Inhaltsverzeichnis vom 31.03.2010

Glaube, heißt es, könne Berge versetzen. Dies jedoch ist selbst den frommen Zschorlauern und ihrem Gott noch nicht gelungen. Seit Jahrhunderten klemmt der Ort zwischen den Hügeln des Erzgebirges, als habe der Schöpfer ihn dort vergessen - ein Dorf wie vom Himmel gefallen. Längs des Zschorlaubachs schlängeln sich die Häuser kilometerlang durch das Tal zwischen Aue und Eibenstock und trotzen den Naturgewalten. So hoch wie die Berge ist in Zschorlau nicht einmal der Kirchturm.

In einer Zeit, da die Kirche viele ihrer Mitglieder verliert, glauben die Zschorlauer fest und zahlreich. Über Ostern führen sie ein Passionsspiel auf, das Tausenden Kraft ...

Im Berghain, dem im Moment angesagtesten Techno-Club Berlins, war Caren Lay, 38, schon länger nicht mehr. Noch vor einem halben Jahr ist die Wahl-Dresdnerin, wenn es ihr möglich war, samstagabends mit dem Zug in die Hauptstadt gefahren. Sie hat ihre Sachen am Ostbahnhof in ein Schließfach getan, die Nacht durchgetanzt und ist morgens um sieben wieder nach Hause gefahren. "Was die Clubs betrifft, hat Berlin die Nase vorn", gibt sie mit Bedauern zu.

Die Elbstadt ist Caren Lay ans Herz gewachsen, das merkt man sofort. Mit politisch korrektem Lokalpatriotismus hat das nichts zu tun. Die Soziologin, die in der Eifel ...

Kürzlich kam die Einladung zu einer MDR- Talkrunde. Ich erfuhr von einem Skandal. Eine Frau, seit zwanzig Jahren wohnhaft in Schwaben, sei daselbst von einem Unternehmen abgewiesen worden, weil sie aus dem Osten stamme. Die Untat verlange nach Talk: "Ticken Ossis und Wessis unterschiedlich?"Maxim Biller komme auch.

Maxim Biller... Ich bewundere diesen urteilsgewissen Meinungshaber, seit er 1996 eine Havelberg-Reportage mit dem Satz begann: "Zum ersten Mal in meinem Leben lief ich durch eine ostdeutsche Stadt."Rasant enttarnte er sodann Ostlebenslügen und Stasi-Bande, dass es nur so schepperte. Dennoch wagte ich den Einwand, das Talk-Thema sei alt, ranzig, totgelabert, ä ...

Herr Levy, wie entsteht Humor?

Humor wird genährt aus den Erfahrungen, die man macht, und den Lösungen, die man findet. Humor ist ein Standort in der Entwicklung und im Wachstum einer Kultur und eines Menschen.

Kann Humor lebensrettend sein?

Humor ist tatsächlich ein nicht zu unterschätzender Rettungsfaktor. Grundsätzlich ist Humor in unserem privilegierten Alltagsleben ein ganz wichtiges Element, um ein Leben zu dem zu machen, wofür es eigentlich gedacht ist, nämlich lebenswert und dynamisch.

Welche Rolle spielt Humor in Ihrem Schaffen?

Ich habe Komödien gedreht und Tragödien. Ich liebe beides. Das sind für mich nicht zwei verschiedene Wege zu einem ...

Als man ihn eines Tages fragte, ob er bereit sei, von der zweiten in die erste Reihe zu wechseln, überlegte er kurz und sagte dann zu. Zwar wussten alle, dass ihm Starrummel an sich suspekt war; andererseits aber erkannte er seine Chance, und vor allem reizte es ihn, aus dem Schatten seiner Vorgänger herauszutreten und sein eigenes Ding anzutreten. Und warum auch nicht: Er war jung, sportlich, ehrgeizig, clever - und er war gewiss nicht, wie man ihm damals nachsagte, maulfaul, spröde, trocken.

Dass ihm dieses Image lange anhaftete, hat vielleicht mit seiner Art zu reden zu tun, die - ...

Aus allen richtigen Einsendungen werden die Gewinner durch das Los ermittelt. Sie werden schriftlich verständigt, und ihre Namen werden vom 22. April 2010 an unter www.zeit.de/osterpreisraetsel bekannt gegeben. Die richtige Lösung finden Sie in der ZEIT Nr. 16/10, die am 15. April erscheint. Mitarbeiter des Zeitverlages und ihre Angehörigen dürfen leider nicht teilnehmen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Gewinne sind nicht in Geld ablösbar, Reisebuchungen nach Verfügbarkeit. Namen und Adressen der Teilnehmer kann der Zeitverlag für eigene Werbezwecke verwenden

1. Ein Kultur- und WellnessWochenende

Sie sind VIP-Gast beim Seefestival in Wustrau und wohnen komfortabel im Resort Mark Brandenburg in ...

Wolfgang Schmidbauer, 68, ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten. Zur Vertiefung von Fragen dieser Kolumne ist neu das Buch "Paartherapie: Konflikte verstehen, Lösungen finden" beim Gütersloher Verlagshaus erschienen.

Kathrin und David sind seit mehreren Monaten ein Paar. Kathrin hat einen vierjährigen Sohn aus einer früheren Beziehung. Sie ist christlich getauft, hat aber wenig Bezug zu ihrer Religion. David hingegen ist Jude und legt Wert auf die Einhaltung bestimmter Glaubensregeln. Für Kathrin ist das zunächst sehr aufregend und auch ein bisschen exotisch. Zum Beispiel hat sie ihre Ernährung umgestellt, um mit David koscher zu essen. Es kommt zum Konflikt, als Kathrin ...

Bei meinen Streifzügen mit dem Künstler Roland Topor durch Paris landeten wir bei Goldenberg, dem koscheren Restaurant im vierten Arrondissement. Viele Vorspeisen waren ausgelegt wie auf einem Markt, und sie waren genau das, worauf ich nach den vielen Menüs der Haute Cuisine Appetit hatte: eingelegte Heringe, Eier- und Kartoffelsalate, Fische in allen Stadien des Garseins, Gemüse, überbacken, eingerollt, in Vinaigrette. Alles schien appetitlich und erfrischend im Vergleich zur Bistrokost. Und alles war matschig und schmeckte schrecklich, nämlich nach nichts. Ich hielt mit meiner Kritik nicht hinterm Berg, worauf Roland lachte. Wenn er lachte, fiel der Stuck von der Decke. "Klar ...

