, Hamburg, vor allem in Berlin. W ...

Bevor Sie diesen Text lesen, sollten Sie die Weltkarten vergessen, die Sie aus dem Schulatlas, der Tagesschau oder von Google Maps kennen. Holen Sie sich im Internet die Karte des Japaners Hajime Narukawa. Auf keiner anderen sind die Kontinente so genau in ihren realen Dimensionen eingezeichnet. Afrika ist darauf um einiges größer als auf herkömmlichen Karten, eine gigantische Landmasse. Die Europäische Union schrumpft zum Klecks. Die Perspektive wird Sie irritieren, aber Sie sollten sich daran gewöhnen. Gerade jetzt, da sich Macht- und Größenordnungen auf der Welt verschieben. Auch zwischen Europa und seinem Nachbarkontinent.

An diesem Donnerstag kommen in Brüssel die ...

DIE ZEIT: Herr Feld, Sie sind einer der letzten Anhänger einer harten Schuldenbremse und jetzt Berater von Finanzminister Christian Lindner. Wie passt das zusammen?

Lars Feld: Das passt gut zusammen. Christian Lindner steht zur Schuldenbremse und will sie im kommenden Jahr wieder einhalten.

ZEIT: Moment! Christian Lindner hat beschlossen, die Schuldenbremse teilweise zu umgehen. Er will Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro, die eigentlich für den Kampf gegen die Pandemie vor gesehen waren, umwidmen: Mit dem Geld will er Investitionen in den Klimaschutz bezahlen.

Feld: Ich habe während der Koalitionsverhandlungen zusammen mit Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung einen ...

Viele Länder in Europa haben bereits die Abschaffung der meisten Pandemie-Beschränkungen verkündet. Auch die Bundesregierung will lockern - wenngleich eher vorsichtig (die konkreten Maßnahmen wurden nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe beschlossen). Könnten wir uns auch mehr trauen? Und wenn ja, wie viel? Darüber diskutieren hier fünf Menschen mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Corona-Krise:

Julia A. Noack, 46, freiberufliche Übersetzerin in Berlin-Neukölln, lebt in einer Partnerschaft und hat einen Sohn in der 3. Klasse. Sie arbeitet seit zwei Jahren permanent im Homeoffice.

Karl-Heinz-Schröter, 67, war Landrat, SPD-Bundestagsabgeordneter und Innenminister von Brandenburg bis 2019. Er lebt in Hohen Neuendorf bei Berlin und ...

Aktuelle Civey-Umfrage für die ZEIT

Der Saarländer an sich, also ein Mensch wie ich, kommt ja mit zwei Lebensweisheiten durch sein genussorientiertes Leben zwischen Jägersfreude und Hühnerfeld. "Hauptsach, gudd gess - geschafft hann mir schnell" heißt die eine. Die andere lautet: "Drei Bier sinn ach e Mahlzeit - awwer do hasch′de noch nix debei getrunk!" Müsste der Saarländer zwischen gutem Essen und reichlich Trinken wählen, würde die Entscheidung in einer Region, in der die Orte Bierfeld oder Ballern heißen, ziemlich eindeutig ausfallen: für Bierbach (das gibt es auch) und gegen Eiweiler oder Kohlfeld. Was soll man auch sonst tun, wenn ...

POLITIK

Titelthema: "Es ist nie zu spät"

Was Putin will und was der Westen ihm anbieten kann: Vier Fragen an zwei ehemalige deutsche Außenminister 2

Ist der Frieden noch zu retten? Nach Olaf Scholz′ Besuch in Moskau wird jedenfalls weitergeredet

VON MARC BROST, JÖRG LAU UND MICHAEL THUMANN 3

Interview mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der die Tür der Allianz für die Ukraine weiterhin offen sieht 4

Wie die Menschen in der Ukraine ihre Lage empfinden

VON CATHRIN GILBERT 4

Pandemie Kanadas Trucker legen die Hauptstadt lahm

VON AMRAI COEN 6

Großbritannien Boris Johnson ist trotz seiner Skandale immer noch Premierminister. Warum eigentlich?

VON JAN ROSS 7

Afghanistan Der Übersetzer Qais Ahmadi ...

"Globale Sause ohne Nebenabsichten", lese ich im Leitartikel von Christof Siemes zu den Olympischen Winterspielen.

Weiter kann man sich von der Realität nicht entfernen. Ohne Nebenabsichten wie etwa politische Profilierung (Xi Jinping und Wladimir Putin), Bereicherung (IOC) und Kommerz (Sportindustrie) würde es Olympia doch gar nicht geben. Und angesichts der Pandemiemaßnahmen handelt es sich diesmal doch eher um Nebenabsichten ohne Sause.

FRANK SCHOLZE, PER E-MAIL

Gilt die "globale Sause" auch für die internierten Uiguren, die inhaftierten Regimekritiker und Journalisten oder die hungernden Wanderarbeiter in China? Was hat sich in den 14 Jahren seit den Sommerspielen in Peking 2008 geändert? Zum Positiven ...

