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Inhaltsverzeichnis vom 13.08.2020
DIE ZEIT
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"Ich schaukle mich hoch"
Sie kommt mit einem alten Herrenvelo zum Treffpunkt, in schlichtem hellem Shirt und Sommerhosen, die Haare trägt sie nun schulterlang. Man könnte sie für eine Studentin halten. Wir gehen durch das Quartier, in dem sie wohnt, am Rand der Stadt. Dorothee Elmiger zeigt auf einige Gebäude, die sich hinter hohen Bäumen verbergen: hier die ersten Hochhäuser von Zürich, dort das Max-Frisch-Bad. Eigentlich hatte sie die nahe gelegene Stadtgärtnerei für das Treffen vorschlagen wollen, wegen Corona sind die Palmenhäuser jedoch geschlossen. Max Frisch und die Pflanzen aus aller Welt, die Perlhühner, die zwitschernden Vögel: Damit sind wir schon mittendrin in ihrem ...
Sie müssen das an Ihrem Rollstuhl befestigen
Ich, vierjährig: knie im Sandkasten
- kauere nicht wie die anderen Kinder -
(du siehst aus wie ein Wiener Schnitzel, sagt meine Mutter).
Ich, sechsjährig: eine totale Niete im Seilhüpfen (das ist sowieso nur für Mädchen, sagt mein Vater).
Ich, zehnjährig: der langsamste Läufer der Schule (muss nicht immer einer der langsamste Läufer sein?, frage ich).
Ich war vierzehn,
als ich die Diagnose "Spinale Muskelatrophie" erhielt. Davon gibt es drei Typen: SMA I, die häufigste, die grausamste, das "BabySMA", beendet dein Leben in der Kindheit. SMA II, die zweitübelste, bedeutet, dass du nie gehen können, dein Leben in einem Rollstuhl ...
Grün, grüner, am grünsten
Holger Bochow streckt beide Arme aus, als balanciere er auf einer Mauer, sein hellblauer Blazer bläst sich auf wie ein Segel. "Bis hierher kommt das Wasser", sagt er. Bochow steht auf einer trockenen Wiese, sieht aber das neue Hafenbecken bereits vor seinem inneren Auge, sieht, wie von Süden her ein 750 Meter langer Güterzug anfährt und von Norden ein Frachtschiff, sieht, wie ein Kran einen Container vom Schiff pflückt und auf dem Güterzug absetzt.
Hier am Dreiländereck, wo die Schweiz auf Deutschland und Frankreich trifft, soll ein riesiger Warenterminal entstehen: der Gateway Basel Nord.
Mit dem neuen Megahafen hätte Holger ...
Ohne rot zu werden
Die Sache mit der Kür von Kanzlerkandidaten ist ja, dass sie eine große Frage beantwortet (Wer macht′s?), damit aber eine Reihe von Folgefragen produziert (Wohin mit dem Mittelfinger? Was kostet ein Pinot Grigio?). Im Falle von Olaf Scholz ist es vor allem eine: Wie um alles in der Welt soll das gelingen?
Die SPD-Vorsitzenden haben auf diese Frage bereits eine Antwort gegeben. In einem "progressiven Bündnis" mit Grünen und Linken möchten sie nach der nächsten Wahl regieren. Auch Scholz selbst signalisierte seine Zustimmung.
Man könnte das zunächst als rein virtuelle Debatte abtun. Der Kandidat heißt schließlich Olaf Scholz. D ...
Wut und Mut
Wenn man sieht, wie viele Mächtige auf der Welt gerade ihre Macht missbrauchen, könnte man schier verzweifeln. In Belarus lässt der vermeintliche Präsident sein eigenes Volk von der Straße prügeln; den Libanon haben die herrschenden Clans so lange ausgeplündert, bis ihnen erst eine halbe Stadt und nun der ganze Staat um die Ohren fliegt. Und in Hongkong hat die chinesische Führung am vergangenen Montag zehn Regimekritiker festgenommen, unter ihnen der 71-jährige Medienunternehmer Jimmy Lai.
Die Nachrichten passen auf den ersten Blick in das Bild einer Welt, in der die Autoritären und Korrupten scheinbar mächtiger geworden sind und die Hoffnung schwindet. A ...
"Ich bleibe"
Frauen, die Machtverhältnisse umkrempeln wollen, müssen keine Jeanne d′Arcs sein. Freundlich lächeln, höflich sein, immer schön unterschätzt zu werden führt manchmal auch zum Ziel. Die 37-jährige Swetlana Tichanowskaja konnte mit ihren beiden Mitstreiterinnen Maria Kolesnikowa und Weronika Zepkalo nur deshalb zur Gefahr für den mächtigsten Mann in Belarus werden, weil sie eine Frau ist. Sie war nicht vorgesehen. Sie hat nur deshalb bei der Präsidentenwahl am vergangenen Sonntag kandidiert, weil ihr Mann nicht zugelassen worden war und verhaftet wurde. Sie wurde nicht ernst genommen.
Tichanowskaja sei eine Frau, die nichts verstünde, meinte Alexander Lukaschenko, und zu ihren riesigen - im ...
Der Wert des Nichtstuns
Da ist, mit der Pandemie, eine neue, alte Angst aufgekommen, die ein Großteil der Gesellschaft vor lauter Aufschwung und Konsumlust fast schon vergessen hatte. Donald Trump spürt diese Angst gerade genauso wie die Schlachter bei Tönnies, die Verkäuferin in der Buchhandlung um die Ecke spürt sie genauso wie der Betreiber des Nachtclubs am Stadtrand. Die Angst heißt Jobverlust. Arbeitslosigkeit.
Ich habe als Kind von Hartz IV gelebt. Meine Eltern sind langzeitarbeitslos, deshalb kann ich Ihnen hier kurz beschreiben, was Arbeitslosigkeit bedeutet: Erstens Armut, weil die Hartz-IV-Sätze zu niedrig sind, um davon würdevoll zu leben. Zweitens Ohnmacht, weil das "Jobcenter" über ...
Die Trümmerfrau
BEIRUT
Das gelbe Haus steht noch. Doch es steht jetzt in einer anderen Stadt. Beirut ist nicht mehr dieselbe.
Vor zwei Wochen schrieb ich hier über die Nachbarn in meinem Beiruter Wohnhaus, darüber, wie sie und der ganze Libanon in den vergangenen Monaten in eine tiefe Krise geschlittert sind: Die Wirtschaft ist kollabiert, die Politik ist verfahren, Hunger macht sich breit und Corona. Als die Stadt in die Luft ging, war ich gerade in Deutschland. Mein Viertel traf es zuerst.
