Inhaltsverzeichnis vom 14.10.2010

Das Problem des Zimmers 26 ist, dass man den Urlaub am liebsten komplett im Bett verbringen möchte. Selbst wenn draußen, keine 20 Meter vor dem Fenster, das blitzblaue Wasser des Libyschen Meeres sanft ans Ufer schwappt. Zusehen kann man ihm dabei schließlich auch, wenn man die obere Hälfte der Terrassentür öffnet. Gemütlicher als der schmale Steinstrand, den das winzige kretische Dorf Loutro sein Eigen nennt, ist die Matratze allemal. Und wenn man lange genug liegen bleibt und noch dazu ein bisschen Glück hat, schickt einem die britische Hotelbesitzerin Alison das Frühstück sogar auf dem Tablett direkt an die Bettkante.

Den ...

Inmitten der verwinkelten Straßen der Wiener Altstadt liegt das Hotel Kärntnerhof so wohlbehütet wie ein Ei im warmen Nest. "Schönlaternengasse", "Wollzeile", "Fleischmarkt" steht auf den emaillierten Straßenschildern umliegender Häuser. Eine Fülle schmalbrüstiger Lädchen und eine Reihe namhafter Gasthäuser liegen hier dicht beieinander - historisches Wien-Konzentrat sozusagen. Zum Stephansdom sind es nur ein paar Schritte und auch zum Postamt, das sich einen Spezialschalter für Sonderbriefmarken leistet.

Der Hoteldirektor Wolfgang Krenn, von dem ich wissen möchte, ob er sich genauso schreibe wie Kren (österreichisch für Meerrettich), sagt ganz cool: "Kren mit zwei n, weil ich doppelt so scharf bin."Dieser Satz überrascht ...

Eigentlich wollte Mike Akbayrak damals, vor zwanzig Jahren, gar kein Hotel eröffnen. Er träumte von einem Ort, an dem er mit seinen Freunden abhängen konnte. Außerdem brauchte er Platz für seine Sammlungen: Kalligrafien, alte Kameras, Porzellanuhren, Marmormörser, Teppiche, Kelims, afghanische Spinnrocken, turkmenische Fransenbordüren. Niemand besaß eine so große Sammlung jener Bordüren, mit denen die Nomaden in Turkmenistan ihre Zelte schmückten.

Im Hauptberuf war Mike Akbayrak Teppichhändler. Keiner, der Touristen auf dem Basar ansprach, darauf legt er Wert. Nein: Er handelte mit alten Stücken, am liebsten aus dem 18. Jahrhundert, fand sie in der ganzen Türkei und weiter östlich und verkaufte ...

Noch bevor die Rezeption in den Blick kommt, sieht man im rotbraun gefliesten Patio den kleinen weißen Brunnen. Ganz vorsichtig wallt, ganz leise gluckst daraus ein Wasserstrahl hervor. Der Patio, der Brunnen, das Glucksen - wir sind in Andalusien, wo das sanfte Geräusch des Wassers seit maurischer Zeit die gefühlte Temperatur um ein paar Grad zu senken vermag. Heute helfen Klimaanlagen gegen die Hitze, aber im Ohr klingt das Geglucker noch immer nach angenehmer Frische.

Das Gebäude rund um den Brunnen herum, das Hotel Sacristia Santa Ana in Sevilla, hat sonst gar nichts Maurisches. Der Bau stammt aus dem 18. J ...

Das Haus des Kalifen betritt man wie einen Ort aus dem Märchen, wie eine kleine Wunderwelt, die sich überraschend hinter einer unscheinbaren Fassade auftut. Von der ebenerdigen Rezeption aus steigt man ein, zwei, mitunter sogar drei Stockwerke zu den Zimmern hinab. Man befindet sich dann aber nicht etwa im Keller, sondern einfach auf der Südseite des Hauses, das fast kaskadenartig einen Hang hinunterfällt. Seine wilde Schachtelung verdankt sich einem Aus- beziehungsweise Einbau: Das heutige Hotel in dem weißen andalusischen Dorf Vejer de la Frontera hat fünf winzige Bauten miteinander verbunden und dabei gewissermaßen geschluckt. Die Ab- und Aufstiege, Richtungswechsel und ...

Calle de la Princesa, das klingt schon gut. Und tatsächlich ist das chic & basic so fein wie seine Adresse. Ein großbürgerlicher Palast, Jahrgang 1888, mit einem Treppenhaus aus hellem Marmor und fünf Meter hohen, stuckverzierten Decken. Er liegt in Barcelonas neuem, jungen Trend-Viertel "El Born", und auf der Princesa gibt es schon seit einer Weile ein paar sehenswerte Attraktionen, etwa das Gourmet-Restaurant "Espai Sucre", in dem nur Süßspeisen angeboten werden. So war es nur noch eine Frage der Zeit, bis hier ein hübsches Designhotel aufmachte.

Gestaltet hat es der katalanische Designer Xavier Claramunt, genauer gesagt, hat er das elegante, h ...

Efeuranken vor bloßem Mauerwerk, Brocken von alten Säulen am Boden, gotische Bögen und Kapitelle rund um die Fenster. Wie alt mag das Haus wohl sein?Oscar Gorriz grinst. "Baujahr 1916. Die Kapitelle sind echt, stammen aber aus irgendeiner Plünderung."Der damalige Bauherr, ein katalanischer Millionär, ließ das Häuschen als Ausflugshütte errichten und hübschte es mit original mittelalterlichen Details auf. Heute tragen die gotischen Elemente zum leicht verwunschenen Eindruck bei, den das Hostal Sa Rascassa auf den ersten Blick macht.

Oscar Gorriz, ein ausgestiegener Werber, führt das Haus seit knapp zehn Jahren. In der oberen Etage gibt es fünf Zimmer und ...