Wo Autokraten mit einer Stimme selbstbewusst und machtvoll auftreten, herrscht in Demokratien der Stress der Vielstimmigkeit.

Die ZEIT-Autoren zeigen nur die zur Schau gestellte Stärke der Autokraten und verstärken so ungewollt deren Propaganda. Zum enormen Herr schaftsaufwand gehören jedoch: Propaganda, Unterdrückung von Selbstbestimmung, Belohnung von Konformität unter anderem durch Vorteilsgewährung.

Die bedrohliche Außenpolitik der Autokraten soll Demokratien dazu verleiten, deren Spiel mitzuspielen. In dem Maße aber, in dem Demokratien sich darauf einlassen, laufen sie Gefahr, Legitimation und so ihre Stärke zu verlieren.

Die Stärke der Demokratie liegt in ihrer Freiheit. Diese Stärke erscheint im direkten Konflikt mit aggressiven Autokraten als Schwäche. A ...

Ich kann ihn nicht mehr fragen. Und auch als er noch lebte, hätte ich nicht mit ihm sprechen können: Mein Vater Herbert Engelsing starb 1962, da war ich, der Sohn aus zweiter Ehe, noch keine zwei Jahre alt. Was ich über ihn weiß, habe ich aus Familienerzählungen erfahren, aus Büchern und - mittlerweile - aus den historischen Quellen, die ich zusammen getragen habe.

Lange Zeit überstrahlte dabei ein Wort alles andere: Widerstand. Mein Vater gehörte zum Berliner Kreis oppositioneller Kräfte um den Luftwaffenleutnant Harro Schulze-Boysen; Abwehr und Ge sta po nannten die Gruppe später "Rote Kapelle", um sie als sowjetischen Agentenring zu diffamieren. D ...

Zwei Männer stellen einen Koffer neben einer Bäckerei ab. Sie haben ihn bei Primark für 60 Euro gekauft. Der Koffer ist aus Stoff und schwarz, unten stark ausgebeult, die Achsen sind verbogen.

Bahnhof Berlin Südkreuz, 13. Juli 2021, 16.34 Uhr. Eine Über wachungs kame ra nimmt sie von oben auf. Die Männer schauen sich um. Sie bücken sich und hieven den Koffer hoch, einer hinten, einer vorne, nur gemeinsam können sie ihn tragen. Der Transport geht weiter, mit der Rolltreppe zu Gleis 3. Sie setzen sich und warten. Die Sonne scheint. Der Koffer lehnt zwischen Sitzbank und Müll eimer.

Die Männer sind Brüder. D ...

Die EU-Kommission mit ihren 32.000 Mitarbeitern hat einen neuen Plan für die Wirtschaft entwickelt: Bis zum Jahr 2030 soll Europa seinen Weltmarktanteil bei der Produktion von Computerchips verdoppeln, von bisher 10 auf dann 20 Prozent. Um dieses Planziel zu erreichen, subventionieren die Regierungen den Bau sogenannter Megafabriken. Fehlt das Geld von privaten Investoren, soll die öffentliche Hand die Finanzierungslücke im Einzelfall zu 100 Prozent mit Steuergeld schließen. Mehr Förderung geht nicht. Insgesamt soll die ungeheure Summe von 43 Milliarden Euro in die Chipfertigung fließen - weil Politiker und Bürokraten meinen, dass dort investiert werden muss.

Was nach Planwirtschaft klingt, i ...

Zu den Herausforderungen dieser Pandemie gehört, dass jede Welle ihre eigenen Überraschungen bringt. Bisher waren sie meist unschön. Wer sich aber in diesen Tagen durch deutsche Krankenhäuser telefoniert, kann den Eindruck gewinnen, dass sich das geändert hat. "Ich bin zwar kein Politiker", sagt Stefan Kluge, Chef der In tensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf (UKE), "aber ich glaube, wir sollten in Hamburg, womöglich in ganz Norddeutschland, über ein kurzfristiges Ende einzelner Pandemiemaßnahmen nachdenken. Jedenfalls dann, wenn man sie mit der Lage auf den Intensivstationen der Kliniken begründet."

Die Lage in seinem Krankenhaus, sagt Kluge, sei heute völlig anders als in Zeiten der Virusvarianten ...

Es gibt ja Themen, zu denen kann man kaum noch Neues schreiben, weil wirklich alles dazu schon gesagt scheint, und zwar von jedem. Die Frauenquote zum Beispiel, was will man da noch groß rumargumentieren? Es geht aber schon! Das hat jetzt die Kölner Deutz AG gezeigt, die älteste Motorenfabrik der Welt mit gut 4600 Mitarbeitern. Womit nun wirklich keiner gerechnet hätte: dass man sich im Jahr 2022 noch so unterhaltsam über die Eignung von Frauen für Führungspositionen zerfleischen kann.