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Kann gut sein, dass SARAH SILVERMAN die lustigste Frau der Welt ist. Ihr Video "I am fucking Matt Damon" ist jedenfalls schon jetzt Legende, ihre Show zeigt der Sender Comedy Central. Silverman hat eine Schwester, die Rabbinerin ist

"Ja. Es ist an der Zeit, kühn zu sein."

Aus "Die Demütigung", dem neuen Roman von Philip Roth, erschienen bei Hanser

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Die Nordseeinsel FÖHR war der Lieblingsferienort des verstorbenen Entertainers Hans Rosenthal, und wer einmal dort ...

Zu hören unter www.zeit.de/audio

Zum Pessachfest, das an den Auszug der Juden aus Ägypten erinnert, wünsche ich mir, dass die Juden niemals mehr in ihrer Existenz bedroht werden. Ich habe den Traum, dass bald ein Weg zu Frieden und Sicherheit im Heiligen Land gefunden wird - für beide Völker, Israelis und Palästinenser.

1995 begleitete ich Rudolf Scharping auf seiner ersten Israelreise als SPD-Vorsitzender. Mittags waren wir bei Jitzchak Rabin in der Knesset, am Abend bei Yassir Arafat in Gaza-Stadt. Ignatz Bubis, der zu unserer Delegation gehörte, erwähnte, Arafat habe ihm einmal gesagt: "Wir sind Vettern."Ich sagte zu Arafat: " ...

ldewinter, 19.37 Uhr:

Ich bekam gerade eine Mail vom Diogenes Verlag, der anfragt, ob wir bereit wären, einen Beitrag über die Liebe zu schreiben...

jessicadurlacher, 19.37 Uhr:

Komische Anfrage...

ldewinter, 19.37 Uhr:

Ja, kurios. Es soll auch um Sex gehen. Also Liebe und Sex, mehr oder weniger.

jessicadurlacher, 19.42 Uhr:

Was wollen sie denn konkret?Heiße Fantasien?Was Romantisches?Oder eine Art Aufklärung?

ldewinter, 19.48 Uhr:

Ich weiß nicht, was sie wollen. Es ist fürs ZEITmagazin - ein Magazin für gebildete deutsche Bürger, die konservativ leben, aber eine Vorliebe für progressive Gedanken haben. I ...

Man ist Jude, wenn die Mutter Jüdin ist. Vielleicht gibt es deshalb so viel Gerede und Getue um die jüdische Mutter. Niemand spricht vom jüdischen Vater, vom jüdischen Bruder oder vom jüdischen Haustier. Ich weiß nicht sehr viel über die jüdische Mutter. Aber ich kann etwas über meine jüdische Mutter erzählen.

Ich habe mal gehört, dass der christliche Gott alles weiß, alles sieht und irgendwie immer da ist. Wenn das stimmt, dann ist er bei meiner Mutter in die Lehre gegangen. Meine Mutter ist gnadenlos, 1,65 Meter pure Power. Und sie hat einen Verhaltenskatalog, so dick wie Der Herr ...

Anders als die Juden in Österreich, England und Frankreich wohnen die deutschen Juden nicht mehrheitlich in der Hauptstadt. Berlin war jüdisches Zentrum bis zum Krieg, heute lebt hier nur ein Zehntel der insgesamt 106000 Gemeindemitglieder (mehr sind es nicht). Dass sie so zerstreut sind, hat seine Gründe in der Nachkriegszeit: Die britische Besatzungszone nahm keine Flüchtlinge aus dem Osten auf, die mussten nach Süddeutschland; in Düsseldorf war lange der Zentralrat der Juden; ins Saarland, vorerst nicht deutsch, wollten viele, die nach Frankreich emigriert waren. Die heute mit Abstand größte Gruppe, Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, wurde anfangs fast zufällig übers ...

Mich hat es schon immer interessiert, wie Roni so oben ohne ausschaut. Kennengelernt habe ich sie bei unserem gemeinsamen Verleger Steidl. Dem Namen nach dachte ich erst, sie sei ein Mann, sie kommt auch ziemlich androgyn rüber. Wir finden immer die gleichen Frauen gut. Sie hat mich Upstate New York in ihrem See fotografiert, da ist dann der Unfall passiert mit ihrem Fuß, den man auf meinem Foto sieht. Als wir nach dem Barbecue und fröhlichen Drinks nachts schwimmen gingen, war es dann so weit. Weg waren die großen, unfemininen Hemden. Mir war klar: Bei ihrem Foto musste unbedingt die ...

Ich gehöre zum dreizehnten Stamm des jüdischen Volkes. Ich bin ein sogenannter Scheinjude. Seit mein Name in der Zeitung steht, bekomme ich vier oder fünf Mal im Jahr Briefe, in denen ich als Jude angesprochen, als Jude gelobt oder als Jude beschimpft werde. Das hängt mit meinem Namen zusammen. Viele denken, irrtümlicherweise, "Martenstein" sei etwas Ähnliches wie "Goldstein", "Bernstein" oder "Finkelstein". Außerdem schreibe ich häufig humoristisch, meine Freunde sagen, ich sei intelligent, ich lese gern, und meine Nase ist wohl auch etwas größer als der Durchschnitt. Dies alles mögen Klischees sein, doch für uns Scheinjuden ist daraus Lebenswirklichkeit geworden. In ...

Nadire Mustafi kniet am Boden. Ihre schmalen Lippen bewegen sich, doch es entweicht ihnen kein Ton. Dann drückt die zierliche Frau die Stirn in den orientalischen Teppich. Um sie herum imitieren 15 Jugendliche ihre Bewegungen. Die Mädchen knien in einer Reihe neben Mustafi, die Burschen davor kehren ihnen den Rücken zu. Sie alle blicken gen Mekka. Vom niederösterreichischen Weinviertel aus sind es rund 3700 Kilometer bis in die Heilige Stadt der Muslime.

