Inhaltsverzeichnis vom 28.10.2010

Heute geht es schon wieder um meinen Sohn. Bitte sehen Sie mir das nach. Ich habe keineswegs vor, einen Rückzug in die neue Innerlichkeit anzutreten. Im Gegenteil: Manchmal kreuzen sich seine Schritte eben mit dem Lauf der Weltgeschichte.

Vor zwei Tagen fuhren wir mit der S-Bahn in die Berliner Wuhlheide, zum alten Pionierpalast. Dort fährt noch immer die Pioniereisenbahn, auch wenn sie heute anders heißt. Mein Sohn liebt Eisenbahnen. Das ist wenig überraschend. Überraschend ist allenfalls, mit welcher Hingabe auch wir uns nun diesem Thema widmen. Jeden Abend lesen wir Eltern ihm aus einem seiner, sagen wir 58, Eisenbahnbücher vor. D ...

Michael Czupallas Auftritt beginnt erst nach der Show. Eben stand der Landrat noch auf der Bühne des Berliner Friedrichstadtpalastes, wo er den Medienpreis Goldene Henne in der Kategorie Charity verliehen hat. Doch richtig wohl fühlt er sich erst ohne Scheinwerfer, zwischen den Unternehmern und Prominenten auf der Aftershow-Party. Sein graues Haar ist wie stets glatt nach hinten gekämmt, sein Schnauzer getrimmt, sein Einstecktuch lugt knitterfrei aus der Jacketttasche. Mal bleibt er bei einem Grüppchen stehen, schüttelt die Hand der Schauspielerin Simone Thomalla, spricht mit Geschäftsleuten. Vielleicht ergibt sich ja etwas für den Landkreis.

Den Abend in Berlin nutzt er aber ...

Wer sie zweimal auf der Leinwand erlebt hat, wird sie nie mehr vergessen, schrieb ein Kritiker zu Recht. Von der City-Nomadin im Labyrinth trostloser Romanzen bis zur sinnlichen Plaudertasche in Ferienlaune - mit Haut und Haar schlüpft sie in die unterschiedlichsten Rollen. Wenn man den autobiografischen Zügen in ihrem Werk glauben kann, resultiert diese Lust am Ausprobieren fremder Identitäten aus einer äußerlich behüteten, innerlich als schwierig empfundenen Kindheit - die sie im Spiel einfach ausblenden kann. Etwa das Privileg, im Luxus aufgewachsen zu sein, was ihr wohl lange extrem peinlich war. Der als traumatisch erlebte Wegzug aus dem Land und ...

Wolfgang Schmidbauer ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten. Die Fragen dieser Kolumne werden in seinem neuen Buch "Paartherapie: Konflikte verstehen, Lösungen finden" vertieft, das beim Gütersloher Verlagshaus erschienen ist.

Lisa und Günter sind zusammengezogen. Lisa hat eine Tochter, und Günter hat aus einer anderen Ehe einen Sohn, der jedes Wochenende zu Besuch ist. Lisa bewundert Günter, weil er - anders als der Erzeuger ihrer Tochter - ein fürsorglicher Vater ist, dem der Kontakt zu seinem Sohn wichtig ist. Aber während Lisas Tochter ihren Stiefvater anhimmelt, ärgert sich Lisa immer wieder über die Frechheiten von Tobias, Günters elfjährigem Sohn. Tobias gibt ...

Die Kreuzung Oranienstraße und Adalbertstraße ist typisches Kreuzberg, mit einer Mischung aus Jungvolk und türkischen Teestuben. Das ums Eck in der Adalbertstraße gelegene Bistro Hasir dagegen könnte in jeder Metropole sein. Zu den Essenszeiten ist es brechend voll, die Wände sind mit Fotos geradezu tapeziert. Kellner sind ausschließlich Männer mit der Physis von Möbelpackern, was der turbulente Betrieb offenbar erfordert.

Die Gäste sind vor allem laut. Sie waren es jedenfalls an jenem Mittag, als wir uns dort mit der 19-jährigen Autorin Melda Akbas trafen. Sie sieht fast noch aus wie ein Kind, ist aber bereits Autorin eines Buches, das im ...

Damals, in der Oberstufe, beneidete ich heimlich die Jungs, die nachmittags an ihren Autos bastelten. Sie wussten genau, welche Kabel zu verlegen waren, wenn Subwoofer im Kofferraum installiert werden sollten. Sie begriffen sofort, an welchen Schrauben zu drehen war, um die abgefahrenen Sommerreifen gegen Ultra-High-Performance-Slicks auszutauschen. Ihre mit Werkzeugen aller Art gefüllte Garage glich einer Filiale von Auto-Teile-Unger, während ich selbst es gerade noch schaffte, einen Platten am Fahrrad zu flicken. Und als ob ihre handwerkliche Raffinesse nicht schon respektabel genug gewesen wäre, hatten manche von ihnen auch noch Schlag bei den Mädchen.

Jetzt gibt es ein Auto, das genauso ...

Frau Jovovich, vor zehn Jahren haben Sie uns hier in Berlin schon einmal ein Interview gegeben. Der Film "Million Dollar Hotel" von Wim Wenders, in dem Sie die Hauptrolle spielten, lief damals gerade auf der Berlinale. Nach dem Interview haben Sie sich für uns mit einer kleinen Digitalkamera selbst fotografiert. Erinnern Sie sich?

( Jovovich nimmt die Abzüge von damals in die Hand und betrachtet sie lange) Oh, süß!Da war ich ganz schön jung.

Würden Sie sich noch mal für uns fotografieren?

Klar, das mache ich gern.

(Sie nimmt die Kamera, streckt den Arm weit nach oben und fotografiert ...

Herr Carson, erinnern Sie sich an die Ausgabe, die Sie 1996 für uns gestalteten?