Bei Deutz mussten in diesem Sinne gerade zwei Topmanager abtreten: Der Vorstandsvorsitzende Frank Hiller wurde mit sofortiger Wirkung abberufen, Aufsichtratschef Bernd ...

Schon klar, was Sie jetzt wieder denken: "Was habe ich schon zu verbergen? Die NSA weiß doch sowieso alles über mich!" Die Frage, was mit unseren Daten passiert, ist kompliziert und, seien wir ehrlich, ziemlich öde. Lesen Sie bitte trotzdem weiter, denn jetzt wird es interessant.

Kaum ein Unternehmen - Facebook und Google einmal ausgenommen - sammelt so viele Daten über die Deutschen wie die Schufa. Die Firma mit Sitz in Wiesbaden verfügt über sehr private Informationen von 68 Millionen Bürgerinnen und Bürgern: Wie viele Konten jemand besitzt, ob er oder sie Kredite abbezahlt. Eingespeist und genutzt werden die ...

In Europa und den USA gehen die Inflationssorgen um - und eine wichtige Region droht dabei aus dem Blick zu geraten: der Rest der Welt. Dabei ist es schon häufiger passiert, dass westliche Notenbanken gut gemeinte Dinge tun - zum Beispiel die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen - und damit in anderen Teilen der Erde schweren Schaden anrichten.

Das schlimmste Beispiel ist zu einem Klassiker der Wirtschaftsgeschichte geworden. Anfang der Achtzigerjahre erhöhte der US-Notenbankchef Paul Volcker so rabiat die Dollarzinsen, dass vor allem lateinamerikanische Staaten in ein Jahrzehnt von Pleiten, Kapitalflucht und Überschuldung stürzten.

Könnte sich so etwas ...

DIE ZEIT: Herr Rogoff, die Aktienmärkte erleben gerade ein Auf und Ab. Befürchten Sie einen Crash?

Kenneth Rogoff: Natürlich gibt es diese Gefahr. Wenn Zentralbanken beginnen, die Zinsen zu erhöhen, so wie jetzt gerade, dann geht das immer mit dem Risiko einer deutlichen Marktkorrektur einher. Auf der anderen Seite erholen sich Amerika und Europa wirtschaftlich stark, trotz Omikron. Die Gewinne der Firmen sind überraschend hoch. Wenn man aus einer Jahrhundert-Pandemie kommt, ist die Lage schwer vorherzusehen. Aber ich neige zur Einschätzung, dass die Notenbanken die Zinsen stärker erhöhen müssen, als die Märkte bislang erwarten. Und das ist für die Anleger ...

Wem der Kapitalismus nicht passt, der soll doch nach drüben gehen. Das war lange der Grundton politischer Debatten in Südkorea. Sozialstaat - das klang in den Ohren vieler Wählerinnen und Wähler nach Kommunismus, nach Nordkorea, nach Repression. Doch Lee Jae Myung glaubt, dass diese Zeiten vorbei sind. Wenn er damit recht hat, könnte der 57-Jährige am 9. März zum neuen südkoreanischen Staatspräsidenten gewählt werden.

Schon vor Jahren sorgte Lee für Aufregung in seinem Heimatland, als er verkündete: "Ich will ein erfolgreicher Bernie Sanders werden!" War das eine Drohung? Den US-Politiker Sanders, der sich seit Jahrzehnten für eine Umverteilung von ...

Mittelalte weiße Männer haben gesellschaftlich einen schweren Stand. Ständig müssen sie sich fragen lassen, warum sie nicht endlich Platz für andere machen, in der Politik und in der Wirtschaft etwa. Eine Ausnahme aber gab es, einen Job, den man ihnen bedingungslos zutraute: Fischverkäufer in der Werbung. Man denke nur an Käpt′n Iglo. Doch selbst im Fischgeschäft fallen die Herren nun negativ auf. Ein jüngst zu Ende gegangener Gerichtsprozess beweist das.

Da ist einerseits ebenjener Käpt′n Iglo. Seit Jahrzehnten wirbt der bärtige Seebär für Fischstäbchen seines Arbeitgebers Iglo. Früher spielten die Werbespots an Bord eines Schiffes, dessen Besatzung ausschließlich aus kleinen ...

Obwohl er nicht abergläubisch ist, kam die schlechte Nachricht für Murat Aksel am Freitag, dem 13. November 2020. Exakt um 18.09 Uhr bekam der Einkaufsvorstand von Volkswagen eine E-Mail, die für seinen Konzern, für die deutsche Automobilindustrie und für Millionen von Autokäufern dramatische Folgen haben sollte. Es war der wöchentliche "Versorgungsbericht". Darin informierte ein Zulieferer von Unterbauteilen über einen Engpass bei Halbleitern. Massive Produktionsausfälle drohten. Die Chipkrise hatte Volkswagen erreicht.

"Halbleiter sind für das Auto vollkommen unentbehrlich, sie stecken heutzutage einfach überall, selbst in der Steuerung für die Scheiben wischer", sagt Aksel. Bis zu 8000 Chips sind in einem modernen ...