In der zweiten Nacht nach der Explosion stand ich wieder vor meinem Haus in Beirut. Die Straße war dunkel und still, n ...
Sind so süße Robben
Weil Markus Söder ein Staatsmann ist und Staatsmänner grundsätzlich an kaum etwas anderes denken können als an "das Land", überkam ihn am Montagmittag ein heftiger Anfall von Sorge.
"Natürlich entscheidet die SPD souverän über ihre Kandidaten", twitterte Söder (Staatsmänner sind großherzig). "Aber ist jetzt der richtige Zeitpunkt für den Start in den Wahlkampf?" (Staatsmänner fragen, auch wenn sie die Antwort kennen). Es lägen schließlich große Herausforderungen vor dem Land ("das Land" ist des Staatsmanns wichtigstes Anliegen), und ein Jahr Dauerwahlkampf würde die Zusammenarbeit in der Koalition deutlich erschweren.
Und weil ein Staatsmann gelegentlich danach schauen muss, was andere Staatsmänner ...
Sie könnte übernehmen
Eins ist Kamala Harris definitiv nicht, die Frau, die sich Joe Biden nach endlosem Zögern als seine Vizepräsidentschaftskandidatin auserwählt hat: Sie ist nicht links, ganz sicher nicht "radikal links", wie Donald Trump gern behauptet. Für all die jungen Wählerinnen und Wähler, die gern jemanden hätten wie die progressive New Yorker Abgeordnete Alexandria Octavio Cortez, muss Harris eine Enttäuschung sein.
Die 55-jährige Senatorin aus Kalifornien ist viel eher so wie Biden selbst: Beide sind Zentristen, pragmatisch, nicht ideologisch. Politik müsse "relevant" sein, sagte Harris gelegentlich. Tatsächlich zählte die Juristin Harris in ihrer Zeit als Strafverfolgerin in Kalifornien eher zum
law and ...
Was hat er, was alle wollen?
DIE ZEIT:
Herr Reckwitz, Corona hat viele Wahrheiten hervorgebracht, unter anderem die Wahrheit, dass alle möglichen Politiker Ihr Buch gelesen haben, zumindest haben sie sich
Das Ende der Illusionen
im Homeoffice demonstrativ auf den Tisch gelegt. Von Friedrich Merz über Robert Habeck und Lars Klingbeil bis zu Christian Lindner. Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?
Andreas Reckwitz:
Die Soziologie ist in die Rolle eines Krisengewinnlers geraten. In dem Moment, in dem Gesellschaften ein Krisenbewusstsein ausbilden, gewinnt die Soziologie an Bedeutung. In den letzten Jahren sind wir an einem Punkt angelangt, den man als das Ende des berühmten "Endes ...
Der entrückte Minister
Manchmal ist Horst Seehofer einfach weg. Einen Gesprächstermin lässt er kurzfristig absagen, er hat doch keine Zeit. In Krisenzeiten verbarrikadierte er sich schon mit Tütensuppen, Dosenravioli und ein paar Litern Milch und schaltete sein Handy aus. Und als ihn an einem Abend im Herbst 2015 die Kanzlerin anrief, um mit ihm über die Flüchtlinge zu sprechen, die sich aus Ungarn auf den Weg Richtung Deutschland gemacht hatten, ging er nicht ran.
Wenn Horst Seehofer weg ist, ist er meist in Gerolfing. Hier, am Rande von Ingolstadt, stellen die Leute am Tag der Müllabfuhr ihre Tonnen in die Sonne, mal steckt ...
Planlos in den Herbst
Die Infektionszahlen steigen, der Herbst kommt. In der Tat spricht vieles dafür, dass wir die Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie aus dem Frühjahr zu verspielen drohen. Der Grund dafür ist aber nicht, dass wir zu zögerlich auf neue Erkenntnisse der Wissenschaft reagieren, wie der Virologe Christian Drosten in der vergangenen Woche in dieser Zeitung geschrieben hat
(ZEIT
Nr. 33/20, "Ein Plan für den Herbst"). Selten haben Politik und Gesellschaft den Rat der Experten derart wissbegierig aufgesogen und umgesetzt. Der Grund für die drohende neue Ausbreitung ist vielmehr, dass sich bei vielen Menschen Pandemie-Müdigkeit, Leichtsinn oder Ignoranz breitmachen, weil das ...
Zurück zum Samstagsunterricht?
JA. Wir brauchen jede Gelegenheit für Präsenzunterricht
"Samstags gehört Vati mir". Mit diesem Slogan warben einst die Gewerkschaften in Wirtschaftswunder-Westdeutschland für die Fünftagewoche. Bald könnte es für den von Corona gebeutelten Nachwuchs heißen: "Samstags gehöre ich wieder in die Schule". Das ist nicht populär, das wird für viele unbequem - das ist aber notwendig, damit aus der Generation der Corona-Schüler keine verlorene Generation wird. Was jetzt an den Schulen geschieht, wird sich merklich in die Zukunft unseres Landes schreiben. Deshalb ist es nicht die Stunde der Bedenkenträger, sondern die Stunde der Zupackenden.
Dazu gehört, was dieser Tage die Nationale Akademie der ...
Kollektive Zensur
***
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Als ich 2007 in die Vereinigten Staaten zog, verliebte ich mich schnell in die lebendige
Debattenkultur des Landes. Wie viele Universitäten war Harvard, wo ich mein Doktorstudium
begann, auch damals schon sehr links. Und doch war unter meinen Kommilitonen und Professoren
fast jede politische Stoßrichtung vertreten und wurde viel streitlustiger verteidigt, als ich
es aus Deutschland kannte.
Davon ist nur noch wenig übrig. Wenn Bekannte mir heute in einem Café ihre "unpopulären" Ansichten beichten, fällt ihre Stimme um zwanzig Dezibel. Erste Journalisten und Schriftsteller, darunter einige Freunde und Bekannte von mir, müssen aufgrund missliebiger Standpunkte um Job und Aufträge fürchten. " ...