Ja, natürlich. Es kommt mir vor, als wäre das gar nicht lange her. Wir hatten nur wenige Tage Zeit. Es gab natürlich irgendwelche Probleme mit den Computern, und dass ich kein Deutsch konnte, machte die Sache nicht einfacher. Ich bin nachts gar nicht erst ins Hotel gegangen, sondern habe in der Redaktion auf der Krankenpritsche geschlafen. Aber ich war zufrieden mit dem Ergebnis, wenn es auch am Ende ein eher konservatives Layout war.

Konservativ?Wir bekamen viel Post von wütenden Lesern, die sich beklagten, man könne ...

Ich habe häufig das Gefühl, nicht genug Zeit zu haben. Es gibt eine Liste, in meinem Kalender und in meinem Kopf, die abgearbeitet werden will, Tag für Tag. Und egal was ich tue, wie sehr ich mich bemühe, die Liste wird nicht kürzer. Wenn ich etwas erledigt habe, steht an der Stelle sofort wieder etwas Neues. Mein Leben erscheint mir dann voller Verpflichtungen, ich fühle mich überfordert und denke, nur diese Liste hält mich davon ab, glücklich zu sein. Erst wenn ich jeden Punkt der Liste abgehakt habe, wird alles leicht und unbeschwert sein. In solchen Momenten träume ich davon, v ...

Am 9. November 2009 gedenkt das ganze Land, nein, die ganze Welt des Mauerfalls. Angela Merkel, Gordon Brown, Nicolas Sarkozy, Dmitrij Medwedjew und Hillary Clinton spazieren stolz durchs Brandenburger Tor, als wären sie selbst die Helden gewesen, die die Mauer zum Einsturz gebracht haben. Robert Enke notiert in sein Tagebuch: "Ziege Geburtstag", der Spitzname eines alten Freundes. Am nächsten Tag stellt er sich in der Nähe von Hannover einem Zug entgegen und beendet mit diesem Schritt auf die Gleise sein Leben. Robert Enke wurde 32 Jahre alt.

Elf Monate später, am 3. Oktober 2010, feiert das ganze Land den 20. J ...

Eine frühe Kindheitserinnerung von Hans-Peter Feldmann ist die, wie er fast zu Tode gekommen wäre. Er stand neben der Theke in der Drogerie seines Vaters in Hilden. Plötzlich ein Pfeifen in der Luft, der Vater schreit, sie werfen sich zu Boden. Ein infernalischer Knall. Alles bebt, von der Ladentheke fällt ein Glas mit Maggiwürfeln. Es springt auf, ein Würfel kullert auf den Jungen zu, der am Boden kauert. Der Würfel bleibt genau vor seinem Auge liegen. Noch heute sieht Hans-Peter Feldmann ihn vor sich.

Eine Fliegerbombe hatte das Nachbarhaus zerrissen. Feldmann ist 1941 geboren, unter dem Bombenteppich der Alliierten. Er ...

An einem Samstagnachmittag Ende September wird es in der Kurstadt Baden-Baden laut. "Lena!Lena!Leeenaaaaa!", ruft es von überall her. Etwa hundert Jugendliche drängeln, schieben und strecken die Hände aus nach ihrem Idol. Lena Meyer-Landrut kommt gerade von der Aufzeichnung eines Fernsehinterviews und muss eigentlich nur ein paar Meter vom Backstagebereich bis zu einem Kleinbus gehen, der sie ins Hotel bringen soll. Aber nichts geht mehr, zu viele Leute, zu viel Geschiebe und Gedrücke, Jugendliche, dazwischen Mütter, die längst die Kontrolle über ihre Kinder verloren haben. Und mittendrin: eine erschrockene Lena Meyer-Landrut, der Autogrammkarten und Kugelschreiber direkt vors Gesicht ...

Die Tarnfärbung, auch Mimese genannt, wird hauptsächlich im Tierreich gepflegt. Das Chamäleon ist der prominenteste Vertreter jener Lebewesen, die fähig sind, blitzschnell die Farbe ihres Hintergrundes anzunehmen, sich somit unsichtbar und unangreifbar zu machen. Aber auch die Krabbenspinne und die Scholle bringen es zu hoher Kunst. Macht es sich die Krabbenspinne auf einer Sumpfdotterblume bequem, ist sie ruck, zuck dottergelb. Wechselt sie auf die weißen Blüten der Zaunwinde, wird sie weiß. Die Scholle wiederum passt sich farblich einem sandigen Meeresboden so perfekt an wie einem Untergrund aus Kieselsteinen.

Im Menschenreich ist die Anwendung der Tarnfärbmethode allerdings problematisch, wie sich am ...

Harald Martensteins neues Buch "Gefühlte Nähe. Roman in 23 Paarungen" ist bei C. Bertelsmann erschienen.

Jeden Tag lese ich in der Zeitung, dass es gerechter zugehen soll. Alle sind für Gerechtigkeit. Da ich als Pflichtverteidiger gerne die schwierigen Fälle übernehme, die Männer, die Reichen, die Anhänger von Frontalunterricht, weil ich Partei nehme für die Verspotteten, Ungeliebten und Gedemütigten, weil ich denen meine Stimme leihe, für die sonst keiner wagt, in den Medien die Stimme zu erheben, halte ich ein Plädoyer für die Ungerechtigkeit.

Ich bekomme hin und wieder Strafmandate, meist, weil ich falsch parke. Jedes Mal, wenn ich ein Strafmandat ...

Mit fünf Pfund und etwas Seifenflocken, so die Firmenchronik, begann die Kosmetikkette Lush 1995 im englischen Poole. Heute macht man nach eigenen Angaben 215 Millionen Pfund Umsatz und hat Filialen in über vierzig Ländern. Gründer Mark Constantine gehört zu den reichsten Briten.

Mit tierversuchsfreier Seife, striktem Umweltschutz und der Philosophie "We Believe in a Lush Life" ("Wir glauben an ein üppiges Leben") vermarktet sich die Kosmetikkette als ethisches Unternehmen. Auf der letztjährigen Basler Natur-Messe gewann Lush, das in der Schweiz zwölf Filialen betreibt, den Preis als umweltfreundlichster Aussteller. In einem YouTube-Spot singen strahlende Mitarbeiterinnen, intern Lushinas genannt: "We believe in ...

