Inhaltsverzeichnis vom 11.11.2010

Der 50-jährige Ulf Linnemann ist derzeit nicht in seinem Element. Sein Gebiet ist die Geologie, sein Thema die Altersbestimmung von Gesteinen. Noch bis Mai aber hat er es mit einer Welt aus Wasser zu tun: Bis dahin ist Linnemann, Direktor der Naturhistorischen Sammlungen Dresden, mit seinen Leuten zuständig für die Tiefsee- Ausstellung der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung, die auch Trägerin seines Hauses ist. Statt mit seltenen Fossilien aus dem Präkambrium und Sedimentgesteinen aus dem Tertiär hat er es nun mit bizarren Lebewesen zu tun, die in einer dunklen und kalten Welt leben, in bis zu 11000 Meter Tiefe. In einer Welt, d ...

Elf Tage ist es her, dass der 19-jährige Iraker Kamal K. am Leipziger Hauptbahnhof erstochen wurde, als sich eine wütende, stampfende Demo von tausend Menschen in Bewegung setzt. Auf einem Wagen steht: "Das Problem heißt Rassismus."Vorn marschiert die linke Szene in schwarzen Kapuzenpullis, hinten laufen Hunderte Studenten. Redner klagen den "rassistischen Mord" an, zudem die Staatsanwaltschaft, die das nicht ausspreche, und die Leipziger Volkszeitung , die ein Klima für solche Taten schüre.

Die mutmaßlichen Täter, Markus E., 32, und Daniel K., 28, sitzen wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Ricardo Schulz, hat "keinen Zweifel, dass ...

Früher stand vor unserem Haus eine alte Gaslaterne. Als ich nach Streit mit meiner Schwester das gemeinsame Kinderzimmer verlassen hatte und hoch ins Dachgeschoss - das wir Turmzimmer nannten - umgezogen war, konnte ich von meinem Fenster direkt auf die Laterne blicken. Ich mochte sie. Längst wurde die Straße zwar von einer neuen, elektrischen Lampe erleuchtet, die Gaslaterne aber wirkte gerade in ihrer Nutzlosigkeit sympathisch - märchenhaft.

1987, also in jenem Jahr, in dem in vielen Leipziger Autos ein Spruchband mit 822 Jahre Leipzig auf der Rückscheibe klebte, war sie eines Tages verschwunden. Mein Vater erklärte mir, dass sie nun ...

Herr Ballhaus, was war das einschneidendste Erlebnis Ihres Lebens?

Das war sicher der Tod meiner Frau Helga im Jahr 2006. Ich hatte damals gerade meine Arbeit in Amerika aufgegeben. Nach 25 Jahren Filmemachen dachte ich: Das ist genug, jetzt fangen wir mit Dingen an, die wir immer machen wollten. Doch dann starb sie ganz plötzlich. Eines Morgens hatte sie furchtbare Schmerzen. Ich brachte sie sofort ins Krankenhaus, sie bekam Schmerzmittel und war ab da nicht mehr bei Bewusstsein. Fünf Stunden später war sie tot.

Sie konnten nicht mehr Abschied von ihr nehmen?

Nein. So ein plötzlicher Tod ist erschreckend und ...

Clara und Erwin haben sich vor sechs Jahren in einem Chat kennengelernt und sich schnell verliebt. Clara kann Erwin nur einige Male im Jahr treffen. Sie schreiben sich aber oft. Erwins Ehefrau ist chronisch krank; er fühlt sich verpflichtet, bei ihr zu bleiben. Claras Partner hat seit Jahren keine Erotik mehr mit ihr gelebt, will sich aber nicht trennen. Beide haben Kinder und sind überzeugt, dass diese noch zu klein sind, um eine Scheidung zu verkraften. Nach jedem Treffen leidet Clara unter Ängsten, es könnte das letzte Mal sein. Ihre beste Freundin meint, sie müsse sich entscheiden, sich trennen oder ...

Für viele Berlinbesucher ist es die Adresse, die sie dem Taxifahrer nennen, wenn sie sich ins Nachtleben stürzen: Kreuzberg. Hier landeten einst schwäbische Wehrdienstverweigerer und türkische Arbeiter, die Berlin als Erste entdeckten. Danach versuchten österreichische Hobbyköche, aus dem Paul-Lincke-Ufer so etwas wie einen Wiener-Schnitzel-Ring zu machen, wobei sich Sarah Wieners Papa Oswald mit seinem Lokal Exil hervortat. Fällt man heute am Paul-Lincke-Ufer ins Wasser, möchte man meinen, man schwimme im Bosporus. Zwar könnte an jeder Kneipentür das bekannte Schild hängen: "Hier spricht man Deutsch"; aber gekocht wird türkisch. Dem Grünen-Politiker Özcan Mutlu, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, verdanke ich einen lustvollen ...

Der Anfang war ein Albtraum. Die Welt war klaustrophobisch klein geworden, die Wege hatten sich seltsam verengt, als ich am ersten Tag durch Hamburgs Straßen nach Hause walzte, in diesem... ja, was eigentlich?Auto?Biest?Ziemlich verloren - und mit dem Gefühl, noch kleiner zu sein als ohnehin schon - saß ich oben in der Fahrerkabine und lavierte dieses 1,95-Tonnen-Gefährt durch eine Großstadt, die plötzlich zu einer Miniaturlandschaft geworden war: alles winzig und zerbrechlich da unten.

VW hat jetzt also auch einen Pick-up im Programm. Den Amarok, benannt nach einem Riesenwolf aus der Mythologie der Inuit. In diesem ...

Der Mode haftet der Ruf an, verschwenderisch zu sein. Das ist sie ja auch. Das Wort Luxus bedeutet "Überfluss", also im weiteren Sinne Verschwendung. Wenn Mode nur ein kleines bisschen vernünftig wäre, wäre sie keine Mode mehr, sondern Bekleidung. Gerade deswegen haben Luxusmarken in der Vergangenheit immer größten Wert auf die Exklusivität dessen gelegt, was sie so machen.