Im Erdgeschoss des gelben Einfamilienhauses in der Wiener Straße von Hollabrunn steht eine Katze regungslos am Fenster. Das Kellergeschoß des Gebäudes ist mit Teppichen ausgelegt, ein Waschbecken, eine ...

Ich bin die einzige Unfallchirurgin in der Hauptstadt der Provinz Ogooué-Lolo. Wir versorgen ein Einzugsgebiet mit 30000 Menschen. Die Stadt im Osten des Landes ist von dichtem Urwald umgeben. Gabun ist dank Erdöl und anderer Bodenschätze relativ wohlhabend und politisch vergleichsweise stabil. Doch die armselige Infrastruktur erschwert den Alltag. Stromausfälle setzen den Geräten zu, Trinkwasser fließt nur sporadisch. Die Anlieferung von Medikamenten ist eine langwierige Sache. Ich weiß, dass ich die Misere Afrikas nicht werde beheben können. Das zu glauben wäre naiv. Aber es zählt das Schicksal jedes Einzelnen, dem ich helfen kann. Heute etwa waren das zwölf Fußballer, die ...

Ostern. Da wärmen die ersten Sonnenstrahlen, und da machen sich die Menschen gerne auf die Suche nach versteckten Dingen. Auch nach verborgenen Wahrheiten, die mitunter viele Jahre lang ihrer Entdeckung harrten. In den Klosterinternaten des Landes beispielsweise. Gerade diese höchsten Feiertage der Christenheit bieten Anlass dazu, in den verschwiegenen Winkeln von Sakristei und Brausebad ein wenig genauer herumzustöbern. Einige alte Lausbübereien kommen dabei ans Licht. Sicherlich, nur einzelne verirrte Schafe waren das. Aber sogar der Heilige Vater, selbst wenn ihn in dieser Woche einige liturgische Großkampftage ganz in Anspruch nehmen, wird gewiss an die Bräuche in seiner bayerischen Heimat denken ...

Medjugorje

Das Seelenheil zu finden ist nicht einfach. Vor allem wenn das Navigationsgerät streikt. "Falsche Richtung", herrscht Herr Riepl den Chauffeur an, der sich orientierungslos mit seinem Reisebus den Weg durch den Morgenverkehr bahnt: "Wien ist eh ein Dorf!"Energisch diktiert der pensionierte Gemüsebauer den Weg zur Südautobahn. Er buhlt um das Lob der Mitreisenden, die mit ihm um sechs Uhr morgens am Westbahnhof aufgebrochen sind. "Ohne Hausverstand geht gar nix", meint Josef Riepl. Das behauptet einer, den nun der Glaube an Erleuchtungsbotschaften, spontane Heilungen und sechs Auserwählte, denen die Jungfrau Maria erschienen sein soll, in ein 1000 Kilometer entferntes Dorf ...

Sicher ist es in den aufgeklärten Kreisen der Herren Westerwelle oder Jessen kein Problem, seine sexuelle Orientierung offen auszuleben. Sobald man aber diese "Parallelwelt" verlässt, findet sich oft ein anderes Bild. Auch die jüngeren Schwulen und Lesben begegnen außerhalb der Großstädte nach wie vor Ablehnung und Intoleranz.

Dr. Stefan Matull, Köln

Wer, wie der Außenminister, sein Privatleben zum öffentlichen Thema macht, kann doch wohl niemanden der Diskriminierung verdächtigen, der sich damit beschäftigt?

Ottmar Voll, Ravensburg

Schöne heile Homowelt?Leider nein... "Schwule Sau" ist eines der häufigsten Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen - nicht nur bei Ahmed und Mustafa, sondern auch bei Peter ...

Heute erst, zwanzig Jahre später, melden sich Opfer, die aus gutem Grund das Spießrutenlaufen einer Anzeige gefürchtet haben. Ein Fass scheint überzulaufen, und das ist gut so.

Nun sind die Männer dran mit dem Aufarbeiten und Beraten. Sie haben die ganz andere Feldkompetenz, um die Psychodynamiken in einer Institution zu verstehen, die so konstruiert ist, dass Männer unter sich und ihre Geheimnisse gehütet bleiben.

Zu Recht erkennen Sie das Versagen der Männer, das männliche Kind zu schützen. Nicht nur bei den Messdienern umschwärmen sie den ersehnten Nachwuchs in ihren Reihen, in denen Frauen lediglich als Nonnen oder haushaltende Priestermütter erwünscht ...

Generationen von Lehrern wurden mit den Vorbildern Bielefelder Laborschule und Odenwaldschule samt Herrn von Hentig und seinen Theorien konfrontiert. Das war das Ideal, während man anschließend in die Niederungen der staatlichen Alltagspädagogik eintauchen musste.

Plötzlich haben die pädagogischen Heiligenscheine derer, die immer alles genau wussten, schwere Kratzer erhalten. Ob sexueller Missbrauch durch "Reformpädagogen" wohl weniger schlimm zu bewerten ist als durch Priester oder Kriminelle?Jedenfalls wäre eine solche Vielzahl an Übergriffen über so einen langen Zeitraum an meiner staatlichen (Halbtags-)Schule wohl kaum möglich gewesen!

Hans-Jürgen Jäger, Oberfell

Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, leiden ihr gesamtes Leben an den Folgen. Viele ...

Gegen 22 Uhr am Donnerstagabend sieht es im Sprachenzentrum der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder aus wie auf einer WG-Party zu fortgeschrittener Stunde. Nur die vielen Computer und das grelle Deckenlicht passen nicht recht ins Bild. Etwa 15 Studenten sitzen an Schreibtischen, auf Matratzen oder dem Boden. Jutetaschen und Rucksäcke liegen herum, auf den Tischen stehen Energydrinks. Hausschlappen liegen auf dem Teppich, müde Topfpflanzen hängen vom Bücherregal herab. Von der dunklen Straße dringt ab und an das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos durch die gekippten Fenster, drinnen ist nur Flüstern und das Klackern der Tastaturen zu hören. Es ist: "Die ...