Am 2. Dezember wird Fifa-Präsident Joseph S. Blatter in Zürich verkünden, wer den 5-Milliarden-Franken-Anlass WM-Endrunde in seinem Land einplanen darf. Damit endet eine Kampagne, die ihresgleichen sucht. Diesen Showdown verdankt man dem Fifa-Generalsekretär. Jérôme Valcke hatte die Idee, gleich zwei Vergaben in einem Meeting des Exekutivkomitees (ExCo) geheim entscheiden zu lassen. Eine erhöhte Planungssicherheit hat er als Motiv vorgebracht. Das ergibt wenig Sinn. Wer kann heute schon mit Bestimmtheit sagen, wer 2022 einen guten Gastgeber abgeben könnte?Wie viele Finanzkrisen werden bis dahin noch kommen?

Im ExCo hat sich niemand gegen Valckes Idee gesträubt. Weshalb auch?Es gibt einigen älteren ...

Am 6. Dezember 2009 ließ Michael Haefliger der Sonntagszeitung ausrichten: "Die Herkunft des Geldes ist über alle Zweifel erhaben."Das Blatt hatte zwei Jahre nach der Ankündigung des Lucerne-Festival-Intendanten, den Konzertsaal Salle Modulable realisieren zu wollen, den Namen des anonymen Spenders aufgedeckt. Es handelte sich um Christof Engelhorn. Der mittlerweile verstorbene Kulturmäzen versprach Haefliger 120 Millionen Franken für den Hightechsaal.

Engelhorn stammt aus der gleichnamigen deutschen Pharma-Dynastie. Alleine mit dem Verkauf der Firma Boehringer Mannheim an den Roche-Konzern im Jahre 1997 verdienten die Engelhorns 16 Milliarden D-Mark. Geparkt wurde das Geld steueroptimiert in einem Trust auf den Bermudas. "An dem ...

Das Online-Factbook des amerikanischen Geheimdienstes CIA 2010 stellt unser Land so vor: "Die Schweiz ist eine friedliche, prosperierende und stabile moderne Marktwirtschaft mit niedriger Arbeitslosigkeit, hoch qualifizierten Arbeitskräften und einem der größten Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukte weltweit."

Und die Weltbank hält die Schweiz sogar für das reichste Land der Welt, wenn der hohe Bildungsstand und die erhaltene Umwelt einbezogen werden. Das ist ja erfreulich. Diese Realität hat aber eine Kehrseite. Und viel hängt davon ab, ob wir in der Schweiz bereit sind, diese andere Seite wahrzunehmen.

Dazu gehört die einfache Tatsache, dass in der Schweiz nur drei Prozent der privaten Steuerpflichtigen gleich viel ...

Im Album meiner Mutter fand ich das alte Foto, aufgenommen Ende der vierziger Jahre. Es zeigt meine Tante Marianne mit ihren Kindern Brigitte und Herbert, die - wie viele Deutsche damals - 1950 nach Australien ausgewandert sind. Nach dem frühen Tod meiner Tante war der Kontakt zu den Verwandten 1960 abgebrochen - Brigitte und Herbert hatten ihre Muttersprache verloren. Neugierig geworden, recherchierte ich - fast 50 Jahre später - im Internet, und es grenzte für mich an ein Wunder, dass ich Herbert tatsächlich fand. Sofort telefonierte ich mit ihm, und ein regelmäßiger E-Mail-Kontakt begann, der in einen Deutschland-Besuch mit Spurensuche ...

Ein Oktoberwochenende in Paris, um gemeinsam mit Läuferinnen und Läufern meines Lauftreffs bei sommerlichen Temperaturen an den 20 km de Paris teilzunehmen. Start und Ziel direkt am Eiffelturm. Da verschmerzt man sogar den Klassiker: Diebstahl des Portemonnaies in der Metro.

Fred Gieschen, Wilstedt, Niedersachsen

Einmal im Jahr wird Baden-Baden, dieser Ort der Ruhe, der Schönheit und der kurenden Menschen, so richtig wach: im Oktober, wenn der kleine Blues-Club seine Saison eröffnet. Dann gehe ich am Wochenende in die Kneipe und höre Musik, laut und gut. Die Musik bleibt in meinem Ohr, und der Montag danach ist immer schöner als sonst. S ...

Als ich vor zwei Wochen auf dieser Seite las, wie es Herrn B. aus Österreich auf der deutschen Autobahn ergangen ist, fragte ich mich zuerst, ob die Redaktion diese Zeilen getürkt hat, um die Österreicher zu veralbern. Oder ob sie tatsächlich von einem österreichischen Leser im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfasst wurden. Ich nehme an, dass Letzteres der Fall ist. Es ist lobenswert, dass Sie auch Briefe von Sonderlingen veröffentlichen.

Aber ich hoffe sehr, dass diese Fahrt von Herrn B. die erste und letzte unter Benutzung der deutschen Autobahnen war. Denn dieser Mann ist gemeingefährlich!

Wenn schnelle Fortbewegung ihm "die ...

Nach drei Stunden Warten bewegt sich der Bus endlich vom Fleck. Zwei Minuten später allerdings stirbt der Motor ab. Der Fahrer öffnet die Klappe im Boden neben seinem Sitz und guckt verzweifelt ins Getriebe. Schließlich steigen alle in einen anderen Bus, der eilig aus dem Depot herbeigebracht worden ist. Ein zerfleddertes Ding!Die Verkleidung klafft mir offen entgegen. Bei jedem Schlagloch und jeder Bewegung meines Vordersitznachbarn scheppert und knirscht der angeknackste Boden und biegt sich unter meinen Füßen nach oben. Der Fahrer rast wie ein Besessener. Ich habe böse Visionen: sich überschlagen, umkippen, mit der ganzen Kiste durch die Luft ...

Dieser Artikel macht den Gesamtzusammenhang überdeutlich und lässt die Umbrüche erahnen, vor denen wir in nächster Zeit stehen. Die Bürger werden in Zukunft noch mehr gefragt sein.

