Inhaltsverzeichnis vom 16.09.2010

Am wichtigsten sei ihm, auf keinen Fall falsch verstanden zu werden. Das sagt Michael Strohbach gleich an der Eingangstür des Plattenbaus in einem Leipziger Gewerbegebiet. Dort, im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, hat der Landschaftsökologe einen überraschenden Zusammenhang entdeckt: In reichen Stadtteilen leben mehr Vogelarten als in ärmeren. Mit der Sozialstruktur aber, sagt Strohbach, habe das nichts zu tun.

Für seine Studie hat er die Anzahl von Vogelarten in einem abgegrenzten Gebiet mit Daten zu Landnutzung, Einwohnerdichte, Haushaltsgröße, Durchschnittsalter, Wohnungsleerstand und Durchschnittseinkommen der Bevölkerung verglichen. Dabei kam heraus, dass die größte Vielfalt an Vögeln in jenen Stadtteilen herrscht, deren Bewohner höhere Einkommen ...

Man kann den Tod von Bärbel Bohley von verschiedenen Enden aus erzählen. Da ist zum einen dieses Foto, kein bekanntes, ein Schnappschuss. Es zeigt eine kleine Menschengruppe am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Sie stehen nicht auf einer Bühne, sondern irgendwo im Getümmel. Trotz der Spontanität der Aufnahme gelingt es Gregor Gysi, Heiner Müller und Ulrich Mühe, direkt in die Kamera zu schauen. Medienprofis irgendwie. Nur der Blick Bärbel Bohleys flieht aus dem Bild, nur sie schaut woandershin. Sie hat eine Blume im Knopfloch und eine Zigarette in der Hand.

Es ist ein verstörendes Bild, längst hat sich ...

DIE ZEIT: Sie sind Kämmerer in ganz unterschiedlichen Städten. Gibt es etwas, worum Sie den anderen beneiden?

Hartmut Vorjohann: Ich bin sehr glücklich in meiner Stadt und stolzer Dresdner. Neidisch auf Wuppertal?Da gibt es eigentlich nichts.

Johannes Slawig: Es wäre schon schön, in einer Stadt ohne Schulden zu arbeiten. Der Blick nach Dresden ist faszinierend.

ZEIT: Wuppertal ist fast pleite. Dresden gilt als reiche Stadt. Damit wir uns vorstellen können, was das für den Alltag der Bürger bedeutet, lassen Sie uns Quartett spielen: Wie viele städtische Theater haben Sie?

Vorjohann: Bei uns gibt es das einzige Operettenhaus in Deutschland ...

Das Geheimnis eines guten Schauspielers ist vermutlich, dass er überhaupt eines hat. Denn damit ein Akteur die Zuschauer fesselt, müssen diese glauben, dass es noch eine verborgene Tiefe gibt, ein zweites Ich, etwas nie Fassbares an der jeweiligen Figur, das nur ab und zu unverhofft aufblitzt. Wenigen Schauspielern gelingen diese Momente, und auch die Talentierten schaffen den Sprung oft erst, wenn sie älter sind und ihnen kein Schmerz, kein Glück, kein menschlicher Abgrund mehr fremd ist.

Nur bei ihr verhielt es sich anders. Sie war süße Neunzehn und besaß es von Natur aus, dieses Unergründliche. Was auch immer sie tat ...

Wolfgang Schmidbauer, 69, ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten. Die Fragen dieser Kolumne werden in seinem neuen Buch "Paartherapie: Konflikte verstehen, Lösungen finden" vertieft, das beim Gütersloher Verlagshaus erschienen ist.

Eva und Max sind bald zehn Jahre zusammen. Eva wird bald 50, Max ist acht Jahre älter. Sie haben keine Kinder, sind beide berufstätig; Sie schlafen schon einige Jahre nicht mehr miteinander, die Beziehung ist aber sehr nahe, sie unternehmen viel, unterstützen sich in beruflichen Fragen. Nun hat sie sich vor einem halben Jahr in seinen besten Freund Robert verliebt und dieser in sie. Bisher war es nur eine leidenschaftliche ...

In der Südtiroler Presse wird darüber diskutiert, ob man an den Wochenenden die Pässe für den Privatverkehr sperren sollte. Wer jemals zur Ferienzeit über den Grödner Joch genannten Wurmfortsatz gekurvt ist, von Schleichern behindert und von Bikern verschreckt, kann die Idee nur begrüßen. Unglücklicherweise liegt der Ort St. Kassian im Zentrum der Urlauberströme, sodass, wer bei Norbert Niederkofler im Restaurant Hubertus essen will, sich glücklich schätzt, wenn er das Hotel Rosa Alpina lebend erreicht. Diese Adresse gilt als Nummer eins der Südtiroler Gastronomie, Niederkofler als bester Koch des Landes. Bei meinem letzten Besuch konnte ich das noch bestätigen.

Das große ...

Manchmal ist, was einem spontan so einfällt, auch ein bisschen peinlich, und es empfiehlt sich, das Bauchgefühl durch den Kopf zu filtern, bevor man es aufschreibt. Trotzdem - der erste Eindruck hielt sich hartnäckig, er war geradezu aufdringlich, und deshalb gebe ich hier offen zu: Ich fühlte mich wie in Papas Auto.

Ja pfui, das geht ja nun gar nicht!Mädchenhafte Ehrfurchts-, Unzulänglichkeits- und Steht-mir-nicht-zu-Gefühle sind echt von vorgestern, und eine Frau muss selbstbewusst dagegen angehen... Weiß ich doch alles!Fühl ich aber nicht. Das ist ja das Problem: Ins Allgemeine hochgerechnet, sorgen solche dummen Gefühle dafür, dass Frauen ...

Es gab mal drei Moderegeln, die als unumstößlich galten: 1. Querstreifen machen dick, 2. Querstreifen machen dick, 3. Querstreifen machen dick. Vielleicht waren Querstreifen deshalb traditionell die Tracht derer, die sich um den Körperumfang eher wenig Gedanken machten: Seeleute und Häftlinge. Das jedenfalls hat sich geändert. Zurzeit sind Tops, Shirts und Blazer mit blauen Querstreifen überall zu sehen. Chanel eröffnete den Reigen Anfang des Jahres mit Karl Lagerfelds Resort-Kollektion, die ganz im Zeichen des Maritimen stand, seitdem haben alle, ob Céline, Junya Watanabe oder auch Zara und H&M, Streifen-Tops im Angebot.

