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Tarifkonflikt beigelegt - Längere Arbeitszeiten am Bau

BAU & IMMOBILIEN | GENIOS BranchenWissen Nr. 09/2005 vom 23.09.2005

Beitrag

Der Tarifkonflikt in der Krisenbranche Bau ist nach einem Jahr mühsamer Verhandlungen deutlich zugunsten der Arbeitgeber gelöst worden: mehr Arbeit für gleichen Lohn bei einer gleichzeitigen Senkung der Mindestlöhne. Ob dies allein zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ausreicht, ist jedoch fraglich.


Kompromiss der Vernunft

Angesichts der seit mehr als einem Jahrzehnt währenden Krise in der deutschen Bauwirtschaft und des anhaltenden jährlichen Verlustes Zehntausender von Arbeitsplätzen - allein 2004 waren es wieder rund 50 000 - ist für die Arbeitnehmer in Tarifverhandlungen nicht viel zu holen. Das hat auch die Gewerkschaft IG Bau erkannt und war im Juni 2004 erstmals ohne Lohnforderung in die Tarifrunde gegangen, allein mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung.

Die Arbeitgeber dagegen verlangten eine Erweiterung der betrieblichen Gestaltungsspielräume bei der Arbeitszeit, damit Betriebe die Arbeitszeit ohne Bezahlung auf bis zu 42 Stunden verlängern können. Die politisch heftig diskutierte Öffnung des Flächentarifs für betriebliche Abweichungen wehrte die IG Bau aber ebenso ab wie eine Nullrunde.

Die Tarifverhandlungen standen mehrfach auf der Kippe. Vor allem im Lager der Arbeitgeber gab es heftige Diskussionen und Widerstand einzelner Regionalverbände, die dem Dachverband sogar das Verhandlungsmandat entzogen hatten. Auch in der Bundestarifkommission der IG Bau gab es kritische Diskussionen. Im Falle des Scheiterns wäre der Flächentarif zerbrochen, auch Regelungen etwa zur Ausbildungsumlage der Branche wären nicht mehr gültig. Die geltenden Bau-Tarifverträge laufen Ende 2005 aus. (1)

Der jetzt vereinbarte Kompromiss sieht ab Januar 2006 eine Verlängerung der Arbeitszeit von 39 auf 40 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich vor. Das Urlaubsgeld wird leicht gekürzt, die Mindestlöhne werden um 1,7% gesenkt, und es wird eine neue Leistungslohnregelung eingeführt.

Die rund 560 000 Bauarbeiter im Westen sollen zum 1. April 2006 nach monatlichen Einmalzahlungen von September bis März in Höhe von je EUR 30 eine Lohnerhöhung von lediglich 1% erhalten, während die etwa 110 000 Beschäftigen im Osten leer ausgehen. Ostdeutsche Baubetriebe profitieren auch nicht von der Erhöhung der Wochenarbeitszeit. Sie müssen auch für die zusätzliche Stunde den Mindestlohn bezahlen. (1)

Die Einführung eines modernen Leistungslohns wird bei entsprechender betrieblicher Umsetzung zu einer höheren Konkurrenzfähigkeit der Baubetriebe führen, insbesondere durch die darin enthaltene Bonus- und Malusregelung sowie den Wegfall der Tariflohngarantie und die neuen Möglichkeiten einer betrieblichen Leistungslohngestaltung. Bei Minderleistung sind künftig auch Lohnabzüge möglich.

In der Summe ergibt sich daraus für die Arbeitgeber eine Ersparnis von bis zu 3% der Arbeitskosten. Ob die Kostenentlastung allerdings zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe ausreicht, ist zu bezweifeln. Der anhaltende Aderlass im Bau ist wohl damit allein nicht aufzuhalten, auch nicht mit einer betrieblichen Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Fragwürdig ist zudem die Verlängerung des Mindestlohn-Tarifvertrags bis August 2008, da die immer noch recht hohen Mindestlöhne im Baugewerbe den Abbau von Arbeitsplätzen und Schwarzarbeit geradezu fördern. (1)


Mindestlöhne um 1,7% gesenkt

Seit 1. September gelten auf deutschen Baustellen neue Mindestlöhne, vereinbart für zwei Jahre bis August 2008. Die von den Tarifparteien im Juli vereinbarten neuen Mindestlöhne wurden im August durch eine Rechtsverordnung für allgemein verbindlich erklärt. Für die Baubetriebe bedeutet das eine erhebliche Planungssicherheit für die nächsten 2 Jahre.

