Inhaltsverzeichnis vom 25.03.2010

Als der ehemalige Finanzchef der Leipziger Wasserwerke, Klaus Heininger, knapp vor seinem 50. Geburtstag ins Dresdner Gefängnis eingeliefert wurde, konnte ein Zehntagebart die blauen Flecken in seinem Gesicht nicht verbergen: Er war einem erbosten Bürger zu nahe gekommen. Im Spiel sind 250 bis 290 Millionen Euro, niemand weiß das genau. Neulich waren 30 Millionen verschwunden und am nächsten Tag wieder da. Mit seinem Kollegen für die Technik unserer Wasserversorgung, Andreas Schirmer, verzockte Heininger Unsummen. Schweizer Finanzberater vermittelten das Verbergen, das Beleihen des Wassernetzes, "Leasen" heißt das unter Fachhasardeuren, was enorme Gewinne, natürlich auch für mitmischende Banken, einbringen sollte und nun ...

Pressesprecher von Behörden kommen und gehen meist unbeachtet. Der Abgang von Christian Avenarius, der von Mai an nicht mehr Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft ist, wird hingegen öffentlich diskutiert. Der 50-jährige Oberstaatsanwalt informiert seit fünf Jahren über alle Ermittlungen der Behörde. Er sprach souverän in Mikrofone, etwa als Journalisten aus aller Welt fragten, warum eine ägyptische Mutter in einem deutschen Gerichtssaal erstochen wurde. Im Mordfall Marwa trat Avenarius wie ein Botschafter des deutschen Rechtssystems auf. Stets war er mehr als nur Sprachrohr, er verkörperte Dresdens Justiz.

Nun bat er darum, Jugendstrafsachen abzugeben. Dem entsprach Behördenleiter Erich Wenzlick und übertrug ihm Wirtschaftsdelikte. P ...

An diesem Abend geht es der sächsischen Linkspartei um Tradition. Wohl deshalb hat sie zu ihrem Frühjahrsempfang ins Hotel Zur Post nach Pirna eingeladen. Der Fraktionschef André Hahn nennt das ehemalige Gästehaus des VEB Kunstseidenwerkes Siegfried Rädel ein "Traditionslokal". Der Swimmingpool ist von 1993 und sieht heute schon wieder aus wie FDGB. Hahn hat recht: Auch hierzulande ist in den letzten 20 Jahren die Zeit vergangen, kehrt die Patina ins renovierte Land zurück.

Viele Journalisten sind gekommen, um Meinungen über den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms zu sammeln. In der Hauptstadt hat Lafontaines Testament Staub aufgewirbelt, protestierten in den letzten Tagen ...

Stop the Violence" steht an der Baracke von Christian Klämbt, Berliner Straße 103 in Weißwasser, Oberlausitz: Hört auf mit der Gewalt. Nur ein Klischee?Das Ergebnis der Party vom Wochenende, sagt Klämbt, sei jedenfalls ein dreifacher Jochbeinbruch. Eine Schlägerei, so weit normal; Konflikte im Amphetaminrausch, nichts Neues. Amphetamine seien der Alkohol von heute, erklärt Klämbt, und seine Jungs "erlebnisorientiert". Aber dass einer in Cottbus lande, habe es noch nicht so oft gegeben.

Weißwasser besitzt ein eigenes Krankenhaus. In Cottbus behandeln sie die schweren Fälle.

Ein Dienstagabend im März, Streetworker Klämbt, 42, sitzt im Jugendzentrum "Garage", seinem Lebenswerk. Es ist ein ...

Wolfgang Schmidbauer, 68, ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten. Zu dieser Kolumne ist jetzt das Buch "Paartherapie - Konflikte verstehen, Lösungen finden" beim Gütersloher Verlagshaus erschienen.

Petra hat Paul vor einem halben Jahr kennengelernt. Beide studieren noch; Paul möchte vielleicht ins Ausland gehen, für eine feste Beziehung ist es zu früh, aber unverbindlich ist die Liaison auch nicht mehr. Sie treffen sich fast jedes Wochenende. Paul hat mit ihr einen tollen Urlaub in der nordschwedischen Wildnis gemacht. Petra stört nun, dass es fast immer sie ist, die anruft und wieder ein Treffen vereinbart. Sie versucht, auf den Busch zu klopfen ...

Siebenundzwanzig Seiten hat mein Drucker aus dem Internet gefischt, eng mit Namen und Adressen bedruckt, es ist eine Rangliste der "besten Restaurants Europas". Mehr als tausend Eintragungen insgesamt, schätze ich und bin glücklich, dass bereits auf den ersten 20, 30 Plätzen vertraute Namen aus der deutschen Heimat auftauchen: Sven Elverfeld vom Restaurant Aqua in Wolfsburg liegt ziemlich weit vorn, ebenso Klaus Erfort vom gleichnamigen Gästehaus in Saarbrücken, Hans Haas vom Tantris in München liegt immerhin auf Platz 28. Mir muss um den Ruhm der germanischen Kochkunst also nicht bange sein.

Natürlich besagt diese Rangfolge der Internetseite rein gar nichts. Ich ...

In diesem Prachtburschen habe ich mir mit einem anderen Prachtburschen ein flottes Wettrennen durch die südspanische Hügelwelt geliefert. Meiner war weiß, der andere anthrazit. Wir hatten uns zuvor an einem Molekularfrühstück aus der Küche des Starkochs Ferran Adrià gestärkt, ich glaube, es war ein nach Thymian schmeckender Erdbeerschaum, der durch die Nase verabreicht worden war. Auf Geschwindigkeitsbegrenzungen konnten wir an diesem Morgen keine Rücksicht nehmen. Und weil Autos testen ein ernsthaftes Geschäft ist, hielten sich auch unsere Gewissensbisse in Grenzen. Der Bentley Supersports ist der Rennwagen in der Bentley-Flotte, eine - man legt Wert darauf - ganz britische Eigenentwicklung der ...