60 Zeilen ... Liebe
Das größte Problem des politischen Kabaretts besteht - neben seiner zunehmenden Irrelevanz - darin, dass es nur noch zu jenen predigt, die längst bekehrt sind. Oder zu jenen, die immer schon rechtgläubig waren: den Linken also. Linke setzen linke Pointen, über die Linke lachen. In der reformsozialistischen Abwandlung des Kabaretts erzählen Linksliberale linksliberale Anekdoten, über die Linksliberale schmunzeln. Revolution war immer schon lustiger als Evolution. Wer sich mit Freude die Zwangsjacke linker Behaglichkeit anlegt, wird als kritischer Geist gefeiert; und wer ihr entschlüpft, umgehend zu Deutschlands Dieter Nuhr Nummer eins erklärt. Und auf Twitter gejagt. Ach, Gottchen! Was waren das ...
Inhalt
Politik
Belarus Drei Frauen traten gegen Präsident Lukaschenko an. Zwei gingen ins Exil, eine ist geblieben von Alice Bota 4
Arbeitslose Warum unsere Gesellschaft ihr Elend braucht von Anna Mayr A 5
Beirut Eine Stadtplanerin versucht, die Zerstörung ihrer Heimat zu erfassen von Lea Frehse A 6
US-Wahl Kamala Harris ist von Joe Biden als Vizekandidatin der Demokraten benannt worden. Wofür steht sie? von Kerstin Kohlenberg 7
Markus Söder Ein Staatsmann geht auf Wattwanderung von Robert Pausch 7
Soziologie Alle Politiker lesen sein Buch "Das Ende der Illusionen". Ein Gespräch mit dem Autor Andreas Reckwitz 8
Horst Seehofer Über einen Innenminister, der manchmal einfach verschwindet von Paul ...
Wo ist sein Geld geblieben?
Von Haustieren wird die Rede sein, von Meerschweinchen, die in einer Villa ihr eigenes Zimmer bekamen. Um eine Sekretärin wird es gehen, die Söldner heißt und sich auch so benimmt, um einen Fußballverein, der hartgesottene Typen weichkochte, um einen Nationaltorwart, der Altenwohnungen kaufte, um eine
Tatort-
Kommissarin, die dasselbe tat, um eine Ehefrau, die sich in einem bizarren Scheidungsdrama aufrieb. Nicht zu vergessen den Schönheitschirurgen, der eine notorische Leidenschaft für Trüffel entwickelte. So heiter könnte man die Verhältnisse rund um Rudi Assauer erzählen, den verstorbenen Manager des Fußballclubs Schalke 04 in Gelsenkirchen. Aber die Geschichte verliert sofort ihre Leichtigkeit, wenn ...
Taiwan anerkennen - oder nicht?
Es gibt auf der Welt nur ein China, Taiwan ist von alters her ein unabtrennbarer Bestandteil des chinesischen Territoriums. Das Ein-China-Prinzip ist allgemein anerkannt, inklusive der Vereinten Nationen sowie der deutschen Bundesregierung. Am 25. Oktober 1971 verabschiedete die 26. UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit die Resolution, mit der die Regierung der Volksrepublik China als einziger legitimer Vertreter Chinas anerkannt wurde. Auf der Basis des Ein-China-Prinzips hat China inzwischen mit 180 Ländern formelle diplomatische Beziehungen aufgenommen.
Die Taiwan-Frage gehört zu den inneren Angelegenheiten Chinas und hat in keiner Weise etwas mit "Demokratie" zu tun.
Die nationale Einheit ist am besten durch eine ...
Das Virus des Streits
Mit großen Erwartungen habe ich Ihre Analyse zur Halbwertszeit naturwissenschaftlicher Aussagen gelesen. Ich bezweifle jedoch, ob Sie damit einen Kontrapunkt zur derzeitigen Anti-Corona-Bewegung liefern konnten. Ich hatte den Eindruck, dass Sie das "Nichts-ist-auf-Dauer-gestellt" der Geisteswissenschaften (Sie nennen das zu Recht "Sprachspiele") nun auch auf die Naturwissenschaften anwenden wollten. Als Paradebeispiele werden die üblichen Verdächtigen wie die Quantenphysik herangezogen, also physikalische Theorien, mit denen Vorstellungen überwunden wurden, deren Vorläufer am Handwerkszeug scheiterten. Nun mag es solche Beispiele geben, die sind aber für die modernen Naturwissenschaften kaum noch konstitutiv. Das gilt auch für die Virologie.
Es ist nicht anzunehmen, dass wir den ...
"Macht kaputt, was euch kaputt macht!"
In Berlin, im Hinterhof des Hauses Kottbusser Damm 76 zwischen Kreuzberg und Neukölln, findet sich hinter einer Jugendstilfassade das Ballhaus Rixdorf. Wenn die Sonne scheint, ist das Studio 2 in der zweiten Etage in gleißendes Weiß getaucht. Hier wird, wenn nicht gerade eine Seuche umgeht, Fernsehen produziert, Theater geprobt, Musik aufgeführt.
Ganz anders sah der Saal vor 50 Jahren aus. Die Fenster waren zugemauert, Wände und Decke schwarz gestrichen. Die Rückseite der Bühne hatte jemand mit Alufolie beklebt. Am 20. August 1970 erschienen in der psychedelischen Höhle vier junge Männer mit schulterlangen Haaren, einer von ihnen 21 Jahre alt, die anderen ...
Bei einem Verkehrsunfall stirbt ein Mann. Ein betrunkener Pilot war am Steuer eingeschlafen. Sollte er noch fliegen? Über den Wolken MEINE URTEILE (FOLGE XII) VON THOMAS MELZER
Den Tod ein letztes Mal mit Leben zu verdrängen ist nichts, was die Richter dem Opfer schulden. Eine Hauptverhandlung ist keine Trauerfeier. Das Gericht belebt die Toten nur für sich. Obduktionsgutachten, Leichenfotos und Totenschein wären zu wenig, um es wirklich zu verstehen: Mord. Totschlag. Fahrlässige Tötung. Also versuchen wir, uns ein Bild ante mortem zu machen. Denn vor dem Recht sind zwar die Menschen gleich, nicht aber vor Gericht die Toten.
Wer Hans Udo Peyer war, ob es das Leben in 63 Jahren mit ihm gut meinte oder schlecht, blieb uns verschlossen. Wir wissen nur, dass ihm am Ende Unglück widerfuhr. N ...