Lieber Herr Hanke,

mit diesem Interesse sind Sie nicht allein. Seit es keine Sparzinsen mehr gibt, ist eine Form der Geldanlage wieder interessant geworden, die vielen lange Zeit als unattraktiv gegolten hat: das System der gesetzlichen Rente. Rund 90 Prozent aller arbeitenden Menschen in Deutschland haben einen Rentenanspruch, weil sie Beiträge eingezahlt haben. Wie viel Geld sie dafür mal aus bezahlt bekommen, steht nicht fest, denn es hängt unter anderem davon ab, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Aber es gibt Pro gno sen: Ein lediger Mann, der 2030 in Rente geht, kann mit einer Rendite von drei Prozent auf seine Beiträge rechnen. Weil ...

Wer es bei einem olym pischen Skirennen den Berg runtergeschafft hat, fährt auf einen Kameramann zu, der das Objektiv direkt aufs Gesicht hält: eine wichtige Nahaufnahme für die Fernsehübertragung in alle Welt. Als Mida Fah Jaiman ins Ziel kommt, wartet niemand mehr auf sie. Bei Startnummer 70 beim Slalom der Frauen ist kaum ein Sender mehr live dabei.

Dabei lohnt es sich, gerade in diesem Moment hinzusehen. Und ihr zuzuhören. Mida Fah Jaiman, 19, startete noch nie bei einem Weltcuprennen, sie war auch noch nie in Thailand. Und doch startet sie nun bei Olympia. Für Thailand. Sie ist eine dieser Sportlerinnen, d ...

Die Grenze zwischen Freiheit und Unterdrückung verläuft über poliertem Marmor mitten durch die Lobby meines Hotels. Ein Schild in goldenem Rahmen markiert sie, es zeigt unter dem WLAN-Zeichen die Logos von Facebook, YouTube, Google, Instagram, Twitter. Dahinter gibt es, wo früher die Hotelbar war, auf 500 Quadratmetern freies Internet. Eines, in dem kein chinesischer Zensor bestimmte Seiten oder Begriffe sperrt. So hatte es das IOC vor Beginn der Spiele versprochen - und diese Zusage hat es gehalten, immerhin. Egal, ob ich "Uiguren", "uyghur genocide" oder "free tibet" ins Google-Suchfenster eingebe - ungefiltert werden mir Millionen Links angezeigt, die auch funktionieren.
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Wie sich ein Schwein fühlt, kann einem niemand sagen. Außer vielleicht der eigene Leib. Deshalb legt sich Timo Heikkilä, Finnlands größter Ferkel züchter, in einem seiner Ställe flach auf den Rücken. Heikkilä, 56 Jahre alt, streckt die Beine auf dem Spaltenboden aus, kreuzt die Arme über der Brust. Starrt an die Decke. "Ich bin jetzt die Sau", sagt er.

Früher hat er sich halb nackt auf den Boden gelegt, um zu spüren, in welchem Mikroklima seine Schweine leben. Heute bleibt er angezogen, es ist ja Besuch da. Hoch über ihm befindet sich das, was die Arbeiter "Timos Kondom-Lüftung" nennen: lange Reihen ...

Luc Montagnier wählte den ganz großen Rahmen: Die Fortschritte der Wissenschaft im 20. Jahrhundert, die Erkenntnisse um Evolution, Menschheitsgeschichte und den Platz der Erde im Universum - damit beginnt das Manuskript der Nobelvorlesung des französischen Virologen aus dem Jahr 2008. Vier Absätze später kommt er zu seinem eigenen Forschungsgebiet. "25 Jahre nach der Entdeckung von HIV: Aussichten für Heilung und Impfstoff".

Dieser Titel steht aus heutiger Sicht nicht nur für einen Triumph der Forschung, er hat einen bitteren Beigeschmack. Weil es nach wie vor weder einen Impfstoff gegen HIV gibt noch ein Mittel zur Heilung einer Infektion. Aber auch, weil ...

Mehr als 12.000 Kilometer ist Edward Halealoha Ayau von Hawaii nach Wien geflogen, jahrelang hat er für diese Reise gekämpft, hat viele Spuren vergebens verfolgt. Jetzt steht er endlich hier, im Naturhistorischen Museum in Wien, vor ihm eine Kiste, in schwarzes Tuch gehüllt. Darin liegen zwei Schädel. Für Ayau sind es nicht einfach Knochen. Es sind seine Vorfahren. Er will sie mitnehmen, nach Hause, nach Hawaii, und dort auf der Insel begraben, aus deren Erde sie einst gestohlen wurden.

Edward Ayaus Kampf um die Überreste seiner Vorfahren hat eine lange Vorgeschichte. Sie begann Ende der Achtzigerjahre. Ayau, damals Jurastudent, w ...

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1.Wie leichtsinnig ist es, jetzt zu öffnen?