Lederverarbeitende Marken wie Louis Vuitton, Loewe und Hermès beschäftigen Ledermeister, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als zum Beispiel ihre feinen Finger über eine Kuhhaut gleiten zu lassen - um schon bei kleinsten Unebenheiten, etwa wegen Verletzungen durch Stacheldraht oder auch ...

Endlich: Ein REGAL nach unseren Vorstellungen, dessen Fächer man verschieben kann, wie man es braucht. Warum ist darauf bisher nur keiner gekommen?Zwei kanadische Designer haben das personalisierte Regal jetzt für Domison gebaut (domison.com)Und wer zur Teller- Ausstellung nach Wien fährt, dem empfehlen wir noch dieses BUCH: "New Vienna Now". Die pralle Gegenwart dieser Stadt

"Bei Stadion-Rock schalte ich aus, das erinnert mich zu sehr an unser eigenes Zeug"

Aus: "Life", der Biografie von Keith Richards, die er zusammen mit James Fox geschrieben hat und die jetzt bei Heyne erschienen istDie Modebloggerinnen von Reigen haben einen schönen Begriff für Kulikritzeleien auf ...

Herr Lagerfeld, das ZEITmagazin feiert seinen 40. Geburtstag...

Warum feiern nur alle immer Geburtstag?

40 Jahre ist doch ein schönes Alter.

Sagen wir zwei Mal 20, das klingt besser.

Unser Magazin hat schon früh über Sie berichtet. 1978 waren Sie auf dem Titel. Ein Doppelporträt über Claude Montana und Karl Lagerfeld, den jungen wilden Ex-Hamburger in Paris. Damals war Montana ein Star, er prägte die achtziger Jahre - heute ist er unbedeutend. Haben Sie denn noch Kontakt zu ihm?

Ach, Montana. Nein, ich sehe ihn noch hin und wieder auf der Straße. Er sieht irgendwie unheimlich aus, nicht reell. I ...

Sein Verschwinden war eines Pioniers würdig. Erich Pöhlmann, Entwickler des verheißungsvollsten Elektroautos der achtziger Jahre, verunglückte vor zwei Jahren offenbar bei einer Weltumseglung. Man fand nur noch seine Jacht, 200 Kilometer vor der neuseeländischen Küste, sie war von einem Sturm ramponiert worden. Da war der Tüftler aus dem oberfränkischen Kulmbach 76 Jahre alt gewesen.

Wagemut war eine von Pöhlmanns hervorstechenden Eigenschaften. Das darf man behaupten, weil der Ingenieur ein damals höchst verblüffendes Auto erfand - es wurde elektrisch angetrieben und gespeist von einer Blei-Säure-Batterie. Mit immerhin 120 Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit war es eines der schnellsten Elektroautos seiner Zeit. Ein rasantes Gefährt, d ...

Ulrich Ladurner, 48, ist als ZEIT-Reporter immer wieder in Afghanistan. Gerade erschien sein Sachbuch "Eine Nacht in Kabul".

Afghanistan ist wild, es herrschen Gewalt, Brutalität und religiöser Extremismus. Wenn wir zwei Symbole für dieses Land wählen müssten, dann wären dies Kalaschnikow und Burka. Afghanistan: Das klingt bedrohlich, ganz so, als sei das Land am Hindukusch ausschließlich von hinterhältigen Männern bewohnt, die durchreisenden Fremden nach dem Leben trachten. In den Bergen hocken die Taliban und die Terroristen von al-Qaida. Nein, Afghanistan ist kein Reiseland.

Das war einmal ganz anders - dieser Satz sagt die Wahrheit, und er ist doch viel zu ...

In meinen Filmen gibt es viele Menschen, die irgendwie heimatlos wirken. Sie befinden sich in einer Phase des Übergangs, lassen sich treiben und wissen nicht, wohin ihr Weg sie führen wird.

Persönliche Krisen. Große Veränderungen. Auch ich habe solche Situationen durchlebt. Wie jeder Mensch. Das ist vielleicht der Grund, warum ich mich von diesen Geschichten angezogen fühle. Und davon träume, meine Figuren zu beschützen. Zum Beispiel davor, falsch verstanden zu werden. Ich setze sie in die Welt und möchte sie nicht an Klischees oder vorschnelle Urteilen verraten. Sie sind weder gut noch böse. Sie sind. Ich möchte ihnen Raum geben, s ...

Tatsächlich schauen Frauen Männern sehr wohl auf die Uhren. Vor allem wenn die Uhren klein sind. So wie man es im Moment häufig beobachten kann. Es sind Uhren mit rundem Ziffernblatt, gern in Schwarz oder Weiß, drei Zeiger, ein Lederarmband, sie schmiegen sich flach ans Handgelenk. Spezialeffekte?Brauchen sie nicht. Von Uhrmachern weiß man, dass es eine große Herausforderung ist, die mikroskopisch kleinen Einzelteile einer Uhr auf möglichst engem Raum zu verbauen. Deshalb galten bis in die sechziger Jahre besonders flache Uhren als Aushängeschild einer Manufaktur. Und auch von den Männern, die so eine Uhr tragen, denkt man eher Gutes: d ...

Uhrenauswahl Gisbert L. Brunner

Der Uhr auf der Spur - so geht′s:

Zum zweiten Mal veranstaltet das ZEITmagazin eine Schatzsuche. Überall in Deutschland haben wir Uhren an den Schauplätzen literarischer Werke fotografiert. Und auch in diesem Jahr ist eine Uhr liegen geblieben. Aber welche?Suchen Sie!Am Samstag, dem 13. November, von zehn Uhr an wird eine der abgebildeten Uhren auf ihren Finder warten. Bei der Suche helfen Fotos, Literaturzitate und Hinweise in den Bildunterschriften (auch die Fotos auf den Titelseiten und der Inhaltsseite gehören dazu!). Wer keine Uhr vorfindet: An allen Orten sind Plaketten angebracht, auf denen steht, wie ...