Wolfgang Pleuger, Lüdenscheid

Warum haben wir "die Nase voll"?Weil die Politik über Planungsgesetze, die Verwaltung und die darüber urteilenden Gerichte ohne Rücksicht auf Bürger- und Naturbelange immer zugunsten des Projekts entscheiden. Weil zu solchen Projekten immer wieder kritische Elemente der Planung entweder verschwiegen oder schöngerechnet werden.

Weil führende Stellen in der öffentlichen Verwaltung mehr nach Parteibuch und nicht nach Qualifikation besetzt werden.

Klaus Roth-Stielow, Richter am OLG a. D., Balingen-Frommern

Ach, die Klischees!I ...

.. und Ihr Gewinn.

Schon mal überlegt, wer Ihr Vorbild ist?Von Luther bis Lena, von Obama bis Opa, von Gottlieb Daimler bis Jack Welch reichen die Antworten. Jedes Vorbild kann eine Tür zu neuen Möglichkeiten öffnen. Wer seine persönlichen Werte aufspüren will oder in kniffligen Situationen souverän handeln möchte, der kann sich von seinem Vorbild inspirieren lassen.

Aber wie können Sie diese Erkenntnis für Ihr Arbeitsleben nutzen?Schreiben Sie auf, was Sie an Ihrem Vorbild bewundern. Welche Glanztaten, welche Eigenschaften verbinden Sie mit ihm?Ich verspreche Ihnen: Alles, was Ihnen an einem anderen imponiert - ob an Gandhi ...

Enzyme also. Claudia Feller lächelt; das dem Laien zu erklären ist eine ihrer leichtesten Übungen. "Enzyme", sagt sie, "sind gefaltete Eiweißketten und für fast alle Reaktionen in der Natur verantwortlich."Der Mensch nutze sie seit Langem auch für die industrielle Produktion: Enzyme sind am Werk, wenn Grasflecken aus verschmutzter Wäsche verschwinden oder neue Medikamente entwickelt werden. Wenn Feller all das anschaulich machen will, verlässt sie ihr Büro und geht hinüber in das Produktionslabor. Dort liegt ein leichter Geruch von Hefe in der Luft; man meint, in einer Backstube oder Brauerei zu stehen. Schläuche schlängeln sich um zwei große Bottiche, darin ...

Dass Bachelor im Englischen schlicht Junggeselle heißt, also einen Mann bezeichnet, den bislang keine Frau haben wollte, ist im Reformzirkus um den Bologna-Prozess die wohl treffendste Wortwahl gewesen. Denn auch den gleichnamigen Studiengang scheint niemand zu wollen. Früher nicht die Studenten, die aus Furcht vor dem Abschluss tausendfach auf die Straße gingen. Heute nicht die Regierung des Freistaats Sachsen, welche beschlossen hat, neben Bachelor und Master auch das gute alte Staatsexamen für Lehramtsstudenten wieder einzuführen. Und das nur drei Monate nach der Wiedereinführung eines guten alten Diplomstudiengangs für Ingenieure. Das gute Alte hat Konjunktur im Freistaat. Und hört man die ...

Vor etwa hundert Jahren, als in Deutschland noch ein Kaiser regierte, brauchte man viel Geduld, um an einer deutschen Universität eine studierende Frau zu finden. Ein Studium aufzunehmen war lange Zeit Männern vorbehalten. Auch nachdem Frauen sich offiziell an den Unis einschreiben konnten, blieb ihr Anteil dort weit hinter ihrem Anteil an der Bevölkerung zurück. Diese Zeiten sind vorbei, könnte man denken. Gut die Hälfte der Studenten ist heute weiblich.

Das Problem ist nur: In manchen Fächern studieren bis heute fast nur Männer. Ob im Wirtschaftsingenieurwesen, in der Informatik oder in den Naturwissenschaften: Statistiken zufolge sind in diesen Studiengängen immer ...

DIE ZEIT: Herr Kereselidze, Sie sind einer der Erfinder des georgischen Jura-Bachelors und kennen Deutschland gut. Können Sie die Angst der deutschen Juristen vor dem Bachelor verstehen?

David Kereselidze: Verstehen kann ich sie. Die Menschen in Deutschland sind eben an das alte Modell gewöhnt.

ZEIT: Aber können Sie die Argumente der Reformgegner auch nachvollziehen?

Kereselidze: Nein, das kann ich nicht. Wir haben in Georgien einen Bachelor und Master für Juristen eingeführt, der gerade in Deutschland gut funktionieren würden. Kritisiert wird bei Ihnen in Deutschland oft der Bachelor, wie man ihn aus Österreich kennt. Dort erwerben Studenten pro forma einen Bachelorabschluss, d ...

Eigentlich wollte Hendrik Wolter Medienwissenschaften oder Psychologie studieren. Aber als er das Gymnasium mit einer Abiturnote von 2,8 verließ, hat er den Traum von einem Platz in einem dieser umkämpften Studiengänge gleich wieder beerdigt. Er bewarb sich für andere Fächer, unter anderem für BWL. Insgesamt 14 Bewerbungen verschickte er, nach Osnabrück, Lüneburg, Erfurt, Halle und sogar an die Jade-Hochschule Wilhelmshaven, von der er bis dahin noch nie gehört hatte. Eine Absage nach der anderen fand er in seinem Briefkasten, immer scheiterte er am Numerus clausus. Dann erreichte ihn ein Schreiben der Leuphana Universität Lüneburg, eine Einladung zu einem Studierfähigkeitstest. E ...

Auf die Frage: "Entschuldigen Sie bitte, wo geht′s denn hier zur Universität?", reagiert die ältere Dame auf dem Bahnhofsvorplatz verdutzt. Sie schaut erst nach links, dann nach rechts, legt den Finger auf den Mund, grübelt. "Ich weiß nicht", sagt sie. "Das ist eine schwierige Frage."Spätestens zehn Minuten nach der Ankunft in Lund, der Stadt im Süden Schwedens, wird einem klar, dass es keine schwierige Frage war, sondern eine bescheuerte. Denn in Lund gibt es keine Universität. Lund ist eine Universität. 100000 Menschen wohnen hier, gut 50000 davon sind Studenten oder Angestellte der Universität.