Anfang Februar hob Dänemark die meisten Corona- Beschränkungen auf. Das war möglich, weil mehr als 95 Prozent der dänischen Bevölkerung über 65 Jahren durch Impfungen vor schweren Erkrankungen geschützt sind, hohe Infektionszahlen also nicht mehr sehr viele Todesfälle bedeuten. Die dänische Losung lautet nun: Schwere Erkrankungen verhüten, Infektionen aber nicht um jeden Preis.

In Deutschland wächst der politische und gesellschaftliche Druck, diesem Befreiungsschlag zu folgen. Karl Lauterbach will aber offenbar noch immer möglichst viele Infektionen verhindern. Im heute-journal warnte der Bundesgesundheitsminister, eine zu frühe, radikale Öffnung könnte täglich bis zu 500 Todesfälle zur ...

DIE ZEIT: Herr Bär, uns hat diese Woche eine Meldung erschüttert: Bei einer Prüfung an der Uni Vechta haben von 239 Germanistik-Studenten nur vier bestanden. Was war da los?

Jochen A. Bär: In der Tat eine völlig krasse Zahl, die es bei mir so vorher nie gegeben hat. Es ging um eine 90-minütige Klausur, 60 Fragen, 60 mögliche Punkte, Multiple Choice und Lückentext. Mit 30 Punkten hätte man bestanden. Das hat fast niemand geschafft.

ZEIT: Wie viele fallen sonst so durch?

Bär: Normalerweise schaffen 60 Prozent diese Klausur auf Anhieb, 30 Prozent beim Zweitversuch. 10 Prozent müssen in die mündliche ...

Das passiert gerade: Viele Kinder und Jugendliche stecken sich mit Omikron an. In der Regel verläuft die Infektion mild, oft sogar symptomlos. Doch Sorgen bereitet einigen Familien weiterhin, dass es Langzeitfolgen geben könnte, an die bisher noch niemand denkt. Aufmerksamkeit erregte in diesem Zusammenhang vor einigen Wochen eine Datenauswertung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC: Sie bescheinigt Kindern und Jugendlichen nach einer Sars- CoV-2- Dia gno se ein deutlich höheres Risiko, an Diabetes zu erkranken.

Das sagt der Kinder- und Jugendarzt: Corona führt dazu, dass viele Gesundheitsdaten besonders genau und kritisch angesehen werden. Ich begrüße das, warne aber auch davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Die Studie ...

DIE ZEIT: Herr Khider, für die meisten jungen Leute geht das Leben mit 18 richtig los. Sie wurden in dem Alter in Bagdad verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Wie kam es dazu?

Abbas Khider: In dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, gab es eine starke Opposition gegen den Diktator Saddam Hussein. Hier wohnten die Armen, viele Schiiten, wie wir. Ich habe verbotene Bücher von Exilautoren und Regimegegnern verkauft, Flugblätter verteilt. Mein schlimmstes Verbrechen war aber wohl der Kontakt zu Mitgliedern von verbotenen Parteien. Irgendwann haben mich die Leute vom Geheimdienst entdeckt.

ZEIT: Jemand hat Ihren Namen preisgegeben?

Khider: Vermutlich, i ...

In der digitalen Bildung gibt es keine Chancen gerechtigkeit, das wissen wir seit Längerem. Viele denken, es liege in erster Linie daran, dass sich viele Schüler und Schülerinnen keinen eigenen Computer leisten können oder sie zu Hause keinen Internet zugang haben. Doch es gibt einen weiteren, ebenso wichtigen Grund für Ungerechtig keiten: den Standort der Schule. In Deutschland hängt die Digitalisierung einer Schule in erster Linie von der Finanz stärke ihrer Kommune ab, der Expertise der zuständigen Kommunalverwaltung sowie dem politischen Willen des Gemeinderats.

Ich unterrichte an einem Gymnasium in Tübingen. Der Stadt geht es finanziell gut, und die zuständigen Leute im Rathaus sind ...

Das Meer war glatt wie ein Spiegel und der Himmel blau und wolkenlos, als Torsten Weidner ein lautes Schnaufen hörte. Er stand gerade hoch über dem Wasser, auf einer Plattform aus Stahl. Über ihm, in 105 Meter Höhe, drehten sich die riesigen Rotorblätter eines Windrads und warfen lange Schatten auf die Nordsee. Torsten Weidner schaute zum Wasser runter und entdeckte die Verursacher der Geräusche: sechs Schweinswale. Sie reckten kurz ihre dunkelgrau glänzenden Köpfe aus dem Wasser. Dann tauchten sie wieder ab ins Meer.

Die Begegnung mit den Walen ist schon eini ge Monate her. Aber Torsten Weidner schwärmt heute noch davon. " ...

Als das schwedische Fernsehen in den Siebzigerjahren einen Film ausstrahlte, der auf Alexander Solschenizyns Novelle Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch beruhte, schaltete Finnland die Sender auf den Ålandsinseln ab. Die finnische Zensurbehörde hatte den Film, der aus sowjetischen Straflagern berichtete, als sowjetfeindlich verboten.