Es ist eine dieser Unterkünfte, wo man sich fürchtet, dass die Zeit sie mitnimmt. Die so schön ist und schon so lange an ihrem Platz, dass man fast staunt, dass sie sich kaum verändert. Natürlich sieht die kleine Pension im Nordosten Mallorcas jedes Jahr ein bisschen anders aus: Mal sind die Hühner weg, dann bewohnt ein Koi den Teich, der Hund ist gestorben, die Kinder werden größer, das Restaurant im Erdgeschoss hat der Sohn übernommen, zwei der fünf Zimmer wurden behutsam renoviert. Seit 1987 betreiben Bettina und Hans Otto Schulte (kurz HO) in Artá ihre Pension. Sie richteten die fast ...

Der Gedanke, dass SIE hier saß und malte!Am tief gezogenen Fenster, auf diesem Sessel mit den Holzpfötchen, den Blick auf den See, über die Wiesen gerichtet, deren Wellen ihr Pinsel nachspürt, husch, die Farben hingetupft. Tja, wie sollte das gehen, wo das Licht alle Sekunden wechselt?Mal Abertausende Blätter der Baumgruppen aufglitzern, sie dann hinter Regenschleier verschwinden, der See jäh vermattet in tiefes Grafit?Miss Potter wird die Nase kraus gezogen haben vor Vergnügen. Es war in diesem Haus, dass Beatrix Potter, die Autorin und Zeichnerin des Kinderbuchs Peter Rabbit, ihren ersten Sommer im Lake District verbrachte. "Ich habe ...

Das hello, mit dem Jane Bishop ihre Gäste begrüßt, ist unvergleichlich britisch. Hellööoouu jubelt es über mehrere Oktaven. Auch das Hotel von Jane Bishop ist unvergleichlich britisch. Es heißt Walpole Bay, ein prächtiger Kasten direkt am Meer im südenglischen Seebad Margate. Es ist aus dem Jahre 1914. Ein bisschen Klimperbühne der vorletzten Jahrhundertwende, ein bisschen Schrulligkeit des alten Empire und hinter den Kulissen eine gute Prise Working-Class-Charme.

Bis in die achtziger Jahre wurde das Walpole Bay als klassisches Grandhotel von der Gründerfamilie betrieben. 1995 übernahmen es Jane Bishop und ihr Ehemann Peter. Mitsamt der historischen Vollausstattung aus der Vorkriegszeit, die ...

Ein gelber Lichtstrahl, der durchs Fenster einfällt und sich im völligen Weiß des Raumes mehrmals bricht. Ein goldener Kubus, in dem nichts steht als ein Bett mit einem weißen Laken. Ein buntes Buchstabengewirr hinter dem Bett, das aus handgeschriebenen Sätzen besteht wie "Ich wollte etwas Neues machen und machte es doch wie die anderen". In etwa so sind die Gästezimmer im Hotel Windsor. Aber dazu später mehr.

Das Hotel Windsor haben wir durch einen Zufall entdeckt. Wir flanierten unter dem blauen Himmel von Nizza, aßen hier, tranken dort, besuchten das Museum Henri Matisse, in dem noch sein hölzernes Tischchen mit ...

Früher hatte das Wort "aussteigen" einen verheißungsvollen Klang, es war sozusagen die Steigerungsform von "reisen". Man dachte gleich an Sonne und Wind, Berge und Meer. Dann aber kam die New Economy, Kurzurlaub wurde Mode und Karriere ohne Lockerlassen. Trotzdem ist heute die heimliche Ausstiegssehnsucht größer denn je, man merkt es an immer entlegeneren, immer wilderen Kurzurlaubszielen.

Das ultimative Ziel haben wir neulich in der Region Lunigiana gefunden - italienisch für Mondlandschaft, und wer seinem Büroalltag am liebsten auf den Mond entfliehen würde, ist hier richtig. Umgeben von drei Gebirgen, im stillen grünen Winkel zwischen Ligurischen Alpen, Apuanischen Alpen und Apennin, l ...

Muss das sein?, fragt mein Mann. Er hasst Hotels. Nur diesen Landgasthof nicht. Deswegen findet er, wir sollten besser für uns behalten, wie schön es in Dreikirchen ist, damit nicht plötzlich Scharen...

Glaube ich nicht, sage ich. Auf manche nämlich wirkt das Geheimnis von Dreikirchen abschreckend.

Weil dieses Haus, 1120 Meter hoch über dem Eisacktal gelegen, das Gegenteil ist von jenen Designherbergen, die gerade in Südtirol dringend von sich reden machen möchten.

Weil Langschläfer aus den Betten fallen, wenn sonntags die Glocken bimmeln - denn die Kapelle, die dem Ort den Namen gibt, klebt direkt dran am Haus, u ...

Ich dachte immer, in die Toskana muss man als Deutscher nicht reisen. Die Toskana ist eine schöne, leider etwas abgenutzte Geliebte, von illustren Dichtern tausendmal umarmt: "Ich weiß nicht, ob die Erde Schöneres hat / Paläste streift bei jedem Schritt mein Blick..."Doch es ist nie zu spät, seine Vorurteile zu korrigieren. Es ist, um genau zu sein, jetzt 22 Uhr, und wir sind unterwegs zur Locanda, einer kleinen steinalten Herberge im toskanischen Hinterland - wo alles anders sein wird als gedacht. Nicht blumig, palastprächtig, marmorkatholisch. Sondern eine Atmosphäre zwischen schauerlich und schön.

Die Autofahrt auf der Via Aurelia ...

Das Thema des Hotel Rosso 23 ist nicht schwer zu erraten: Rot. Leuchtendes Paloma-Picasso-Lippenstiftrot. Rot ist der Teppich, der in die Lobby führt, rot sind die Wände des atriumartigen Treppenhauses, rot sind die Lederstühle, die Kuckucksuhren und die Kissen in den Zimmern. Auch die Gerbera in den Blumenvasen sind rot. Der Mut zur Farbe überrascht in diesem diskreten, schmalen Adelspalast aus dem 19. Jahrhundert, der an der Piazza Santa Maria Novella steht, auf halbem Weg zwischen der edlen Einkaufsstraße Via Tornabuoni und dem Bahnhof.