Der Mann, dem er den Ärger zu verdanken hat, sitzt zwei Plätze weiter. Es ist später Nachmittag, eben sah es im Hörsaal V47.01 der Universität Stuttgart noch so aus, als könnte Peter Frankenberg, Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, sich zurücklehnen. Sein auf dem Höhepunkt des Bildungsstreiks versprochener Bologna-Kongress neigte sich müde dem Ende zu; das Ziel des CDU-Politikers, öffentlichkeitswirksam Führungsstärke zu demonstrieren, schien fast erreicht. Doch jetzt plötzlich häufen sich aus dem Halbrund der 500 geladenen Studenten, Rektoren und Bildungsexperten die unangenehmen Fragen: Wieso dauernd die Hochschulbudgets gekürzt würden. Warum Frankenberg so wenig auf die Meinung der Studenten höre. Und immer ...

Was waren das doch für einfache Zeiten, in denen man einen Spion noch an seinem Trenchcoat und der verhuschten Bewegungsweise erkennen konnte und er dazu da war, anderen Geheimnisse zu entlocken, die unserer eigenen Sicherheit dienten. Zum Beispiel, wie viele Atomwaffen die anderen kalten Krieger denn so in ihren Depots horteten und ob sie sie vielleicht sogar benutzen würden. Das müssen die Zeiten gewesen sein, in denen die Verbindung der Wörter "Spionage" und "Schule" noch bedeutete, während der Klausur den Blick unauffällig vom eigenen Blatt zu entfernen und ihn in Richtung des Nachbarpapiers schweifen zu lassen.

Das hat sich geändert. S ...

Leoparden im Glück.

Die Zeiten sind vorbei, in denen Zoos ihre Raubkatzen in trostlosen Gitterkäfigen hielten. Heute wohnen die Tiere in großzügigen Freiluftgehegen, umgeben von Gräben, Wällen oder Scheiben aus Panzerglas. Besonders komfortabel haben es demnächst die Leoparden im schwedischen Orsa-Grönklitt-Park, rund 300 Kilometer nördlich von Stockholm: Dort wird im Juni Europas größte Leoparden-Anlage eröffnet. Zunächst ziehen in das mit Nadelbäumen und Büschen bewachsene Gelände vier persische Leoparden ein. Die Tiere, die stark vom Aussterben bedroht sind, leben normalerweise in 3000 bis 4000 Meter Höhe, sie sind an die kalten nordeuropäischen Winter bestens angepasst. Später sollen auch Schneeleoparden angeschafft werden. D ...

Manchmal tut Christian Lohse seltsame Dinge. Der höchstdekorierte Berliner Koch rast durch seine Küche und schnappt sich ein Ei. Läuft damit zur Fritteuse, schlägt es auf, kippt den Inhalt ins heiße Fett. Es zischt wie beim Zinngießen, und so ähnlich sieht auch das Ergebnis aus. Ein formloser, verbrannter Eiweißklumpen. Ungenießbar, der kommt in den Müll. Auch das Öl wird man weggießen müssen. Aber Lohse schaut zufrieden. "Sehen Sie?", sagt er. "Funktioniert nicht."

Christian Lohse, 42, zwei Michelin-Sterne, 19 Punkte im Gault-Millau. Bekannt für feine Fischgerichte und seine herzhafte Art. In den letzten Jahren hat er viele Eier auf viele ...

Kein Ei gleicht dem anderen. Jedes der Motive - Blätter, Blüten, Farn, Feder - wurde vor dem Brennen ein klein wenig anders auf der Schale aus weichem Ton arrangiert und eingeprägt. Danach hat die Töpferin Sue Dunne sie mit zartem Pinseltupfen koloriert und im Brennofen glasiert: hundert handschmeichelnde, glänzende Eier aus feiner Keramik für die größte Ostereiersuche im englischen Lake District. Geordert und versteckt hat sie das Unternehmen The World of Beatrix Potter, oder, für die Jüngeren unter uns: Peter Hase.

Vor hundert Jahren hat Beatrix Potter die Geschichte des frechen Rettich- und Salatvernichters im Garten von Herrn Gregersen erzählt ...

Am Altar brannten die Kerzen gelbe Kleckse ins Dunkel, dann flammte in der Apsis die Rosette auf und legte über den eisigen Chorboden einen rötlichen Schimmer. Die schwarz bemalten Bänke bekamen einen narbigen Glanz. Engelsflügel und Marmorbeine wurden lebendig, Gold leuchtete auf, Perlen blinkten, grünblaue und rotgelbe Lichtflüsse stürzten aus gotischen Fenstern ins Innere, und das Kirchenschiff, ein Schiff aus Stein, legte ab. Es war der schönste Raum der Welt, denn hier kniete der Knabe neben seiner Mutter, die ein weißes Hütchen trug, wie eine Pillenschachtel, und die betenden Lippen hinter einem Schleierchen verbarg.

Die Mutter lehrte den Knaben reden ...

Er ist nicht mehr da, alles leer!Wer bebilderte Bibeln für die ganz Kleinen durchblättert, stößt zumeist auch auf ein Bild, das das Grab Jesu am Ostermorgen zeigt. Die Lage ist eindeutig: Das Grab ist leer, niemand mehr da, ich bin dann mal weg. Ist das die Auferstehung?Die großen Künstler der Vergangenheit mochten es auf ihren großartigen Auferstehungsbildern lieber eindeutig, von Fra Angelico über Piero della Francesca bis hin zu Rubens: Jesus schwebte über den Entdeckern seiner Nichtvorhandenheit - er war nie weg, sondern immer da.

Nun kann man sich lange den Kopf zerbrechen darüber, warum die Auferstehungsdarstellungen in ...

Es gibt eine merkwürdige Legende um Leonardo da Vincis Abendmahl, eine jener Geschichten, die immer wieder erzählt werden, obwohl ihr Ursprung im Ungewissen liegt: Als da Vinci am Ende des 15. Jahrhunderts sein berühmtes Abendmahl an die Wand der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie malt, sucht er dreizehn Gesichter, die Jesus mit seinen zwölf Gefährten darstellen könnten. Er lässt sich von den Physiognomien verschiedener Mailänder Bürger inspirieren und porträtiert sie einen nach dem anderen: als Petrus, als Johannes, als Jakobus und so weiter. Zuletzt fehlen am langen Tisch nur noch zwei Köpfe: der des Verräters Judas und der des ...