Solschenizyns dokumentarischem Roman Der Archipel Gulag erging es ähnlich. Präsident Urho Kekkonen und Ministerpräsident Kalevi Sorsa verhinderten seine Veröffentlichung, und auch der finnische Verlag des Nobelpreisträgers beugte sich dem Druck. Esa Adrian aber, der finnische Übersetzer, beschloss, das Verdikt zu umgehen, und schickte seine Übersetzung nach Schweden, wo der Verlag Wahlström & Widstrand deren ersten ...

Ja, müssen sie uns denn wirklich alles nehmen? Jetzt auch noch den Larry David? Von dem dachte man doch, der müsse sich nicht all den dummen Zumutungen unserer Gegen wart beugen. Weil er doch selbst die Gegenwart miterfunden und damit so viel Geld verdient hat, dass er sich nie wieder um irgend was zu scheren braucht. Larry David, wir erinnern uns, schrieb 1989, kurz vor dem Ende der Geschichte, noch schnell zusammen mit dem Komiker Jerry Seinfeld eine Serie, in der Seinfeld sich selbst spielte: Seinfeld. Das durchaus avantgardistische Projekt, das alles anders machte als das Fernsehen zuvor, wurde, aus einer seltsamen ...

Freedom-Convey" nennen sich die Trucker, deren Proteste seit drei Wochen Kanada lahmlegen, und sie drücken damit aus, dass es ihnen um etwas wirklich Großes geht. Im Januar hatte der kanadische Premierminister Justin Trudeau die Corona-Maßnahmen für Trucker verschärft. Dagegen richtete sich der ursprüngliche Protest, aber längst hat er sich ausgeweitet, auf die Rückkehr zur Normalität und das Ende der Corona-Maßnahmen insgesamt - und damit auf das Gefühl, in seinem Leben ungebührlich gegängelt zu werden.

Die Trucker können dabei auf zwei Ressourcen zurückgreifen: Logistik und Moral - beides wertfrei verstanden. Mit ihren Trucks legen sie ganze Straßenzüge lahm und sind dabei ...

Wenn die Großdenker des Silicon Valley nach den Sternen greifen, wird auch der liebe Gott ganz klein. Um die Zukunft des Internets zu verstehen, müsse man das Buch Genesis zur Hand nehmen, erklärt einer dieser Denker: So wie der Allmächtige die Grundlagen der Schöpfung gelegt habe, so würden geniale Programmierer bald ein Metaversum erschaffen, eine "Infrastruktur der Gleichzeitigkeit" aus einheitlichen Regeln und Standards. Danach könne eine neue Geschichte beginnen, wir User müssten sie nur "mit Leben füllen". Und siehe, es wird gut.

Matthew Ball heißt der Hobbytheologe, dem kein Superlativ vollmundig genug ist, um das nächste große Ding im Internet ...

Vielleicht muss sich ein Land, das sich seit über zwei Jahren darin gefällt, Vorreiter in der Corona -Bekämpfung zu sein, nicht völlig wundern, wenn in London und in Italien Buchmessen stattfinden, aber in Leipzig nun nicht. Das ist ein schwerer Schlag für die gesamte Lite raturwelt: Zum dritten Mal fällt diese tradi tionsreiche Messe aus, nachdem die großen Verlagskonzerne Penguin Random House, Bonnier und die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (zu der auch die ZEIT gehört) ihre Teilnahme abgesagt haben. Die Reaktionen vieler Schriftsteller und kleinerer Verlage waren verständlich, wenn auch ein wenig vorhersehbar, und reichten bis hin zu offenen Briefen mit Unterschriften listen: Die ...

Gründungsverleger:Gerd Bucerius (1906-1995)

Herausgeberrat:Prof. Jutta Allmendinger, Dr. Nicola Leibinger- Kammüller, Zanny Minton Beddoes, Florian Illies, Dr. Josef JoffeEhemalige Herausgeber:Dr. Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002)Helmut Schmidt (1918-2015)

Vorsitzender der Chefredaktionen des Zeitverlags und Chefredakteur: Giovanni di LorenzoStellvertretende Chefredakteure: Moritz Müller-Wirth (Managing Editor),Sabine Rückert, Holger Stark, Bernd UlrichMitglieder der Chefredaktion:Malin Schulz, Tanja Stelzer, Jochen Wegner Chef/in vom Dienst: Iris Mainka (verantwortlich), Mark Spörrle

Chefreporter: Dr. Stefan Willeke

Textchef: Dr. Christof Siemes

Geschäftsführende Redakteure: Patrik Schwarz, Andreas Sentker

Chefkorrespondentin: Tina Hildebrandt

Internationaler Korrespondent: Matthias Naß

Leitender Redakteur: Hanns-Bruno Kammertöns

Redaktionsleiter Digitale Ausgaben: Götz Hamann

Parlamentarischer Korrespondent: Matthias Geis

Politik Hamburg/Berlin: Marc Brost/Elisabeth Raether/Dr. Heinrich Wefing (verantwortlich), Andrea Böhm, Alice Bota, Peter ...