Das Hotel zählt 42 Zimmer unterschiedlicher Größe. Die kleinsten sind so winzig, dass man wirklich nur ...

Das Kavaliershaus in Fincken ist die einzige Schule, in der man während des Unterrichts schlafen darf. Man darf auch im angrenzenden See schwimmen, in die Sauna gehen, man darf mit dem Fahrrad zum Müritz-Nationalpark fahren, man darf auf dem Bootssteg liegen, ein Buch seiner Wahl lesen oder einfach nur den Störchen zuschauen, die seit Jahr und Tag hier den Sommer verbringen und auf dem Dach des nebenstehenden Schlosses wieder ein paar Junge großziehen. Und das Schönste ist: Es gibt dafür keine schlechte Note!

Natürlich darf man das alles nur deshalb, weil der Schulbetrieb in dem denkmalgeschützten Haus aus dem 18. J ...

Hier möchte ich eigentlich nie wieder weg, denkt man beim Aufwachen nach der ersten Nacht. Herzenstraum, die schöne Trakehnerin, hat einen mit ihrem Wiehern geweckt, sonst herrscht nichts als Stille, man schaut aus dem Fenster in den weiß bewölkten blauen Himmel, auf grüne Koppeln und weiße Zäune, hinten das große Torhaus aus dem 18. Jahrhundert, davor ein Reitplatz. Und die alten Bäume, die herrlichen Alleen!

Etwa 1700 Hektar Felder, Wald und Wiesen in der schönsten Landschaft Norddeutschlands, der Holsteinischen Schweiz nahe der Hohwachter Bucht, gerade mal eineinhalb Stunden von Hamburg entfernt - das ist die "Herrschaft Hessenstein" des Landgrafen Moritz ...

Paris, Tokio, New York - wenn Rupert Everett unterwegs ist in der Welt, weiß er manchmal selber nicht mehr, wo er gerade ist: Die Hotelzimmer sehen alle gleich aus. Wenn er im Bogota aufwacht, in dem schweren alten Ehebett mit Ritze, das aussieht, als hätten schon Omma und Oppa und Onkel Heinz drin geschlafen, wenn er die Dielen im sechseinhalb Meter hohen Flur draußen knarren und den kleinen gestreiften Kühlschrank, seinen Minibarersatz, drinnen brummen hört, wenn die gregorianischen Gesänge aus dem Lichthof zu ihm herüberwehen oder er die Doppelfenster öffnet, um auf seinen Balkon im vierten Stock zu treten und ...

Gut Sögeln liegt im weiten Osnabrücker Land, irgendwo zwischen Feldern und Horizont. Wer sich dem Landsitz nähert, fährt zunächst durch eine Lindenallee, überquert einen Burggraben und steht schließlich vor einem Herrenhaus aus dem Jahre 1793. Eine Turmuhr schlägt, ein Esel ruft. Durch eine schwere Holztür betritt man das Gutshaus, in dem die Dielen knarzen und das Silber glänzt. Genähte Pelzdecken liegen auf dem Sofa, der Winter kann kommen. Von alters her lebt hier die Familie von Bock und Polach. Doch die Zeit scheint nur auf den ersten Blick stehen geblieben zu sein. Denn Gisela von Bock und Polach, die das ...

Es werden noch zwei Stunden vergehen, bis sich die böseste Rampensau Leipzigs erschöpft auf ihre Gäste in der ersten Reihe wirft. Es ist Donnerstag, 22 Uhr. Auf den Plakaten im Café Waldi am Rande der Südvorstadt ist Ein Kessel Donis angekündigt, eine Late-Night-Show.

Ralf Donis, 42, springt auf das Bühnenpodest und begrüßt seine Zuschauer. Er trägt ein schwarzes Jackett, seine dunklen Haare fallen ihm strähnchenweise ins Gesicht. Durch die Fenster hinter seinem Tisch erblickt man den Uni-Riesen, den leeren Peterssteinweg, die Putzkolonne bei der Unternehmensberatung KPMG. Es ist wie die Fototapete von Harald Schmidt, nur ist hier die Aussicht echt. " ...

Leipzig hat jetzt noch französischere Straßenbahn-Ansagen. Die Dame hängt an jedes Wort ein e , es grenzt an Angeberei. Es ist die Karikatur von Weltgewandtheit. Leipzig will etwas darstellen, aber betont das zu stark.

Von Montag an ist die Stadt wieder in ihrem Element. Es beginnt das 53. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, das "Dok". Und Leipzig wäre nicht Leipzig, wenn dieses Festival nicht das "älteste der Welt", das "zweitgrößte Europas", das "wichtigste Deutschlands" wäre.

Stimmt aber wirklich, sagt Claas Danielsen, 44, Festspieldirektor. Nachdrücklichen Bitten, endlich mal einen Clint Eastwood einzufliegen, wird er aber wieder nicht nachkommen. "Es ...

Vorige Woche kam eine E-Mail aus dem Kindergarten meines Sohnes. Darin baten die Erzieherinnen, die Eltern sollten einmal überlegen, welche Berufe man den Kindern vorstellen könnte, ob man nicht jemanden kenne, der einem interessanten Job nachgehe.

Wie gern hätte ich mich in dem Augenblick der Bekanntschaft eines Straßenbahnfahrers gerühmt. Würde ich doch nur einen einzigen Schaffner persönlich kennen, vielleicht sogar seine Handynummer besitzen!Noch besser einen Koch, eine Friseuse oder einen Schornsteinfeger. Ja, einen Schornsteinfeger!

Immer wieder bin ich im Kopf alle Leute, die ich kenne, durchgegangen. Aber sie alle gehen einer höchst langweiligen Tätigkeit nach. Wollte ich den Kindern ...

