VON THOMAS KLINGENMAIERRED AKINSist ein kleiner Mann. Er fühlt sich größer, wenn sich andere ducken. Also benimmt sich der muskulöse Gewohnheitsverbrecher mit den schütteren roten Haaren gegenüber seiner Frau, seinem Sohn Shuggie und seinem Kumpel Basil wie ein blankes Starkstromkabel. Er knistert, bereit zur mörderischen Entladung, in provokanter Misslaune vor sich hin, falls er nicht gerade von Drogen in aufgekratzte Stimmung gebracht wird. Dann ist er doppelt gefährlich.Das Leben in der Hochrisikozone zeigt Daniel Woodrell in Der Tod von Sweet Mister durch die Augen des dreizehnjährigen Shuggie. Der dickliche Junge ist Zielscheibe vielerlei Schikanen und muss wie seine Mutter ...
VON GUNTER BLANKUnter 1000 Seiten macht er es nicht mehr. Seit er 1992 mit seinem Cyberpunk-Epos Snowcrash Kultstatus erreichte, droppt Neal Stephenson alle paar Jahre einen Roman-Monolithen in die Welt. In denen wirbelt er reale und virtuelle Welten durcheinander und haut uns Lesern mathematische Algorithmen um die Ohren, bis uns schwindlig wird. Trotzdem sind zumindest in Amerika alle seine Romane Bestseller. Denn der studierte Physiker besitzt das Talent, komplexe Vorgänge so zu veranschaulichen, dass auch weniger computeraffine Zeitgenossen sie mühelos verstehen können. Das Time Magazine, das ihn zu den besten angelsächsischen Romanciers zählt, fragte kürzlich sogar, ob er nicht der ...
VON RONALD DÜKERNOCHstanden die Bewohner von New Orleans am Fenster und schauten in den düsteren Himmel, da drückte die Flutwelle auch schon die Wände aus ihren ohnehin maroden Häusern. Erstaunlich große Wasserschildkröten schwammen durchs Zimmer, und wer eben erst telefoniert oder vor dem Fernseher gesessen hatte, versuchte sich in der nächsten Sekunde an den Baumwipfeln festzuhalten, an denen ihn der Strom vorbeiriss. Als sich der Sturm gelegt hatte, stand der größte Teil der Stadt unter sieben Meter hohem Wasser. So war ein octopus′s garden entstanden, den sich die Beatles allerdings nur auf LSD hatten erträumen können. Aber auch später noch, a ...
Lieber Gunnar Barbarotti,darf ich Dich duzen, so wie unter Schweden, Krimiautoren und Polizisten üblich? Auch Deinen Schöpfer Håkan Nesser rede ich mit Vornamen an, und Du bist mir nach nunmehr fünf Romanen als Ermittler ans Herz gewachsen.Ich wende mich mit einer Bitte an Dich. Zunächst aber mein aufrichtiges Beileid. Was für ein Schock, wenn Du gleich zu Beginn von Am Abend des Mordes neben der toten Marianne aufwachst. Ein herber Verlust für Dich und Eure Kinder, um die Du Dich jetzt allein kümmern musst. Aber Ihr habt die gemeinsame Zeit innig genutzt. Und das Leben geht weiter, lieber ...
VON SYLVIA STAUDEUnter all den Ermittlern, denen ihre Schöpfer Ahnungen und Eingebungen zugestehen, ist der Cop Ian Hunt ein hoffnungsloser Fall. Jahrelang hat er den Entführer seiner Tochter Maggie, damals sieben, auf der Straße freundlich gegrüßt. Inzwischen wurde Maggie offiziell für tot erklärt und symbolisch begraben, vor allem ihrer Mutter Debbie zuliebe, die versuchen will, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Ungewissheit, den Schmerz, die Trauer. Dann hat Hunt plötzlich ein Mädchen am Notruftelefon, das sagt: Ich heiße Maggie, Maggie Hunt. The Dispatcher ist der Originaltitel des Buches, seine Hauptfigur Ian Hunt hat seit dem Verschwinden seines Kindes nur noch ...
VON ADAM SOBOCZYNSKIPOLITTHRILLERverhandeln in ihrem Kern zumeist die Frage nach der Loyalität. Lassen sich am Gesicht, das mich anstrahlt, an den Gesten, die Ruhe suggerieren, am Nicken, das Zustimmung anzeigt, die Absichten des Gegenübers ablesen? Politische Krisenzeiten treiben Loyalitätsproben ins unmittelbar Zwischenmenschliche: Der Nachbar könnte ein Spitzel sein, der Bruder ein Verräter, und ob sich mit der Geliebten, mit der man das Bett teilt, auch Geheimnisse teilen lassen, darf durchaus angezweifelt werden. Man kennt das aus zahlreichen Bond-Filmen: Nichts ist gefährlicher als das erotische Verführungsspiel der feindlichen Agentin.Eine besonders raffinierte Figur im Thriller-Spiel um das Vertrauen aber ist der ...
VON ULRICH NOLLERDie gesellschaftliche Realität des Verbrechens ist eine Grundkomponente des Krimigenres, die zuletzt immer mehr ins Hintertreffen geriet: In der Schwemme der Gebrauchs- und Befindlichkeitskrimis gerät das Eigentliche zur Nebensache, während Beiläufiges ins Zentrum rückt.Umso erstaunlicher mutet ein Roman wie Grenzfall an, in dem Merle Kröger kunstvoll von einem entlegenen realen Verbrechen erzählt: Anfang der neunziger Jahre starben an der deutsch-polnischen Grenze nahe Stettin zwei rumänische Männer, weil Jäger sie mit Wildschweinen verwechselten. Die Rumänen wollten illegal ins Land, ihre Familien wurden niemals informiert, die Jäger wurden nicht verurteilt. Merle Kröger, die diesen Fall für den von ihr ...