Coco Chanel war es gewesen, die sie einst zur ...

Ein Jude und ein Araber machen zusammen Musik, nennen sich CHROMEO und liefern den schönsten, weil menschlichsten Elektropop der Stunde ab. Bitte auf YouTube überprüfenDiese Brausepulver-Bonbons heißen BRAUSE-PLUS, werden in Potsdam hergestellt und machen jeden, der sie lutscht, für fünf Minuten glücklich. Mindestens"Auf Reisen mit Tim und Struppi" heißt die Reise-Doku-Reihe, die Arte ab dem 20. September zeigt. Wunderschön, lehrreich, tolles FERNSEHENAlles, was Miranda July macht, macht glücklich. Das bewies sie als Regisseurin, Schriftstellerin, Künstlerin. Jetzt kann man ein POSTER-PAKET bestellen (www.mono-blog.com): Drei Poster, schönes Papier, sagenhafte Texte. Okayer Preis: 29 EuroNüsse?Mhmm. Heiter?Jawoll!Denn in diesen ...

Sind wir als Egoisten geboren?Im Jahr 1976 veröffentlichte Richard Dawkins, ein damals völlig unbekannter Biologe aus Oxford, ein aufsehenerregendes Buch. Es hieß Das egoistische Gen . Dawkins beschrieb darin eine Welt, in der die Gene uns programmieren, zutiefst eigennützige Wesen zu sein. Aber schon bei meiner ersten Lektüre regten sich Zweifel: Könnte es nicht sein, dass Menschen in Wirklichkeit weniger egoistisch sind, als sie scheinen?Möglicherweise siegt auf lange Sicht gerade nicht das egoistische Gen, sondern die Selbstlosigkeit. Diese Gedanken ließen mich nicht mehr los, schließlich schrieb ich sogar ein Buch darüber.

Seit seinem spektakulären Erstling hat sich Dawkins ...

Ein oft wiederkehrender Traum ist folgender: Ich sehe den Hinterkopf meines Vaters neben mir im Bett, er liegt halb abgewandt, ich führe meine Hand an seinen Kopf und versuche ihn zu berühren. In meinem Traum fühlt es sich an, als würde diese Bewegung eine Stunde dauern. Dann, in der Aufwachphase zwischen Schlafen und Wachen, beginne ich zu begreifen, dass dort neben mir nur ein Kuscheltier meiner Kinder liegt. Ich kann meine Enttäuschung nicht unterdrücken, blicke immer wieder mit weit aufgerissenen Augen in die Richtung, in die ich meine Hand strecke. Dann drehe ich mich auf den Rücken und starre an ...

Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter.

Frau Michel, als die Bilder Ihrer Tochter in Berlin ausgestellt wurden, kamen Sie zur Vernissage. Wie war der Abend für Sie?

Gabriele Michel: Ich habe mich gefreut für meine Tochter. Der Raum war gut gewählt, großzügig, sie konnte viele Bilder zeigen.

Viele Bilder von Ihnen.

Michel: Ja, vorher habe ich das nicht so recht beurteilen können, aber an dem Abend habe ich gespürt, wie wichtig diese Arbeit für Isabelle ist. Ich lief die Treppen hoch, sah einige Bilder, und erst in diesem Moment habe ich begriffen, was das für sie bedeutet.

Das Kunstmagazin "Monopol" ...

Lieber Herr Schmidt, ich kann mich kaum an eine heftigere Debatte erinnern als diese jetzt über Sarrazins Buch. Wie lässt sich das erklären?

Es lässt sich dadurch erklären, dass Sie relativ jung sind. Wenn Sie zum Beispiel 85 Jahre alt oder 91 so wie ich wären, dann würden Sie sich an heftige öffentliche Auseinandersetzungen und Debatten erinnern, zum Beispiel über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr in den Fünfzigern. Oder über die damals sogenannte neue Ostpolitik in den Siebzigern. Oder später über den Nato-Doppelbeschluss.

Das waren ja aber Grundsatzfragen der Politik. Hier hat sich eine politisch marginale Figur in einem Buch ...

SEPTEMBER 2003: "Es wird so getan, als ob wir Kinder ins Konzentrationslager schicken" (mit diesen Worten setzt er sich als Berliner Finanzsenator für höhere Kita-Gebühren ein)

NOVEMBER 2003: "Ihr seid doch Arschlöcher" (zu Studenten, die sein Büro besetzen, um gegen die Einsparungen zu protestieren)

FEBRUAR 2004: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sarrazin: Er soll beim Bau des Berliner Kulturtempels Tempodrom 1,5 Millionen Euro veruntreut haben

DEZEMBER 2004: In der "Tempodrom-Affäre" erklärt das Gericht die Vorwürfe gegen Sarrazin für unhaltbar

JUNI 2005: Sarrazin will, dass die Berliner Verkehrsbetriebe aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband austreten. Geringere Löhne wären die Folge

APRIL 2006: Sarrazin klagt vor dem Verfassungsgericht: Der ...

Mitten in Hamburg ist es. Dort, wo vom Hafen her die Möwen segeln und wo die Straßen große Namen tragen. Wo die Kaiser-Wilhelm-Straße den Gorch-Fock-Wall kreuzt, wo Schilder in Richtung Elbbrücken und Jungfernstieg weisen, dort liegt, verkehrsumtost, der Johannes-Brahms-Platz. Wenn die Ampel Grün zeigt, hat man ihn in zehn Sekunden überquert und dann auch schon vergessen, weil der Verkehr uns immer weiterträgt. Und damit unsere Gedanken.

Jetzt ist aber gerade Rot. So wie immer Rot zu sein scheint, wenn wir an eine Ampel kommen.