Es gibt ein Leben neben der Politik", so hatte Hessens Ministerpräsident Roland Koch im Frühjahr verlautbaren lassen und damit die Öffentlichkeit brutalstmöglich überrascht. Drängte es das Alphatier der CDU etwa zur Selbstverwirklichung, dem einzigen Feld, das man auch im parteiinternen Männerbündnis "Andenpakt" gern den Frauen hatte überlassen wollen?Kurzzeitig gelang es ihm, uns auf eine falsche Fährte zu locken, als sein Wechsel an die Spitze des Baukonzerns Bilfinger Berger verkündet wurde. Na, da gehört dieser Betonkopf hin, mag da so mancher Linker gedacht haben, erleichtert darüber, dass er auch diesmal wieder nichts an seinem Weltbild ändern muss. Aber in Wahrheit ...

Kürzlich schrieb ich mal wieder einen Roman. Morgens schlug ich die Zeitung auf und fand eine Kritik, den Autor kannte ich nicht. Er schrieb, aus dem Roman gehe klar hervor, dass ich ein "Trottel" sei, ein "Hausschwein", ein "Weichei", wie es "bei Dussmann an der Kasse ausliegt", ich hätte mir "revanchistisches Samenstaugewinsel auf die Fahne geschrieben", ich sei ein "Mario Barth", "gefährlich", "täppisch" und ein "extratumber Tor". Außerdem sei ich onaniersüchtig und hätte daher ständig eine Packung Tempo-Taschentücher dabei. Da habe ich mir erst mal eine zweite Tasse Kaffee geholt. Mein Buch musste diesen Mann, diesen Kritiker, total aus der ...

DIE ZEIT: Frau Elmiger, wie haben Sie zur Sprache Ihres Romans Einladung an die Waghalsigen gefunden?

Dorothee Elmiger: Das ist ein Probieren, bis man den Ton trifft, der einem vorschwebt, den man im Hinterkopf hat und immer versucht zu erreichen. Ich hab von mir selber das Gefühl, dass immer noch ein bisschen fehlt. Das ist auch der Grund, wieso ich immer wieder nach der Sprache suche.

ZEIT: Wann haben Sie den Punkt, einen Satz erreicht, wo Sie sagen: Ja, das stimmt jetzt?

Elmiger: Das gibt′s, aber ich könnte spontan keinen Satz nennen - es ist schwierig, im Nachhinein so eine ...

DIE ZEIT: Frau Abonji, wie haben Sie zur Sprache Ihres Romans Tauben fliegen auf gefunden?

Melinda Nadj Abonji: Die Tonalität des Textes war von Anfang an da. Sie war in meinem inneren Ohr. 2004 habe ich angefangen zu schreiben, über meine Erinnerungen, meine Kindheit in Jugoslawien und der Schweiz - und habe gemerkt: Das wird ein sehr langer Text, weil diese Tonalität sehr lang trägt.

ZEIT: Wie würden Sie Ihren Ton beschreiben?

Abonji: Das ist natürlich sehr schwierig. Es ist ein langer Atem, es sind Sätze, die ausschwingen, die einfach lang tragen. Mein Ton kann Erinnerungen tragen, kann Figuren tragen, a ...

Ganz unpatriotisch gilt es festzuhalten: Der Schweiz, und hier reden wir der Sache wegen für einmal nur von der deutschen Schweiz, ist nach dem Zweiten Weltkrieg eine bemerkenswerte Dichte an hervorragenden Autorinnen und Autoren erwachsen. Mal abgesehen von den Titanen Dürrenmatt und Frisch müssen von den Nachfolgenden Peter Bichsel, Jörg Steiner, Hugo Loetscher, Eugen Gomringer, Klaus Merz, Erika Burkart, Thomas Hürlimann, Adolf Muschg sowie Hermann Burger zu den ganz Großen gezählt werden. Bei den Jüngeren ist es der Dramatiker Lukas Bärfuss und bei der Prosa Peter Weber, von dem gar sein Berufskollege Michel Mettler, der selber mit Die Spange einen ...

Es gibt keine Schweizer Literatur, es gibt nur eine deutschsprachige Literatur, die Deutschland ebenso umfasst wie Österreich und die Schweiz. Das ist der Kanon, wenn man sich bei Schweizer Schreibenden umhört. Autoren wie Thomas Hürlimann oder Adolf Muschg betonen immer wieder, dass die Schweiz literarisch nicht existiert. Sie betonen die Weltoffenheit der Schreibenden in der Schweiz und ihre Reiselust. Die Angst vor der Enge, vor dem Kleinen, vor dem Sonderfall Schweiz ist groß, die Angst, in Deutschland nicht wahrgenommen zu werden, die Angst, sich mit dem kleinen Schweizer Markt begnügen zu müssen.

Tatsächlich haben sie in fast allem unrecht. 1) ...

Sein Name ist im deutschen Sprachraum nur Eingeweihten geläufig. Paul Nizon, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller, ist ein Außenseiter des Literaturbetriebes. Dass ihm am 15. November in Wien der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen wird, korrigiert dieses Manko wenigstens spurenweise, stellt es ihn doch in eine Reihe mit den klingenden Namen früherer Preisträger, mit Eugène Ionesco, Milan Kundera, Marguerite Duras oder Salman Rushdie.

Der Sohn eines russischen Einwanderers und einer Schweizerin, 1929 in Bern geboren, kehrte seinem Geburtsland 1976 den Rücken. "Ich wollte niemals zurück", sagt er heute, "obwohl das eine Kaffeesatzspur von Nestbeschmutzung hinterließ, denn man geht nicht ...

Im Basar am Ballhausplatz brennen dieser Tage die Lichter ein wenig länger. Dort, im Bundeskanzleramt, muss letztlich ausgeschachert werden, wer alles im Land die Zahlensuppe auslöffeln soll, wenn in wenigen Wochen die Weihnachtsüberraschung Sparbudget Wirklichkeit werden sollte.

Prinzipiell will das natürlich niemand, weder die Großverdiener noch die Almosenempfänger und schon gar nicht die Problemfälle in den geschützten Werkstätten der staatlichen Verwaltung. Die zuallerletzt, wissen doch ihre Argumente jedermann zu überzeugen. Lehrer können bekanntlich nicht gebeten werden, zwei zusätzliche Wochenstunden zu unterrichten, weil sie in diesem Fall unter einem Burn-out-Syndrom reihenweise zusammenbrechen würden. Die Bürokratie kann nicht verschlankt werden, weil sonst ...