Frauen wussten schon immer um die Vorteile eines Halstuchs. Ein Tuch umgibt die Dame mit einem Flair, als sei von ihr Besonderes zu erwarten. Mit einem Tuch setzt sie einen besonderen Akzent. Gleichzeitig hat es etwas Schützendes. Mit dem Tuch lässt sich spielen, man kann es enger binden, ablegen, um die Schultern oder die Beine legen, wenn eine Sommernacht etwas kühler wird. Eine Frau, die sich mit einem Tuch schmückt, wirkt immer, als habe sie sich etwas dabei gedacht, als sei ihr Stil nicht zufällig. Frauen und Tücher passen herrlich zusammen.

Allerdings sind es in jüngerer Zeit immer mehr Männer, d ...

Es handelt sich um einen klassischen Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt: eine Außendienststelle im Touristikbereich. Da hat man viel direkten Kundenkontakt, bevorzugt auf der Wiener Kärntner Straße, trägt zum touristischen Leben bei und darf den Wien-Besuchern aus aller Welt die wunderbare und einzigartige österreichische Kultur schmackhaft machen. Das anzupreisende Angebot umfasst Höhepunkte heimischen Kulturlebens wie etwa die Ersten Original-Sinfonischen Wiener Mozart-Kammerschrammeln in Originalkostümen mit ihrem Konzertprogramm Fotografieren erlaubt . Eine solche Informations-Serviceleistung im Auftrag der renommierten Firma Vienna Music & Culture Events verlangt natürlich nach dem entsprechenden Outfit. Weißgepuderte Perücke, gleichfarbige Kniestrümpfe, Schnallenschuhe und ein brokatbesetzter Rock. Der Ossi Torsten ...

Ich hatte mein Studium an der Hochschule für Schauspiel in Krakau abgeschlossen und war Mitte der siebziger Jahre auf dem Sprung zu einer Filmkarriere. Der Regisseur Andrzej Zulawski hatte mich für eine Hauptrolle in seinem Science-Fiction-Epos Der silberne Planet engagiert, das sich zur teuersten Produktion jener Jahre entwickeln sollte. Die Probeaufnahmen zogen sich zwei Jahre hin. Wir reisten in die Mongolei, um in der Wüste Gobi zu drehen. Wir waren in Russland unterwegs. Und natürlich in Polen. Manchmal wartete das Team eine Woche auf den Flug zum nächsten Drehort. Doch mit einem Mal war alles vorbei: Das politische Tauwetter, in ...

Immer wieder läutet das Telefon. Wie jedes Jahr, wenn der Schnee schmilzt und die Rauchfänge erkalten. Dann gehen in dem Kaminkehrerbetrieb am Wiener Stadtrand die Anfragen der Kunden im Minutentakt ein. Martin Hofstetter sitzt im pechschwarzen Arbeitsoverall am leer geräumten Küchentisch, den wuchtigen Kopf auf die schwieligen Hände gestützt. Im Büro nebenan sortieren zwei Mitarbeiter mit weißem Käppchen auf dem Scheitel die Aufträge. Daran, dass ihr 40-jähriger Chef freimütig erzählt, mit wem er ins Bett geht, nehmen sie längst keinen Anstoß mehr. Ein paar kollegiale Witzchen können sich die Handwerker dennoch nicht immer ganz verkneifen.

Seit 15 Jahren besitzt Hofstetter ...

Für den Anfang braucht Timo Schuhmacher wie jeder Doktorand nur ein Blatt Papier und einen Bleistift. Er wird seine Gedanken skizzieren und der Frage nachgehen, wie sich naturwissenschaftliche Inhalte mithilfe neuer Medien anschaulich vermitteln lassen. Doch wenn der 29 Jahre alte Diplomdesigner in ein paar Jahren seine Doktorarbeit im Fach Medienwissenschaft abgibt, wird es sich dabei nicht allein um ein dickes Buch voller Buchstaben und Thesen handeln. Dann wird er das Ergebnis seiner praktischen Forschung präsentieren: eine digitale Rauminstallation.

"Die theoretische Arbeit ist die Grundlage, aber ich will das praktische Projekt nutzen, um meine Überlegungen daran zu überprüfen", sagt Timo ...

Dominik Wandinger packt zusammen. Im ersten Stock der Akademie für Bildende Künste München konnte man in den vergangenen Wochen seine Werke betrachten. Raumgreifende Stahlskulpturen, anmutend wie "Kraftmaschinen für Riesen", wie die Süddeutsche Zeitung schrieb. Es war Wandingers Diplomausstellung, jetzt muss er die Lobby räumen. Jahrelang hat Wandinger an der Münchner Akademie Bildhauerei studiert, sich ausprobiert, seiner Kreativität freien Lauf gelassen, sein Ding gemacht. Und jetzt? "Keine Ahnung", sagt er. Natürlich würde er gerne von seiner Kunst leben. Aber wie genau das funktioniert - jetzt, da er sein Diplom in der Tasche hat -, weiß er nicht. Er hat keine Kontakte, w ...

DIE ZEIT: Im vergangenen Jahr haben Sie auf der Biennale in Venedig für einige Furore gesorgt, als Sie auf einer Luftmatratze den Canal Grande durchquert haben und dann damit in den deutschen Pavillon gepaddelt sind. Kunst oder PR?

Raphael Sbrzesny: Das war eines meiner Performanceprojekte. Ich wollte damit auf die Flüchtlingssituation an den europäischen Grenzen aufmerksam machen. Jedes Jahr landen Tausende Afrikaner, teilweise in Schlauchbooten, an den italienischen Küsten. Das habe ich versucht thematisch aufzugreifen. Meine Luftmatratze als Schlauchbootersatz, der Canal Grande als Hindernis und der deutsche Pavillon als das kaum erreichbare Europa. Und die Reaktionen der Besucher, die mich ...