Wir stehen also und fangen an zu grübeln: Welche Macht im Land verteilt eigentlich das Grün?W ...

Meine Damen und Herren!Zur Erinnerung haben wir heute an unseren Pulten einige Fotografien berühmter österreichischer Flüchtlinge angebracht. Vielleicht wird Ihnen so bewußt, was sich hinter dem verbirgt, was viele von Ihnen "menschliches Strandgut" nennen. Damit Ihnen wieder bewußt wird, daß Sie dabei von menschlichen Schicksalen reden.

Der Eiserne Vorhang ist gefallen, und er ist einer nicht weniger harten Grenze in unseren Köpfen gewichen, einer Grenze zwischen dem zwölftreichsten Land der Welt, einem wohlhabenden, sicheren und reichen Land, und einem verelendenden Teil Europas, in dem Menschen hungern, in dem Menschen verfolgt, in dem Menschen vertrieben werden. Diese Grenze wird nicht ...

Am Freitag vergangener Woche sah Christian Kern rot. Tiefrot. Die Zwischenbilanz, die der seit Juni amtierende Geschäftsführer der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) präsentierte, zeugte von dem desaströsen Zustand, in dem sich der Staatsbetrieb seit Jahren befindet. Zum Halbjahr fuhr die Bahn einen Verlust von knapp 50 Millionen Euro ein. Bis zum Jahresende dürfte sich der Abgang mehr als verdoppeln. Allein der Güterverkehr vernichtete in den vergangenen drei Jahren 650 Millionen Euro Eigenkapital. "Wir können so nicht weitermachen", erklärte der ÖBB-Manager und kündigte einen harten Sanierungskurs an.

An den drei ehrgeizigen, seit Jahren umstrittenen Prestigeprojekten, der Errichtung des Brenner-Basistunnels, des Semmering-Basistunnels sowie ...

Vor Zehntausenden von Jahren, im Jungpaläolithikum, als die Urahnen der Wiener noch in Höhlen Zuflucht suchten und sich mit Fellen vor Wind und Wetter schützen, da traten diese Steinzeitmenschen mitunter aus ihren Behausungen und fuchtelten grimmig mit einem Knochen oder einem Holzprügel durch die Luft, vielleicht nur um Auffallen zu erregen oder aber auch, um den Leuten in den Nachbarhöhlen Schrecken einzujagen. Das nannten sie "eine Keule schwingen" und waren mächtig stolz auf ihre Drohgebärde. Vermutlich hatte einst ein früher Homo erectus diese Kulturtechnik den Schimpansen abgeschaut, ihren Nutzen erkannt und sie an spätere Generationen überliefert, die dann die Keule, d ...

Während meines Kunststudiums in Rotterdam lernte ich meinen Freund Thomas kennen, einen Mexikaner. Da es für ihn sehr schwierig war, in Europa eine dauerhafte Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, machten wir Mexico City zur Basis unseres gemeinsamen Lebens. Wir wohnen in der Colonia Navarte, einem mittelständischen Bezirk abseits der touristischen Trampelpfade.

Mein Studium setze ich inzwischen in London fort, wo ich eine Doktorarbeit zum Thema Lucha Libre - Wrestling in Mexico schreibe. Das Besondere an dem Schaukampfsport ist, dass nicht nur die üblichen Muskelpakete, sondern auch kleinwüchsige Wrestler, sogenannte Minis , antreten. Am auffälligsten sind jedoch die Queer-Kämpfer, die Exoticos. D ...

Die siebenköpfige kurdische Familie, die ein Doppelhaus mit mir teilt. Sie bringt mir Respekt und Ehrfurcht entgegen, nicht weil ich alt bin, sondern weil ich ein langes Leben gelebt habe, wie mir der 18-jährige Visdan erklärte. Firkrie, die Mutter, bringt mir von ihren Speisen, und ich lerne wieder die alte Kunst des Ausleihens, sei es eine Zwiebel oder eine Tasse Zucker. Mit Busra, der einzigen Tochter, kann ich mich über Politik unterhalten, sie hat viel Ahnung und interessiert sich für die Rolle der Frau, sowohl in Kurdistan als auch in Deutschland. Umut, der Erstgeborene, ist ein zorniger junger Mann, schön ...

Hilal Sezgin wendet sich gegen Pauschalisierungen in der Debatte um muslimische Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Es ist nur zu verständlich, dass sie sich "muslimifiziert" fühlt und sich dagegen wehrt. Doch Hilal Sezgin wendet sich nicht nur gegen die Wortführer der muslimophoben Debatte. Sie kritisiert ihr Publikum, diejenigen, die ihr zuhören, und fürchtet, Dummheit, Vorurteile, falsche Koranzitate et cetera könnten Platz greifen. Doch gerade die Menschen, die für Sezgin eine Wand der Vorurteile bilden, sind diejenigen, die offenbar etwas über den Islam erfahren wollen, die den Vortrag einer türkischstämmigen Intellektuellen, die sich zum Islam bekennt, besuchen - und eben nicht ...

Geflieste Wände, Neonlicht, Stahltische, auf jedem eine Leiche - das war Alltag für Gabriele Beer. In der rechtsmedizinischen Abteilung der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität beugte sie sich in ihrem weißen Kittel über erkaltete Körper, und wenn sie unter irgendeinem Fingernagel doch noch einen Fetzen Haut fand, dann war klar: Heute wird das Licht in ihrem Labor wieder einmal länger brennen. Mittendrin sein in einem Krimi, vermuten, Beweise suchen und finden - das war ihre Welt.

20 Jahre später: Gabriele Beer sitzt im eleganten Hosenanzug in ihrem Büro, telefoniert, schreibt E-Mails, bereitet Konferenzen vor. Einen weißen Kittel hat die Humanbiologin schon lange nicht ...

Langsam wird die Sache selbst für hochschulaffine Beobachter unübersichtlich. Vor ein paar Wochen erst wurde das aktuelle Shanghai-Ranking veröffentlicht, vor ein paar Tagen erschien das siebte "QS World University"-Ranking und jetzt also das - ebenfalls siebte - "Times Higher Education World University"-Ranking. Was soll diese auffällige Häufung umstrittener Uni-Ranglisten?Und woher kommt diese seltsame Namensgleichheit zwischen den beiden letztgenannten Vergleichsstudien, die zudem auch noch beide von sich behaupten, zum siebten Mal zu erscheinen?