Die Eckdaten: fünfzehn Jahre, fünf Wiener Bezirke, nahezu fünfhundert Seiten im eigenwilligen Querformat. Vergangene Woche präsentierte Friedrich Achleitner, sichtlich erleichtert, ein wenig zufrieden und vor allem in fast schon unzulässiger Bescheidenheit, mit dem dritten Wien-Band den Abschluss seines enzyklopädischen Mammutvorhabens, des Führers Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert . Wie schon die vorangegangenen Bände, so ist auch dieses Resultat einer Gewaltanstrengung, ein zurückhaltendes Werk, das nicht verraten will, wie viel Mühe, Genauigkeit und Beharrlichkeit in ihm steckt. Beinahe beiläufig ist da Gebäude an Gebäude gereiht, die einzelnen Beschreibungen bersten vor detaillierten Informationen, die der Architekturwanderer mit akribischem Forschersinn zusammengetragen hat.

Jahrzehntelang ...

Das Lagerleben in den Barackensiedlungen war eintönig und versprach dem Flüchtling aus Wien wenig Zerstreuung. Noch wartete der damals 33-jährige SA-Mann Günther Mark von Traisenthal in München darauf, einem Einsatzort in der bayerischen Provinz zugewiesen zu werden. In seiner Heimat war er zur Fahndung ausgeschrieben, weil er eine terroristische Nazizelle gebildet hatte. Nun verbrachte er im schmucken Braunhemd seine Tage gelangweilt im Café Fürstenhof unweit des Englischen Gartens. Eines Tages im Oktober 1934 blieb sein Blick auf einem verführerischen Anblick an einem der Nebentische haften. "Der strenge und energische Eindruck Ihrer Erscheinung lässt mich Ihre Bekanntschaft ersehnen", kritzelte er auf ...

Da meine Mutter in der DDR als Dolmetscherin und mein Vater als Jurist für Bulgarien im diplomatischen Dienst tätig waren, wurde ich als Sechsjährige in Ost-Berlin eingeschult. Vier Jahre lang besuchte ich die 42. Oberschule Rudolf Seiffert. Das war eine wunderbare Zeit. Den Winter über waren meine Großeltern zu Besuch. Die Omi brachte mich einmal die Woche zur Bulgarischen Schule und legte jedes Mal einen Zwischenstopp am Alexanderplatz ein, wo wir Currywurst aßen. Wir wohnten in einem Wohnblock, der für Botschaftsangehörige reserviert war. Die Nachbarn stammten aus Pakistan und Tunesien. Am Samstag fuhr ich mit den Eltern nach West-Berlin.

Solche ...

Seit fünf Jahren erzählt Ernst Schmiederer jede Woche in den Rubriken "Draussen" und "Drinnen" auf den Österreich-Seiten der ZEIT die Geschichte eines Österreichers, der irgendwo auf der Welt lebt, beziehungsweise eines Ausländers, der in Österreich Fuß zu fassen versucht. Nun erscheinen die gesammelten Kurzbiografien in einem Buch. Im Vorwort des Bandes fordert der frühere Bundeskanzler Alfred Gusenbauer größere Sachlichkeit in der aufgeregten Migrationsdebatte. Wir drucken Auszüge aus diesem Text.

Zwei Pole markierten bislang die Migrationsdebatte: die rechtspopulistische bis rechtsextreme Sichtweise auf eine der wesentlichsten Fragen unseres Jahrhunderts und die linksliberale Perspektive. Dazwischen tat sich ein weites Feld auf, in dem ...

Castingshows folgen eigenen Gesetzen. Manchmal haben gerade die das bessere Ende für sich, von denen man annehmen musste, sie hätten bereits ausgespielt, da sie ganz unerwartet aus dem bunten Spiel verbannt worden sind. Zum Beispiel der brummige Quotenjäger, dem seine Freunde den ehrfürchtigen Kampfnamen Elmo, der Bär, verliehen haben. Überraschend für alle Fans wurde nun er, der loyale Teamspieler, aus der aktuellen Staffel des beliebten ORF-Talentewettbewerbs Der General von morgen eliminiert. Der politisch völlig farbenblinde, persönlich ebenso zurückhaltende wie bescheidene und vor allem ganz und gar selbstlose Publikumsliebling galt als Garant dafür, dass nur die besten und klügsten Kandidaten den ...

Als die Volkspartei, lang ists her, den Beschluss fasste, ihr Programm zu reformieren, lud sie den schwedischen Ministerpräsidenten Frederik Reinfeldt, der gerade mit seinen Moderaten einen Wahlsieg gefeiert hatte, nach Wien und bat den modernen Konservativen, sein Erfolgsrezept zu verraten. "Zuerst muss man ein Drittel der Stimmen verlieren, bevor man darangehen kann, seine Partei zu erneuern", erläuterte der Prophet aus Stockholm. Die Parteireform ist zwar irgendwo auf ihrem weiten Weg auf der Strecke geblieben, die goldenen Worte der ersten Stunde hingegen haften unvergessen im Parteigedächtnis. Sie müssen Pate gestanden haben, als man eine neue Spitzenkandidatin für die verwaiste Parteiorganisation in ...

.. schrieb Marius Bonfert aus Kottingbrunn, Österreich, vor vier Wochen an dieser Stelle und meinte die Raser auf deutschen Autobahnen. Worauf Joachim Streitel aus Henstedt-Ulzburg ihn in der ZEIT Nr. 44/2010 als "gemeingefährlich" bezeichnete und ihm vorschlug, dann eben in Österreich zu bleiben. Und die Debatte geht weiter.

Der Österreicher B. hat einiges sehr drastisch formuliert. Der Schock saß wohl noch tief, oder er wollte bewusst provozieren - was bei so manchen Themen ja leider notwendig ist. Ich fahre sehr gerne Auto, genieße es, auf der Autobahn mit flottem Tempo und guter Musik dahinzubrausen. Wenn da nicht allzu oft ...