Der Geiger Spätestens seit den Spannungsromanen des britischen Schriftstellers Tom Rob Smith (Kind 44, Kolyma, Agent 6) wissen auch geschichtlich weniger bewanderte Krimileser um die Grausamkeit des stalinistischen Systems. Von den Verheerungen des Archipel Gulag erzählt auch die deutsche Schriftstellerin Mechtild Borrmann, ihres Zeichens Trägerin des Deutschen Krimipreises 2012 (für ic Wer das Schweigen bricht). Ihr wortmächtiger und klug aufgebauter Thriller hebt 1948 an, als der begnadete Violinist Ilja Grenko unter einem Vorwand verhaftet und zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt wird. Seine wertvolle Stradivari wird beschlagnahmt, seine Frau samt Kindern in die Verbannung geschickt. 60 Jahre später ist es an ...
VON FRIEDRICH ANIALSHauptkommissar Neidhard Kardigglding an den Tatort kam, brannten die Halogenscheinwerfer und tauchten den Hinterhof in ein hässliches Licht. Der Mann, der vor seinem silbergrauen Volvo lag, war enthauptet worden, vermutlich mit einer kolumbianischen Machete. Das war dieselbe Tatwaffe, mit der vor ihm bereits sieben Menschen den Kopf verloren hatten. Die Morde passierten innerhalb von fünf Wochen, und allmählich wurde es Zeit für einen Verdächtigen. Kommissar Kardigglding hatte mehrere zur Auswahl, und einen von ihnen, da war er sich sicher, würde er zu einem Geständnis bringen.Kardigglding war der Mann für die harten Fälle. Ausgebildet bei der Kripo in ...
VON THOMAS WÖRTCHEBEVORDeputy Sheriff Lou Ford einen jugendlichen Kleinkriminellen seelenruhig mit dessen Gürtel in einer Gefängniszelle erhängt, um einen Mord zu verschleiern, den der Gesetzeshüter selbst begangen hat, erklärt er seinem Opfer den Lauf der Dinge: "Wir leben in einer verkehrten Welt, weißt du. Die Polizisten spielen die Gangsterrollen, und die Gangster sorgen für Recht und Ordnung. Die Politiker halten Predigten, und die Prediger machen in Politik. Die Steuereinnehmer wirtschaften in die eigene Tasche. (...) Es ist eine verkehrte Welt, und ich fürchte, so bleibt sie auch. Und ich will dir auch sagen, warum. Weil kein Mensch, fast ...
1(-)Merle Kröger: Grenzfall Argument Ariadne, 352 S., 11,- EuroMecklenburg-Vorpommern Rumänien, 1992-2012. Wie Wildschweine erschossen beim Grenzwechsel: Marius und Nicu. Die Jäger freigesprochen. Marius′ Tochter Adriana kehrt zurück, um sie zu stellen. Kluge Kriminalerzählung zum Dokumentarfilm Revision . Empathisch scharfer Blick in europäische Angstzustände. 2(7)Robert Littell: Philby Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence; Arche, 288 S., 19,95EuroEuropa 1938-1963. Voll Hintersinn ruft Littell die Zeugen des größten Spionagefalls im 20. Jahrhundert auf: Kim Philby und vier andere Cambridge-Boys waren Sowjetagenten. Und verwandelt, als Autor, der alle Spionagewitze kennt, die alte Geschichte mit leichter Hand in eine neue. Bravourös3(4). C ...
VON BODO MROZEKSEINE ARMBANDUHRverbirgt ein Tonbandgerät, sein Koffer ein Schlauchboot, und er verfügt über ein Mini-Tauchgerät. Seine Pistole trifft immer ihr Ziel, aber seine Gegner erledigt er lieber mit einem betäubenden Handkantenschlag, stets lächelnd und im tadellos sitzenden Anzug. Er raucht ausschließlich Zigarillos der Marke Monte Christo mit goldenem Mundstück. Schöne Frauen sind so machtlos gegen seinen Charme wie Superschurken gegen seine Fäuste. Sein Spitzname: Mister Dynamit.Auf den ersten Blick sieht der Mann mit dem explosiven Faustschlag und der ungewöhnlichen Begabung des Bauchredners einem bekannten britischen Spionagefilm-Helden zum Verwechseln ähnlich. Wären da nicht die Details. Etwa die geheime Dienstnummer: E ...
VON TOBIAS GOHLIS"Die Macht steht dem zu, der die besten Ideen hat und die Kraft, diese auch durchzusetzen"WÜRDENdie Römer über den Literaturnobelpreis entscheiden, würden sie mich wählen", sagt Giancarlo De Cataldo mit breitem Grinsen. Ein kolossales 600-Seiten-Buch hat den Richter mit der kräftigen Statur und der dicken Brille berühmt gemacht. Es erschien 2002 unter dem schlichten Titel Romanzo Criminale - "Kriminalroman" - und erzählt, wie es einer Straßengang in den späten siebziger Jahren gelang, die Macht in Rom zu ergreifen. Na ja, nicht die ganze Macht, da gab es immer noch den Papst. Aber die auf den Straßen, und als ...