Die kurzgefasste Antwort: Die schon bislang umstrittene Ranking-Industrie ist in eine neue Phase der Absurdität eingetreten. Lange Zeit gab es unter den wie Bundesligatabellen anmutenden internationalen Hochschulvergleichen ...

Das Saarland hat als erstes Bundesland eine privatrechtliche Stiftung zur Förderung herausragender Studenten gegründet. Als Gründungskapital hat die Landesregierung sechs Millionen Euro bewilligt, die aus Privatisierungserlösen stammen. Kurios, aber durchaus sinnvoll ist die Anlagestrategie der StudienStiftung Saar: Sie verleiht die sechs Millionen zurück ans Land und kassiert dafür fünf Prozent Zinsen. Die Gründung der Stiftung liegt zwar schon über ein Jahr zurück, doch erst jetzt beginnt der eigentliche Betrieb: Mit zunächst jährlich 270000 Euro sollen rund 180 Studenten Stipendien erhalten. "Wir hätten natürlich auch jedes Jahr die gleiche Summe als Zustiftung überweisen können", sagt der saarländische Wissenschaftsminister Christoph Hartmann (FDP). " ...

Auf ihrem Schreibtisch steht eine weiße Kaffeetasse mit schwarzer Aufschrift: "Claudia on the move". Zwei bis drei Tage in der Woche arbeitet die promovierte Sportwissenschaftlerin hier, in ihrem Büro an der privaten Bremer Jacobs University, und forscht über den Zusammenhang zwischen der kognitiven Entwicklung älterer Menschen und ihrer derer Motorik. An den anderen Tagen ist Claudia Voelcker-Rehage selbst in Bewegung: Zurück nach Bielefeld, zweieinhalb Stunden Autofahrt, zu ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann Daniel, der als Produktentwickler bei einem mittelständischen Unternehmen arbeitet. Als der Sohn unterwegs war, freuten sich die werdenden Eltern, und sie fingen an zu diskutieren: "Daniel und ...

Lehramtsprüfungen sagen wenig darüber aus, ob sich jemand für den Beruf tatsächlich eignet - das ist die Erfahrung von Johann Beichel; er muss es wissen, er leitet das Landeslehrerprüfungsamt in Karlsruhe. Gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Karlsruher Institut für Technologie sucht er nach einer besseren Methode, um gute Lehrer zu finden

DIE ZEIT: Wie ist es Ihrer Meinung nach um die Lehrerausbildung in Deutschland bestellt?

Johann Beichel: Sie ist aufwendiger als in anderen europäischen Ländern. Sie ist aber von den Juristen in eine Scheinobjektivität gedrängt worden. Wir fokussieren auf Messbares, geben den Lehrern Zehntelnoten. Messbar ist zum Beispiel die Medienkompetenz. Ob einer ...

Dem kleinen Mädchen steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, dem blonden Jungen laufen dicke Tränen über die Wangen. Darüber der Schriftzug: "Schulzwang schon für 4-Jährige?"Mit solch drastischen Plakaten trommelt die rechtsnationale Schweizer Volkspartei für den Widerstand gegen die tiefgreifendste Bildungsreform der letzten Jahrzehnte im Nachbarland. Das Vorhaben, Harmos genannt, sieht neben einer Vereinheitlichung der Primarschule in den Deutschschweizer Kantonen die Ausweitung der Schulpflicht vor. In Zukunft sollen die kleinen Eidgenossen statt mit sechs bereits mit vier Jahren beginnen, sich zu bilden. An die Stelle des freiwilligen Kindergartens tritt eine Vorschule, Eingangsstufe genannt, der sich niemand entziehen darf. Während die ...

Ephesos gehört zu den meistbesuchten antiken Sehenswürdigkeiten der Türkei. Zwar ist nichts geblieben von dem Artemis-Tempel, einem der sieben Weltwunder der Antike, der den Ort in griechischer Zeit zu einer berühmten Wallfahrtsstätte gemacht hatte. Doch was österreichische Archäologen an Baudenkmälern freigelegt haben, lässt vor den Augen des Besuchers eine klassisch römische Stadt wiedererstehen mit Theater, Gymnasien, Markthallen, Foren, Thermen und - ja, auch öffentliche Latrinen. Man kann sich müde laufen in diesem weiträumigen Areal und dabei nachvollziehen, dass diese Stadt an der kleinasiatischen Westküste während der römischen Kaiserzeit die zweitgrößte Metropole des Orients war, mit etwa 300000 Einwohnern. Als Guide ...

Von Magie oder Erotik der Macht ist aus Brüssel nichts bekannt. Dabei stellen dort 50000 EU-Beamte, Abgeordnete, Lobbyisten und Praktikanten wichtige Weichen im Leben von einer halben Milliarde EU-Bürger. Was treiben diese "Feen und Heinzelmännchen der Europablase", die "Dealer, Liebesdiener und Aufräumer"?Und vor allem: Wie leben sie?Wer sind ihre Nachbarn?Der österreichische Kolumnist Martin Leidenfrost hat sich im Herbst 2008 für ein Jahr in Brüssel einquartiert, um sich die Heimat der vermeintlich so antlitzlosen Eurokraten einmal genauer anzusehen. Das Buch, das in dieser Zeit entstand, liest sich wie ein moderner Abenteuerparcours durchs Herz Europas. Über das Internetportal couchsurfing.o ...

Am Morgen haben die Fernsehcrews vor der New Yorker Börse ihre Scheinwerfer in Stellung gebracht. Die Reporter tragen streng geschnittene Anzüge, berichten in ihre Mikrofone von den ersten Kursbewegungen des Tages. Ein paar Börsenmitarbeiter huschen über den Bordstein, verschwinden in Seiteneingängen. Und irgendwo, am Rande der routinierten Geschäftigkeit, ruft eine tiefe Bassstimme: "Haben Sie reserviert?Wall Street Experience?Die Financial Crisis Tour?"