Die studentischen Proteste gegen die Bologna-Reform waren wirkungsvoll. Dabei fand leider kaum Beachtung, wie krank an Haupt und Gliedern auch die Personalstruktur an den deutschen Universitäten ist. Nur über den Weg der Habilitation und einer im Idealfall kurzen Existenz als Privatdozent kann man in Deutschland normalerweise Professor werden. Einem "Alles oder nichts"-Prinzip folgend, werden dabei gnadenlos alle jene Wissenschaftler ausgebeutet, die nicht als Sieger durchs Ziel gehen - sprich eine Professur erhalten. Gleichzeitig wurde der Mittelbau der Akademischen Räte und Direktoren abgeschafft, ohne ihn durch die versprochene Vermehrung der Professorenstellen auszugleichen. Wohin also mit jenen Forschern, die keine Professoren werden?
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Vor hundert Jahren gab es nur einen Reiseführer für Deutsche, die es ans Mittelmeer zog: den Baedeker von 1909. Seit jedoch das mare nostrum der alten Römer der ganzen Welt als Badewanne dient, hat man Mühe, aus der Flut an Neuerscheinungen das Beste herauszufischen. Einer, der das vermeintlich Bekannte unter einem ungewöhnlichen Blickwinkel erschließt, ist der Journalist Andreas Fischer. Mit seinen Entdeckungsreisen am Mittelmeer. Der Westen, dem ersten Band seines zweiteilig angelegten Projekts, macht er vor, was es bedeutet, auf gut Glück unterwegs zu sein. Mit Rucksack und Wanderstiefeln, per Bus, Mietwagen oder Schiff streift der Autor umher.

Ganz gleich, o ...

DIE ZEIT: Herr Olsen, Sie spielen den Imbisswirt Ingo in der Fernsehserie Dittsche . Nun haben Sie die Rolle im echten Leben ausprobiert: Für Ihr Buch Der Fritten-Humboldt haben Sie sich in 16 Buden hinter die Theke gestellt. Warum haben Sie sich die Mühe gemacht?

JON Flemming Olsen: Es war einfach an der Zeit, mich einmal in die Wirklichkeit der Imbisswelt zu begeben. Der Arbeit, den Gästen und vor allem den Wirten zu begegnen fand ich hoch spannend.

ZEIT: Sie haben in jedem Bundesland in einem Imbiss gearbeitet. Gibt es regionale Unterschiede?

Olsen: Oh ja!Nahe der dänischen Grenze habe ...

Wer hierherkommt, sollte über dreierlei verfügen: Lust auf eine aparte Zeitreise, Lust zum Plaudern und einen guten Berliner Stadtplan. Denn für Ortsfremde ist die Adresse Helmstedter Straße 16, gelegen in einer kleinen Wilmersdorfer Seitenstraße, nicht ganz leicht zu finden. Hat man das Gründerzeithaus, dessen Klingelschilder durchweg auf Privatwohnungen schließen lassen, schließlich erreicht, stellt sich allerdings eine neue Frage, auch für die stadtkundige Besucherin: Wo bitte soll hier ein Museum sein?

Also klingeln bei dem Namen "René Koch". Er ist, so sagt es ein Neugier weckender Prospekt, Besitzer eines Lippenstiftmuseums. Sogar des weltweit einzigen Lippenstiftmuseums. An der Wohnungstür im zweiten Stock ...

Die Rückkehr der Römer

Gladiatorenkämpfe, wilde Tiere, Streitwagen und ein Kaiser mit Lorbeerkranz - vor 2000 Jahren waren derartige Spektakel im südfranzösischen Nîmes normal. Heute aber wird die monumentale, gut erhaltene römischen Arena im Stadtzentrum eher für Popkonzerte und für Gottesdienste genutzt. Doch im April kehren die Römer zurück: Mehr als 200 Darsteller aus ganz Europa lassen die berühmten "Ludi" aus dem Römischen Reich auferstehen. Wie früher entscheidet das Publikum mit dem Daumen. Zwar nicht darüber, ob ein Gladiator den Tod verdient hat, aber immerhin über den Lorbeerkranz, der dem Tapfersten verliehen wird. Bei einer Parade durch die Stadt präsentieren ...

Wie kann es sein, dass eine Darstellerin, die in zwanzig Jahren dreißig Filme gemacht hat, die zu den finanziell erfolgreichsten Hollywood-Schauspielerinnen gehört, mit keinem einzigen markanten Bild in Erinnerung ist?Sandra Bullock, deren Name auf einem Kinoplakat allein in den USA locker für eine Viertel Milliarde Dollar Einspielergebnisse sorgt und die, was die Gagen betrifft, alle Kolleginnen ihrer Generation abgehängt hat, verkörpert auf der Leinwand den global verständlichen Triumph der Durchschnittlichkeit. Julia Roberts mag ein großes Lächeln sein, Nicole Kidman eine unnahbare Statue - Sandra Bullock ist die nette Nachbarin, die man tausend Mal im Hausflur gegrüßt hat und im ...

Deutschland hatte ab den fünfziger Jahren den Begriff der "Schönheit" komplett an die Provinz delegiert. Während sich die Architekten, Stadtplaner und Planungsdezernenten in ihrem "Pathos der Moderne" (Heinz Bude) in den Städten austobten und immer neue Verkehrswegeplanungen konzipierten, neue Stadtquartiere, neue Einkaufspassagen und Fußgängerzonen, gestattete man dem flachen Land herablassend weiter seine Romantik. "Unser Dorf soll schöner werden" hieß dieser Bundeswettbewerb, dank dessen zwar vor allem hässliche Feuerwehrgerätehäuser und viel zu viele Geranienkästen in Deutschlands Dörfer einzogen, dank dessen aber auch manches Fachwerkhaus wieder vom schändlichen Schiefer- oder Fliesenvorhang befreit wurde. Im Jahre 1997 war aber dann auch damit Schluss. S ...

Das Publikum ist ganz leise. Unter Hunderten Konzertbesuchern will nicht einer riskieren, den Text zu verpassen: "Die Liebe ist ein kleines Tier / Vielleicht läuft es eines Tages fort", singt Dota Kehr. "Man fragt im Tierheim: Haben Sie noch so eins? / Und dann ist keines dort."Die Leute müssen lachen. Sie sind zwischen 20 und 35, haben kluge Augen, zottelige Haare und tragen flache Schuhe. Doch manchen sieht man an: Auch ihnen ging irgendwo zwischen Abi-Zeugnis und Amnesty-Mitgliedschaft, zwischen Rucksackreisen und erster Reisekostenabrechnung die große Liebe verloren. Auch sie wissen nicht, wo suchen, wo fragen.

Dorothea Kehr, genannt Dota, s ...