In der Altstadt reihen sich ...

Bei der Wahl des richtigen Master- oder Promotionsstudiengangs hilft das ExcellenceRanking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) - denn die gemeinsame Denkfabrik der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz hat europaweit herausragende Fachbereiche identifiziert und geprüft. Nach Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Psychologie im vergangenen Jahr stehen 2010 nun Biologie, Chemie, Mathematik und Physik im Fokus - wie bereits 2007.

Insgesamt hat das CHE 130 Hochschulen ausgemacht, die zumindest in einem der vier Fächer exzellent sind. In der Tabelle auf dieser Seite aufgeführt sind nur Hochschulen mit drei oder vier exzellenten Fächern. Innerhalb der jeweiligen Gruppe (drei oder vier Exzellenzfächer) sind die Hochschulen alphabetisch ...

DIE ZEIT: Frau Tobien, Sie haben im vergangenen Jahr die ganze Welt bereist, um den Vollmond zu filmen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Nina Tobien: Ich hatte sie eines Nachts, als ich zu Hause in Frankfurt aus dem Fenster sah und dachte: Es wäre schön, einmal ununterbrochen Vollmond zu haben, ihm gewissermaßen hinterherzureisen. Aber dann kam ich darauf, dass das gar nicht geht.

ZEIT: Warum nicht?

Tobien: Vollmond gibt es nur einmal im Monat. Weil sich der Mond um die Erde bewegt und die Sonne fix ist, stellt sich der Mond für uns verschieden dar. Steht er zwischen ...

Wenn man deutschen Politikern heute zuhört, scheint Politik ohne Gott unmöglich. Eben hat die Kanzlerin dazu aufgerufen, mehr Christentum zu wagen. Davor behauptete der Bundespräsident, unsere Republik fuße auf einer "jüdisch-christlichen Tradition", die mit dem Islam gut vereinbar sei. Auch die Sozialdemokratie wird immer frommer: In Bremen ist es normal, dass der sozialdemokratische Bürgerschaftspräsident seine Fraktion zur Teilnahme am Gottesdienst auffordert, ja öffentlich betet.

Diese schleichende Rechristianisierung der Politik läuft unserer Verfassung zuwider. Ein weltanschaulich neutraler Staat muss zwischen religiösen Fragen einerseits, ethischen Fragen andererseits präzise unterscheiden. Erinnert sich noch jemand, dass die Demokratie gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen ...

Der Ablass ist seit alters und bis auf den heutigen Tag in der katholischen Kirche ein Mittel, dem Schuldbeladenen, dem die Angst vor den Sündenstrafen eingepflanzt wurde, Erleichterung zu versprechen. Gerade wegen Luthers heftiger Reaktion auf den Ablasshandel darf man vorm Reformationsfest erwähnen: Das Erlassen zeitlicher Sündenstrafen durch die Kirche gibt es immer noch!

Im Codex Iuris Canonici heißt es: "Ablass ist der Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet."Das ...

Ein Publikum, das die Fäuste ballt, mitgerissen von kompromissloser Kritik: Davon träumen Kabarettisten - die meisten vergeblich. Nur dem Sänger Thomas Pigor und seinem Pianisten Benedikt Eichhorn gelingt es derzeit, in jeder Vorstellung vorrevolutionären Aufruhr zu schüren, ob in der Kölner Comedia oder beim Heimspiel in der Berliner Bar Jeder Vernunft. Dabei zielt ihr folgenreichster Hit nicht mal billig auf Untertanenreflexe, sein Adressat ist der User von Hightech-Endgeräten. Dessen Wut über "verfluchte Upgrades", das "bekloppte Aufploppen von Pop-up-Fenstern" und "nie, nie!" kompatible Adapterkabel schüren die Erfinder des "Salon Hip-Hop" mit einer derart rasanten Rap-Tirade, dass er gar nicht mehr ...

Neulich gab es bei unserer himmlischen Deutschen Bahn mal wieder einen großen Tumult. Es fehlte im IC315 der Wagen Nummer 7, und als sich die Zugestiegenen wechselseitig auf die Füße traten, sagte der Schaffner mit Engelsgeduld, in seinem Zug sei leider kein Platz für alle Menschen. Da gab es großen Aufruhr, aber gab es ihn auch zu Recht?Hat der Schaffner nicht etwas sehr Wahres und Gültiges gesagt?Sind wir auf diesem Planeten nicht überhaupt zu viele Menschen?Gerade hat die Süddeutsche Zeitung ausgerechnet, dass die Menschheit sich in naher Zukunft eine Ersatzerde suchen müsse, weil dann der Gabentisch von ...

Von Carlos, dem legendären Terroristen, der für die Palästinensische Befreiungsfront bombte, aber auch Geheimdiensten des Ostblocks gerne zu Diensten war, der hundert Tote auf die eigene Kappe nahm und 1500 auf das Konto seiner Organisation buchte (so noch kürzlich in einem Interview mit dem stern ), war lange Zeit wenig mehr als eine Sonnenbrille bekannt, eine große, runde Sonnenbrille über weichlich verschwimmenden Zügen. Gab es Carlos überhaupt?Als Phantom des Schreckens war Carlos im ausgehenden 20. Jahrhundert, was Osama bin Laden für das beginnende 21. wurde, eine Fahndungsaufgabe für Militär und Agenten, aber vielleicht auch eine Ausrede für mörderische Machinationen ...

Felix schaut über ein Meer von Bäumen, das sich bis zu den sanften Hügeln am Horizont ausdehnt. Selbst jetzt, im harten Licht des Südwinters, wirkt Johannesburg grün und üppig wie eine europäische Gartenstadt. Aber Felix, dessen Villa auf einer Felsenkette über der Ebene thront, erblickt etwas ganz anderes, Unheimliches, Bedrohliches, das wie durch die Membran eines Schlangeneis hindurchscheint: Steinzertrümmerungsmaschinen, endlose Abraumhalden, rostige Fördertürme. Dazwischen erheben sich die protzigen Paläste der Randlords, der weißen Bergbaumagnaten, die ihren Reichtum der Knochenarbeit schwarzer Lohnsklaven verdanken. Er sieht jenseits des schönen Scheins das wahre Johannesburg: Egoli, die Stadt des Goldes.