Bequemlichkeit, die. Zustand satter Lethargie. Befällt frei nach Stanislaw Tillich (CDU) viele Westdeutsche - die deshalb Stuttgart 21 blockierten. "Bei uns gibt es noch mehr Motivation", so der Sachse, und ergo "kein Großprojekt, das erfolgreich durch Klagen gestoppt wurde. Wir haben Kohlekraftwerke gebaut, Straßen und Autobahnen."Sowie den City-Tunnel unter Leipzig für 850 Millionen Euro. Ossis, legt der Ministerpräsident nahe, ertrügen alles: Atommüllendlager im Erzgebirge. Genmais in der Lommatzscher Pflege. Und 100 Jahre Regierung Tillich. MAC Bequemlichkeit, die. Zustand satter Lethargie. Befällt frei nach Stanislaw Tillich (CDU) viele Westdeutsche - die deshalb Stuttgart 21 blockierten. "Bei uns gibt es noch ...

Dies also ist der Ort, an dem das Thema Osten in der Bundesregierung gelandet ist: ein Flur im Nebentrakt des Innenministeriums in Berlin-Moabit, in den sich auch Firmen einmieten können. Hier, zwischen Büros eines Bierkonzerns und einer Praxis für Physiotherapie, umringt von Fachleuten für Rausch und Verspannungen, sitzt der "Arbeitsstab Angelegenheiten der neuen Bundesländer". 36 Menschen erledigen eine Aufgabe, über die ein Referatsleiter nüchtern sagt: "Unser Ziel ist, dass wir uns abschaffen."

"GIII" heißt diese Truppe amtlich, im Organigramm des Ministeriums klemmt sie irgendwo zwischen Religionsangelegenheiten und IT-Sicherheit. In der Leseecke am Eingang liegt die Super-Illu wie ein mahnendes Klischee. I ...

geboren 1945 in Marienbad, wuchs bei Hannover und im Ruhrgebiet auf. Zur ZEIT kam sie 1967, zunächst als Assistentin im Politik-Ressort. Zusammen mit Hans Gresmann, dem ersten Leiter des ZEITmagazins, bildete sie den Kern der Gründungsmannschaft. Fast dreißig Jahre lang liefen bei ihr die Fäden der Magazin-Redaktion zusammen. Von 1999 an baute sie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der ZEIT auf. 2010 ging sie in den Ruhestand

Liebe Frau Bunse, wenn das ZEITmagazin eine Seele hat, dann sind Sie das. Sie waren vom ersten bis zum letzten Tag vor der vorübergehenden Einstellung im Jahr 1999 dabei. Erinnern Sie sich an die erste ...

Er war streitbar, unberechenbar, pessimistisch. Das bescheinigten ihm alle Nachrufe. Was etwas ungewöhnlich ist, soll man doch über Tote bekanntlich nur Gutes reden. Doch in seinem Fall waren die Charakterisierungen durchaus positiv gemeint: "Streitbar" etwa hieß, dass er ein Paradedemokrat war mit einem Faible für lautstarkes Diskutieren. "Unberechenbar" meinte, dass er immer wieder mit neuen Geschäftsideen überraschte. Und seinem Pessimismus - da war man sich einig - verdankte er ein sensationelles Vermögen und riesiges unternehmerisches Imperium. Der Verfasser seiner Biografie formulierte es so: "Er hat ständig schwarzgemalt, und das hat ihn zu Entscheidungen gebracht, die sich schließlich als sehr profitabel ...

Wolfgang Schmidbauer ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten. Die Fragen dieser Kolumne werden in seinem neuen Buch "Paartherapie: Konflikte verstehen, Lösungen finden" vertieft, das beim Gütersloher Verlagshaus erschienen ist.

Sieglinde und Thomas sind schon 40 Jahre zusammen, eine lange Zeit. Bisher waren beide beruflich hoch engagiert. Jetzt aber nähert sich das Rentenalter. Thomas bekommt ein Angebot, mit einer Abfindung aufzuhören. Das will er sich nicht entgehen lassen. Seine Arbeit hat ihn in den letzten Jahren mehr und mehr angestrengt. Er kränkelt manchmal, wenn der Stress zu viel wird, findet sich weniger belastbar als früher. Thomas will unbedingt in die schöne ...

Deutschland hatte andere Sorgen in jenem Herbst 1990, andere Themen, andere Bilder: die ehemalige innerdeutsche Grenze, über die gerade das erste Gras wuchs. Die ehemalige DDR, die jetzt "die fünf neuen Bundesländer" hieß. Die ehemaligen "Schwestern und Brüder von drüben", die plötzlich vor der Tür standen, von Bespitzelung und Repression erzählten und endlich auch so frei und bequem leben wollten wie Menschen im Westen. Deutschland lebte im Hier und Jetzt wie nie zuvor, kreiste um sich selbst und interessierte sich höchstens noch für seine eigene Geschichte der letzten 40 Jahre.

Und dann lagen plötzlich diese Fotos auf dem Leuchttisch. (Ja, l ...

Es war die erste richtige deutsche Revolution, sie war gewaltfrei und großartig und fand direkt vor unserer Nase statt, und wir verpassten sie. Wir verpassten diese Revolution, denn wir arbeiteten beim ZEITmagazin in Hamburg, was bedeutete: Wir hatten schlechte Karten. Und von Alois Ortner wusste ich noch nichts.

Das ZEITmagazin gehörte einerseits zur Redaktion der ZEIT, andererseits waren wir im Magazin ein bisschen anders. Wir hatten ein Wirgefühl. Wir hatten eine neue, junge Besetzung, wir hatten andere Themen, eine andere Sprache als die übrige Redaktion, manchmal frecher und frischer, wir hatten schickere Bilder; vor allem aber hatten wir einen ganz ...