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas

Bevor wir auf Safari gehen, müssen wir zunächst den (unbeschilderten) Eingang zum Nationalpark finden und den Obolus bezahlen. An der Tür zum Büro prangen ausnahmsweise die Eintrittspreise. Drinnen gibt es ein paar verstaubte Raffiataschen zu kaufen und vergilbte Postkarten. Ich fühle mich wie in einem Polizeipräsidium, obwohl der Park doch zum Ministerium für Wald und Wild gehört. Ein Mann mit grimmigem Blick sitzt hinter einem breiten Schreibtisch. Es ...

Mein Vater Rudolf von Scheliha wurde am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Gestapo hat versucht, ihn als bezahlten Geheimnisverräter darzustellen.

Dies gelang so erfolgreich, dass eine Rehabilitierung meines Vaters erst 1995 durch das Kölner Verwaltungsgericht stattfand. In Wahrheit war mein Vater kein Spion, sondern er wurde fürs Auswärtige Amt und die Gestapo unerträglich, weil er zuständig war für die offizielle Reaktion auf ausländische Berichte über Greueltaten. Er konfrontierte die Täter durch seine Fragen mit ihrem Handeln und machte sich dadurch fürs Amt und die Gestapo unerträglich.

Ihr Bericht kolportiert nun erneut die ...

Endlich sagt das mal jemand. Neben der Erstellung von grausamen Fassaden handeln wir uns noch weitere Probleme ein. Diese liegen vorrangig in der Entstehung von Feuchtigkeit und Schimmel in Wohnungen.

Mike Meyer-Spreen, per E-Mail

Es braucht einigen Mut, eine Gesellschaft, die in ihrem utilitaristischen Furor nur noch entlang von Zahlen, Daten und Messwerten zu argumentieren versteht, auf die Schönheit von Dingen jenseits von Kunststoffsurrogaten und Pixelwelten hinzuweisen.

Dr.-Ing. Fedor Roth, Aachen

Wenn Fenster und Türen der Gebäude, die vor 1914 gebaut wurden, ertüchtigt werden, nicht ausgetauscht, erreichen diese fast die geforderten Werte, ohne das Gebäude zu vergewaltigen. Nicht alles, was neu ...

..und Ihr Gewinn:.

Ein Geist geht um in deutschen Firmen - der Teamgeist. Er spukt durch Weihnachtsreden, taucht auf in Broschüren und leuchtet aus Stellenangeboten. Ohne "Teamfähigkeit", ohne die Bereitschaft, sich zum Rädchen im Gruppengetriebe zu machen, scheint nichts mehr zu gehen. So mancher Bewerber verkleidet schon seine Hobbys: Aus "Joggen" wird "Training in einer Laufgruppe", "Lesen" kommt als "Engagement in einem Literaturzirkel" daher. Die Botschaft: "Schaut hin, ich bin kein Eigenbrödler, sondern Teammensch!"

Doch der Teamgeist hat einen Geburtsfehler: Diejenigen, die ihn am lautesten fordern, sind nicht Mitglieder eines Teams, sondern stehen als Führungskräfte über ihm. Während sie ...

Von so einem kann man sich schon mal sagen lassen, dass man sein Leben ändern muss. Volker Kratzsch ist einer, der Vertrauen erweckt und dessen Augen freundlich lächeln, auch wenn er über ernste Themen spricht. Über Depressionen etwa, die sich als hartnäckiges Pfeifen im Ohr Ausdruck verleihen, oder über Stress. Bei vielen seiner Patienten ist etwas schwer in Unordnung geraten; für so etwas muss man sich Zeit nehmen. Deshalb steht Kratzsch jeden Vormittag an Patientenbetten, hört zu, spricht darüber, wie man Ballast loswerden, Verantwortung abgeben, kurz: sein Leben ändern könnte. Kratzsch ist in diesen Momenten ganz Arzt. Gegen Mittag jedoch ...

Vielleicht kommt es für die bayerischen Hochschulen doch nicht ganz so dick. Nachdem die Rektoren im Freistaat vor Tagen noch ein Minus von bis zu 190 Millionen Euro befürchten mussten, erneuerte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bei der Kabinettsklausur am vergangenen Wochenende seinen Schwur, dass "Bayern bei den entscheidenden Zukunftsthemen Familie, Bildung und Innovation weiterhin an der Spitze in Deutschland stehen" werde. Was eine reichlich dreiste Umschreibung für die Tatsache ist, dass die Regierung den Hochschulen nächstes Jahr immer noch zwischen 30 und 50 Millionen Euro kürzen dürfte.

Fast bescheiden nehmen sich da die 13 Millionen Euro aus, die Seehofer den ...

Die Empörung der Abgelehnten war groß: Im Fach BWL verweigerte die Universität Köln ihren Bachelorabsolventen reihenweise den Zugang zum Masterstudium - und nahm stattdessen Abgänger anderer Hochschulen. Sie sei angesichts des Ansturms streng nach den Examensnoten vorgegangen, rechtfertigte sich die Uni: Bei einem Schnitt von 1,9 sei Schluss - egal, von welcher Hochschule man komme. Die Geschichte von den heimatvertriebenen Kölnern machte ihre Runde durch die Republik. Plötzlich fühlten sich jene bestätigt, die seit Jahren vor einer unfairen Beschränkung des Masterzugangs warnen: Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW, warf den Ländern vor, sie hätten die Übergangsquoten grundsätzlich zu niedrig ...

DIE ZEIT: Frau Kahl, nach Pisa ist die Ganztagsschule von vielen als Mittel für bessere Leistungen und mehr Chancengleichheit gepriesen worden. Jetzt ziehen Sie auf dem 7. Ganztagsschulkongress in Berlin Bilanz. Wie sieht es aus?

Heike Kahl: Allein die Zahlen sprechen Bände. Von den rund 36000 allgemeinbildenden Schulen bietet mittlerweile fast jede zweite ein ganztägiges Angebot. Jedes dritte Kind kann an solchen Programmen teilnehmen. Vor dem Investitionsprogramm des Bundes zwischen 2003 und 2007 war die Situation gänzlich anders. Damals hatten nicht einmal halb so viele Schulen ein Ganztagsangebot. Infrastrukturell ist bei Mensen, Turnhallen und der Technikausstattung durch die vier Milliarden ...