Zunächst einmal ist es nur ein kleines, unscheinbares Skizzenbuch, 66 ungebundene, 20 mal 30 Zentimeter große Blätter, darauf Sepiazeichnungen, Bleistiftzeichnungen, Aquarelle von Carl Blechen (1798 bis 1840). Sie entstanden im Mai 1829 an der neapolitanischen Küste, in der Gegend um Amalfi und Neapel. Im 20. Jahrhundert waren die Blätter lange getrennt, 19 gerieten als Beutekunst nach Russland, der Rest blieb in der Berliner Akademie der Künste. Jetzt ist das sogenannte Amalfi-Skizzenbuch erstmals komplett in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen - und spätestens mit dieser Ausstellung wird Carl Blechen endgültig zu einer zentralen Figur der europäischen Kunstgeschichte des 19. J ...

Ich bin mir selbst nicht genug, bin ein Künstler mit zwei Köpfen und noch mehr Gesichtern, bin der, der sich selbst über die Schulter schauen kann, ich bin mein eigener Doppelgänger. Ich, Hans von Aachen, der Maler mit dem Multi-Ich.

Auf einem frühen Selbstporträts zeigt er sich gleich doppelt, als Hans 1, der lauthals lachend mit dem Zeigefinger auf Hans 2 deutet, der wiederum Hans 1 von hinten am Ohrläppchen zupft. Beide scheinen sich köstlich über das Kunststück zu amüsieren, das Hans von Aachen hier gelingt. Er malt sich selbst so lebendig, so wahrhaftig wie möglich, alle sollen glauben, sie ...

Eines der letzten Bilder, die der Öffentlichkeit von Wolfgang Wagner übermittelt wurden, war ein friedvoll-versöhnliches: Der greise Pensionär sitzt im Garten seines Hauses und erfreut sich an seinen fünf Hunden. So hat es Katharina erzählt, seine jüngste Tochter. Drüben im Festspielhaus, das nicht weit entfernt liegt von seinem privaten Anwesen, dreht sich die Wagner-Welt ohne ihn weiter: das ewige Ringen um die interpretatorische Wahrheit in den zehn immergleichen Opern, die seit der Gründung der Richard-Wagner-Festspiele im Jahr 1876 am Grünen Hügel aufgeführt werden, das Prominenten-Defilée über den roten Teppich am feierlichen Eröffnungstag, der alle Sinne sensibilisierende, magische Moment, wenn es ...

Wer, wie jeder vernünftige Mensch, weiß, dass W.G. Sebald einer der herausragenden, wenn nicht der herausragendste Schriftsteller deutscher Sprache der vergangenen Jahrzehnte schlechthin ist (was Susan Sontag und die Amerikaner übrigens wussten, aber hierzulande, ach, lassen wir das...), wer begierig in diesem ganz kleinen, gar nicht anders als im besten Sinne des Wortes als irre zu bezeichnenden Werk immerfort herumgelesen hat, in dem weit ausholenden, Gegenwart und Vergangenheit, augenblickhaftes Erleben und traurigste Erinnerung, Wirklichkeit und Fiktion, Bild und Schrift auf geradezu wahnsinnig gewagte Weise verschmelzenden Erzählungsband Die Ringe des Saturn, wer je die anrührende, mitunter ganz und ...

Wie ein echtes Streitgespräch klingt, vergisst man bei all dem öffentlichen Geplapper im Fernsehen nur zu leicht. Am vergangenen Sonntag nun kam es, 20 Jahre nach dem Ende der DDR, zu einem fesselnden Schlagabtausch über die Ursachen dieses Untergangs. Im "Gartenhaus" des Berliner Ensembles trafen sich der Nobelpreisträger Günter Grass, Jahrgang 1927, und der ein Jahr ältere Hermann Kant, der von 1978 bis 1990 Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR war - und jahrzehntelang Informant des Staatssicherheitsdienstes, dem er als IM "Martin" auch über Grass berichtete. In dem Buch Günter Grass im Visier - die Stasi-Akte hat der Journalist Kai Schlüter ...

Ich möchte mit einer Unterstellung beginnen, und zwar mit der, daß Sie alle, bei Besuchen besonders der älteren Abteilungen von Museen, einen gewissen, heimlich erhofften Augenblick kennen.

Allerdings tritt er keineswegs zuverlässig ein.

Man hat vor groß- und kleinformatigen Gemälden gestanden und irgendwann gespürt, daß etwas fehlt, vor dramatischen und stillen Ansichten von Genies und Nachahmern, Moden, Schulen, vor Bildern, die ihren Schöpfern Ruhm und Attacken, Geld und Elend eingebracht haben, vor Werken, aus denen sich uns die Figuren in scharfer Plastizität energisch entgegenwölben, und solchen, bei denen sich, umgekehrt, die Leinwand verlockend in Fluchten nach hinten zu öffnen scheint.
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Schwarzmeer-Idyllen findet man in dieser Anthologie nicht. Keine Lobgesänge auf die subtropische Krim, auf warme Badestrände und tiefblaue Horizonte. Puschkins wehmütige Abschiedsverse auf das Schwarze Meer, wo er 1820 im Exil gewesen war ("Leb wohl, du freies Element!"), verschwinden im Chor Ovidischer und anderer Klagen über Verbannung, Vertreibung, Flucht, Zwangsarbeit, Landschaftsverschandelung und politische Querelen. Die Suhrkamp-Lektorin Katharina Raabe, die zusammen mit der polnischen Verlegerin Monika Sznajderman bereits im Sammelband Last & Lost Verfallsspuren Mittel- und Osteuropas nachgegangen ist, begibt sich mit Odessa Transfer erneut in prekäre Zonen: in die seit alters von Konflikten erschütterte Schwarzmeerregion, wo Europa und Asien, G ...

Zwei Romane hat der 1982 geborene oberösterreichische Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker bisher geschrieben, Der lange Gang über die Stationen und Magdalenaberg, und in beiden zeigt er sich erstaunlich immun gegen die gerade angesagten literarischen Moden. Weder bedient dieser Autor durch krasse Selbstentblößungen voyeuristische Neigungen, noch liefert er mittels knalliger oder süffiger Plots billiges Lesefutter, und schon gar nicht zählt er zur breiten Schar jener jungen Autoren, denen Peter Handke unlängst vorgehalten hat, sie schrieben alle wie Journalisten. Kaiser-Mühlecker schreibt überhaupt nicht wie jemand anderer, auch wenn sein erster Roman manche Rezensenten zu Adalbert-Stifter-Vergleichen animierte.