Der große, schlaksige Mann mit Frank-Zappa-Bart, der ein Häuflein Passanten um sich schart, heißt Tom. Er trägt ein blaues Bürohemd zur schwarzen Stoffhose und in der Hand eine Aktentasche. Toms Stadtführung ist in diesen Tagen häufig ausgebucht. Das ...

Was ist das Autofahren in Miami Beach immer lästig!Aus der flirrenden Hitze in die kalte Klimaanlagenluft, ständig Staus, keine Parkplätze. Doch jetzt gibt es eine Alternative: Als eine der ersten Städte der USA führt Miami Beach ein öffentliches Radverleihsystem ein!Rund um die Uhr können Besucher und Einheimische an etwa hundert mit Solarenergie betriebenen Fahrradstationen am Rande des berühmten Art-déco-Viertels Stadträder mieten. Das Verfahren ist einfach: Man registriert sich mit seiner Kreditkarte. Einmalnutzer zahlen für 30 Minuten vier und für jede volle Stunde fünf Dollar. Wer häufiger radeln möchte, wählt eine Tageskarte für 24 Stunden (14 Dollar) oder einen ...

Der Niesen verhält sich zum Matterhorn wie Howe Gelb zu Mick Jagger. Beide sind eindrücklich, und doch ist der eine eher ein Fall für Kenner und der andere Allgemeingut. Mit 2326 Metern Höhe ist der Niesen südlich des Thunersees im Berner Oberland deutlich niedriger als das weltberühmte Matterhorn. Aber seine fast symmetrische Form eines gleichschenkligen Dreiecks macht ihn unvergessen für alle, die jemals vor ihm standen.

Das gilt besonders für Maler. Paul Klee, Ferdinand Hodler, Cuno Amiet, August Macke, Johannes Itten, Jean-Frédéric Schnyder, alle haben sie den Niesen zum Motiv gemacht - kubistisch abstrakt, symbolisch-naturalistisch, expressionistisch, konkret, als ironisches Zitat ...

Man kennt die Bilder: Tourist, kurze Hosen, Rucksack, Kamera vorm Bauch. Daneben ein Einheimischer: nackt, körperbemalt, speerschwingend. Meist gehört er einer Minderheit an, die in einem Rückzugsgebiet siedelt, im Regenwald, im Gebirge, in der Wüste oder auf einer Insel oder in einer anderen Gegend, die politisch und ökonomisch wenig in die Gesellschaft des Reiselandes integriert ist. Nur Exotisches darf es sein im Ethnotourismus. Jäger und Sammler sind besonders beliebt, aber auch Ackerbauern, die winzige Felder mit dem Hakenpflug und ohne Kunstdünger beackern, oder Viehzüchter, wobei sich Nomaden beim Ethnotourismus eines besonderen Nimbus erfreuen.

Es sind kleine Spezialveranstalter, die die Marke ...

Weder hatte ich eine Krise, noch suchte ich Gott. Weder litt ich unter Kummer, noch war ich ausgebrannt. Ich ging nach Norwegen, um spüren zu lernen, warum Menschen pilgern. Ich ging, um mich ergreifen zu lassen. Vielleicht würde sich eine mystische Erfahrung ergeben, vielleicht nur eine wunde Ferse. Niemand weiß, wie der Weg ihn führen wird. Schon damit fängt das Glück an.

Der Weg begann in Skaden. Für mich begann er in Skaden, für andere beginnt er in Oslo oder in Hamar oder in Lillehammer oder in Dombas. Es ist völlig egal, wo der Weg beginnt. Es ist unwichtig, von ...

Hans Werner Henze empfängt Gäste am liebsten auf der Terrakottaterrasse seines Landgutes La Leprara in den Albaner Bergen südlich von Rom, wo er seit über 50 Jahren lebt. Die Abendsonne taucht den kleinen Ort Marino, der sich in der Ferne an die Berge schmiegt, in ein goldbronzenes Licht. Der 84-jährige Komponist thront in einem Lehnstuhl, auf dem Steintisch vor ihm steht ein Glas mit Whiskey. Er trägt ein blaues Sakko mit Einstecktuch über der weiten hellen Leinenhose. Henzes Stimmung ist elegisch. Er spricht leise und molto adagio mit langen Fermaten des Nachdenkens.

DIE ZEIT: Herr Henze, vor sieben Jahren haben ...

Warum nicht einmal ein Haus aus alten Waschmaschinen?Oder aus Windschutzscheiben und Autoreifen?Selbst Kühlschranktüren, Küchenspülen oder die Rotorblätter einer ausgedienten Windturbine sind den Mitarbeitern des Rotterdamer Büros 2012Architecten herzlich willkommen. Sie bauen aus alldem, was andere auf die Deponie karren würden, die aufregendsten Pavillons, Spielplätze, ja, sogar Wohnhäuser. Und manchmal weiß man gar nicht genau, was sie da eigentlich geplant haben: Ihre Miele Space Station könnte alles sein, Musikladen und Bar, Laufsteg für eine Modenschau, Pressezentrum eines Musikfestivals und Pizzarestaurant.

Fast alle der 25 jungen Architektenbüros aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland, deren Arbeiten in diesem Herbst in Aachen ...

Wie wird aus dem Sohn eines türkischen Gießereiarbeiters ein erfolgreicher deutscher Regisseur?Wie bewegt man sich in der Welt von Kunst und Literatur, wenn man aus einem Zuhause kommt, wo man mittags nicht weiß, was es abends zu essen gibt?Wo man wochenlang ohne Licht lebt, weil kein Geld für die Stromrechnung übrig und das Leben eine einzige permanente Erschöpfung ist?Und was heißt das genau, "das Theater den Eigentümern zurückgeben"?

Antworten auf diese Fragen gibt es in Berlin-Kreuzberg, im türkischen Restaurant Hasir, von dem es heißt, dass dort der erste Kebab Deutschlands gegrillt wurde. Ein guter Ort, um über ...