Ich sitze in einer Hotelbar in St. Petersburg. Ich bin der einzige Gast. Die Bar ist dunkel und elegant, und der Lachs schmeckt vorzüglich, aber das Virus hat es auch bis hierher geschafft und hat die lauten Trinkgesellschaften einfach ausgerottet. Im Fernsehen laufen die Olympischen Winterspiele, der Ton ist ausgeschaltet. Draußen geht die Stadt in Schneematsch und Grau unter. Jeden Morgen, wenn ich aus dem Fenster sehe, ist der Himmel eine einzige Farbe, ohne jede Textur. Er bemüht sich darum, die prächtige Stadt unter ihm zu verschlucken.

Früh am Tag und spät am Abend sind die Gehwege überfroren, und vermummte ...

Wann es losging? Noch mag sich die historische Pflanzenforschung nicht fest legen, doch vieles spricht fürs Jahr 2015. Damals, als die ferne Welt mit einem Mal sehr nahe kam, um Zuflucht bat, um Obdach, begann zugleich die Wiederentdeckung der klassischen Topfpflanze, ausgerechnet im jungen urbanen Milieu. Wer keinen Syrer oder Afgha nen bei sich aufnehmen wollte (aus welchen Gründen auch immer), konnte zumindest ein Zeichen seiner Aufgeschlossenheit ins Fenster stellen, einen Abgesandten des globalen Südens, ein fremd anmutendes Gewächs. Plötzlich sah man sie überall: Blatt -Unge tü me, die eben noch als Inbegriff staubigen Spießertums galten, füllten die WG-Zimmer. Ein neues Wohn ideal wuchs und gedieh: d ...

Während dieser Filmfestspiele ging die Kritikerin einmal versehentlich mit zwei sehr verschiedenen Schuhen ins Kino, was auch als kleines Symptom gelesen werden kann. Schließlich findet die 72. Berlinale in vielerlei Hinsicht im Modus der Zerstreuung statt.

Wie schön war es, in vergangenen Jahren Kinosessel für verspätete Kolleginnen freizuhalten - und umgekehrt. In diesem Jahr werden die Plätze im Schachbrettmuster von einem Buchungssystem verge ben. Aber fühlte man sich beim Ausbreiten der Jacken und Schals nicht ohnehin wie eine Pauschalreisende am Hotelpool? Und so sitzt man gemeinsam mit weitläufig im Saal verteilten Kritikerinnen und Kritikern in einem Wettbewerbsfilm, der zeitgleich in sechs ...

Die Körper sind zurück. In Yellowjackets, dieser neuen, aufregenden US-Serie, schlagen sie nach einem Flugzeugabsturz auf dem Boden auf, oder sie schlagen gegen andere Körper, bei Hauereien oder beim Geschlechtsverkehr. Der Körper schwitzt hier und blutet, birgt Geheimnisse, wird zerstückelt oder ausgeweidet. Nicht irgendein Diskurs führt mehr seine Zaubertricks auf; die Protagonistinnen der Serie (Männer, von denen es im echten Leben ja bereits mehr als genug gibt, dürfen nur Nebenrollen spielen) sprechen zwar auch, und zwar sehr klug und schön, fast lyrisch schon. Das letzte Wort aber hat hier immer der rohe Leib.

Die Serie, die man übrigens bei Sky ...

Ausgerechnet das Humboldt Forum! Der Ort, der wegen der Kolonialismus- und Raubkunstdebatte seit Jahren in der Kritik steht - ihn hat sich der Komponist und Gitarrist Marc Sinan nun für seine transkulturelle Installation und Per for mance Am Anfang ausgesucht. "Die Höhle des Löwen" nennt er das Humboldt Forum selbst und grinst, als hätte er insgeheim Freude daran, das Projekt mit seiner Kunst zu unterwandern, es ästhetisch und inhaltlich von innen heraus zu sprengen. Die "Stein gewordene Hypothek" des Humboldt Forums, so sagt er, müsse uns helfen, die Debatte richtig zu führen.

Auf fünf Leinwänden erzählen der Besucherin am Premierenabend Texte, Bilder ...

Vor drei Wochen schrieb Mariam Lau hier im Feuilleton über die gesellschaftspolitischen Reformen der neuen Bundesregierung und befand, dass die Ampel vor allem in einem Punkt zu weit gehe: "Der weiße Elefant im Raum ist das Thema Transsexualität." Dabei ist gerade die Einführung des Selbstbestimmungs gesetzes so überfällig wie kaum eine andere Reform.

Endlich soll das diskriminierende "Transsexuellen gesetz" abgeschafft werden. Ein Gesetz, das Menschen pathologisiert, die nicht krank sind. Ein Gesetz, das krank machen kann. Das Transmenschen zur juristischen und formalen Anerkennung ihrer Identität seit 40 Jahren eine Prozedur vorschreibt, bei der Gutachterinnen monatelang intime Körpererfahrungen und Sexualpraktiken abfragen und ...