Zwar kommt auch sein Schreiben aus einer ...

Katja Kessler: Frag mich, Schatz, ich weiß es besser Bekenntnisse einer Ehefrau; Diana Verlag, München 2009; 205 S., 7,95 Euro.

Das Höchste, was wir von Literatur erwarten dürfen, ist produktive Verstörung. Weitung des Geistes. Erneuerung unseres Blicks. Man liest und liest, die Augen brauchen eine Pause, man tritt ans Fenster, und etwas da draußen ist anders. Nach den ersten Semesterferien, die man mit Proust verbracht hatte, latschte man noch empfindsamer und verschlafener durch die Gegend als zuvor. Oder Roland Barthes′ Mythen des Alltags. Der reine Befreiungsschlag. Wenn ein Mann wie Barthes sich mit Werbefilmchen und trashigen Western abgab, k ...

DIE ZEIT: Herr Minister, der polnische Historiker Tomasz Szarota ist aus dem wissenschaftlichen Beirat der Vertriebenen-Stiftung ausgetreten. Steht das Projekt damit vor dem Scheitern?

Bogdan Zdrojewski: Nicht nur Tomasz Szarota hat sich zurückgezogen, auch zwei Vertreter aus Tschechien und Deutschland sind aus dem Beirat ausgetreten. Ob die Stiftung damit scheitert?Ich weiß es nicht. Die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ist ein extrem schwieriges Projekt - wie alle historischen Projekte, die eine noch lebende Generation betreffen. Denn die Betroffenen verbinden damit nicht nur Wissen, sondern auch Emotionen. Und man kann diese Emotionen nicht beiseitelassen, sie sind authentisch.

ZEIT: Ist der Rückzug ...

Bei der Verleihung des Leipziger Buchpreises war es beinahe gleichgültig, wem der Preis verliehen wurde, solange ihn nur eine Autorin nicht bekam: die Berliner Schriftstellerin Helene Hegemann. Frau Hegemann war für ihren Roman-Erstling Axolotl Roadkill bekanntlich sehr gelobt worden, doch dann stellte sich heraus, dass die Originalität vieler Passagen darin bestand, aus anderen Texten abgeschrieben zu sein. Kurz vor der Preisverleihung gaben unter anderen Christa Wolf und Günter Grass eine "Leipziger Erklärung" ab und warnten davor, die Verletzung geistigen Eigentums auf die leichte Schulter zu nehmen. "Wenn geistiger Diebstahl als Kunst hingenommen wird, demonstriert diese Einstellung eine fahrlässige Akzeptanz von ...

Immer wenn Uwe Timm an seinem Schreibtisch sitzt, sieht er die Baumwipfel des Englischen Gartens in München. Das Zimmer ist sehr hell, die Wände sind weiß und leer. Auf dem Tisch liegt ein Notizheft, daneben der Laptop. Sonst ist da nichts. Eine alte Stehlampe noch und in der Ecke zwischen den Fenstern eine schmale, hohe Kommode. Aus einer der Schubladen holt Uwe Timm einen winzigen Pappkarton. Er öffnet ihn und zeigt mir den Inhalt: eine eingetrocknete Tube Zahnpasta, einen Orden, einen Kamm mit Haarresten, ein paar Filmnegative, Tabakskrümel, das Foto einer Schauspielerin, ein Oktavheft. Das ist alles, was von seinem ...

Als die Glamour-Fotografin Annie Leibovitz vor zweieinhalb Jahren die britische Queen fotografierte, wurde das Ergebnis mit großer Selbstverständlichkeit aufgenommen. Als dagegen in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass Gerhard Richter den schnauzbärtigen Kölner Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma abgebildet hatte, war das Ergebnis großes Staunen: Ausgerechnet dem gescheiterten Lokalpolitiker sollte es gelungen sein, den bedeutendsten deutschen Maler zu einer Auftragsarbeit überredet zu haben?

Dabei ist es mehr als nur ein fotografisches Porträt, das Gerhard Richter im Foyer des Kölner Rathauses der Öffentlichkeit vorstellte. Seine Schramma-Darstellung ist vor allem eine Einladung zum Diskurs darüber, ob Auftragsarbeiten in der Kunst noch zeitgemäß sein können. E ...

Vor zwölf Jahren hat der Regisseur Thomas Vinterberg einen Film gedreht, der sich als Erzählung der Stunde lesen lässt: Das Fest. Eine Familie feiert den Geburtstag ihres Patriarchen. Man tanzt, trinkt und singt, und dann erhebt sich der Sohn und hält eine Rede auf seinen Vater. Von festlicher Heiterkeit geschüttelt, spricht der Sohn: "Papa hat uns vergewaltigt. Er hatte Sex mit seinen lieben Kleinen."

Nach einem Moment der baffen Stille kommt das Fest umso wilder in Fahrt. Neuer Schnaps, neuer Tanz, man lässt den Vater hochleben, und Kim, der unverwüstliche Koch der Familie, fährt Hummersüppchen auf. Während des Gelages ...

Als am Silvesterabend 1986 die ARD Helmut Kohls Neujahrsansprache vom Vorjahr ausstrahlte, wirkte das in den Augen von Kohl-Verächtern wie ein Gottesgericht: Der Bundeskanzler war nun breitenwirksam zur Witzfigur geworden. Bei ihm, der Verkörperung der rednerischen Unbeholfenheit, konnte man ohne Informationsverlust auf Repeat drücken. Und irgendwie dachte man: Diese Lächerlichkeit würde der Kanzler aus Rheinland-Pfalz nicht überleben.

Die Szene ist charakteristisch für die Wahrnehmung Helmut Kohls in der ersten Hälfte seiner Kanzlerschaft: Er war in den Augen seiner Gegner weniger eine finstere politische Kraft, die es zu bekämpfen galt, als die Verkörperung des Peinlichen und Blamablen, die früher oder später ...