DIE ZEIT: Herr Pfarrer, können Sie uns einen Grund nennen, in diesen Tagen in die katholische Kirche einzutreten?

Johannes zu Eltz: Christus ist derselbe: gestern, heute und in Ewigkeit. Ich bin nicht wegen der Kirche in der Kirche, auch nicht wegen ihrer Pfarrer, die kommen und gehen, sondern wegen der andauernden Begegnung mit Gott. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass wir Skandale haben, die die Botschaft verdunkeln.

ZEIT: Wenn es um Gott geht, warum brauche ich dann die Amtskirche?

Zu Eltz: Weil ich Gott so verstanden habe, dass er den Menschen in der Kirche und in ihrer weltlichen Angreifbarkeit ...

Der Engel der Apokalypse geht unerkannt durch die nächtliche Stadt, deren Straßen leer sind und deren Bewohner noch nichts ahnen vom endgültigen Zorn des Herrn. Gott hat die himmlischen Heerscharen mit der Vernichtung seiner Geschöpfe beauftragt, und zwar ausnahmslos, diesmal ohne rettende Arche Noah. Schon zieht am Horizont der dunkle Schwarm der Racheengel herauf. Es ist das Jüngste Gericht, aber ohne Erlösung. Es ist eine alte Weltuntergangsfantasie und die neueste Apokalypse im Kino: Legion heißt nach der biblischen Legion der Dämonen ein Popwestern, der das ambivalente Lebensgefühl unserer Zeit auf den Punkt bringt - das Wissen um die Zerstörbarkeit der ...

Für den Fall, dass, was wir hoffen, die Sonne scheint: Lassen Sie sich entrücken von der betrüblichen Nachrichtenlage (Pädophilie, Griechenland, Kachelmann), schalten Sie die Geräte aus, fahren Sie zur Berliner Pfaueninsel, die ja die irrste Insel der Welt ist, obwohl sie (Schande!, Schande!) wenige nur kennen. Da ein Kulturprogramm, das man zu bewältigen sich vornimmt, immer aus einem inneren Pflichtgefühl heraus absolviert wird und nicht etwa aus Vergnügen, stärken Sie sich bitte noch vor der Begehung der Insel im Wirtshaus zur Pfaueninsel mit einem zeitlosen "Zigeuner Schnitzel mit Pommes Frites" zu zehn Euro achtzig und einem mittäglichen Bier, u ...

Das Interview beginnt mit einem Versuch in metaphysischer Objektbeeinflussung. Minutenlang starrt Erykah Badu das Wasserglas auf dem Beistelltisch an, doch es will und will sich nicht bewegen. "Ich habe zu lange nicht geübt", sagt sie schließlich, schüttelt ihre Perlenzöpfchenfrisur und verzieht das Gesicht. "Das kommt davon, wenn man gewisse Partien des Gehirns zu selten benutzt."Dafür zögert sie nicht - man spricht ja von Mensch zu Mensch-, dem Reporter ihre private Telefonnummer auf den Fragezettel zu kritzeln.

Man fragt sich, was sie wohl als Nächstes tun wird: Räucherstäbchen anzünden?Einem ihr altägyptisches Ankh-Amulett, Sinnbild männlich-weiblicher Symbiose, in die Hand drücken?I ...

Männer haben es geahnt: Wer bei der Länge schummelt, im Pass und im Privaten, ist in guter Gesellschaft: Selbst Vater Rhein ist kürzer als gedacht. 1230 statt 1320 Kilometer. Doch handelt es sich nicht um schnöde Angeberei des kleinsten der großen Ströme dieser Welt, wie ein Biologe jetzt herausfand. Schuld ist ein simpler Zahlendreher, der um 1960 in die Lexika und die Hirne ganzer Grundschülergenerationen gerutscht ist. Nun, nach den Geständnissen des Rheins und auch der Donau, deren Mündungsbecken in Wahrheit viel breiter ist, als sie zugeben wollte, brechen immer mehr deutsche Größen ihr Schweigen und sprechen offen über falsche ...

Heilbronn?Sicherlich kein Ort, den man spontan mit Bildender Kunst in Verbindung brächte. Und doch ist gerade Heilbronn ein gutes Beispiel für die oft erstaunlich hohe Museumsdichte und Sammlungsqualität in der deutschen Peripherie - und dafür, wie stark diese im bürgerschaftlichen Engagement wurzeln.

Gegründet 1879 von Heilbronner Bürgern als Museen für Stadtgeschichte, Naturkunde sowie Vor- und Frühgeschichte, wurden die einzelnen Departements nach 1945 in einem Mehrspartenhaus zusammengeführt. Seitdem logieren die Sammlungen im sogenannten Deutschhof, einer ehemaligen Hauskommende des Deutschen Ordens. Erst in den Siebziger Jahren gründete der damalige Direktor Andreas Pfeiffer eine eigenständige Kunstsektion und setzte vor allem auf die ...

Er lauert überall, in den Wartezimmern von Arztpraxen, in Banken und auch in Redaktionsräumen. Jeder kennt diesen Stuhl, seine Form, die sich über die Jahrzehnte in unser aller Inneneinrichtungsgedächtnis eingebrannt hat: den Freischwinger. Gebogen aus verchromten Stahlrohren, Sitz und Rückenlehne schwarz, wahlweise aus Leder oder Kunststoff. Man hat sich satt gesessen in ihm.

Vergangenes Jahr, zum 90. Jubiläum des Bauhauses, verhalfen die Berliner Designer Blasius Osko und Oliver Deichmann diesem Stuhl plötzlich zu neuem Leben, und zwar durch einen einfachen Knick. Der Knick, das fiel den beiden jungen Gestaltern irgendwann einmal auf, war in der Geschichte des Möbeldesigns bisher zu ...