Alle vier Mindestlöhne in Ost und West werden vom 1. September an um je 1,7% gesenkt. Die neuen Mindeststundensätze betragen im Westen EUR 10,20 für Hilfsarbeiter und EUR 12,30 für Facharbeiter. In den neuen Bundesländern müssen mindestens EUR 8,80 beziehungsweise EUR 9,80 pro Stunde gezahlt werden. (1)

Dass die Mindestlöhne eingehalten werden, dafür wird wie bisher die Finanzkontrolle Schwarzarbeit gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien sorgen. Das Hauptproblem ist, dass das geltende Entsendegesetz einfach zu umgehen ist, mit vielfachen Varianten von illegaler Mehrarbeit bis zu Tricksereien bei den Lohnüberweisungen.
Verstösse gegen das Entsendegesetz werden mit bis zu EUR 500 000 Bussgeld geahndet, und tatsächlich sind im letzten Jahr fast EUR 33 Millionen Bussgelder wegen Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung verhängt worden. Leider mangelt es in der Praxis bei der Umsetzung der Sanktionen, denn weil die Behörden hoffnungslos überlastet sind, werden nur 15 bis 20% der Bussgeldbescheide vollstreckt. Etwa 80% der Firmen können also damit rechnen, dass die Strafe nie eingetrieben wird. Häufiger zahlen müssen dabei die deutschen Arbeitgeber, die nicht so leicht untertauchen können wie ihre ausländische Konkurrenz.

Trotz allem hält der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) das Entsendegesetz und damit die Mindestlöhne für notwendig. Denn auch wenn die Regeln massenhaft gebrochen werden, bleibt den meisten Bauarbeitern in Deutschland unsoziales Lohndumping erspart. Allerdings mit dem Problem, dass die ehrlichen Arbeitgeber höher kalkulieren müssen, deshalb eventuell Aufträge nicht bekommen und so die korrekt bezahlten Arbeitsplätze in ihrem Betrieb gefährden.


Neues Konzept gegen Winterarbeitslosigkeit

Mit dem neu eingeführten Saison-Kurzarbeitergeld soll künftig Winterarbeitslosigkeit im Baugewerbe verhindert werden. Auf ein gemeinsames Konzept, wirksam ab dem Winter 2006/07, einigten sich die Tarifparteien mit dem Wirtschaftsministerium.

Für jene Bauarbeiter, die bisher wegen Arbeitsmangels im Winter arbeitslos geworden wären, sollen die Arbeitgeber künftig Kurzarbeitergeld bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen können. Damit sollen die Arbeitgeber bei fehlenden Aufträgen von den Sozialkosten entlastet werden.
Die Bauarbeiter werden also künftig im Winter nicht entlassen, sondern auf "Kurzarbeit Null" gesetzt und stehen dem Unternehmen jederzeit wieder zur Verfügung. Die beim traditionellen Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge werden zu 60% von den Arbeitgebern und zu 40% von den Arbeitnehmern finanziert. Somit tragen beide Tarifparteien zur Finanzierung bei, teils durch Überstunden im Sommer.

Wenn das Konzept wie geplant auf alle Branchen mit saisonalen Auftragsschwankungen ausgedehnt wird, könnten bis zu 500 000 Winterkündigungen verhindert werden. (2)



Fallbeispiele

Unterläuft Polbau Tariflöhne?