Mit Noora möchte man sofort tauschen!Mit einem Motorboot düst das Mädchen ganz allein übers Meer, zwischen den Schären (Felseninseln) der norwegischen Küste hindurch. Da ist kein Erwachsener, der sagt: "Viel zu gefährlich für ein Kind!"Mit einer Schwimmweste gesichert, fährt die Zwölfjährige Boot wie Stadtkinder Fahrrad. Es ist praktisch, dass sie das so gut kann, denn zusammen mit ihrem kleinen Bruder Morten und ihren Eltern lebt Noora weit draußen auf einer der Felseninseln. Ihr Vater arbeitet für einen Fischer, ihre Mutter kümmert sich um Feriengäste, denen die Familie kleine Häuser vermietet. Während Noora schon viel mithilft, zum Beispiel Schafe ...

In einer stürmischen Nacht wird ein geheimnisvolles Paket an einer Boje befestigt und ins Meer geworfen. Am nächsten Morgen macht sich eine Gruppe junger Leute auf die Suche danach - und findet das Paket nicht. Kein Wunder, schließlich ist das Wasser in Bewegung, die Boje samt Päckchen treibt mit der Strömung. Man kann ungefähr berechnen, wo sie an Land gespült wird, aber sicher ist das nicht. Würden wir unsere Post immer auf einem solchen Wasserweg an den Empfänger bringen wollen, käme wohl wenig an. Und doch wird in SOS - ein spannender Sommer ein Paket auf diese Weise überbracht. Randvoll ...

David war nie gut in der Schule. "Wenn ich heute noch einmal hingehen könnte", sagt er, "würde ich besser in Bio und Erdkunde aufpassen."Diese Fächer könnten ihm nämlich heute helfen. David ist ein Abenteurer, und mit einem Schiff aus Plastikflaschen will er über den Pazifik segeln - von Nordamerika nach Australien. Die Plastiki soll nicht nur David und seine Crew, bestehend aus Jo, Dave und Olav, sondern vor allem eine Idee weitertragen: dass wir Menschen zu viel Müll produzieren und unbedingt Wege finden müssen, um Rohstoffe wiederzuverwerten. Ihre Reise wird sie am "Great Eastern Pacific Garbage Patch" vorbeiführen. Das ...

Der Privatkunde ist der Post egal, denn er bringt quasi keinen Umsatz. Wenn er die Post schon nervt, dann soll er wenigstens Zugang zum Internet haben oder die Zeit, sich wegen einer Gebührenauskunft in die Schlange zu stellen. Wenn sich die Post ein Bein ausreißt, dann eventuell für Firmenkunden - ungeachtet der Tatsache, dass eben die mit Internetporto et cetera arbeiten und als Großkunden ganz gewiss noch nie eine Postfiliale von innen gesehen haben.

Juliane Duvigneau, Gröbenzell

Im Februar hatte ich ein Päckchen verschickt mit vier Paar selbst gestrickten Strümpfen. Jeder, der versucht, für eine Person passende Strümpfe zu stricken, weiß, w ...

Ihr Titelbild ist geschmacklos und eine Zumutung!Das sehr schöne Fresco aus der Kirche Santa Maria del Carmine in Florenz kann nicht zur Rechtfertigung herhalten. Im Ausschnitt und in dieser Vergrößerung rückt der Abdruck in die Nähe von Pornodarstellungen, die Sie in Ihren Artikeln verurteilen.

Edda Kramer, Ravensburg

Das Titelbild ist ein Missbrauch der Kunst. Der Verweis auf das Gesamtkunstwerk auf Seite 2 ist wohl als Feigenblatt eines schlechten Gewissens zu rezipieren. Immerhin!Das Dossier zur Titelgeschichte klärt zwar auf - sogar bis zu den "Vorbote(n) der Hölle", kann aber die Entgleisung des Titelbildes weder rechtfertigen noch entschuldigen.

Wer so pornografisch ...

Als in der forensischen Forschung und Praxis tätiger Psychologe ist es für mich nur noch schwer zu ertragen, wie von Vertretern der katholischen Kirche weiterhin am obskuren Einzelfall- beziehungsweise Einzeltätererklärungsmodell festgehalten wird. Dabei wird gezielt verschwiegen, dass Übergriffe in diesem Ausmaß zwangsläufig auch strukturelle, das heißt systemimmanente Ursachen aufweisen müssen. In diesem Zusammenhang muss nicht (nur) der Zölibat Gegenstand der Diskussion sein, sondern generell der sexualitätsfeindliche Moralismus, der fester Bestandteil des katholischen Bildungsauftrags ist.

Als Absolvent der Regensburger Domspatzen musste ich zudem überrascht zur Kenntnis nehmen, dass die Erziehungspraktiken, die bei den Regensburger Domspatzen üblich waren, überhaupt noch Empörung hervorrufen, s ...

Der Fallout ehemaliger Kernwaffentests kann helfen, Weinpanscher zu überführen. Von den späten vierziger Jahren bis 1963 erhöhte sich der Gehalt an radioaktivem Kohlenstoff C14 in der Atmosphäre auf exakt nachgewiesene Weise - und nimmt seither kontinuierlich ab. C14 wird von den Rebstöcken bei der Photosynthese aus der Luft aufgenommen und erscheint im Wein. Wie Graham Jones von der University of Adelaide in Australien herausfand, sind die Mengen charakteristisch für den jeweiligen Jahrgang. Und da genau dieser die Weine oft besonders wertvoll macht, wird häufig an der Weinuhr gedreht. Bis zu fünf Prozent der edlen Tropfen gelten als gefälscht.

Sture Schildkröten.
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Schon oft wurde Bargeld totgesagt - meist dann, wenn wieder einmal ein vermeintlich besseres Zahlverfahren eingeführt wurde. Die Geschichte lehrt jedoch: Bares bleibt Wahres. Die viel gerühmte Geldkarte konnte sich ebenso wenig durchsetzen wie Handy-Zahlsysteme à la Paybox oder Streetcash - da halfen auch die hippen Namen nicht.

Ich werde daher einen Teufel tun, an dieser Stelle das Ende der Geldbörse auszurufen. Das neue iPhone-Programm von Paypal ist dennoch erwähnenswert. Nicht nur weil sich Paypal im vergangenen Jahrzehnt im Online-Zahlungsverkehr einen festen Platz neben Überweisungen erkämpft hat, sondern auch weil das Programm die praktische "Bump"-Funktion mitbringt: Möchte ein iPhone-Besitzer einem ...

DIE ZEIT: Wird es bald wirklich synthetisches Leben aus Menschenhand geben?