Maßloser Wohlstand
Wenn der Wohlstand wächst, wird das Leben leichter. Der britische Autor Matt Ridley beschreibt das am Beispiel des künstlichen Lichts. Er hat berechnet, wie viel Zeit Menschen arbeiten müssen, um dieses Licht bezahlen zu können. Wer demnach heute in England eine Stunde Leselicht aus einer 18-Watt-Energiesparbirne nutzt, der muss dafür weniger als eine halbe Sekunde zum Durchschnittslohn arbeiten. 1950 waren es mit einer konventionellen Glühbirne noch acht Sekunden Arbeit, in den 1880ern mit einer Kerosinlampe 15 Minuten und um 1800 mit einem Talglicht: mehr als sechs Stunden.
Von sechs Stunden zu einer halben Sekunde Arbeit für eine Stunde künstliches Licht: D ...
Eine Generation, zwei Krisen
Carmen Gómez de Arce hat Erfahrung mit Wirtschaftskrisen. Als im September 2008 die Investmentbank Lehman Brothers pleiteging, suchte sie gerade ihren ersten Job. Zuvor hatte sie in Madrid Modedesign studiert, nun hoffte sie auf eine Stelle in der spanischen Textilbranche, etwa bei Inditex, dem Konzern hinter Zara. Nach monatelanger Suche fand sie dort sogar etwas - allerdings nur als Verkäuferin bei der Modekette Massimo Dutti, die ebenfalls zu Inditex gehört. Ihren Einstieg in das Berufsleben hatte sie sich anders vorgestellt.
Heute, zwölf Jahre, sieben Arbeitsplätze und drei Ortswechsel nach der Bankenpleite, die weltweit die Wirtschaft erschütterte, ist die nächste Krise ...
"Ich habe Angst, dass die Polizei meine Tür eintritt"
DIE ZEIT:
US-Präsident Trump hat am Wochenende vier umstrittene Dekrete erlassen, eines davon verlängert einen Krisenzuschuss zur Arbeitslosenhilfe. Halten Sie das für sinnvoll?
Dambisa Moyo:
Auf die Pandemie gibt es nur eine mögliche Reaktion: Die Regierung muss das Leben und die Existenz ihrer Bürger so weit wie möglich beschützen. Das gilt für linke Regierungen so sehr wie für rechte.
ZEIT:
Zunächst waren es 600 Dollar die Woche, nun sind es 400 Dollar. Wir sehen eine Menge linker Politik von konservativen Regierungen, finden Sie nicht?
Moyo:
Derzeit ist tatsächlich jedes Mittel recht, ob eine Regierung nun Staatsanleihen ...
Tierische Instinkte
Für seine Kritiker steht fest, dass Donald Trump alles falsch gemacht hat. Noch immer steigt die Zahl der Infektionen mit Covid-19 in den Vereinigten Staaten stärker als in anderen Industrienationen. Mehr als 160.000 Menschen sind in den USA bislang an den Folgen des Virus gestorben. Das Krisenmanagement des Präsidenten ist zweifellos schlecht. Die ökonomischen Folgen sind verheerend. 30 Millionen Amerikaner haben sich seit März arbeitslos gemeldet. Die Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal 2020 um 32,9 Prozent geschrumpft. Einen solchen Einbruch gab es noch nie in der Geschichte des Landes.
Dabei gerät in Vergessenheit, dass es vielen Amerikanern bis ...
GOLD
Börsenbarren Deutschland 2020: Reinstes Gold für überschaubare Beträge." Das verspricht eine Broschüre, die den Fernsehprogrammzeitschriften
Prisma
und
RTV
beigelegt war und die auf diesem Wege etwa zwölf Millionen Haushalte im Land erhalten haben. "Ausgabeinformation für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland", ist sie überschrieben, und auch die sonstige Wortwahl scheint einem amtlichen Schreiben nachempfunden zu sein: "Der Zuteilungspreis für den Börsenbarren Deutschland wurde auf 29 Euro (mehrwertsteuerfrei) festgelegt." Der offiziell anmutende Stil zieht sich über vier Seiten. Etwa bei dem Hinweis, "aus Gründen der Chancengleichheit" dürften nicht mehr als drei Exemplare "angefordert" werden. Der Barren sei "bei deutschen ...
Diese Äpfel werden überwacht
Pink Lady ist eine Diva. Ein Apfel mit Allüren. Die Bäume, an denen er wächst, blühen früher als alle anderen. Geerntet wird er trotzdem als Letzter, noch bis Ende November hängt er an den Zweigen. Und wer ihn pflücken will, sollte nicht nur Ahnung vom Obstanbau haben. Sondern sich auch mit Paragrafen auskennen. Sonst wird aus einer Obstwiese voller prächtiger Apfelbäume schnell wieder ein gewöhnlicher Acker.
Das erlebt gerade ein Bauernpaar aus Südtirol, das im Tal südlich von Bozen eine Wiese, voll mit Pink-Lady-Apfelbäumen, gekauft hat. Bald werden Bagger die Bäume aus dem Boden reißen und zerstören. Nicht weil sie ...
Kollektiv abgefüllt
Uwe Lübbermann sagt, dass man ihn nicht als Chef bezeichnen soll. Aber dafür erweist er sich als ein ziemlicher Kontrollfreak. Der 44-Jährige betritt an einem frühen Morgen ein Café im Osten von Hamburg, er hat einen grauen Hoodie übergezogen, nimmt sich einen Kaffee und stellt seinen Vertriebsbeauftragten vor: Miguel Martinez. Den soll man aber ebenfalls nicht so nennen, "Vertrieb sagen wir eigentlich nie". Miguel trägt ein T-Shirt mit dem Bild eines großen Stücks Salamipizza. Die beiden sind zu Verhandlungen in der Stadt unterwegs.
Vor 18 Jahren hat Lübbermann Premium-Cola in Hamburg gegründet, ein Unternehmen, das eine kräftig schmeckende Cola vertreibt ...
Der Reizstoff
Epidemiologie: Was der Mund-Nasen-Schutz wirklich bringt
Mal ehrlich: Ihre Maske pfriemeln Sie vor dem Supermarkt aus der Hand- oder Hosentasche, oder? Frisch gewaschen ist sie vermutlich genauso wenig, wie es Ihre Hände sind. Am Obststand treffen Sie den Ersten, der das Ding nur unter der Nase trägt. In der U-Bahn begegnen Sie Gruppen von Jugendlichen, die offenbar gar nicht erst daran denken, einen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen.