Als es bei Kommissar Kurt Wallander im Jahr 1991 erstmals jenseits der schwedischen Landesgrenze zur Sache ging, schlugen die Hunde von Riga an. Ihr Gebell galt einer korrupten Polizei und der Mafia, mit der es Henning Mankells Krimiheld zu tun bekam. Aber sie witterten auch den Pulverdampf, der aus den Wirrungen einer politischen Zeitenwende aufstieg: Das gesamte Baltikum stand kurz vor einem Vulkanausbruch, die Lettische Sozialistische Sovietrepublik hatte sich von der Sowjetunion losgesagt, alte Seilschaften versuchten dort, ihre Pfründen zu sichern, der Feind stand in Moskau und - unter dem Mantel der Kollaboration - im Lande selbst.

Lettland, seit 2004 ...

Schweden im November. Beim morgendlichen Erwachen weiß man nicht, ob es zu früh oder zu spät ist, um aufzustehen. Es bleibt ganz einfach düster, der Himmel duldet kein Licht. Es ist die beste Zeit für Kino und der wohl beste Breitengrad für ein Filmfestival. Immerhin ist dort Licht. Doch die Festivalerfinder in Stockholm wissen gar nicht um den naheliegendsten aller naheliegenden Gründe, ein Filmfestival zu besuchen. Stattdessen haben sie sich etwas anderes ausgedacht: Vergangenes Jahr bekam Susan Sarandon einen Preis für ihr Lebenswerk. Andächtig überreichte man ihr die Trophäe, sie sagte daraufhin eifrig ins Mikrofon: "Danke fürs Essen."Und nun ...

Eine groß angelegte Suite für Jazztrio mit Gastsolist und Streichorchester - das klingt nach Überambition. Brückenschlag zwischen Jazz und Klassik, zwischen U und E ist ein altes Thema, an dem sich in der Geschichte des Jazz viele versuchten. Doch von Paul Whitemans Symphonic Jazz bis zu Gunther Schullers Third Stream und darüber hinaus - Höhepunkte der Jazzgeschichte in derartigen Konstellationen blieben die Ausnahme. Was kein Grund sein muss, es nicht einfach mal wieder zu versuchen.

Zum Abschluss des 12. "enjoy jazz"-Festivals ist es so weit, da führt der Pianist Brad Mehldau mit dem Gastsolisten Joshua Redman am Saxofon und einem ...

Im Sommer 1858 war die Moderne kurz in Frankfurt zu Besuch. Gustave Courbet kam aus Paris, wo er gerade seine ersten großen Schlachten für die neue Kunst geschlagen hatte, und ließ sich am Main nieder, um sich auszuruhen, zu jagen und zu malen. Die Frankfurter Kunstakademie stellte Courbet ein eigenes Atelier zur Verfügung - dort und in der Frankfurter Hochstraße entstand im August 1858 eines der rätselhaftesten Bilder dieses großen Magiers der Malerei des 19. Jahrhunderts. Die Dame auf der Terrasse, auch La Dame de Francfort genannt, ein gigantisches, 207 mal 325 Zentimeter großes Bild, bei dem bis heute allein ...

Auch Kirchenskandale dauern nicht ewig. Endlich, so hoffen viele Gläubige, wird die römisch-katholische Kirche zur Besinnung kommen und sich "geistlich erneuern". Der Papst wird einen neuen Anfang wagen, und zwar schon auf seiner Reise nach England, denn der Papst hat seine Lektion gelernt.

Aber welche Lektion wird es sein?Wird der Vatikan die omertà cattolica, das System des Schweigens und Vertuschens, abschaffen?Wird die Kirche in Zukunft freier werden, weitherziger, offener und "liberaler"?

Wer diese Hoffnung hegt, und das sind nicht wenige Katholiken, der wird womöglich enttäuscht werden. Denn vieles deutet darauf hin, dass Benedikt XVI. zwar seine Haltung zur ...

Am Sängerhimmel ist es jenseits der vertrauten Flugrouten einsam. Die meisten Flüge gehen von Händel nach Puccini, von Strauss nach Wagner und wieder zurück. Wer aber seine Partie nicht mit einer Referenzaufnahme aus dem CD-Regal trainieren kann, weil er auf die Noten vom Komponisten wartet, während der Uraufführungstermin näher rückt, der ist in dünner Luft allein unterwegs. Einen solchen Sensationsflug in einsamer Höhe hat in diesem Jahr in Salzburg Mojca Erdmann unternommen, als sie die weibliche Hauptrolle in Wolfgang Rihms Nietzsche-Oper Dionysos sang. Die Festspielzeit mag zu Ende sein, aber der Sopran von Mojca Erdmann will uns einfach nicht aus ...

Kino heißt, schöne Frauen schöne Dinge tun zu lassen - lautet ein bis zum Umfallen zitierter Satz von François Truffaut. Angesichts der Filme in Venedig könnte man ihn abwandeln.

Hier bedeutete Kino nämlich oftmals, dass hässliche Männer hässliche Dinge tun. Und so war es immer wieder eine Herausforderung, morgens um halb neun nach einem schnellen Frühstück den Blick auf der Leinwand zu lassen. Mit einem stillen Helden ging man in ein chilenisches Leichenschauhaus, um die Toten des chilenischen Bürgerkrieges zu obduzieren (Pablo Larrains Post Mortem). Man sah einen Liebenden, der seinem Rivalen das Gesicht zerhackt (Álex de la Iglesias Ballada ...

"Ich sage dir, wir sind nur Schatten, / Ich, du, und jene Andern aus der Menge; / Denn bist du gut: du hast es so gelernt, / Und bin ich ehrenhaft: ich sah′s nicht anders; / Sind jene Andern Mörder, wie sie′s sind: / Schon ihre Väter waren′s, wenn es galt. / Die Welt ist nur ein ew′ger Widerhall / Und Korn aus Korn ist ihre ganze Ernte."

So spricht der König aus Franz Grillparzers Schauspiel Die Jüdin von Toledo , nachdem er erfahren hat, dass jenes Wesen, das er am meisten geliebt hat, Rachel, die Jüdin von Toledo, unter ...