Mein Erstling Kanak Sprak erschien 1995 und sorgte für einigen Wirbel in der Kulturszene. Ich hatte ein ganzes Buch im Unterschichtsjargon der jungen Türkischstämmigen geschrieben, ich hatte das babylonische Kauderwelsch in meine Kunstsprache übersetzt und galt als zorniger Hunne, der Frische in die Branche stemmte. Für authentisch hielten mich sogar die Jungs aus dem Milieu, sie kamen in Rudeln zu den Lesungen und glaubten, ich sei ihr großer Bruder. Ich wurde zu Germanistiktagungen, Schriftstellerkongressen und Hip-Hop-Konzerten eingeladen.

Die Soziologen nannten mich das Arbeiterkind, das ein Stakkatodeutsch schnatterte und schmetterte. Für die Literaturkritiker war ich nur ein Schuft, der im Weinberg ...

Der normale Mensch isst in 40 Jahren ungefähr 30000 Mahlzeiten. Da sollte man meinen, allein wegen der Abwechslung würden sich diese Mahlzeiten mit den Jahren verändern. Allerdings gibt es ja auch ebenfalls normale Menschen, die 40 Jahre zusammenleben, ohne wegen der Abwechslung an irgendeine Veränderung zu denken.

Das Essverhalten der ZEITmagazin- Leser hat sich jedenfalls deutlich verändert. Das steht fest, und das ZEITmagazin hat diese sich verändernden Sitten und Gebräuche seiner Leser über Jahrzehnte beobachtet und protokolliert.

Es begann in den siebziger Jahren. Ich schlug ein Weihnachtsmenü vor, welches Linsen enthielt. Und zwar lentilles de puy, das sind die kleinen ...

Der alte Mercedes biegt in einen Waldweg, schaukelt eine Weile über dicht gewachsenes Gras und hält dann vor einem alten Haus, das einsam auf einer Lichtung steht. Das Haus ist vorn umfriedet von Bäumen, dahinter öffnet sich der Blick weit ins Land. Hier kann man sich frei fühlen und zugleich geborgen, und man stellt sich vor, wie der Besitzer stundenlang dem Wind lauscht. Es ist, als wollte dieser Ort etwas mitteilen: Bestimmt hat Michael Holzach das so empfunden, und vielleicht hätte er es auch so gesagt.

Die Frau, die mit ihm hier gelebt hat, stellt den Motor ab und steigt ...

Ich träume davon, dass wir mal ein Sonderheft über Ponys machen. Ich träume von Berlin am Meer mit Blick auf die Alpen. Ich träume davon, Schnapsbrenner zu werden, irgendwo im Süden. Mit dem Traktor fahre ich das Obst mit sechs km/h gemütlich nach Hause und brenne den besten Schnaps der Welt. Ich träume davon, noch einmal als Kind im Obstgarten meiner Großeltern im Gras zu liegen und leise ihre Stimmen zu hören.

Mainz wird Meister. Ich träume davon, beim Boxen die Arme unten zu halten. Harald Schmidt erklärt mir, was man mit den Händen macht, wenn man steht und redet. I ...

Zehn Akademiker waren es damals auf unserem Foto, zehn Absolventen, quer durch die Fächer, und sie hatten eines gemein: Statt eines Jobs hatten sie nur ein Praktikum gefunden.

Heute, fünf Jahre und sieben Monate nach dem Artikel, der der Generation Praktikum ihren Namen gab, geht es den zehn besser. Alle haben Arbeit, entweder freiberuflich, fest angestellt oder auch nur zeitlich befristet. Im Schnitt hat es rund anderthalb Jahre gedauert, bis sie nach dem Studium eine Stelle gefunden haben.

Florian Schnoor, der in Potsdam Wirtschaftsgeografie studiert hatte, fand nach seinem Praktikum bei VW einen Job bei einem Verband, wo er anderthalb ...

Als ich Herrn Grommotka geweckt und geduscht hatte, als ich ihm die Zähne geputzt hatte, ihn auf die Toilette und wieder heruntergehoben hatte, als ich ihn schließlich angezogen und in den Rollstuhl gesetzt hatte, da fragte er mich, ob ich denn nicht dienen müsse. Ich sagte Herrn Grommotka, dass ich gerade dabei sei. Sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube, da hat er ganz kurz gelächelt.

Ich trat meinen Zivildienst im Sommer 1995 an, auf der Pflegestation einer Rehaklinik. Zu uns kamen alte Menschen, die zum Beispiel nach einem Sturz eine neue Hüfte bekommen hatten und die das Gehen ...

Meine Zeitreise in die Vergangenheit beginnt mit der halbstündigen Suche nach einem Parkplatz. Autos abzustellen glich schon damals, als 1975 in Mottenburg die Bauarbeiten begannen, einer Schnitzeljagd, denn das durch Zeit und Raum hindurch dörflich gebliebene Hamburger Stadtviertel mit engen Straßen und Ecken und Hinterhöfen war eine natürlich gewachsene Fußgängerzone. Wesentliches ist nach wie vor zu Fuß zu erreichen: der Bahnhof. Das Theater. Das Museum. Die Kneipen. Der Metzger. Der Schlosser. Das Standesamt. Die Christianskirche - und der Friedhof, auf dem Friedrich Gottlieb Klopstock seit 1803 in Rufweite der elbabwärts stampfenden Schiffe auf Transitreisende ins Jenseits wartet.

Mottenburg befindet sich ...

Frau Basel-Gedeon, wie war das, als das ZEITmagazin erstmals der ZEIT beilag?

Ich habe mich gefreut. Für mich war es das erste Magazin überhaupt, das ich gelesen habe - obwohl ich damals schon 25 Jahre alt war. Ich kam aus einem sehr strengen, konservativen Akademikerhaushalt. Meine Eltern haben Magazine abgewertet, sie galten als dummes Zeug. Für mich wurde das ZEITmagazin ein Tor zur Welt. In Kombination mit der Lektüre der restlichen ZEIT sind mir damals die Augen aufgegangen. Ich bin mit völlig neuen Gedankenrichtungen konfrontiert worden.

Womit genau?

Ich habe gelernt, mehr Mut zu haben, mich mehr zu trauen. Ich ...