Einigen ist die Maske zum Symbol staatlicher Restriktion geworden, andere finden sie einfach nur heiß und lästig, ein paar wenige werden durch ein ärztliches Attest von ihr befreit. Doch die Mehrheit in Deutschland, das zeigen Studien, t ...
"Wir wussten, dass Dieter Nuhr polarisiert"
DIE ZEIT:
Frau Becker, zu Ihrem Amtsantritt als Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft sagten Sie, die Wissenschaft müsse ihre Kommunikation verbessern. Nun hat die DFG einen von ihr selbst in Auftrag gegebenen Audio-Beitrag des Kabarettisten Dieter Nuhr nach Protesten entfernt - und nach weiteren Protesten wieder online gestellt. Sind Sie an Ihrem Anspruch gescheitert?
Katja Becker:
Dieser Vorfall macht mich auch persönlich sehr betroffen, vor allem aber mit Blick auf meine Institution. Die DFG steht für Kommunikation und Meinungsfreiheit. Aber die sozialen Medien fordern uns gerade massiv heraus. Wir mussten hier gleichzeitig schnell und abgewogen auf viele kritische Stimmen aus ...
Der zarte Planet
Wenn man die Zukunft der Erde mit zwei Zahlen beschreiben wollte, dann wären es diese: erstens wie viel Treibhausgas die Menschheit noch in die Atmosphäre pumpt, klar. Der zweite Wert gibt an, wie empfindlich der Planet darauf reagieren wird. Empfindlich, das ist keine Poesie, sondern Fachjargon. "Klimasensitivität" sagen die Fachleute. Und sie meinen damit ganz mathematisch folgende Abhängigkeit: Um wie viel Grad wird es wärmer, wenn sich der Treibhausgas-Gehalt in der Luft verdoppelt?
So lautet die planetare Schicksalsfrage. Leicht gestellt, schwer zu beantworten. Nun sind Forscher einer Antwort näher gekommen. "Wahrscheinlich" liege das Plus zwischen 2,6 und 3,9 ...
"Everybody′s Darling zu sein ist nicht erstrebenswert"
1 Welches Tier ist das politischste?
Der Igel. In der Parabel der Brüder Grimm bringt er dem Hasen in 73 Läufen 73 Niederlagen bei. Eine hochpolitische Botschaft: "Langsam" und "schnell" werden durch kluges Nachdenken und eine gute Zusammenarbeit des Igels mit seiner Frau ins Gegenteil verkehrt.
2 Welcher politische Moment hat Sie geprägt - außer dem Kniefall von Willy Brandt?
Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Montanunion, im Jahr 1952. Da war ich 14 Jahre alt, ein politisch höchst interessierter Flüchtling aus Waldenburg in Schlesien. Ein geeintes Europa: Das war so kurz nach dem Krieg eine glaubwürdige Friedensbotschaft.
...
Gleichstellung ist gut, aber ...
Anfang Juli hat das Bundeskabinett die erste nationale Gleichstellungsstrategie für Frauen und Männer beschlossen. Deren Notwendigkeit wurde im Zuge der Corona-Pandemie erschreckend deutlich: Überwunden geglaubte Muster der geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung waren schneller wieder da, als sich das Virus verbreiten konnte. Im Hochschulsektor werden Frauenförderung und Geschlechtergleichstellung seit Jahren durch Gleichstellungsbeauftragte und eine kaum noch überschaubare Zahl an Programmen unterstützt - allein für die 37 Hochschulen in Nordrhein-Westfalen weist eine Datenbank 905 Maßnahmen aus. Dennoch ist bis heute nur knapp jede vierte Professur mit einer Frau besetzt, und auch beim Gehalt bleiben Professorinnen hinter ihren Kollegen zurück.
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen Lara Altenstädter, Ralitsa ...
Gib′s mir
Vor den Sommerferien hat mein Sohn Mathis mich zu einem unangenehmen Gespräch gebeten. Er ist neun Jahre alt, und meine Frau und ich schulden ihm eine Menge Geld. Taschengeld. Als Mathis in die erste Klasse kam, haben wir ihm jede Woche einen Euro versprochen. "Ihr denkt nie dran", hat Mathis nun gesagt und empört geguckt: "Gut finde ich das nicht!"
Ich habe mich herauszureden versucht und ihm geantwortet, dass es auch anderen Kindern so geht. Von meinem Freund Christoph und meiner Freundin Maria weiß ich zum Beispiel, dass sie auch ständig vergessen, ihren Kindern das Taschengeld auszuzahlen. "Wenn es ihnen ...
Feigheit erlaubt sie sich nicht
Ursina Lardi kann viele Zustände spielen, einen aber nicht: das Sattsein. Den zufriedenen Menschen stellt sie nicht dar. Wenn sie lächelt, ist es selten ein gutes Zeichen, sondern fast immer eine Warnung: vor dem schlechten Verlauf, den die Geschichte nun nehmen wird. Aber auch vor der Frau, die da lächelt.
Es ist nicht möglich, die Frauen, die sie spielt, hinters Licht zu führen. Sie sind selbst dann noch auf der Hut, wenn sie glücklich sein sollten. Wenn Lardi lacht, ist es, als würde ein schlechter Witz, den sie am Vorabend gehört und die ganze Zeit im Hinterkopf unter Kontrolle gehalten ...
Vollkommen irrational
Im Zentrum des Gruppenfotos, das kürzlich während einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Castrop-Rauxel bei etwa 30 Grad aufgenommen wurde, ist der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (weißes Oberhemd) zu sehen, der vor einem von einer Stehtischhusse überdeckten Stehtisch in einem Wald steht und dabei irgendetwas erklärt (dynamisch, fachkundig). Seine Zuhörer sind etwa 16 weitere Männer (Oberbürgermeister- oder Landratskandidaten, einige in weißen Oberhemden, aber noch mehr in blauen), deren Gesichter man nur schwer voneinander und von dem Armin Laschets unterscheiden kann, weil es nichts Signifikantes gibt, das sich unterscheiden ließe (helle Hälse, darauf Köpfe mit hellem Haar, das weniger wird). Und aus diesem Grund (mangelnde ...
Geheime Strippenzieher?