Felix Teitlebaum ist eine ...

Das Panoramamuseum in Bad Frankenhausen ist das bequemste Museum der Welt. Erstens findet man überall Sitzpolster, und zweitens gibt es nur ein einziges Bild. Aber was für eins! 123 Meter lang, 14 Meter hoch spannt es sich zu einer gewaltigen Rotunde, zeigt in leuchtenden Farben eine ganze Welt, eine ganze Epoche, und man selber sitzt verloren im Dunkeln, sucht Anfang und Ende. Zuerst fällt der Blick auf die gigantische Schlacht, die unter einem Frühlingshimmel tobt. Tausende von Bauern und Bürger kämpfen gegen das Söldnerheer der Fürsten, ein Regenbogen spannt sich über die thüringischen Hügel, und mittendrin steht Thomas Müntzer. Einsam ...

Wie feiert man als Auktionator sein 50. Berufsjubiläum?Ernst Nolte, Chef des Hamburger Auktionshauses Hauswedell & Nolte, begeht es mit der Versteigerung eines sensationellen Fundes. Gleich zwei große Fontane-Konvolute werden am 23. und 24. November in seinem Haus zum Aufruf kommen. Beide sind für die Fontane-Rezeption, aber auch als eigenständige literarische Werke, hoch bedeutend. Beide galten jahrzehntelang als verschollen, nun tauchen sie gleichzeitig wieder aus der Versenkung auf. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um 56 Briefe und Postkarten mit insgesamt 125 Seiten, die der Dichter an den Journalisten Fritz Mauthner in Berlin schrieb. Den 1880 erschienenen Gesellschaftsroman L′Adultera ...

Bühnennebel begleitet das Konzert des Trompeters Arve Henriksen mit den beiden Live-Sampling-Künstlern Jan Bang und Erik Honoré beim enjoy-jazz-Festival als Bühnenbild und optischer Kommentar. Es begann mit zarten Nebelschlieren zu den ersten zarten Linien, die Arve Henriksen seiner Trompete entlockte. Henriksen sitzt in der Mitte, umrahmt von den technischen Apparaten seiner beiden Gefährten auf einer engen Clubbühne, und ist der Drehpunkt, um den die Musik kreist, der das Publikum in den folgenden anderthalb Stunden beim Entstehen zuschaut.

Die Töne, die Henriksen auf seiner Trompete spielt oder in das Mikrofon singt, sind das Rohmaterial, aus dem Bang und Honoré mit ihren ...

Gerade eben glaubten wir noch, man solle die deutschen Kunst- und Kulturgüter an die muslimischen Gemeinden übergeben; die würden mit ihnen im Bewusstsein des Triumphes - "Das alles gehört jetzt uns!" - pfleglicher umgehen als die machterigierten Politpornografen vom Schlage des Thüringer Kultusministers Matschie oder eines Hamburger Kultursenators namens Stuth.

Nun aber wird man geradezu expressionistisch bewegt durch die Tatsache, dass Repräsentanten des Landes Hessen, der Städte und Landkreise aus dem Rhein-Main-Gebiet zwei Euro pro Einwohner plus eine Million vom Land in einen Kulturfonds einlegten, um einen wesentlichen Bestand der regionalen Kunst- und Kulturgeschichte zu vergegenwärtigen. Eines der Resultate ...

Unter einem Samurai stellt man sich einen Mann vor, neben dem John Wayne wie ein Warmduscher aussieht. Man denkt an jemanden, der jederzeit bereit ist, sein Leben hinzugeben - für den Lehnsherrn, den Clan, die Ehre. Bushido, der Weg des Kriegers, liegt im Sterben, heißt es im Buch des Samurai, einer Sammlung von Lebensweisheiten, ethischen Leitlinien und Parabeln aus dem 18. Jahrhundert, die ihre Spur nicht nur durch die japanische Kultur zieht, sondern auch die Kunst, das Kino und den Pop im Westen infiziert hat. Eine blutige Philosophie scheint das zu sein. Die Cover in der DVD-Box Samurai Legends geben ...

"Das ist Seide", sagt die Enkeltochter, "richtige Seide" und reicht der Großmutter, die auf Stoffqualität sichtlich großen Wert legt und in jeder Filmszene feste, vermutlich anspruchsvoll zu bügelnde Leinenblusen trägt, ein Kleidungsstück. Die beiden Frauen sitzen an einem kleinen Tisch. Er steht vor dem Fenster des Hauses, in dem Swetlana Geier am Rand von Freiburg lebt. An diesem Tisch diktiert sie vormittags einer Mitarbeiterin ihre Übersetzungen russischer Literatur; in den vergangenen zwei Jahrzehnten Tausende von Seiten der Romane Fjodor Dostojewskis.

Aber jetzt liegt keiner der fünf gewichtigen Dostojewski-Romane, keiner der "5 Elefanten" in ihrem Schoß, sondern das geblümte Kleidungsstück der ...

Ping. Plong. Polit Pilot, das erste Stück auf der CD, beginnt wie ein Spiel. Pling: ein weites Intervall von der Gitarre - plong: ein Schnalzgeräusch von der Bassklarinette; Gitarre, Bassklarinette, hin und her. Und wieder zurück. Ein Spiel ohne Grenzen, jenseits der überlieferten Regeln von Jazz und Rock, strenger Komposition und freier Improvisation und deshalb umso stärker angewiesen auf ein feines Gehör und die Disziplin der Musiker.

Fast unmerklich verändert sich das Zusammenspiel: Die Intervalle lösen sich auf in einzelne Töne, das Schnalzen zieht Schlieren, kleine rhythmische Inseln entstehen im Fluss, und von ganz hinten schleicht sich ein Schlagzeug in ...