Sieht auf den ersten Blick wie Primula vulgaris aus. Aber von wegen Topfpflanze. Bei keiner heimischen Art glühen die gezackten Blattränder so im weiß ionisierten Licht. Und nie zuvor ist ein Zuchtgewächs beschrieben worden, das ganze Wolken von Ekto-Plasma ausstößt, wie es dem Medium bei der Séance aus dem Geistleib fährt. Der Entdecker ist Maler, unter anderem Maler, hat ein Faible für Nachtschattengewächse, sammelt Pflanzen mit schlauchartigen Stängeln und Rispen, die wie Tentakel im samtschwarzen Bildraum herumfingern. Vielleicht sind es ja auch blühende Quallen, wer weiß. Man kann sich bei Thomas Zipp nie so ganz sicher sein, dass man die ...

Von oben, aus dem Flugzeug, erinnert das Gebäude an ein Zeichen der Keilschrift. "Oder aber an ein Arschgeweih", sagt der Architekt Jan Kleihues. Sein "Arschgeweih" in Berlin-Mitte ist nicht nur das teuerste Gebäude, das die Bundesrepublik jemals gebaut hat, sondern auch das geheimnisvollste. In vier Jahren wird der Bundesnachrichtendienst hier einziehen, gut 800 Millionen Euro wird der Bau der neuen Geheimdienstzentrale dann verschlungen haben. Fast noch einmal so viel werden Umzug und Einrichtung kosten, macht insgesamt rund anderthalb Milliarden Euro.

Vergangene Woche feierte der Architekt Kleihues mit gut tausend Bauarbeitern und Planern und ein paar Hundert Vertretern der Politik, des ...

Junghexe, Komikerin, Sterntalermädchen: Das alles ist Lulu am Schauspiel Frankfurt. Die Schauspielerin Kathleen Morgeneyer spielt Frank Wedekinds große, männervernichtende Verführerin aus dem Jahr 1892 mit einer unschuldigen Zerstreutheit: Ist auch noch alles da?Sie muss sich ihrer eigenen Wirkung immerzu vergewissern. Sie massiert ihre Brüste - wie mit Männerhänden. Sie zieht sich den Slip herab und ist gespannt, was sie darunter sehen wird - mit den Augen der Männer. Sie spürt ihre Existenz nur, wenn Männer im Raum sind, sie entblößt sich, um sicher zu sein, dass sie wirklich da ist.

Lulu lebt in der kurzen Spanne zwischen männlicher Erregung ...

Ein Pavarotti hätte bestimmt auf Extrascheinwerfern bestanden, Kusshände geworfen und das Taschentuch gezückt. Denn wenn ein Startenor nach einer Zwangspause sein sehnsüchtig erwartetes Bühnencomeback feiert, will er feiern und sich feiern lassen. Bei Rolando Villazon aber ist das anders. Ein Jahr lang musste er pausieren, sich nach einer Stimmkrise Zysten im Kehlkopf wegoperieren lassen und um die Zukunft seiner Karriere bangen. Jetzt steht er wieder auf der Bühne - und präsentierte sich bei seinem ersten Auftritt an der Berliner Staatsoper in einer bleiernen Einsamkeitstristesse. So will es Achim Freyers Inszenierung von Tschaikowskys Eugen Onegin, in der Villazon den Lenski singt: M ...

Kommt der Karfreitag näher, tauchen auf den Opernspielplänen die Parsifal- Premieren auf. So hat es sich im Theaterbetrieb eingebürgert, obwohl sich Richard Wagners Bühnenweihfestspiel keineswegs umstandslos mit der christlichen Passionsgeschichte kurzschließen lässt. Dafür greift seine Privatmythologie in viel zu viele verschiedene Richtungen raunend aus, seine Protagonisten leiden mehr an sich selbst und ihren sexuellen Schuldkomplexen als an der Welt. Und das Rätselmotto "Erlösung dem Erlöser", das er am Ende des Werks mit zarten Kinderchorstimmen in lichtem As-Dur vom Himmel seiner Kunstreligion herabreicht, will als österliche Frohbotschaft nicht recht taugen. Es ist nicht der krude Stoff, sondern die Musik, die im ...

Wer sich auf diese Lyrikaufnahmen einlässt, riskiert einiges: den Verlust jener zärtlichen, intimen Zweisamkeit, die man als Leser oder Leserin mit einem Gedicht so gern und selbstverständlich teilt. Eine freche Dritte tritt dazwischen, eine Stimme, die den Text oft befremdlich einfärbt und ausdeutet - aber kraft schöpferischer Autorität zum Hinhören zwingt. Denn hier lesen die Dichter und Dichterinnen ihre eigenen Werke, und wie pathetisch, wie dialektselig, wie ungelenk, komisch, weltrettungsschwer oder spielerisch kann das klingen!Hätte man gedacht, dass die zarte Nelly Sachs ihre Verse mit solch hohepriesterlicher Weihrauchstimme verkündigt?Dass Walter Höllerer seine Strophen so schulbubenbrav aufsagt?Wie schmierantenhaft ...

Mogadischu: Damit verbinden viele hierzulande ausschließlich die Befreiung der Geiseln aus der von Terroristen entführten Lufthansa-Maschine Landshut im Herbst 1977. Politisch Interessierte mögen sich auch noch an die frühen neunziger Jahre erinnern, als in der "Schlacht von Mogadischu" knapp zwanzig amerikanische Soldaten bei bewaffneten Auseinandersetzungen mit Milizionären getötet wurden. Internationale Organisationen brachen daraufhin ihre Zelte ab. Seither wagen sich nur noch wenige Menschen aus dem Westen nach Somalia. Das nordostafrikanische Land steht wie kaum ein anderes für "Staatszerfall". Seine Hauptstadt Mogadischu liegt teilweise in Schutt und Asche; eine Stadt, so zeichnet sie Nuruddin Farah in seinem neuen fesselnden neuen Roman, d ...