Was ist eigentlich eine Verschwörungstheorie? Jedenfalls nicht alles, was einem verworren erscheint und auf unheimliche Weise weitreichend. Sonst könnte auch die Allgemeine Relativitätstheorie, nur weil den meisten der Zugang zu ihren mathematischen und physikalischen Voraussetzungen fehlt, als Verschwörungstheorie gelten - oder die Lehre von den Infektionskrankheiten, ja diese sogar ganz besonders, insofern sie von winzigen, dem unbewaffneten Auge unsichtbaren Lebewesen handelt, die in Massen den menschlichen Organismus besiedeln. Die Annahme verborgener, im Untergrund wirkender Mächte des Bösen ist sogar ein typisches Motiv von Verschwörungstheorien.
Und tatsächlich haben viele Erkenntnisse der Wissenschaft, bevor sie allgemein akzeptiert wurden, einmal als etwas angefangen, d ...
Hauptsache, es knallt
Das Beachtliche an der Kabarettistin Lisa Eckhart ist, dass sie als umstritten gilt, dabei aber streng genommen irre vorhersehbar ist. Ihre Kunstfigur bedient auf der Bühne Tropen, die irgendwo zwischen bürgerlicher "Fleisch essen ist geil"-Belanglosigkeit und süffisantem Randgruppenhumor liegen, die Dynamik, mit der sie abwechselnd empört und diese Empörung dann unter noch mehr Empörung ignoriert, unterliegt einer Unterhaltungslogik, die im deutschsprachigen Raum überraschenderweise immer noch als allerfeinstes Kabarett gilt. Denn die Pose, in der eine Künstlerin auf der Bühne grenzwertige Dinge sagt und sich gegen die darauf folgende Kritik mit Verweis auf ihre Kunstfreiheit verteidigt, ist eben nicht ganz so ...
Das Debakel
Ein Autor möchte mit einer Autorin nicht bei einer Doppellesung gemeinsam auftreten, beide sind mit sechs weiteren nominiert für denselben Preis bei einem Literaturfestival. Daraufhin wird ein zweiter Nominierter von den Organisatoren gefragt, der lehnt auch ab. Danach wird die jetzt erwogene Einzellesung der nominierten Autorin vom Veranstaltungsort als undurchführbar wegen wahrscheinlicher Tumulte abgelehnt. Nun wenden sich die Festivalmacher an besagte Autorin, ob sie nicht auf ihre Teilnahme verzichten würde; man könne eine ordentliche Lesung nicht ermöglichen. Das lehnt sie ab, und daraufhin lädt das Festival die Preiskandidatin aus. So weit, so skandalös.
Man stelle sich eine vergleichbare Szenerie beim ...
Lesen Sie das hier freiwillig?
Die Zukunft liegt im Wald, nur ein Trampelpfad führt dorthin, zwischen kalifornischem Rotholz hindurch. Immerhin gibt es Licht, jemand hat Designerlampen um die kahlen Stämme der Zypressen gebogen. Hier im Silicon Valley entkommt selbst die Natur nicht dem Zugriff der überbezahlten Innenarchitekten, die sonst die Smarthomes der örtlichen Milliardäre einrichten.
Forest heißt einer der Milliardäre, ihm gehört dieser Zukunftswald aus der Miniserie
Devs
- ab dem 19. August ist das kleine Fernsehkunstwerk auch in Deutschland streambar, bei Fox. Wer
Devs
gesehen hat, bekommt diesen seltsamen Mann, gespielt von Nick Offerman, lange nicht aus dem Kopf: Der Entrepreneur schiebt seinen prächtigen ...
Impressum
Gründungsverleger:
Gerd Bucerius (1906-1995)
Herausgeberrat:
Prof. Jutta Allmendinger, Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Zanny Minton Beddoes, Florian Illies, Dr. Josef Joffe
Ehemalige Herausgeber:
Dr. Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) Helmut Schmidt (1918-2015)
Vorsitzender der Chefredaktionen des Zeitverlags und Chefredakteur:
Giovanni
di Lorenzo
Stellvertretende Chefredakteure:
Moritz Müller-Wirth (Managing
Editor), Sabine Rückert, Holger Stark, Bernd Ulrich
Mitglieder der Chefredaktion:
Malin Schulz, Jochen Wegner, Dr. Stefan Willeke (Chefreporter)
Chef vom
Dienst:
Iris Mainka (verantwortlich), Mark Spörrle
Textchef:
Dr. Christof Siemes
Geschäftsführende Redakteure:
Patrik Schwarz, Andreas Sentker
Chefkorrespondentin:
Tina Hildebrandt
Internationaler Korrespondent:
Matthias Naß
Leitender Redakteur:
Hanns-Bruno Kammertöns
Redaktionsleiter Digitale Ausgaben:
Götz ...
Die scheußliche Verwandtschaft
VON CHRISTINE LEMKE-MATWEY
Mit vier Jahren bekam ich von meinem Großvater ein Abc-Büchlein geschenkt, selbst gezeichnet und gereimt. Darin finden sich unter dem Buchstaben V die Zeilen "Verwalter G., der brüllet laut. Die Vase hat er selbst zerhaut." Man sieht einen grau bekittelten Mann mit Hut, der die Faust ballt und das Maul aufreißt. Zu seinen Füßen liegt eine zerbrochene Blumenvase. Wir Kinder der späten Sechzigerjahre kennen alle solche Gestalten, sie hießen Rockl oder G. oder Frau Holz, lehnten auf fleischigen Unterarmen in zu kleinen Fensterrahmen, keiften "Runter da!", sobald wir an Teppichstangen baumelten, hämmerten "Betreten verboten"-Schilder in ...
Das Jahrhundertwerk muss überleben
Ich schreibe wie verrückt, ich gerate in Bereiche, von denen ich nicht mal weiß, ob ich sie mag. Da ist ein großer Wind, der mich vor sich hertreibt." Die Frau mit dem schmalen Gesicht und den schwarzen Haaren bewegt sich auf dem Schirm nicht ganz synchron zu ihren Worten, der Datenstrom über WhatsApp stockt mitunter. Chaya Czernowin sitzt in ihrem Haus in Boston (USA), 6000 Kilometer entfernt. Sie erzählt, wie das ist, wenn eine Komponistin monatelang in Quarantäne lebt, weil ein Familienmitglied sehr gefährdet ist. "Komponisten arbeiten im Kopf immer an ihrem Stück, das läuft wie ein
underground-
Prozess ...
Mutter werden: Kann das vernünftig sein?
DIE ZEIT:
Sie sind uneins darüber, was es heißt, wenn das Leben sich radikal ändert. Für Ihre Kontroverse werden Sie nun mit dem angesehenen Lebowitz-Preis 2020 ausgezeichnet, der für philosophische Meinungsverschiedenheiten verliehen wird, die jeden etwas angehen. Worum dreht sich der Streit?