Den ersten Akkord - mehr braucht es nicht, um Neil Young zu erkennen. Auch sein neues Album Le Noise steigt ein, wie man es seit bald 50 Jahren vom Kanadier gewohnt ist: ein sechssaitiges Grollen, die düster verzerrte Drohung, dass kommt, was man erwarten dürfe. Aber darf man das überhaupt im Popgeschäft - etwas erwarten?Ist Vorhersehbarkeit nicht der Feind jeder musikalischen Entwicklung?Nicht bei Young. Noch im Renteneintrittsalter reproduziert der ewige Rocker sein eigenes Werk wieder und wieder, ohne je saturiert zu wirken. Der Kanadier spielt die gleichen Riffs wie immer, sphärische Metaphern des Unbehausten zwischen Improvisation und Symphonie, d ...

Zuerst rasen Skalen gegeneinander, als hätte Conlon Nancarrow mit seinen Lochpapieren ein Cembalo gefüttert, dann hören wir Rezitative irgendwo zwischen Händel und Mozart, halb kann man schon Worte hören, halb ein Grinsen, als wäre alles Karikatur. Dann reicht′s, die Finger wollen Futter, in irrem Tempo kneten sie Akkorde, zwischendurch wird das akademische Gemüt mit Sonatenfragmenten sediert, am Ende kommen Harmonien wie bei Chopin in Sicht. Und das alles zerfällt nicht, es hat den Horizont des Genies. Diese Fantasia in e-Moll flatterte zwischen den Abschriften herum, die Wilhelm Friedemann Bach (1710 bis 1784) in Berlin hinterließ. So muss er improvisiert haben, d ...

Seit Menschengedenken herrscht unter Astronomen, Meteorologen, Reifenherstellern und Uhrenbesitzern Uneinigkeit, wann der Winter beginnt: wenn die Sonne ihren mittäglichen Tiefststand über dem Horizont hat, wenn der Dezember anbricht, wenn der erste Schnee fällt oder wenn die Uhren zurückgestellt werden?Bei Franz Schubert beginnt der Winter in Takt 29 eines Lieds mit dem Titel Gute Nacht. Ein Mann ist fremd eingezogen und zieht bald wieder aus, aus der Liebe wird nichts, die Welt ist trübe und "der Weg gehüllt in Schnee". Die Schritte sind Achtelnoten, die durch das ganze Lied pochen. Sie sind auch der Herzschlag des lyrischen Ichs, das 24 ...

Das eine Bild: Gewalt, Hunger, Elend, abgemagerte Kinder mit großen Augen. Das andere Bild: Trommeln, Tanz, Mythos, strahlende Kinder mit fröhlichen Augen. Es sind diese beiden Bilder, die den Blick aus der Ersten Welt auf Afrika bestimmen. Dazwischen, hat Asa festgestellt, ist kein Zentimeter Platz: "Man wird sofort in eine Schublade gesteckt."

Asa, 1982 geboren in Paris, aufgewachsen in Lagos, versucht Platz zu schaffen. Platz zwischen Frankreich und Nigeria, den beiden Ländern, zwischen denen sie heute ihre Zeit aufteilt. Platz zum Atmen, Platz zwischen den Vorurteilen aus den Fernsehnachrichten und den Klischees aus dem Dritte-Welt-Laden. Asa ist, und wenn sie ...

Es ist ein schmales Buch, es greift ein großes Thema auf. Der erste Roman einer jungen Autorin wagt sich an einen alten Schrecken, der tief in Körper und Geist verankert ist. Der Roman Vom Atmen unter Wasser von Lisa-Marie Dickreiter erzählt von dem größten anzunehmenden Unglück, das sich im Leben eines Menschen ereignen kann: wenn sich der Tod des Kindes vor dem eigenen ereignet, in diesem Fall ist es der Tod von Sarah, der Tochter von Anne und Jo, der Schwester von Simon. Sarah, sechzehn Jahre alt, ist ermordet worden. Welch ein Schmerz.

Trauer ist ein schwieriges Thema. Leidenschaft, Wut, E ...

Wer naiv ist, sieht die Welt nicht originell, er sieht sie intuitiv richtig. Irene Binz, Mutter des Schriftstellers Ronald Schernikau und auf 224 Seiten vom ersten bis zum letzten Satz, bis zum übelerregenden Schwindel für den Leser, naiv, sagt: "Also Demokratie ist, wenn keiner weiß, was los ist."Und dann sagt sie, die Frau, deren Leben von Politik bestimmt wurde, aber nicht nach ihr ausgerichtet werden wollte, bereits 1981 ins Diktiergerät ihres Sohnes, dessen Protokolle man im Nachlass fand: "Ich lebe in dem Bewusstsein, dass ich noch in fünfzig Jahren von irgendwem hören werde: Weihnachten in der Ostzone?Haben Sie ...

Adelsgeschichten aus dem ehemaligen deutschen Osten ziehen das deutsche Publikum an. Konservativ-liberale Haltung, stilvolle Naturnähe, Anpassung und Widerstand der Träger berühmter Namen, ihr überstürzter Abschied von der Heimat und die heroische Flucht - so konnte man es 2007 in einem ARD-Zweiteiler nacherleben. Herrensitze wie Kreisau, Külz, Militsch oder Steinort werden zu festen Erinnerungsorten, zu denen auch eine reiche Erinnerungsliteratur führt. Rudolf von Thaddens Trieglaff wird darin wohl einen ganz besonderen Platz einnehmen. Es ist kein Prachtband mit herzzerreißenden Bildern von verwehter Idylle und malerischem Verfall, sondern der Bravourritt eines versierten Historikers durch die Generationsgeschichte eines Rittergutes in Pommern.

In den ...