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre habe ich mehr als sechs Jahre lang als einer von Bruno Kreiskys Sekretären den "Dienst um die Person des Bundeskanzlers" - wie es im Amtskalender der Republik heißt - versehen. Der Bundeskanzler legte in seinem Büro keinen besonderen Wert auf eine strenge und systematische Aufteilung der anfallenden Arbeit. Jeder musste so ziemlich alles machen und vor allem stets zur Verfügung stehen.

Stets habe ich, seit ich für Kreisky gearbeitet habe, auch über die größeren Zusammenhänge seines Wirkens nachgedacht und herauszufinden versucht, wie dieser große Staatsmann "tickt", was ihn motiviert. Zu meiner Zeit war ...

Als zugegeben reisetechnisch ein wenig unbedarfter Österreicher gerate ich auf dem Weg nach Nordfrankreich mit einem Kleinwagen zum ersten Mal auf die deutsche Autobahn. Es dauert einige Zeit, bis ich begreife: Es ist ein Zurück in die Geschichte. Ich verlasse die gemütlich egalitäre Moderne und spüre die Macht der Gewalt, des Besitzes, das Vorrecht erlaubter Rücksichtslosigkeit.

Es ist klar: Ich mag das Autofahren nicht. Es ist tote, verlorene Zeit. Die schnelle Fortbewegung nagt an mir, sie raubt mir die Freude, lässt mich den Wert des Daseins grundsätzlich überdenken. Also reise ich so selten wie möglich.

Und dann die deutsche Autobahn: I ...

Seit fast zwei Jahren lebt Tabea Müller, 37, im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Hier erzählt sie jede Woche über den Alltag im Inneren Afrikas

Fahrt in den Norden. Und plötzlich hat das Auto ein Loch im Kühler. Das Wasser läuft unten heraus. Ein herbeigewinkter Tankwagenfahrer besieht sich das Problem und empfiehlt allen Ernstes, den Tabak einer ganzen Schachtel Zigaretten in den Kühler zu füllen, um damit das Loch zu stopfen. Eine interessante Reparaturvariante, die uns allerdings nicht sonderlich erfolgversprechend erscheint. Mein Kollege baut den Kühler aus und fährt mit einigen herbeigeeilten Männern ...

Sicher vertritt die Palliativmedizin die Auffassung, dass einem Patienten, der an einer unheilbaren und weit fortgeschrittenen Krankheit leidet und der in dieser Situation den Wunsch zu sterben äußert, primär eine optimale Symptomkontrolle und eine stützende Begleitung angeboten werden soll. Von einem "Weiterleben um jeden Preis" kann hier aber ganz sicher nicht die Rede sein.

Meinem praktizierten Verständnis nach strebt die Palliativmedizin die bestmögliche Lebensqualität um jeden Preis an, selbst wenn dieser Preis eine Verkürzung der Lebensdauer sein sollte.

Ganz sicher bedarf es bei jedem Patienten immer einer individuellen Abwägung von Nutzen und Risiko, die bestmöglich seine Wünsche berücksichtigen sollte. Wir ...

Sie legen den Finger in die Wunde, wie in Deutschland Krankheit und Kranksein organisiert wird. Hier kommt es allzu häufig auf die Zufälligkeit individueller Fähigkeiten an, ob die Dinge gut oder schlecht laufen.

Eines der Kernelemente einer künftigen Gesundheitsstruktur heißt "Case- oder Fall-Management" und ist ein viel größerer Aufgabenbereich als "Lotse". Wir als Hausärzte müssen begreifen, dass wir die Verantwortung in der Führung unserer Patienten haben und wahrnehmen müssen. Ca. 20 Prozent der Zeit in der Betreuung der Patienten, die in einer komplexen Weiterbehandlung stecken, verbringe ich mit Kommunikation via Telefon und Fax.

Die hausarztzentrierten Verträge bieten jetzt die letzte ...

Thea Dorn schreibt den Beifall, den Thilo Sarrazin bekommt, seinen klaren Worten und dem Überdruss der Menschen am "Kuschelsound" der Politik zu. Welch eine groteske Fehleinschätzung!Sarrazin bekommt Beifall, weil er an böse Ressentiments, tief liegende Ängste, nicht zuletzt an unsere Dummheit appelliert. Er hat öffentlich davon gesprochen, dass "ständig neue Kopftuchmädchen produziert" würden. Das ist keine - in der Demokratie erlaubte und angeblich notwendige - Polemik. Das ist Nazisprache. Oder mit dem Romanisten Viktor Klemperer gesprochen: Lingua Tertii Imperii. Und das soll in einer - angeblich orientierungslosen - Demokratie weiterhelfen?Sicher nicht.

Prof. Volker Boehme-Neßler, Berlin

Endlich bekommt der Mann ...

Jeder Wohnungseigentümer und jeder Mieter weiß, dass Heizkosten auf die Mieter umgelegt werden. Für den Eigentümer ist dies ein durchlaufender Posten. Somit kann es ihm betriebswirtschaftlich erst einmal egal sein, ob die Heizkosten niedriger sind, denn die zahlt der Mieter. Mit welcher Einsparung soll denn ein Vermieter

Der Mann in der Feuerwehrjacke ist aufgebracht. Kaum steht das Auto, kaum ist die Autotür geöffnet, da legt er auch schon los: "Hans, hier ist die Kacke am Dampfen. Man verspricht uns viel, und nichts passiert. Wir haben′s satt!"Wenige Meter entfernt strudelt die Neiße, schlingern brühig braune Wassermassen um die Betonpfeiler einer Brücke. "Steigt das Wasser weiter?", fragt Hans Richter den wütenden Mann. Seit Stunden schon, antwortet der. Und dass es unerhört sei, warum habe man nicht längst den Deich repariert?Richter nickt, fragt nach, lächelt freundlich. Er macht das immer so auf seiner Fahrt durch den Landkreis. S ...

Viele Mitarbeiter denken so schlecht über ihren Chef, dass ihre Sätze Sprengsätze sind, die sie nur hinter seinem Rücken zünden können; eine Umfrage ergab: Vier Stunden lang zieht der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer pro Woche über seinen Chef her.