L. A. Paul:
Ich denke über Erfahrungen nach, die das Leben von Grund auf verändern. Zum Beispiel: ein Kind zu bekommen. Ich meine also nicht die alltäglichen kleinen Veränderungen, sondern die dramatischen Erfahrungen, die für einen Menschen gänzlich unvertraut und unbekannt sind und die fortan prägen, wer dieser Mensch ist, welchen Werten sie oder er folgt ...
Vermeidung einer Liebeserklärung
Die Grundidee des neuen Romans der 29-jährigen Sally Rooney, irischer Shootingstar seit ihrem Debüt
Gespräche mit Freunden
von 2017, ist schlagend: Connell, der in seiner Highschool in Carricklea, irische Provinz, zu den Tonangebern gehört, hat eine Sexbeziehung mit Marianne. Aber vielleicht ist es auch mehr als nur eine Sexbeziehung, denn in irgendeiner nicht ganz klaren Weise öffnen sie sich füreinander. Jedenfalls: Wie auch immer man ihr Verhältnis nennen will, es ist ein klandestines, keiner soll davon wissen. Das aber nicht aus Mesalliance-Gründen, weil Connells Mutter als Putzfrau die Villa von Mariannes Mutter in Schuss hält. Es ist Connell, der von ...
Früchte der Diktatoren
Der Begriff der Bananenrepublik hat seinen Ursprung im Mittelamerika des 20. Jahrhunderts: Über Jahrzehnte wurde die Politik etlicher Staaten von der United Fruit Company bestimmt, dem Exporteur der bekannten Chiquita-Bananen. Es ist eine lange und traurige Geschichte von Korruption, von Steuervermeidung und von Staatsstreichen, die auch schon in der Prosa eines Gabriel Garcia Márquez angedeutet wurde. In
Hundert Jahre Einsamkeit
leitet der Bau einer Bananenfabrik den Niedergang des kleinen kolumbianischen Dorfes Macondo ein. Nun setzt sich auch der andere große Autor lateinamerikanischer Literatur mit den Machenschaften der Bananenindustrie auseinander: der Literaturnobelpreisträger von 2010, Mario Vargas Llosa. Sein neuer Roman
Harte ...
Leinen los
Wegen der Pandemie lag die
Sea-Watch 4
monatelang in Südspanien fest: zwischen Edeljachten und zwei weiteren Rettungsschiffen, in der Werft von Burriana. Doch nun ist der 60 Meter lange und über tausend Tonnen schwere Koloss abfahrbereit, die Crew befindet sich seit Tagen in Quarantäne an Bord. Alle 29 Seeleute, Ärztinnen, Krankenpfleger, Techniker und zwei Journalistinnen wurden negativ auf Covid-19 getestet. Am Dienstag dieser Woche brachten sie noch letzte
safety drills
und Feuerübungen hinter sich. Am Mittwoch trainierten sie mit Schnellbooten im Hafen, wie man Flüchtlinge an Bord holt. Und Ende der Woche, so kündigte Sea-Watch gegenüber der
ZEIT
an, soll ...
Seid leidempfindlich
Dieses Unternehmen hätte Johann Baptist Metz mit Sicherheit gefallen: ein Schiff, das Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet, finanziert von der evangelischen Kirche und unterstützt mit einer Spende der Katholiken. "Compassion" hätte er das genannt, tätiges Mitgefühl mit denen, die in höchster Not sind oder ihrem Elend entrinnen wollen.
Solidarität mit den unschuldig Leidenden - darin bestand für den Theologen die Wahrheit der christlichen Botschaft. "Jesu erster Blick galt nicht der Sünde, sondern dem Leid", schrieb Metz einmal, und niemand wisse das besser als die Kirche selbst. Doch in ihrer zweitausendjährigen Geschichte sei sie immer wieder vor den Mächtigen zu Kreuze ...
Er sagt Sie sagt
Heidi und Karl sind seit 41 Jahren zusammen, seit 38 verheiratet. Sie haben vier Kinder
und vier Enkel und wohnen, inzwischen zu zweit, in einem Haus mit riesigem Garten in
Regensburg. Karl war mehr als 30 Jahre lang im Management eines Autokonzerns. Seit 2018 ist
er in der Freizeitphase seiner Altersteilzeit. Heidi, obwohl drei Jahre älter als ihr Mann,
arbeitet noch als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Während Heidi in der Küche
per Skype interviewt wird, liest Karl im Schlafzimmer Zeitung. Dann bepflanzt Heidi im
Garten Blumenkästen, und Karl erzählt in der Küche.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Sie:
...
Das hältst du nicht aus
Ins Grübeln kam ich an einem Samstag im Park. Eine Freundin feierte ihren Geburtstag, es gab Grillwürstchen und Bier, die Sonne schien, und mein Exfreund war auch da. Wir hatten uns vor zwei Jahren getrennt, aber die gemeinsamen Freunde waren geblieben.
Als ich gehen wollte, er aber noch nicht, fragte mich eine Bekannte: "Wie? Ihr seid nicht mehr zusammen?" Ich blickte zu meinem Exfreund, der am anderen Ende der Party stand und mit dem ich den ganzen Abend kaum geredet hatte. Wie konnte jemand glauben, dass wir immer noch ein Paar sind? Oder eher: Wieso wundert es niemanden, wenn ...
"Mein Freund muss im Haushalt nur staubsaugen, aber nicht mal das macht er gründlich"
Liebe Ella,
ich muss Dir schreiben, weil ich soeben mal wieder beinahe aus der Haut fahre. Mein Freund und ich haben uns nämlich den Haushalt folgendermaßen aufgeteilt: Er erledigt das Staubsaugen, ich den Rest. Dass das nicht die allerbeste Aufteilung ist, weiß ich - aber ich schreibe Dir nicht deswegen, Ella. Der Grund, warum ich Deine Antwort herbeisehne, ist folgender: Mein Freund kann nicht staubsaugen.
Beobachtet man ihn bei seinem wöchentlichen Wohnungsputz, sieht es aus, als hätte er einen ultraflexiblen Sauger, der den Staub magnetisch anzieht und dessen reine Präsenz die Arbeit erledigt. Wenn mein Freund staubsaugt, geht er lässig ...