Ohne lange nachzudenken: Worum geht es in der Blechtrommel eigentlich, oder einfacher: Was wird erzählt?Die Großmutter sitzt am Kartoffelfeuer, auf vielen Röcken, ein kurz gewachsener Flüchtling kommt gelaufen, schlüpft unter, die Verfolger kommen, die Großmutter stöhnt ein bisschen, und Enkel Oskar ist schon so gut wie auf dem Weg. Er ist klein, fällt die Kellertreppe hinunter, wächst nicht weiter. Mit drei Jahren und vollem Verstand bekommt er eine Trommel, rot und weiß gezackt, die später David Bennent so gut stand, und liebt diese über alles in der Welt. Und die Mutter kotzt doch so furchtbar, weil sie einen Klumpen ...

Gesetzt den Fall, Thomas Mann hätte nicht einen Sanatoriumsroman geschrieben, sondern zwölf Sanatoriumsromane (drei würden in Oberitalien spielen, vier an der Ostsee, zwei in Österreich, dann wäre wieder die Schweiz dran. Madame Chauchat wäre, wenn auch mit wechselnden osteuropäischen Identitäten und Allüren, immer dabei. Statt Brotkügelchen würde sie beim Essen Käsekügelchen rollen, statt mit der Tür des Speisezimmers zu knallen, würde sie: mit Armreifen klappern, Lippenstift an die Serviette schmieren, nach der Bedienung schnipsen, benutzte Taschentücher liegenlassen, etc....), also gesetzt den Fall, Thomas Mann hätte eine Art Fabrik für Sanatoriumsromane errichtet, man hätte ihn garantiert irgendwann für einen ...

Wenn Leid geschieht, soll man auch hinsehen. Ja, es kostet Überwindung, das Buch von Natascha Kampusch in die Hand zu nehmen, Augen und Herz aufzumachen und den Leidensweg ihrer achtjährigen Gefangenschaft in sich aufzunehmen. Dabei macht sie es einem leicht, ihrer Geschichte zuzuhören. Man lernt in ihrem Buch 3096 Tage eine emanzipierte Frau kennen, deren Wille zu leben auf grausame Weise gestählt wurde.

Ein Mann namens Wolfgang Priklopil packte die Zehnjährige in Wien auf offener Straße, warf sie in einen Lieferwagen und sperrte sie im eigenen Haus in ein tresorartiges Kellerverlies. Von nun an ist sie einem Psychopathen ausgeliefert, dessen ...

Ein unmögliches Buch, ein verrücktes, ein schockierendes, ein partiell wunderbares. Eines, das es nach Maßen der Vernunft gar nicht geben kann. Doch hier liegt es: 675 Seiten dick, vermutlich ein knappes Kilo schwer. Es könnte auch 1600 Seiten lang sein, und es wäre gewiss noch nicht alles erzählt aus diesem unmöglichen, diesem verrückten, diesem schockierenden, diesem wunderbaren Leben, von dem die Enkel unserer Enkel vermutlich sagen werden, dass es gar nicht hätte gelebt werden können. So unmöglich, so verrückt wie das Projekt des Autors, die Geschichte der Shoa in neuneinhalb langen Filmstunden zu erzählen - und dennoch gibt es diesen ...

Er sei aus lauter Schweigen gemacht, sagten die Kinder über ihren Mitschüler, den später weltberühmten Autor J. M. Barrie (1860 bis 1937). Daran hat sich zeit seines Lebens nichts geändert. Eine schönere Weise zu schweigen als in Texten von Barrie gibt es in der Literatur nicht. Heiterer als dieser zarte, kleinwüchsige Schotte kann man nicht hinwegplaudern über die dunklen Seiten des Lebens, den Verlust der Kindheit, die Unerreichbarkeit der Liebe, über Einsamkeit. Barries Roman The Little White Bird erschien im Jahre 1902; er ist übrigens das Nest, in dem Peter Pan erstmals die Flügel schüttelte und zu seinem nicht enden ...

Eine schöne Welt wäre das, in der junge muslimische Frauen das Kopftuch zu Hotpants und High Heels trügen und man ganz unbekümmert durch den bunten großstädtischen Wirrwarr in Berlin-Neukölln flanieren könnte. Wir kennen sie aus der beliebten Berliner Fernsehserie Türkisch für Anfänger. So ließe es sich leben: heute ein bisschen Neukölln, morgen ein bisschen SoHo, Montag ein schickes Kopftuch, Mittwoch eine Gucci-Sonnenbrille. Alles zusammen friedlich vereint unter dem großen Glasdach der globalen Pop-Ikonografie und deren frei flottierenden Dekorationen und Warenangeboten. Eine Pop-Idylle, in der im Abspann alle zusammen das gleiche Eis essen oder die gleiche Limonade trinken und die nur ...

Wenn man Claude Chabrol am Nachmittag zum Interview traf, konnte man sicher sein, dass er ein wenig zu spät kommen würde, weil ein gutes Mittagessen halt immer etwas länger dauert. Schließlich legte Chabrol, der Gourmet, Genießer und Rotweinkenner, seine Drehorte stets in die Nähe von zwei, drei hervorragenden Restaurants. Chabrol erschien dann mit leicht geröteten Rotweinbäckchen, seine Augen funkelten noch lebendiger, und er lachte noch bereitwilliger über sich selbst. Ja, Claude Chabrol war das, was man einen Bonvivant nennt, deshalb konnte er auf der Leinwand sarkastisch, aber eben auf Augenhöhe vom guten Leben, vom Luxus, von der Saturiertheit erzählen. Und ...

Das gleich vorweg: Beim jüngsten musikalischen Massenauflauf in Duisburg ist alles gut gegangen, allein bei der Abholung der Regenschirme gab es leichtes Gedränge. Sogar der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der am Tag darauf nur knapp seiner Amtsenthebung entgeht, kommt unfallfrei davon. Es galt ja als ausgesprochen pietätlos, dass der Mann, über dessen Mitverantwortung für die Katastrophe bei der Loveparade in "seiner" Stadt weiter gestritten wird, anlässlich der "Sinfonie der Tausend" überhaupt auftritt. Ausgepfiffen werde er, hatten Feind und Freund ihm prophezeit. Doch als er schließlich kurz vor Konzertbeginn die riesige Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark-Nord betritt, schweigt alles still. Vielleicht liegt ...