Zum wiederholten Male sind schwere Vorwürfe gegen die polnische Baufirma Polbau erhoben worden. Illegale Mehrarbeit von bis zu 270 Stunden wurde von den Arbeitern geleistet, weit über die tariflich vereinbarte Arbeitszeit von 169 Stunden im Monat hinaus. Dafür wurde ein Lohn von EUR 1 400 gezahlt. Gemäss Entsendegestz hätten die Arbeiter einen Tariflohn von etwa EUR 9 netto pro Stunde bekommen müssen, tatsächlich sind nur rund EUR 5,50 bezahlt worden, also nur knapp mehr als die Hälfte.
Mit Drohungen wurden die Arbeiter zum Schweigen gebracht, für den Fall von Kontrollen gab es bei Polbau gefälschte Stundenlisten. Formal schien also alles in Ordnung, offiziell werden Tarife eingehalten, aber die Wirklichkeit sieht nach Darstellung der Arbeiter ganz anders aus. Und es gibt immer mehr Kollegen, die das nicht mehr mitmachen und vor das Arbeitsgericht ziehen, ebenso wie ihre elf polnischen Kollegen das bereits mit Erfolg im März 2003 getan haben. Sie konnten Lohnnachzahlungen bis zu EUR 4 687 durchsetzen.

Entsendegesetz auch für andere Branchen?

Trotz allem wollen Regierung und Opposition das Entsendegesetz ausweiten und mit dieser Massnahme Lohndumping verhindern. Die bisherigen Erfahrungen mit Mindestlöhnen im Baugewerbe aber sprechen dagegen. Der Erfolg des Entsendegesetzes am Bau ist stark umstritten, denn trotz aller Kontrollen ist es einfach zu umgehen.

Je weiter das Entsendegesetz also ausgeweitet wird, desto schwieriger wird es, das alles zu kontrollieren. Und ob der Mindestlohn das Allheilmittel gegen Billigkonkurrenz aus dem Osten sein kann, daran zweifeln nicht nur Tarif-Experten. Sicher ist jedoch, dass damit Arbeitsplätze vernichtet werden, genau das Gegenteil also von dem, was erreicht werden soll: der Schutz der immer seltener werdenden deutschen Arbeitsplätze. Wenn im Mai 2006 die Übergangsregelung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit den neuen EU-Staaten ausläuft, wird befürchtet, dass billige Arbeitskräfte aus dem Osten ungehindert deutschen Kollegen Konkurrenz machen werden.

Zahlen & Fakten

Der Tarifabschluss im Überblick

1. Die Wochenarbeitszeit wird von derzeit 39 Stunden auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich erhöht. Daraus ergibt sich eine Sommerarbeitszeit von 41 und eine Winterarbeitszeit von 38 Stunden. Damit sinken die Lohnkosten um 2,5 Prozent.



2. Die Mindestlöhne am Bau werden ab 1. September dieses Jahres ebenfalls gesenkt, und zwar um 1,7 Prozent. In den Jahren 2006 und 2007 erfolgt jeweils zum 1. September eine Anhebung der Mindestlöhne um 0,10 Euro. Die Laufzeit des Mindestlohntarifvertrages soll bis zum 31. August 2008 verlängert werden.



3. Die Bautarifvertragsparteien vereinbarten eine neue Leistungslohnregelung; die bisherige Tariflohngarantie entfällt, stattdessen wird eine Bonus- sowie eine Malusregelung eingeführt. Das heißt zum Beispiel, dass Betriebsinhaber mit ihren Arbeitern einen Höchststundensatz für die Erledigung eines Auftrags vereinbaren und bei Unter- oder Überschreitung jeweils mit An- oder Abrechnung der Stunden reagieren können.



4. Der Lohnausgleich (Sozialkassenverfahren) entfällt zum Jahresende 2005.



5. Die Urlaubsvergütung wird durch die bisherigen bauspezifischen Ausgleichsbeträge verringert; daraus ergibt sich eine Kostenentlastung um 0,4 Prozentpunkte.



6. Die Löhne und Gehälter werden in den alten Bundesländern zum 1. April 2006 um ein Prozent erhöht. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von einem Jahr.



Entnommen aus:

Weiterführende Literatur:

(1.) Viering, Jonas, 40-Stunden-Woche für Bauarbeiter, Süddeutsche Zeitung, 22.06.2005, Ausgabe Deutschland, S.21
aus Süddeutsche Zeitung, 22.06.2005, Ausgabe Deutschland, S. 21

(2.) O.V., Ganzjährige Arbeit am Bau gesichert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.2005, Nr.195, S.13<br/>
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.2005, Nr. 195, S. 13

M.Reich

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 09/2005 vom 23.09.2005
Dokument-ID: s_bau_20050923

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