Professionelle Frühneuzeit-Historiker, die für eine breite Leserschaft verständlich und fesselnd schreiben können, ohne ihre wissenschaftlichen Standards aufzugeben, sind nach wie vor selten. Der Zürcher Ordinarius Bernd Roeck zählt zweifellos zu ihnen. Entsprechend erwartungsvoll nimmt man das neue Buch des gebürtigen Augsburgers zur Hand und wird von der ersten Seite an in den Bann seiner Erzählung gezogen: Sie handelt vom Augsburger Goldschmied David Altenstetter (um 1550 bis 1617) und von dessen ungewöhnlichem Leben zwischen Kunsthandwerk und intellektuellen Neigungen. Seinen Helden lässt Roeck aus einem Verhörprotokoll von 1598 emporsteigen, aber auch aus spröden Einträgen in amtlichen Registern und nicht zuletzt aus den ...

Zu diesen flüchtigen Dingen, die man im Kopf behält, ohne darüber Genaueres zu wissen, zählt eine für mich erwähnenswerte Meldung aus dem Fernsehen: Es soll auf der Welt einen Fotografen geben, der entweder nur Handschuhe fotografiert oder jedem seiner Motive einen Handschuh unterlegt.

Solche Unterlagen verführen mich zur Tiefenpsychologie: Die Finger des Menschen in einen Handschuh zu stecken kann mit moralischer Hygiene zu tun haben. Auf jedem Bild einen Handschuh sehen zu wollen kann daher kommen, dass es einem bedenklich erscheinen mag, wo der Mensch überall seine Finger drin hat.

Diese Bedenklichkeit, die ja bei Handschuhen einen Teil fürs Ganze ...

Es herrscht wohl weitgehend Einigkeit darüber, dass Julian Barnes (Jahrgang 1946) ein amüsanter Schriftsteller ist von geradezu vorbildlich englischem Humor. Kaum einer kann die eitlen Usancen des Literaturbetriebs etwa (an dem er angeblich nicht teilnimmt) oder die Blasiertheit einer französischen Fleischsoße (wie dünnflüssiges Blut) fröhlicher und philanthropischer schildern als dieser frankophile Kulturgourmet und chroniqueur des gepflegten englischen Mittelstands, dem er als Sohn eines Französischlehrer-Elternpaars angehört. Seit 30 Jahren beglückt Barnes die Leser mit seiner den Widersinnigkeiten des Lebens verpflichteten Prosa und milden Nobody-is-perfect-Ironie, deren Zerfallenheit mit der Welt über Sätze wie "Ich fluchte vor mich hin und war doch erstaunlich ...

Beneiden wird man jene, die die Stunde null erlebt haben, nicht unbedingt, aber bewundern vielleicht doch, für ihren Lebensmut, ihren Optimismus, ihre Tatkraft. Werner Grassmann, Jahrgang 1926, hat seine Stunde null so erlebt: "Ein kalter Wintertag, Februar 1953. Ein junger Mann steht auf dem Hamburger Rathausmarkt und macht sich Gedanken über seine Zukunft. Ein Beruf, der irgendwie mit Film und Kino zu tun hat. Da gibt es viele Möglichkeiten: Regisseur, Produzent, Darsteller, Verleiher, Vorführer oder Programmmacher - was genau, wusste Werner Grassmann damals noch nicht. Er wurde dann einfach alles."So schreibt Michael Töteberg im Vorwort zu Grassmanns Lebenserinnerungen.

Alles ...

Tanztheater: Für 26 Jugendliche in Wuppertal war das immer nur ein Ort, der "halt neben dem Cinemaxx" lag. Pina Bausch?Nie gehört. Erst recht: Kontakthof ?Bei der Uraufführung des legendären Stücks im Jahr 1978 hatte Bauschs Ensemble humorvoll und unbarmherzig seziert, was alles zwischen Männern und Frauen geschieht: Sehnsucht und Selbstentblößung, Zärtlichkeit und Grausamkeit, Nähe und die Angst davor. Zwanzig Jahre danach, 1999, tanzten an Bauschs Theater Damen und Herren ab 65 mit den gleichen Kostümen und Bewegungen und ebenso unter die Haut gehend, dass Lebenserfahrung vor gar nichts schützt: Der Körper welkt, doch alle Spannung bleibt, die Sinnlichkeit, d ...

Das Sterben und der Tod gelten dem abendländischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts als die eindringlichsten Symbole für die unhintergehbare Individualität des Menschen. Trotz zweier Jahrhunderte fast industrieller Produktion von Abermillionen von Toten, zumeist geopfert zur Beförderung des Lebens (von Volk, Nation, Rasse, Klasse oder Erlösungsgemeinschaft), ist der Tod der Individualisierer schlechthin geblieben. Als eigenste und unbezügliche Möglichkeit bei Heidegger, als Symbol für die Sinnlosigkeit kollektiver Sinngebungen bei Max Weber und als wahrer Generator des Ichs bei Georg Simmel, als absurdes Symbol der Absurdität des je eigenen Lebens bei Albert Camus - es scheint eine ausgemachte Sache zu sein, d ...

Ein riesiger Speisesaal, der sich nach und nach mit Krankenschwestern, Gehbehinderten und Rollstuhlfahrern füllt und ein langsamer, ja meditativer Zoom mit einem elegischen Ave-Maria - herzlich willkommen in Lourdes!

Die hallige, unbehauste, theaterhafte Atmosphäre dieser ersten Einstellung setzt auch schon den Ton für den neuen Spielfilm der jungen österreichischen Regisseurin Jessica Hausner. Lourdes zeigt den Wallfahrtsort im französischen Südwesten als eine Mischung aus Pauschalreise und absurdem Theater, als eine Art Club Méditerranée der Heilssuchenden, als eine große Hoffnungsindustrie.

Wie ein Feldforscher folgt die Kamera der jungen ganzkörpergelähmten Christine (Sylvie Testud). Lourdes ist eines jener Ferienziele, die sich für eine junge ...

Prolog auf dem Theater

Wuppertal sieht aus wie Wladiwostok 1962. Sagt Rainald Grebe, und sein Wuppertaler Publikum lacht, ertappt, beschämt, befreit. "Wenn man immer nur den Osten mästet / das rächt sich."Applaus, politisch inkorrekt, aber was soll′s, die Lage ist sowieso hoffnungslos. Der Berliner Liedermacher ist ins Bergische gekommen für ein Benefizkonzert zugunsten des Stadttheaters Wuppertal, eines der traditionsreichsten Dreispartenhäuser des Landes, Peymann hat hier mit Minetti den Lear gemacht, Zadek war da, Luc Bondy. Das Ensemble hatte mal 30 Schauspieler, heute sind es noch 14. Nun soll der Etat um weitere 20 Prozent gekürzt werden, das wäre das ...