Seit Monaten laufen diverse Spots der neuen Versicherungsgruppe Ergo in derart hoher Frequenz, dass sie zum unvermeidlichen Gesprächsthema werden. Man spricht etwa über jenen jungen Mann, der auf einer Brücke in Berlin steht und fragt: "Versicherungen, was ist eigentlich schiefgelaufen zwischen uns?"Er hat einen Bart, er trägt eine Lederjacke, er ist, wie man so sagt, gut gebaut, er blickt leicht genervt, beinahe arrogant, denn er ist das, was sich heute jeder wünscht zu sein: ein mündiger Konsument. So leicht, sagt uns dieser Mittzwanziger (vermutlich arbeitet er in der "Kreativwirtschaft"), lasse ich mir von euch Vertreterheinis nichts andrehen. (Übrigens wurde ...

DIE ZEIT: Sie verlassen nach sechs Jahren die ARD. Was war das für eine Zeit?

Harald Schmidt: Ich war mit Fritz Pleitgen, dem ehemaligen Intendanten, mal essen. Ich erinnere einen langen Monolog von ihm. Dann gab es ein Treffen mit Ulrich Deppendorf, da fragte er mich, ob ich mir was vorstellen könne über Türken im Vorabendprogramm. Ich machte einen Ein-Satz-Witz: Kommt ein Türke zur Arbeit. Wir haben gelacht, viel mehr war nicht. Ja, und dann habe ich Volker Herres, den Programmdirektor, bei Waldi Hartmanns Bühnenprogramm getroffen. Viel mehr Gespräche gab es nicht.

ZEIT: Man konnte lesen, Sie waren im Gespräch ...

In meinem Kopf drehte sich alles. Gorilla war ein ehemaliges Kinderheimkind. Warum nur hatte sie mir nichts davon gesagt?Gerd kam aus dem Büro. "Ach, hier bist du", sagte sie. "Geht es dir jetzt besser?" - "Gorilla", sagte ich. "Sie hat auch hier gewohnt."Mit einem Mal sah Gerd bedrückt aus. "Natürlich hat sie das", sagte sie mürrisch. "Aber das ist nicht der Rede wert und auch nichts, was man herumtratschen müsste." - "Niemand hat etwas gesagt", protestierte ich. "Niemand hat mir irgendetwas davon gesagt."Da schien Gerd schon gleich viel glücklicher. "Ach, nicht?", zwitscherte sie. "Na, s ...

Tolle Fotos machen, das können nur Profis?Von wegen!Alle Bilder, die Ihr auf dieser Seite seht, wurden von Kindern und Jugendlichen aufgenommen. Sie haben mit diesen Arbeiten am Deutschen Jugendfotopreis 2010 teilgenommen - und einen Preis bekommen. Ausgezeichnet werden die jungen Fotografen erst am 26. September, die KinderZEIT darf die besten Fotos der jüngsten Künstler aber schon jetzt zeigen. Und damit die Bilder Platz haben, um zu wirken, sieht die Kinderseite in dieser Woche anders aus

Mehr Fotos des diesjährigen Wettbewerbs sind vom 21. bis 26. September auf der Messe Photokina in Köln zu sehen. Dort werden auch die Preisträger ...

* LDC: "Least developed countries", die am wenigsten entwickelten Länder: 49 Staaten mit 815 Millionen Einwohnern

HUNGER UND ARMUT: Wer einen leeren Bauch hat, der ist auch anfälliger für Infektionskrankheiten und kann außerdem schlecht lernen. Eine Lösung für beide Probleme: Die Kreuzung von asiatischem mit afrikanischem Reis (New Rice for Africa, kurz Nerica). Der Ertrag ist höher, und der Reis enthält 25 Prozent mehr Protein.

HUNGER, KINDERSTERBLICHKEIT UND BILDUNG: Wo Nerica angebaut wurde, sank die Erkrankungsrate unter Kindern um durchschnittlich 2 Prozent. Gleichzeitig besuchten 6 Prozent mehr Kinder eine Schule.Bildung und ARMUT: In der Republik Serbien war in Familien mit ...

Schärfer kann man ein utopisches Ziel nicht formulieren: "Gesundheit für alle - bis zum Jahr 2000". Das forderten 1978 in Kasachstan die Vertreter von 137 Ländern und 67 Organisationen auf der Internationalen Konferenz zur Primären Gesundheitsversorgung. Seitdem steht Almaty, der Ort des historischen Treffens, für ein hehres Ziel, das leider nie erreicht wurde.

Entsprechend verhalten war die Begeisterung, als die Vereinten Nationen zur Jahrtausendwende noch einmal eine globale Anstrengung unternahmen. Gleich in acht Bereichen sollte die Welt eine bessere werden (siehe die Infografik auf Seite 43). Drei der acht sogenannten Millenniums-Entwicklungsziele bezogen sich direkt auf die Gesundheit der Weltbevölkerung. Erstmals ...

Finnen gelten als freundliche, oft auch zurückhaltende Menschen. Für Anssi Vanjoki stimmt das jedenfalls. Am Montag kündigte er seinen Vorstandsjob beim weltgrößten Handyproduzenten Nokia. "Ich spürte, dass die Zeit gekommen ist, mich nach neuen Herausforderungen umzusehen", umschrieb er seine Beweggründe. Das ist überaus höflich gesagt. Dabei dürfte der Finne innerlich gekocht haben. Schließlich galt er lange als Nachfolger des glücklosen Konzernchefs Olli-Pekka Kallasvuo. Als dieser nur drei Tage zuvor seinen Platz an der Vorstandsspitze räumte, berief der Aufsichtsrat aber nicht Vanjoki, sondern den Amerikaner Stephen Elop als Nachfolger. Sein Gespür trog Vanjoki nicht: Er war kein Kronprinz mehr. Konsequent, dass ...