George Church: Ich denke, ja. Unsere Fähigkeiten, genetische Information zu lesen und neue zu schreiben, verbessern sich jedes Jahr. Bald gibt es kaum noch Grenzen des Vorstellbaren.

ZEIT: Ein Lebewesen ist doch viel zu komplex, als dass man es einfach neu erfinden könnte.

Church: Man entwirft auch ein neues Auto nicht wirklich neu, man baut es aus existierenden Einzelteilen, die man verändert. So ist es auch in der synthetischen Biologie: Wir müssen synthetisches Leben nicht Atom für Atom neu konstruieren.

ZEIT: Es gibt die Idee, auch ausgestorbene Lebewesen auferstehen ...

DIE ZEIT: Der Schlaf gilt noch immer als Geheimnis. Wozu dient er?

Jan Born: Er fördert die Anpassung des Menschen an seine Umwelt und trägt damit zur Erhaltung der Art bei. Alle Forscher sind sich einig, dass im Schlaf die Gehirnfunktionen gefördert werden, das Gehirn ausgebildet wird. Der Tiefschlaf - wir Neurophysiologen sprechen vom Deltaschlaf - ist wichtig für das Gedächtnis. Wir gehen heute davon aus, dass es ohne ihn keine langfristige Verfestigung von Erfahrungen und Wissen gäbe.

ZEIT: Macht uns Tiefschlaf klüger?

Born: Ja. Um komplexe Inhalte zu verarbeiten, braucht unser Gehirn eine Phase, in der äußere Reize ausgeschaltet ...

Damals in der Savanne... Nur im Schutz der Gruppe hätten unsere Vorfahren geschlafen. Alle paar Minuten sei ein anderer aufgewacht, habe gelauscht. Ein Knacken im Busch, ein Heulen in der Dunkelheit?Das archaische Überbleibsel dieser Wachsamkeit wecke uns durchschnittlich 28 Mal pro Nacht auf. Schwer zu glauben?Doch, doch. Wachepisoden, kürzer als drei Minuten, seien am Morgen bereits vergessen. Alles völlig normal.

Ein Raunen geht durchs Publikum im Regensburger Turmtheater. Jürgen Zulley lächelt schelmisch, als seine Geschichte Widerhall findet. Er vorn an der Bühnenkante im schwarzen Anzug, hinter ihm zwei Männer in gestreiften Pyjamas in einem senkrecht stehenden Bett. S ...

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen will den Finanzsektor umkrempeln: Künftig soll dort mehr auf die Ökologie, die Ethik und das Soziale geachtet werden. Die Abgeordneten kritisieren in einem Antrag von Anfang März, dass der Anteil "nachhaltiger" Finanzprodukte hierzulande nicht mal ein Prozent am Gesamtmarkt ausmache. In Großbritannien seien es 22,5 Prozent. Auch soll nach den Vorstellungen der Grünen die Altersvorsorge zukunftsverträglicher werden: Die Lebens- und Rentenversicherer sollen ihren Kunden jährlich berichten, ob und wie sie nachhaltig wirtschaften.

So weit die Politik. Doch viele Anleger und viele Produktanbieter sind in den vergangenen Jahren schon auf die gleiche Idee gekommen. E ...

2,75 Millionen Treffer bei Google für "Nachhaltigkeit", das englische sustainability schafft sogar fast 30 Millionen. "Angela Merkel" muss sich mit knapp sechs Millionen Treffern bescheiden. Der Begriff hat Karriere gemacht. Vermutlich eine nachhaltigere als Anglizismen wie "am Ende des Tages" oder Fußballsprech à la "Leistung abrufen". Aber wie so oft: Der Erfolg ist ihm nicht bekommen. "Nachhaltig", inflationär verwendet, meint dann nichts weiter als langfristig, irgendwie zukunftsorientiert, vielleicht auch noch ressourcenschonend - gut halt im weitesten Sinne.

Die Idee stammt aus der Forstwirtschaft und ist ziemlich simpel: Man sollte der Natur nicht mehr abringen, als sie nachliefern kann. Den ...

DIE ZEIT: Herr Prof. Frey, die Finanzkrise hat Privatanleger verunsichert, viele ziehen ihr Geld aus konventionellen Investments ab. Gleichzeitig versuchen immer mehr Menschen ihr Glück mit nachhaltigen Anlagen. Macht mit gutem Gewissen angelegtes Geld glücklich?

Bruno S. Frey: Zunächst einmal ist der Zusammenhang zwischen Glück und dem Finanzmarkt nicht gerade eng. Jeder, der Geld anlegt, geht ein Risiko ein. Und Risiken machen nun mal nicht glücklich. Profis sind dieses Rauf und Runter an den Märkten zwar besser gewohnt, aber wenn es richtig abwärts geht, so wie in der jüngeren Vergangenheit, sinkt auch deren Lebensglück.

ZEIT: Und die Laien?

Frey: Die ...

Gerade noch konnten US-Fernsehzuschauer live verfolgen, wie ein Toyota Prius auf einem Highway bei San Diego anscheinend ohne Zutun des Fahrers immer schneller wurde und nur mithilfe eines Polizeiautos abzubremsen war. Es war der bisherige Höhepunkt einer Kampagne massiver öffentlicher Anschuldigungen in den USA, wonach die Autos des Branchenprimus aus Japan nicht sicher seien. Kein Wunder, dass im Februar in Amerika der Toyota-Absatz einbrach. Doch wenn es ums Geld geht, denken viele US-Bürger offenbar schnell um. Nachdem Toyota zum 1. März eine massive Rabattkampagne eingeläutet hatte, schnellten nach Recherchen des US-Fachmagazins " Automotive News" die Verkäufe bei den Händlern der ...

Ohne Laufzeitverlängerung für die ältesten deutschen Kernkraftwerke droht Deutschland eine Spaltung in zwei Strompreiszonen. Mit diesem Argument wollen RWE und Co jetzt dafür sorgen, dass ihre abgeschriebenen und besonders profitablen Altmeiler länger am Netz bleiben dürfen.