Aktueller kann eine Handreichung für Europas Regierungschefs und Beamtenriegen kaum sein. Paul Lendvai, der österreichische Publizist mit den Budapester Wurzeln, leuchtet das verdüsterte Innenleben der jungen ungarischen Demokratie aus. Und ihr populistischer Regierungschef Viktor Orbán wird vom 1. Januar an die Außenwelt zu beeindrucken suchen. Für seine EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2011 hat er sich ein "außerordentlich ambitiöses Programm" vorgenommen, so jedenfalls urteilt Kommissionspräsident Manuel Barroso. Dabei treibt die erst seit fünf Monaten amtierende nationalkonservative Regierung die von Orbán verheißene "Revolution" Ungarns bereits mit kompromissloser Dynamik voran. Mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament produziert sie Gesetze am laufenden Band, ändert die ...

Es ist schon gut, wenn man manches aufschiebt, denn dann hat man etwas für später. Zum Beispiel hatte ich noch nie eine Zeile von Wilhelm Raabe gelesen. Wilhelm Raabes Altershausen ist mein erstes Buch von diesem Autor gewesen. Fast am Anfang steht eine Passage, die mich für Raabe unendlich einnimmt. Zuvor muss ich erklären, dass es in Altershausen ums Alter geht: Da wird ein Mann, der Arzt und Geheimrat Friedrich Feyerabend, siebzig.

Er sagt sich selber, dass er noch nicht im Grabe liegt und noch nicht im Himmel vor seiner "Märtyrer-Ehrenhaut" steht. Und dann kommt die Passage, in der es ...

Kürzlich kam mit der Post ein Büchlein aus einem kleinen Verlag, das für mich inzwischen zu den Leseerlebnissen des Jahres zählt. Nie las ich eine Sammlung historischer Texte, die so unmittelbar zu uns Heutigen spricht. Ihre Autoren sind Leo Tolstoi, der Anarchist Elisée Reclus (1830 bis 1905), der Sozialreformer Magnus Schwantje (1877 bis 1959) und die Juristin Clara Wichmann (1885 bis 1920). Sie alle engagierten sich nebst ihren im weitesten Sinne sozialistischen Ideen auch für den Vegetarismus und generell ein Ende der Ausbeutung der Tiere durch die Menschen.

Dass der Tierrechtsgedanke überhaupt eine so lange Tradition hat, ist nur die ...

Kaum ein Krieg hat in seiner Schrecklichkeit so viel Dichtung, will sagen: so viele verzweifelte Versuche, die Erfahrung des großen Mordens zu be- und zu umschreiben, hervorgebracht wie der Erste Weltkrieg. Klassiker der Weltliteratur sind darunter, Ernest Hemingways In einem anderen Land, Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, Jaroslav Haseks vorgeblich heiteres, tatsächlich abgrundtief finsteres Epos über den Braven Soldaten Schwejk, um nur drei zu nennen. Dazu die berühmten Romane von Arnold Zweig, Henri Barbusse, Ludwig Renn oder Alexander Moritz Freys "Feldsanitätsroman" Die Pflasterkästen, Karl Kraus′ Drama Die letzten Tage der Menschheit, die Lyrik Wilfred Owens und Siegfried Sassoons, G ...

Das politische Geschäft wird undurchschaubarer mit jedem Tag, und so ist es in aktuellen Interessenskonflikten üblich, dass irgendwann einer aufsteht und feststellt, der ganze Tumult beruhe auf einem "Kommunikationsproblem". Man erkennt in diesen Momenten recht gut die Kräfteverhältnisse, denn es ist stets der Mächtige oder, wie er selbst sagen würde, der Gestalter, der dieses Wort verwendet. Er macht damit klar, dass er eine getroffene Entscheidung keinesfalls revidieren wird. Wahlweise sagt er auch gern, einsichtig blinzelnd: Da haben wir wohl die Bürger nicht ausreichend mitgenommen.

In Stuttgart, bei S21, war das so, dort hat nun der Mediator Heiner Geißler die Bühne ...

Im ersten Götterdämmerungs -Akt des neuen Hamburger Rings gibt es eine aufschlussreiche Szene: Siegfried lebt in einer kargen gemeinsamen Wohnung mit Brünnhilde. Er hat im Wohnzimmer den Vorhang zur Seite geschoben und blickt stumm durch das Fenster. Siegfried ist tatendurstig. Er will hinaus in die Welt und Großes vollbringen, schließlich ist er ein Held. Aber er blickt von seinem Wohnzimmer aus immer nur auf die nackte, graue Betonwand des Nachbarhauses. Das ist die Perspektive, die der Wagnerheld beim Hamburger Ring- Regisseur Claus Guth hat: In der spätmodernen Gegenwart (in der die Geschichte bei ihm spielt) sind alle schönen Aussichten verbaut. N ...

DIE ZEIT: Wenn Sie in Berlin sind, gehen Sie immer gerne in die Paris Bar. Ist das nicht ein wenig von vorgestern?

Ernst-Wilhelm Händler: Ich unterhalte mich hier immer großartig. Das liegt auch daran, dass man unfehlbar an die Wiener Gruppe erinnert wird, die für mich sehr wichtig ist. Die Paris Bar ist ja aus dem Exil entstanden, das Oswald Wiener von 1969 bis 1986 geführt hat.

ZEIT: Welche Bedeutung hat Oswald Wieners Die Verbesserung von Mitteleuropa für die deutsche Literatur?

Händler: Für mich sind Oswald Wiener und Konrad Bayer ganz fundamental. Das ist eine verschärft intellektuelle Literatur, die es ...

Verwunschenes Gelände, verwucherte Kleingärten. Kein Mensch auf der Straße, und dabei ist sie nur einen Katzensprung vom Hauptbahnhof entfernt. Wo ist 5d?Endlich Passanten!Die suchen dasselbe. Gemeinsam finden wir das Haus hinter Bäumen. Ein turmartiger Backsteinbau mit Klo auf halber Treppe. Im ersten Stock sitzt der Pianist Johannes Kersthold und spielt Am See für Flügel und PC. Das Regal an der Wand ist aus Ziegeln und Brettern, im Zimmer stauen sich 30 Zuhörer, alle auf den Spuren von "Piano City". Mehr als 70 Wohnzimmerkonzerte, verteilt auf ganz Berlin und ein Wochenende, organisiert über Internet, Bewerbung via Video, wobei es ...