"Jetzt kommen die vorwitzigen Protagonisten", sagt die Künstlerin und schält eine Ingwerwurzel. "Sie haben eine Tendenz zur Selbstdarstellung - gerade deshalb wirken sie auf manche faszinierend."Dann schnippelt sie eine rote Schote klein und fährt fragend fort: "Es gibt Menschen, die sagen, dass sie Chili lieben. Sie würden aber nie eine ganze Schote essen - kann man da von uneingeschränkter Begeisterung sprechen?"

Man könnte das Kochen nennen. Aber Janina Haltke bereitet ihre Kichererbsen auf orientalische Art in Deutschlands erstem Performance Hotel zu. Es steht in Stuttgart. Sein Ruf ist bis in den Mittleren Osten gedrungen. Die Zeitung Arab News ...

Verdächtig wolkig klingt die Antwort aus dem Hause Eichborn: "Der Verlag weiß um die Bedeutung dieser gewiss schönsten Buchreihe im deutschen Sprachraum, die für Eichborn das Flaggschiff darstellt."Punkt. Die einfache Frage der Frankfurter Rundschau, ob die Existenz der "Anderen Bibliothek" gesichert sei, umschifft Christian Döring momentan lieber, Lektor im Eichborn Verlag und ab 2011 verantwortlich für die edle, einst von Hans Magnus Enzensberger begründete Buchreihe. Der Verlag hat in der vergangenen Woche Michael Naumann und Klaus Harpprecht, seit 2007 Herausgeber der renommierten Buchreihe, gekündigt. Seither fliegen die Fetzen: "Generationswechsel", "21. Jahrhundert" versus "unproduktiver Konservatismus", heißt es bei Eichborn (allerdings ...

Erich Kästner war ein wunderbarer Kinderbuchautor, und er konnte sich wunderbar aufregen: am meisten über Erwachsene, die Kinder für allzeit fröhliche, gedankenlos herumtollende, blöde grinsende kleine Vollidioten halten. "Wie kann ein erwachsener Mensch seine Jugend so vollkommen vergessen, dass er eines Tages überhaupt nicht mehr weiß, wie traurig und unglücklich Kinder zuweilen sein können?", schrieb Kästner empört in dem Vorwort zu seinem Kinderroman Das Fliegende Klassenzimmer: "Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint, oder weil man, später im Leben, einen Freund verliert. Es kommt im Leben nie darauf an, worüber man trauert, sondern nur darauf, w ...

Bevor du weiterliest, ein kleiner Versuch: Verdunkle Dein Zimmer so, dass kaum Licht eindringt, Du die Gegenstände aber noch erkennen kannst. Betrachte nun Deine Legosteine, Deinen Fanschal, Deine Puppe oder was sonst bei Dir herumliegt: Welche Farben haben die Dinge?

Du hast es sicher gemerkt: Alles ist grau. Hellgrau, mittelgrau, dunkelgrau, aber jedenfalls grau. "Na und?", sagst Du vielleicht. "Das hab ich auch vorher gewusst!"Mag sein. Aber hast Du Dir schon einmal überlegt, was es bedeuten könnte?Vielleicht hast Du ja gerade die wirkliche Welt gesehen. Vielleicht sind Deine Spielzeuge in Wirklichkeit gar nicht farbig. Vielleicht leben wir ...

Leicht unterschätzt man 32694 Dörentrup. Das liegt nicht zuletzt an der geografischen Lage: Die Gemeinde befindet sich, wo die deutsche Landkarte noch weiße Flecken hat - im Nordlippischen. Städtchen mit seltsam klingenden Namen liegen unweit - Lemgo, Detmold, auch Hameln. Doch immerhin: Ein Hilmar von Münchhausen hat hier ein Schloss gebaut. Der Schalker Rechtsaußen Reinhard "Stan" Libuda wurde im Ort geboren. Und heute gibt es in Dörentrup sogar ein virtuelles Rathaus. Jetzt aber der Hammer: Dörentrup ist wahrscheinlich das bekannteste deutsche Dorf in Australien, den USA und England, also weltweit. Und das kam so:

Vor drei Jahren machte sich Frau ...

Ich erinnere mich noch gut an den Moment vor neun Jahren, als ich zum ersten Mal einen USB-Stick sah. Ein dicker IBM-Mitarbeiter gab auf einer Konferenz mächtig damit an: Das Ding könne vier Megabyte speichern - fast dreimal so viel wie eine Diskette!Ich war tatsächlich beeindruckt, ich ahnte ja noch nicht, wie viel Ärger mir solche Speicherriegel noch bereiten sollten, weil ich sie ständig irgendwo stecken lassen würde.

Seit einer Weile nutze ich stattdessen eine Art virtuellen USB-Stick - den Online-Speicherdienst Dropbox. Dieser ist, wie es wohl in Werberdeutsch hieße, nicht nur unkaputtbar, sondern auch unverlierbar. Wer sich bei ...

Viel hilft viel. Dieses Motto gilt nur selten, wenn es um die Gesundheit geht. Beispielsweise bescheren hohe Pro-Kopf-Ausgaben für die medizinische Versorgung der Bevölkerung eines Landes nicht zwangsläufig eine hohe durchschnittliche Lebenserwartung. Auch eine hohe Zahl von Arztbesuchen führt nicht zwangsläufig zu einer längeren Lebenszeit.

So gehen die Deutschen deutlich häufiger als zwölf Mal im Jahr zum Arzt. Pro Kopf werden 2638 Euro für unsere Gesundheit ausgegeben. Unsere Lebenserwartung beträgt 79,8 Jahre - das ist knapp überdurchschnittlich.

Was bedeutet "Pro-Kopf-Ausgabe" in diesem Zusammenhang?Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhebt in ihren 31 Mitgliedsstaaten regelmäßig eine ganze ...