In einem in der Branche kursierenden Papier heißt es, spätestens von 2015 an entstünde südlich des Mains eine Hochpreiszone, während der Großhandelspreis im Norden Deutschlands darunter bliebe. Als Grund für die drohende Spaltung des Marktes werden in dem Papier Engpässe im Energienetz genannt; der vor allem im Norden erzeugte Windstrom könne deshalb nicht in Richtung der Lastzentren im Süden übertragen werden. Ursache dafür seien ...

Wenn der FC Arsenal spielt, herrscht Eintracht in Seven Sisters. Dann stürmen die Fußballfans erwartungsvoll von der U-Bahn-Station in Londons Norden zum nahe gelegenen Stadion des englischen Erstligisten und kehren ein paar Stunden später, vom Sieg berauscht oder niedergeschlagen, wieder heim. Wenn sie dann im U-Bahn-Tunnel verschwunden sind, zerfällt Seven Sisters wieder in die Bestandteile seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt. Vietnamesen, Brasilianer und Nigerianer leben hier in der Gegend gleichgültig nebeneinander her. Sie kommen in keinem Restaurant zusammen, in keinem Pub und in keinem Gotteshaus. Die multikulturelle Isolation von Seven Sisters ist typisch, nicht nur für weite Teile Londons, sondern ...

Die Zeit: Herr Wilkinson, Ihrer Ansicht nach ist Ungleichheit die Ursache fast aller sozialen Probleme in wohlhabenden Industriestaaten. Warum?

Richard Wilkinson: Die Statistiken sind da ganz eindeutig. Je größer die Unterschiede zwischen Arm und Reich, umso größer sind auch die sozialen Probleme. Ob es um Kriminalität, Gewalt, Drogenmissbrauch, Schwangerschaften im Kindesalter, um schlechte Gesundheit, Fettleibigkeit, den Bildungsstand oder die Lebenserwartung geht: Überall zeigt sich, dass "ungleiche" Staaten wesentlich schlechter dastehen. Und zwar nicht nur ein bisschen schlechter. Anders ausgedrückt: In den westlichen Industrienationen, in denen der Unterschied zwischen Arm und Reich weniger ausgeprägt ist, gibt es bis zu sechsmal weniger ...

Verdacht unterminiert alle Lebensverhältnisse und vergiftet das menschliche Miteinander: Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller schildert dank persönlicher Erfahrungen in ihren Romanen haarklein, welche perversen Folgen es hat, wenn ein Regime das Misstrauen zum obersten Staatsprinzip erklärt. Heute ist Deutschland drauf und dran, von einem Vertrauensstaat zu einer Verdächtigungsrepublik zu verwahrlosen. Die öffentliche Debatte spiegelt, wie stark das alles zersetzende Gift unsere Gesellschaft bereits deformiert.

Der kleine Mann hält jeden Reichen tendenziell für einen Steuerhinterzieher. Und die Eliten des Landes ereifern sich über mögliche Heerscharen von Hartz-IV-Empfängern, die sich mit Fast Food und Alkohol vor der Glotze einrichten. Die Arbeiter am Band ...

Keinen anderen Strom haben die Deutschen so gern wie den, den sie auf ihren eigenen Dächern erzeugen. Immer mehr Häuser leuchten deshalb blau, in der Farbe der Zellen, die Sonnenstrahlen direkt in elektrische Energie umwandeln. In einigen Landkreisen Bayerns und Baden-Württembergs sind die Minikraftwerke schon auf fast jedem dritten Ein- oder Zweifamilienhaus montiert. Nirgendwo sonst auf der Erde stehen mehr Photovoltaikanlagen als im vergleichsweise schattigen Deutschland.

Der sagenhafte Erfolg hat allerdings einen Schönheitsfehler: Er sorgt nicht nur für Freude, sondern auch für Zoff. Denn obwohl die Sonne keine Rechnung schickt, kommt die mit ihrer Hilfe erzeugte Elektrizität die Konsumenten teurer ...

Die richtige Antwort lautet: Es kommt ganz darauf an. Die Ökonomen streiten sich, und die Europaexperten streiten sich. Zum einen darüber, ob eine gemeinsame Wirtschaftspolitik grundsätzlich sinnvoll wäre und wie sie dann aussehen sollte. Zum anderen darüber, wer am Ende das Sagen haben sollte. Die Regierungen?Die EU-Kommission?

"L′État c′est nous!", finden Angela Merkel und Nikolas Sarkozy und wollen, dass die Regierungschefs gemeinsam bestimmen und ihre Politik besser absprechen. Das ist allerdings bisher immer daran gescheitert, dass kein Chef dem anderen ernsthaft auf die Finger klopfen wollte. "Reicht also nicht", hält daher die EU-Kommission dagegen und wünscht sich selbst ...

Am Mittwochmorgen letzter Woche kommt das Fernsehen nach Sasbach. Für die Kamera setzt sich Clothilde Fischer aufs Fahrrad und fährt die paar Meter ins Gewerbegebiet, das an die niedrigen Häuser des Dorfs anschließt. Dort baut sich auf einer winterbraunen Wiese ein gutes Dutzend Demonstranten auf. Im Hintergrund jault eine Kreissäge, auf einem handgemalten Transparent steht badisch-trotzig: "Nai hämmer gseit!" -Wir haben Nein gesagt.

"Da kommt unser kleiner Napoleon", lästert eine Demonstrantin und zeigt auf den Mann, der ebenfalls mit dem Fahrrad um die Ecke biegt. Jürgen Scheiding, 41 Jahre alt, ist der Bürgermeister von Sasbach am Kaiserstuhl. Er will ...

Es nieselt, ein kalter, ungemütlicher Märzabend, vergangenen Donnerstag im Londoner Stadtteil Marylebone. Am Merah Club in der Wells Street fahren schwere Limousinen vor, Bentley, BMW, Mercedes. Chauffeure springen heraus und reißen Wagenschläge auf, denen hübsche junge Frauen und in dicke Mäntel gehüllte Männer mit herben Gesichtszügen entsteigen. Die russische Jeunesse dorée Londons.

Links des mit Messingpfosten und Schmuckseilen abgesperrten Eingangs drängen sich gesellschaftlich weniger bedeutende Besucher. Auch sie unterhalten sich auf Russisch. Stramme Wächter verwehren ihnen den Zutritt. Später, wenn in dem Nachtklub die Miss Russia UK gekürt wird, wird auch das Volk Einlass finden. Doch zunächst will die Schickeria ...