Und Sie - was missfällt Ihnen an Ihrem Vorgesetzten?Dass er Langeweile delegiert?Dass er seine zwei Ohren für alles Mögliche nutzt, nur nicht fürs Zuhören?Kann es sein, dass er sich für jedes noch so unwichtige Meeting eher Zeit nimmt als für seine Mitarbeiter?Steckt er sich Erfolge des Teams an den eigenen Hut, während er die eigenen Fehler aufteilt?Und ...

Als die Kinderärztin Dina Jushhenko* aus Weißrussland nach Deutschland kam, erhielt sie eine befristete Berufserlaubnis - als Ärztin für innere Medizin. "Ich konnte es erst gar nicht glauben", sagt sie. Im Studium in Weißrussland spezialisiert man sich schnell, und sie hatte schon mehr als zehn Jahre als Kinderärztin gearbeitet, von der inneren Medizin wusste sie nicht mehr viel. Womöglich würde sie fatale Fehler machen, dachte Jushhenko, und trat zunächst keine Stelle an. Sie handelte aus Eigenverantwortung. Die Qualitätskontrolle von außen, die bei einem so sensiblen Bereich wie der medizinischen Versorgung eigentlich unbedingt notwendig ist, hatte versagt.

Die Qualität des Medizinstudiums ...

Eine Tradition ist nur dann ein glaubwürdiges Vorbild für die Gegenwart, wenn sie ohne einen Makel verstanden werden kann; das Bild der Vergangenheit muss rein sein, wenn man sich auf sie berufen will. Der Streit um die Reformpädagogik seit der Aufdeckung der jahrzehntelangen Praxis sexueller Übergriffe in der Odenwaldschule dreht sich um diese Frage: Wie kann weiterhin vorbildlich sein, was belastet ist mit einem unfassbaren Skandal?

Die Verteidiger der Reformpädagogik fürchten, dass ihre Errungenschaften in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, wenn die Tradition ihren Halt verliert. Verhindert werden soll ein Rückfall in autoritäre Verhältnisse "vor" der Reformpädagogik, die als Feindbild oder ...

Ist es nun ein Ausweis solider Bildungspolitik, dass die Begabtenförderwerke 2011 trotz Wirtschaftskrise mehr Geld vom Bund bekommen sollen als 2009, wie Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) betont?Oder kommt der Etat einem Kahlschlag gleich, wie SPD-Expertin Ulla Burchardt die Kürzung von 30 Prozent gegenüber 2010 nennt?Auf jeden Fall ist es eine Nachricht, die inmitten des empörenden Bafög-Hickhacks zwischen Bund und Ländern fast untergegangen ist. Mit gutem Grund: Die gesamte Begabtenförderung für 23000 Studenten macht mit 133 Millionen Euro weit weniger aus, als die Bafög-Erhöhung um mickrige zwei Prozent für 800000 Bezieher kosten wird. Der Vergleich zeigt auch, wie unsinnig ...

DIE ZEIT: Herr Palaver, Bundespräsident Christian Wulff sagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Hat er recht?

Wolfgang Palaver: Auf den ersten Blick scheint die Behauptung zu weit zu gehen. Doch wir brauchen uns nur die deutsche Fußballnationalmannschaft anzuschauen oder uns in unseren Städten umzusehen, schon entdecken wir, wie sehr Muslime zu unserem Alltag gehören. Vor allem aber: Historisch gibt es wichtige islamische Einflüsse auf die europäische Kultur. Die Klassiker der griechischen Philosophie sind uns in Arabisch von Gelehrten der islamischen Welt überliefert worden.

ZEIT: Es heißt immer wieder, der Islam sei keine abrahamitische, sondern eine archaische Religion.

Palaver: Diese Auffassung ...

Der Prophet Mohammed sagt: "Unser Glaube gebietet Gewaltlosigkeit. Lasst keinen Gläubigen Gewalt ausüben."Und Mohammed fügt hinzu: "Ein perfekter Muslim ist einer, vor dessen Zunge und Hand die Menschheit sicher ist; ein wahrhaftiger Migrant (Muhadschir) aber flüchtet vor allem, was Gott verboten hat."Heute werden Muslime meist mit Krieg und Gewalt in Verbindung gebracht. Vielerorts herrscht große Furcht vor ihnen. Und tatsächlich: Die islamische Welt ist verheert von Bürgerkriegen, Anschlägen, Armut. Tagaus, tagein sprengen sich Terroristen in Ländern wie Pakistan in die Luft - und reißen dabei mehr Muslime als Nichtmuslime in den Tod. Diese Gotteskrieger prägen das Bild vom ...

Warum wollen Zigtausende Muslime in Mittelasien Christen oder Zeugen Jehovas werden?Wie kann eine protestantische Kirche in Marokko Fuß fassen?Warum zieht der radikale Salafismus so viele junge Europäer an?Wieso hat al-Qaida von allen muslimischen Gruppen die höchste Zahl von Konvertiten?Die Säkularisierung hat das Religiöse nicht ausgelöscht. Sie hat das Religiöse aus unserer kulturellen Umwelt herausgelöst und lässt es gerade dadurch rein in Erscheinung treten. Was wir erleben, ist die militante Neuformulierung der Religion in einem säkularen Raum, der dem Religiösen erst seine Autonomie gegeben hat und seine Ausbreitung ermöglicht. Es besteht ein enges Band zwischen Säkularisierung und ...

Krumm wie ein syrischer Bogen sei Michelangelo geworden, und sein Bart stehe zum Himmel empor, denn immerzu habe er den Pinsel über seinem Gesicht, er sei schon ganz vollgekleckert mit Farbe und ganz wirr im Kopf. So beschreibt ein kleines Sonett, geschrieben irgendwann zwischen 1509 und 1512, die Arbeit des großen Künstlers an seinem bedeutendsten Werk, der Decke der Sixtinischen Kapelle. Und gleich neben diesen Zeilen hat er sich selbst als Strichzeichnung verewigt, wie er gestreckten Armes ein kleines Monster malt, das wie ein Dämon über ihm schwebt. Es ist eine von über 100 Zeichnungen, die das Museum Albertina in ...