Hmm, jetzt haben wir ein Problem. Bislang war die Sache übersichtlich: "Wir brauchen die Rente mit 67", sagen die einen, "weil wir älter werden und weniger Nachwuchs haben. Deshalb müssen wir länger einzahlen, statt zu kassieren, um die Rentenkasse zu schonen." - "Nein", sagen die anderen. Nur wenige könnten mit 65 noch arbeiten, für die meisten bedeute das schlicht eine Rentenkürzung.

Nun aber haben, wie das Handelsblatt berichtet, Zürcher Forscher in einer groß angelegten Studie unter Industriearbeitern herausgefunden, dass ein früherer Rentenbeginn bei Männern deutlich das Risiko erhöht, vorzeitig zu sterben; wer länger arbeitet, lebt also auch länger. Frührentner ...

Vor zwei Monaten hat die ZEIT eine Titelgeschichte zum lange überfälligen beruflichen Aufstieg der Frauen gebracht. Der, so hieß es da, könne sich selbst für die Männer als Segen erweisen: "Die Bildungserfolge der Frauen fallen in eine Phase, in der das Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften in vier Jahren um 250000 zurückgegangen ist und in der viele Männer gern kürzer und ein Großteil der Frauen länger arbeiten würde."Überall Gewinner, nirgends Verlierer?Welch ein Ausblick.

Zwei Tage später traf ich mich mit einem guten Freund in einer Kneipe, Absolvent einer Journalistenschule, 32 Jahre alt, verheiratet, Vater einer kleinen Tochter. Er ...

An einem Samstagmorgen stehe ich bei Hammersbach im Wald und nestele an meiner Kleidung. Ich habe mich hinter einen Baum gestellt. Mir ist peinlich, was ich hier tue. Ein Wanderpärchen kommt des Wegs. Sie schaut taktvoll in die Baumkronen. Ihr Partner starrt umso unverblümter. Geht weiter, dreht sich noch einmal um und sagt: "Schaust aus wie a Frosch!"

Wie ich in eine solche Situation geraten konnte?Weil ich Zehenschuhe trage. Ich habe lange gebraucht, diesen Satz so selbstverständlich klingen zu lassen. Denn ich bevorzuge Lederstiefel, seit ich bei Michel de Montaigne einmal las: "Trage immer deine Stiefel, und sei bereit." ...

Der Rock ′n′ Roll lag längst in der Luft, als Ed van der Elsken 1962 die tanzenden Paare in Amsterdam fotografierte. Es war das Jahr, in dem die Rolling Stones in London den ersten gemeinsamen Auftritt hatten und die Beatles im Studio ihre erste offizielle Single, Love Me Do, einspielten. In München-Schwabing wurden junge Straßenmusiker wegen abendlicher Ruhestörung festgenommen, es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im vergleichsweise liberalen Amsterdam hingegen scheint der nächtliche Tanz auf der Straße in den Sechzigern schon selbstverständlich zu sein. Die jungen Menschen, die van der Elsken damals im Vorübergehen aufgenommen hat, wirken jedenfalls nicht, a ...

DIE ZEIT: Herr Grützmacher, gerade haben Sie in Trier Ihr Stück Dance around the world uraufgeführt. Wohin reist man denn da?

Sven Grützmacher: Von Südamerika über Australien, Asien, Afrika bis nach Europa. Das Stück verbindet zwei Dinge, die ich sehr liebe: Ich leite ein Tanztheater. Und ich reise gern.

ZEIT: Was haben Sie als Tourist über Tanz gelernt?

Grützmacher: Dass manche Klischees nicht stimmen. Skandinavier gelten ja als kühl. Aber dann war ich zur Mittsommernacht in Schweden. Alle haben wild getanzt, auch die Alten. Überhaupt merkt man auf Reisen, wie viel Tanz Menschen bedeutet. In Deutschland sind Tänzer oft nicht ...

Kuschel-Urlaub.

Eine urige Skihütte in den Bergen zu finden oder ein luxuriöses Chalet - für große Familien oder Gruppen ist das nicht so schwer. Einem Paar dagegen, das den Skiurlaub nicht im Hotel verbringen will, bleibt oft nur die Unterkunft im langweiligen Apartmentblock. Denn schöne Ferienwohnungen für zwei Personen sind rar. Für diese Wintersaison aber hat der Ferienhaus-Spezialist e-domizil erstmals eine Auswahl kleiner "Kuschelhütten" in den Bergen ins Programm genommen. In Oberösterreich etwa können sich Paare in einem ehemaligen Getreidedepot einmieten, das zur gemütlichen Hütte umgebaut wurde. Im Kärntner Lesachtal lädt eine alte Wassermühle ein. In Hippach im Zillertal ist ...

Ein Mann wie Herr Singh sagt einem selten Guten Tag. Der Zweimeterhüne trägt eine triumphale Schnurrbartbürste, Goldbrokat für zehn Admiräle und ein strassfunkelndes Kunstwerk von einem Turban. Weniger kommt nicht infrage für einen Portier, der vor dem Taj Mahal Hotel in Mumbai die Autotüren öffnet. Herr Singh tut das mit einer raumgreifenden, nahezu deklamierenden Geste. Wer ihm eine Weile dabei zusieht, kann trotzdem nicht anders, als Mitleid zu empfinden. Denn die Grandezza seiner einzigen Amtshandlung verkümmert im schnöden Durcheinander von Männern, die keine Turbane, sondern Tellermützen tragen - Sicherheitsleute leuchten in Kofferräume und Motorhauben, schieben Spiegel unter Bodenbleche. Zwischen ihnen ...