Wer kann den Ersten Weltkrieg in größere Literatur verwandeln? Der Soldat, verwundet an Körper und Seele, der zehn Jahre später sein Trauma als Im Westen nichts Neues minutiös nacherzählt wie Erich Maria Remarque im Jahre 1928? Oder der 1979 in Schlesien geborene Szczepan Twardoch, der mit Demut hundert Jahre nach Kriegsende einen Roman über Wut und Wahn und Willkür erfindet? Die Antwort ist überraschend: Es siegt der Wahrheitsgehalt der Fiktion über den der Authentizität.

Ja, Remarques Buch wird in der Abend dämmerung der Weimarer Republik zu einem Trostbuch für Hunderttausende. Der Autor findet als Erster seine Sprache wieder nach dem Schock eines ...

Sarah Kirsch (1935-2013) ist vor allem in Erinnerung als bedeutende Lyrikerin der deutschen, insbesondere norddeutschen Seelen- und Naturlandschaft. In ihren drei letzten Lebensjahrzehnten lebte sie mit Sohn Moritz, Katzen, Hund, Esel und Schafen als bekennende Eremitin im schleswig-holsteinischen Tielenhemme in einem alten Schulhaus hinterm Eider deich. Vom "Gewese" der "Menscher" hatte sie genug, nach dem sie 1977 nach der Biermann-Affäre aus der DDR ausgebürgert worden war. In ihrer Tage buchprosa erzählt sie, meist morgens zwischen fünf und sechs Uhr in der Schulhausküche beim "Koffie", von tiefblauschwarzen Himmeln mit kalkweißen Möwen und endlosen Schneefeldern, in denen sich Herz und Auge wunschlos glücklich verlieren. Ihre ...

In jener Nacht wird der Sohn der Duperrons von zwei Kugeln getroffen. Doch der 30-jährige Thomas hat durchaus eine Chance, das Massaker im Bataclan zu überleben. Während drei Attentäter in dem Konzerthaus, wo gerade ein Rockkonzert stattfindet, morden, schafft der Verletzte es mithilfe seiner Freundin Lucile nach draußen. Vor der Tür reicht seine Kraft nicht mehr, Lucile muss ihn absetzen - und eilt zu den Rettungssanitätern, um sie zu ihm zu holen.

Heute weiß man, dass sich in jener Nacht vom 13. auf den 14. November 2015 eine ganze Serie islamistischer Attacken ereignete, fünf in Paris, einer im Vorort Saint-Denis. F ...

Eine Freundin schreibt: "Alle innerhalb einer Woche infiziert, ist ja der Hauptgewinn"

1. Hundert Jahre oder so

Ich liege auf dem Teppich im Kinderzimmer. Ich habe Fieber, kalter Schweiß klebt mir auf der Haut, meine Glieder schmerzen. In meiner Hand halte ich ein Puzzleteil mit den Füßen von Peppa Wutz darauf. Denken Sie jetzt aber nicht, ich wäre so verrückt, in dem Zustand zu puzzeln! Natürlich tue ich nur so, als würde ich in diesem Zustand puzzeln. Immerhin, es reicht, um meine Kinder zu animieren: Sie hocken neben mir auf dem Boden, setzen die Teile zusammen und unter halten sich. "Müssen wir jetzt ...

Kolumnen sind ja immer dann besonders gut, wenn sie leidenschaftlich sind. Leidenschaftlich erfreut, leidenschaftlich wütend, leidenschaftlich albern. Deshalb mache ich mir um diesen Text ein paar Sorgen. Ich habe einen neuen Sport ausprobiert. Es geht ums Skifahren, einen Sport also, dem ich bisher leidenschaftslos gegenüberstand.

Als Kind war ich nie Ski fahren - in Nordrhein-Westfalen gibt es keine nennenswerten Berglandschaften (sorry, Sauer land). Kinder aus Süddeutschland hingegen werden entweder bereits im Vorschulalter in grellbunte Schneeanzüge gesteckt, oder sie fahren spätestens im Teenie-Alter mit der Schule in etwas, das sich "Skilager" nennt. Meine Klassenfahrten gingen an die Nordsee oder ins Dreiländereck nach ...

Der Sockel, auf dem Papst Benedikt steht, wackelt. Nicht sprichwörtlich - er wackelt wirklich. Vor der Kirche St. Oswald am Traunsteiner Stadtplatz steht Johann Brunner und rüttelt am Stein, auf dem die Büste von Papst Benedikt XVI. angebracht ist. "Ich hab denen schon lange gesagt, dass sie da mal ein ordentliches Fundament hinstellen sollen, aber das ist denen zu teuer, denk ich." Er nickt dabei nach rechts, in Richtung Rathaus. Der Sockel mit der Büste sei mit Dübeln in einer Bodenplatte verklebt, erzählt er. Mit dem Wetter und den Jahren werde er immer wackeliger.

Johann Brunner ist Bildhauer und ...