Heimvorteil
Ich habe ein Ferienhaus auf der Schwäbischen Alb, in Portugal, im Harz und in Österreich, je nachdem, wohin ich es fahre. Mein Wohnmobil, ein VW-T3-Campingbus, ist 33 Jahre alt und seit 19 Jahren in meinem Besitz. Und weil ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, an jedem Standplatz rund um meinen Bus den Müll aufzusammeln, wird die Welt überall da, wo ich hinfahre, ein wenig schöner, egal ob in der Bretagne oder im Havelland.
Im Wohnmobil ist man immer unterwegs und immer zu Hause. Man kann verreisen und bleibt trotzdem in den eigenen vier Wänden, was in Zeiten von Abstandsregeln ...
... Crystal Meth zu schmuggeln
Ich bin in einem Dorf direkt an der Grenze zu Tschechien aufgewachsen. Als Kind fuhren meine Eltern oft mit mir rüber zum Mittagessen, Schnitzel und Kroketten oder Gulasch mit Knödeln. Manchmal nahmen wir Waldwege, um die Strecke abzukürzen. Ich liebte die Ausflüge und habe die Routen im Kopf behalten. Als mich dann ein Freund fragte, ob ich Cannabis über die Grenze bringen könnte, dachte ich: Easy, ich kenne ja die Schleichwege.
Ich war damals 18 oder 19 Jahre alt und habe täglich gekifft, mit meinem Ausbildungsgehalt ließ sich das nicht finanzieren. Also fing ich an, ein paar Touren zu machen. M ...
Harald Martenstein
Warum reite ich dauernd auf dem Thema Meinungsfreiheit herum? Es nervt mich ja selber. Meinungsfreiheit ist halt die Grundlage meines Berufes. Schreiben macht einfach viel mehr Spaß, wenn man sich dabei frei fühlt. Auf dieses Stück Lebensqualität verzichtet man ungern, ich gönne es allen, auch dem hinterletzten Blödian. Womöglich bin ich selber der hinterletzte Blödian, als Betroffener kriegt man es zum Glück nicht mit. Aber kürzlich haben 153 berühmte Intellektuelle einen Aufruf unterzeichnet, der in der
ZEIT
abgedruckt wurde und in dem sie eine Gefährdung der Meinungsfreiheit beklagen, bei der es sich um das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Demokratie handelt. Falls ...
Über Understatement
Von Ronja von Rönne
Kendall Jenner, die kleine Schwester von Kim Kardashian, ist sehr reich und sehr schön - folglich ist es nur logisch, dass sie aktuell auch als das bestbezahlte Model der Welt gilt. Fragt sich nur: Was tun mit all dem Geld? Kürzlich öffnete Jenner die Türen ihres großen Anwesens in Los Angeles einem Kamerateam des
Architectural Digest
und gewährte Einblick in die Lebenswelt einer, ja, doch, wirklich, 24-Jährigen.
Jenner, das wird schnell klar bei diesem virtuellen Rundgang, hat keine Lust auf das trashige Image ihrer Realityshow-Familie. Stattdessen:
"I have always wanted a James Turrell."
Spricht sie und ...
Sophie Passmann
Minimalismus wird überbewertet. Klar, im Internet sehen diese Wohnungen immer spitze aus, in denen Ligne-Roset-Sofas nachdenklich vor weißen Wänden rumstehen, dazu diese eine Fotografie an der Wand, weiße Bettwäsche, auf keinen Fall Krempel, auf keinen Fall Kram. Es gab eine kurze Phase, da wollte eine freundliche Dame auf Netflix unsere Wohnungen ausmisten, alles, was keinen Zweck erfülle, solle weg, hieß es da, und die Doofen unter uns haben diesen Ratschlag befolgt, haben die Schubladen mit den kaputten Kugelschreibern und den Sicherheitsnadeln geleert, haben Becher und Boxen und Bücher nach ihrer Sinnhaftigkeit befragt, und später saßen wir auf Schemeln im Hall ...
Ein ganz normaler Sommer, nur anders
Von Ilona Hartmann
Wenn man bei 30 Grad Celsius Außentemperatur den Mundschutz noch ein bisschen über die Augen zieht, ist es fast wie in einer Strandmuschel.
Meine Lieblingslüge ist, dass man auch im Schatten braun wird.
Welchen Persönlichkeitstyp haben Leute, die Eis in der Waffel bestellen, aber mit dem Löffel essen?
Tischtennis wurde ursprünglich erfunden, um monologisierende Männer spielerisch an das Konzept "Frage-Antwort-Frage- Antwort" heranzuführen.
Statt drei Prozent weniger Steuer hätte ich lieber drei Stunden mehr Zeit am Tag, um noch all die Bücher zu lesen, die ich mir als Hintergrund für Videokonferenzen gekauft habe.
Der Sommer mit Corona ist wie eine ...
Kamera aus
Von Annabel Wahba
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In unserem Wohnzimmer gibt es ein Fach im Sideboard, in dem unsere Fotos lagern. Darin sind alte aus meiner Kindheit, eingeklebt in ein Album mit grobem blauem Stoffeinband. Ebenfalls noch eingeklebt in Alben: die ersten Fotos meiner Tochter und meines Sohnes. Und dann gibt es dort außerdem einen großen Karton mit losen, unsortierten Abzügen. Auf meine beiden Kinder übt dieses Schubfach seit je eine große Anziehungskraft aus. Sie öffnen es immer wieder und holen der Reihe nach alle Alben und Fotos heraus, um sie sich anzusehen. Betrachten mich als Fünfjährige beim Kindergarten-Fasching, als Indianerin verkleidet. Auf dem Schulausflug ...
"Mit elf bin ich grundlos von der Polizei festgenommen worden, das hat mich schwer traumatisiert"
Aufgezeichnet von Nana Heymann
Meine nächtlichen Träume sind mir nicht so wichtig. Ich schlafe ohnehin nur sehr wenig, manchmal nicht mehr als vier Stunden. Ich bin eher eine Tagträumerin. Ich will etwas verändern.
Schon als Kind habe ich gemerkt, dass ich anders behandelt wurde als meine Freunde. Egal, ob in England, wo ich die ersten sechs Jahre meines Lebens verbracht habe, oder später in Deutschland, wo ich bei einer weißen Pflegefamilie aufgewachsen bin: Besorgte Mütter zogen ihre Kinder von mir weg, schauten mich dann entschuldigend an und sagten: Mein Kind hat gerade zum ersten Mal eine Schwarze gesehen. Ich kam mir ...
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