Pension Pötters, Essen-Katernberg. Hier zu wohnen ist ein bisschen Albtraum und ein bisschen Glücksfall. Kann man gründlicher in ein Sammelsurium von Ruhrpott-Klischees hineingeraten, auf seiner allerersten Reise in diese nicht ganz geheure Gegend?Um die Ecke der schlichten Gründerzeit-Mietshausstraße liegen Erikas Klümpchenbude mit Bild- Zeitung und Gummi-Naschwerk, ein verschabter Imbissstand und eine Sauerbraten-und-Apfelrotkohl-Kneipe namens Warsteiner Stiefel, ein paar Schritte weiter der Brieftaubenzüchterverband samt Taubenklinik. Nur ein Katzensprung ist es zu düsteren Zechenkolonien, an einem Bergarbeiterhäuschen lässt sich sogar schattenhaft "Wählt Thälmann" entziffern. Meine Pensionswohnung ist ein Bühnenbild in Gelsenkirchener Barock. Das bauchige Politurvertiko, der atemberaubende Brokatmustermix der Tapeten und die ...

Wenn es etwas gibt, das betroffenen Kindern oder erwachsenen Überlebenden von sexuellem Missbrauch ganz sicher den Mund verschließt, dann ist es ihre Angst, Lügner genannt zu werden. Nun stellt ausgerechnet ein Psychologe, noch dazu der wissenschaftliche Berater der Bundesbeauftragten zur Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs, die Verknüpfung her zwischen Lügen und sexuellem Missbrauch.

In einem Interview, in dem es ganz allgemein um das Thema Lügen geht, wurde der Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Ulm, Jörg Fegert, gefragt, wann Lügen krankhaft wird. Seine Antwort: "Es gibt Menschen, die fast in jeder Lebenssituation lügen. Sie haben häufig jahrelange Misshandlung oder sexuellen ...

Schafft die Bischöfe ab!

Allmächtiger, Allerhöchster: Gottes Namen drücken meist seine hierarchische Spitzenposition aus. Er ist der Oberste, über dem es nichts mehr gibt. Er ist der HERR, dem alle untertan sind. Diese Heilige Herrschaft - denn das bedeutet Hierarchie - ist uns Christen so selbstverständlich, dass sie kaum infrage gestellt wird. Der Herr Zebaoth sitzt auf dem Thron, und seine himmlischen Heerscharen dienen ihm. Ganz oben stehen die Seraphim und Cherubim, ganz unten die Erzengel und die gemeinen Engel. Warum geht es im Himmel so streng hierarchisch zu?Weshalb diese durchorganisierten, gleichsam bürokratischen Verhältnisse?

Der Philosoph Giorgio Agamben bezeichnet ...

Lady Gaga wurde berühmt, als sie 2009 die Bühnentauglichkeit einer Teetasse bei den Brit Awards, dem prestigeträchtigsten Preis der Popmusik, bewies. Sie kam als Teetasse. Die Teetasse verhalf ihr zur endgültigen Exzentrik, weshalb sie angeblich stets eine lila Teetasse mit sich führt. Die Teetasse erfuhr ein solch großes Medienecho, dass man jetzt Genaueres über die Sängerin wissen wollte: "Sie hat zwar keinen Namen, ist aber inzwischen ganz schön berühmt."

Lady Gaga ist das Pop-Phänomen eines neuen Jahrtausends. Sie ist eine Teetasse oder eine singende Weihnachtskugel, jedenfalls eine augenfällige Kreation, etwas Neues, etwas Ungesehenes, so out of space, dass sie schon ...

Dass die islamische Welt vor enormen Herausforderungen steht - wer wollte es bestreiten?Der Übergang zur Moderne gestaltet sich schwierig. In arabischen Ländern herrschen Autokratie und Patriarchalismus, hinzu kommen die Verwerfungen westöstlicher Konfrontationen. Diejenigen, die den Islam für ihre Interessen vereinnahmen, spielen dabei eine unrühmliche Rolle. Der politische Islam floriert, und das tut zugleich der Materialismus, der auch in den islamischen Ländern überall in Form zahlreicher Shoppingmalls aus dem Boden schießt. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind deutlich markiert. Dies alles würde vermutlich niemand infrage stellen. Aber stimmt es auch, dass Der Untergang der islamischen Welt , wie der ...

Der Winter, das ist bei Ake Edwardson eine innere Jahreszeit. Mag draußen auf den Schären vor Göteborg oder in der urbanizacion "Nueva Andalucia" die Sonne strahlen - im Inneren seiner Ermittler herrschen Dunkelheit und Unsicherheit. Erik Winter, Edwardsons Kommissar seit mehr als zwanzig Lebensjahren, seelisch zum Korsett erstarrt in der Vorstellung, "am lebendigsten zu sein, wenn er sich mit dem Tod beschäftigt", zerbricht. Am Ende einer langen Reise durch die Winternacht steht er an einem andalusischen Swimmingpool und sieht tatenlos dem Ringkampf zweier Männer zu, die ineinander verkrallt im blauen Wasser ertrinken. Und begreift: "Ich kann nie mehr zurückgehen."Zurück, d ...

Also los. Wolfgang Herrndorf nimmt uns mit auf eine Irrfahrt, auf die total chaotische Reise zweier Vierzehnjähriger mit gestohlenem Auto, zweihundert Euro Barem und dem fantastischen Ziel Walachei, von dem der eine der beiden glaubt, das gebe es gar nicht, und der andere, er stamme da irgendwie her. Aber ehe man sich auf die grandiose Orientierungslosigkeit des Wohlstandsknaben Maik und seines Kumpels Tschick (wie Tschichaschow) einlassen kann, hat einem der Umschlag des Buches schon zwei literarische Wegmarken gesteckt: "Unvergesslich wie die Flussfahrt von Tom Sawyer und Huck Finn", versichert uns der Verlag und zitiert den Rezensenten eines früheren Herrndorf-Buches, der ...

Für den Boulevardjournalismus sind die Abenteuer von Italiens liebestollem Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ein steter Quell der Freude, und mancher mag gar bedauern, dass die saturnalische Herrschaft des "Cavaliere" offenbar dem Ende entgegentreibt. Doch der Schaden, den er und die Seinen der politischen Kultur Italiens zugefügt haben, ist immens. Einen besonders bizarren Aspekt beschreibt der Luzerner Historiker Aram Mattioli in dieser brillanten Studie: die Aufwertung des Faschismus.