Hat man je einen Helden im Kino gesehen, der so sehr mit seiner Umgebung verschmilzt?In Thomas Arslans Thriller Im Schatten ist der gerade aus dem Gefängnis entlassene Gangster Trojan die Gestalt gewordene Tarnung. Misel Maticevic spielt diesen Kriminellen mit einer auf so großartige Weise nach innen gerichteten Energie, dass er im Halbschatten manchmal wie ein Möbelstück wirkt. Während Trojan einen neuen Coup plant, Verbindungsmänner aufsucht, alte Freunde und Feinde besucht, folgt ihm die Kamera durch ein aufreizend banales Berlin. Die Lichter der regennassen Friedrichstraße, die Parkplätze, Tankstellen, Garagenhöfe, Schaufensterfronten, tristen Hotelzimmer und Einkaufspassagen fügen sich zum Ambiente eines deutschen ...

Wie oft wurde der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur vorgeworfen, es fehle ihr an Dringlichkeit. Nicht immer war der Vorwurf unbegründet. Selten aber war er so verfehlt wie heute, gut zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall. Das postideologische Vakuum, das nach dem Ende der alten Weltordnung zu einer gewissen Lähmung geführt zu haben schien, ist einer kraftvollen und hochinteressanten Zeitdiagnostik gewichen. Längst erfüllt die Literatur ihre genuine Aufgabe, Seismograf zu sein. Sie liefert Bilder, die über den Moment hinaus bestehen und die mehr wagen, auch mehr wagen müssen, als der klügste Leitartikel; Bilder, die ins Herz der unbekannten Gesellschaft treffen, in der wir leben.
...

Wer, vom Hauptbahnhof kommend, durch die Stuttgarter Königstraße läuft und den Schlossplatz passiert, erblickt plötzlich ein Gebäude, das die üblichen Debatten über die Krise des Kaufhauses gegenstandslos erscheinen lässt. Ist dieser schicke Glaskubus nicht ein besonders ambitionierter und moderner Konsumtempel?Stellt er nicht sogar den Höhepunkt einer langen Einkaufsstraße dar?Doch handelt es sich hierbei um das Kunstmuseum. Gezielt haben die Architekten des Büros Hascher Jehle mit Elementen der Kaufhausarchitektur gespielt, als sie den 2005 fertiggestellten Bau entwarfen: Selbstbewusst sollte die Kunst die Konkurrenz zum Konsum aufnehmen und sich als echte Alternative zum Shopping darbieten. Und die Besucher des Museums ...

Gerade jetzt, wo sich der Weltkunstbetrieb darauf geeinigt zu haben scheint, dass Berlin die lebhafteste Kunstszene hat, wird es dort seltsam ruhig. Die Zeit der Goldgräberstimmung, in der die Messe Art Forum das absolut Neue versprach, ist vorüber, der euphorische Tumult, der noch in den vergangenen Jahren bei der Eröffnung herrschte, ist einem übersichtlichen, routinierten Betrieb gewichen. Das Art Forum hat sich als die große deutsche Messe für junge Kunst etabliert. Das ganz große Geld hingegen wird hier nicht umgesetzt, viele international erfolgreiche Berliner Galerien wie Sprüth Magers, Max Hetzler, Daniel Buchholz oder Guido Baudach ignorieren das Art Forum einfach. E ...

Wir bekommen es in Greifswald gleich am Beginn der Ausstellung schwarz auf weiß: Die deutsche Romantik war protestantisch und wurde in Pommern geboren. Die fein säuberlichen Taufeinträge für Caspar David Friedrich aus der Evangelischen Domgemeinde in Greifswald von 1774, Philipp Otto Runge aus der Evangelischen Kirchengemeinde Wolgast im Jahre 1777 und Friedrich August von Klinkowström aus Schloss Ludwigsburg von 1778 beweisen, dass es wohl keinen besseren Ort auf der Welt gibt als das Pommersche Landesmuseum in Greifswald für eine Ausstellung, die den großen Titel Die Geburt der Romantik trägt. Aber bevor wir zu dieser großen Geburt kommen, die gar keine ...

Berkeley, Kalifornien. Ein Haus, hoch oben in den Hügeln. Manikürte Gärten ringsum, ein weißes Cabrio steht in der Auffahrt, offen, natürlich. In der Ferne, jenseits der Bucht, liegt die Silhouette von San Francisco im Dunst, und etwas weiter südlich ist das Silicon Valley zu ahnen, der Ort, an dem die neuen Herren der Welt residieren - Apple, Facebook, Google. Es ist ein Millionen-Dollar-Blick, aber Jaron Lanier hat dafür nichts übrig. Oder keine Zeit. Oder vielleicht hat er auch einfach schon zu viele Jahre im Valley verbracht, um noch häufig hinüberzuschauen. Vor den Fenstern seines Studios hängen Batiktücher, die das gleißende ...

Auch an diesem Abend setzt sich an der U-Bahn-Station Schlesisches Tor, wie jeden Abend, ein extrem blasser, dünner Mann (niemand weiß genau, welche Sprache er spricht) an sein Cello. Und als seien da keine Junkies, die Fahrkarten loswerden wollen, als seien da nicht die feierlustigen Boys und Girls, die aus der U-Bahn hinaus in die Nacht umsteigen, spielt er: Bach. Cello-Suite Nr. 1. Metallisch klingt es durch Kreuzberg - bis zum Zigarettenladen Spätkauf, wo Salim den Fernseher einschaltet, weil jetzt das Spiel Türkei gegen Deutschland beginnt. "Wie ist die Stimmung in Kreuzberg?", wird eine Live-Reporterin dort gefragt, sie steht ...