Mattioli zeigt an vielen Beispielen präzise und eindringlich, wie Italiens Rechte Mussolinis Schreckensregime weiß wäscht. Dementsprechend wird die resistenza, der Widerstand, abgewertet oder lächerlich gemacht. Das alles geschieht längst nicht mehr in klandestinen Zirkeln, s ...

er Dschihadist, bevor er sich in die Luft sprengt, versenkt sich in Koranverse. Charlotte Corday, die Jean-Paul Marat in seiner Badewanne niederstach, kannte Voltaires Cäsar-Drama nahezu auswendig. Mark David Chapman, der Mörder von John Lennon, las kurz vor seiner Tat fiebrig in Salingers Fänger im Roggen . Ein glühender Büchernarr war auch Lee Harvey Oswald, der John Kennedy erschoss. Er las mit Eifer unter anderem: Verfall und Untergang des Römischen Reichs von Edward Gibbon, Hitlers Mein Kampf und eine Biografie über sein Opfer, den amerikanischen Präsidenten.

Der Attentäter sucht und findet in dem Schrifttum, das ihn umgibt, in Fernsehbildern oder ...

Wer fragt, wozu man den PEN-Club, die 1921 gegründete internationale Schriftstellervereinigung, eigentlich brauche, den weist man am besten auf das Komitee Writers in Prison hin, das jetzt fünfzig Jahre alt wird. Es hat seinen Sitz in London und rund siebzig Filialen in den nationalen PEN-Clubs. Sein Ziel besteht darin, nach Möglichkeit alle auf der ganzen Welt inhaftierten oder unterdrückten Schriftsteller und Journalisten namhaft zu machen, ihr Schicksal zu erkunden und öffentlichen Druck zu erzeugen. Jahr für Jahr sind es an die tausend Frauen und Männer, die allein deshalb, weil sie das Recht der Meinungsfreiheit beanspruchen, drangsaliert, gefoltert oder ermordet werden. D ...

Hamburg muss sich neu erfinden. Wer dieses Bedürfnis verspürt, aber nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, wird vielleicht für die folgenden Vorschläge empfänglich sein. Museumskunst wird oft als elitär empfunden, obwohl unsere Sammlungen spätestens seit dem Pop die Bilderwelt des Alltags integriert haben - eine Öffnung, die freilich auch als Profanierung beargwöhnt wird. Ist das alles Kunst?Diese Frage hat dazu geführt, dass die Kunstwissenschaft nach einem neuen Dachbegriff Ausschau hielt. Sie entdeckte ein Wort aus unserer Alltagssprache, das sich sowohl auf profane wie auf sakrale Kunstinhalte erstreckte: das "Bild". Dieses Wort hat eine Bandbreite, die alles abdeckt, die ...

Am ergiebigsten ist immer der Streit um Worte, die niemand gesagt hat. Was die Bild- Zeitung, sabbernd vor Begeisterung, schon als "bizarren Sex-Streit" zwischen der Feministin Alice Schwarzer und der Familienministerin Kristina Schröder annonciert, beruht auf der wechselseitigen Unterstellung von Positionen, die in Wahrheit keine von beiden eingenommen hat. In einem Interview mit dem Spiegel hat die Ministerin suggeriert, Alice Schwarzer habe in ihren Büchern die These vertreten, "dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne die Unterwerfung der Frau". Das wäre in der Tat eine These, die landläufiger Empirie nur schwer zugänglich ist. Man kann es Alice Schwarzer nicht ...

In den Glasvitrinen des tempelgleichen Literaturmuseums der Moderne in Marbach erfahren die Manuskripte der deutschen Literatur eine ungeahnte auratische Aufladung. Manuskript heißt aber auch: Was zählt, ist nicht das vollendete Werk, sondern seine irdische Genese, die Schlacke seiner Widersprüche, der es abgerungen wurde. Hier wird jeder Klassiker wie bei einem Röntgenbild bis auf sein Knochengerüst durchleuchtet. Von marmorner Größe bleibt nicht viel.

So ist es jetzt auch Ernst Jünger ergangen. Die Ausstellung Arbeiter am Abgrund setzt Maßstäbe dafür, was eine Literaturausstellung zur Erhellung eines Werkes leisten kann. Jünger ist im Kanon angekommen, aber auch historisiert: Man sieht dem Haltungskünstler bei ...

Auf dem Schulhof sind wir gefürchtet", sagt Max. Wenn sich ein Mitschüler mit dem Jungen anlegt, dann hat der nicht nur Max, sondern gleich noch drei weitere Kinder gegen sich. Denn Max ist ein Vierling - und wenn es drauf ankommt, halten er und seine Geschwister fest zusammen.

Am 10. November 1999 kamen sie zur Welt: drei Jungen und ein Mädchen. Zuerst Lukas, als Zweiter Maximilian, dann das Mädchen, Berfin, und zum Schluss Adrian. Weil ihr Vater Türke ist und ihre Mutter Deutsche, haben alle Kinder einen deutschen und einen türkischen Vornamen: Alper Lukas, Karahan Maximilian und Agahan Adrian. Berfin ...

In manchen Restaurants (der unteren Preisklasse) findet man sie noch, die Salzstreuer mit Reiskörnern drin. Angeblich, so die gängige Erklärung, zieht der Reis jene Feuchtigkeit an, die sonst im Salz landet und es verklumpen lässt.

Im Internet gibt es heiße Diskussionen darüber, ob das wirklich stimmt. Sie fangen schon bei der Frage an: Ist Salz überhaupt hygroskopisch, also wasseranziehend?Die Antwort lautet Ja und Nein - unterhalb einer bestimmten Luftfeuchtigkeit (der sogenannten Deliqueszenzfeuchte von etwa 75 Prozent) zieht Kochsalz kein Wasser an. Und die sollte in Restaurants eigentlich nicht erreicht werden. Allerdings enthält Haushaltssalz (Natriumchlorid) auch Spuren anderer Verbindungen wie ...