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Schienengüterverkehr - Lärmsanierung lässt Kosten explodieren

TRANSPORT & LOGISTIK | GENIOS BranchenWissen Nr. 03 vom 30.03.2012


Güterverkehr legt Verschnaufpause ein

Nach einem hervorragend verlaufenen Jahr 2011 muss der Güterverkehr in Deutschland derzeit kleinere Brötchen backen. Im vergangenen Jahr hatte die Branche um satte 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Dies bedeutete die höchste Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr seit 1994 (plus 7,5 Prozent im Vergleich mit 1993). Schon Ende 2011 kündigte sich allerdings an, dass die Transportleistung 2012 nur noch langsam wachsen wird. Der Grund dafür ist die europäische Schuldenkrise, die sich derzeit auch auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum wie ein Bleimantel legt. Erwartet wird, dass im laufenden Jahr alle Verkehrsträger mit Ausnahme der Binnenschifffahrt deutlich niedrigere Wachstumsraten verbuchen werden. Die Prognosen reichen von minus 0,5 Prozent für den Straßengüterverkehr über plus 3,5 Prozent für die Luftfracht bis zu plus 5,4 Prozent für die Binnenschifffahrt. Mit einem Plus von nur noch einem Prozent muss sich die Seeschifffahrt begnügen. Für den Schienengüterverkehr gehen die Experten von einem nur noch marginalen Wachstum in Höhe von 0,2 Prozent aus. (1), (3)


Deutsche Bahn erzielt Rekordumsatz

Die Deutsche Bahn hat im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz erzielt und auch den Gewinn kräftig gesteigert. Der Betriebsgewinn von Europas größtem Transportkonzern stieg gegenüber 2010 um fast 25 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro. Zu dieser guten Entwicklung haben alle Sparten beigetragen - bis auf der Schienengüterverkehr. Logistik, Nahverkehr, Fernverkehr und Schienennetz werfen stattliche Gewinne ab, während der Güterverkehr laut Bahnkreisen immer noch nicht das abwirft, was sich der Vorstand vorstellt. Gleichwohl erreichte DB Schenker Rail 2011 einen Betriebsgewinn von 32 Millionen Euro, nach zwölf Millionen im Jahr 2010. (7)


Herausforderungen für den Schienengüterverkehr: Steigende Kosten und Lärm

Obschon sich die Gewinnsteigerung im Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn durchaus sehen lassen kann, hadert der Konzern mit einem die Schiene betreffenden Grundproblem - den Kosten. Seit 2007 sind die Preise für Bahnstrom um 23 Prozent, die Kosten für die Trassennutzung um elf Prozent und die Personalausgaben um 18 Prozent in die Höhe gegangen.

Noch größere Probleme brauen sich für den Schienenverkehr insgesamt infolge der immer lauteren Proteste gegen den Bahnlärm zusammen. Der Streit um den Schienenlärm entwickelt sich in Deutschland gerade zu einem gesellschaftlichen Großkonflikt. Die Lärmbelastungen für die Bevölkerung haben in den letzten Jahren so stark zugenommen, dass ihre Leidensfähigkeit augenscheinlich erschöpft ist. Hauptgrund für die gestiegenen Proteste ist die jährlich stark wachsende Zahl an Waggonbewegungen. Trotz beträchtlicher Anstiege in den letzten Jahren soll der Schienengüterverkehr laut offizieller Prognose bis 2025 um weitere 71 Prozent wachsen. Da die Schiene infolge der Benutzung elektrischen Stroms als besonders umweltfreundlich gilt, ist die Verlagerung des Gütertransports vom LKW auf die Bahn politisch gewollt - findet bei der lärmgepeinigten Bevölkerung aber immer weniger Verständnis. Laut einer Umfrage des Umweltbundesamtes fühlen sich vierzig Prozent der Befragten vom Krach auf der Schiene gestört, jeder Zehnte sogar stark. Beispiele für Anwohnerproteste gibt es genug: Am Oberrhein haben Bürger 172 000 Einwendungen gegen den viergleisigen Ausbau der Rheintalbahn eingereicht. Am Niederrhein kämpfen sie gegen ein drittes Gleis. Am Mittelrhein fordern Anwohner ein sofortiges Nachtfahrverbot, in Bremen wird ein Tempolimit gefordert. (1)


Flüsterbremsen versprechen Lärmminderung

Gängige Maßnahmen gegen den Schienenlärm sind Lärmschutzwände oder Schallschutzfenster. Zudem gibt es bereits innovative Technologien wie Schienenstegdämpfer und besohlte Schwellen, die die Lärmentwicklung am Gleis eindämmen sollen. Als wirkungsvollste Maßnahme gilt es jedoch, am Zug selbst technische Änderungen vorzunehmen. Hierzu gehört die Umrüstung auf neuartige Bremsen aus Verbundstoff, sogenannte Flüsterbremsen, die selbst alte Güterwagen um zehn Dezibel leiser machen sollen. Durch diese modernen Stopper mindert sich der wahrgenommene Lärm um ganze 50 Prozent. Auf den Schienen in Deutschland ist die neue Bremse jedoch noch immer kaum verbreitet. Die allermeisten Güterwagen fahren mit Graugussbremsen, deren Technik aus dem vorletzten Jahrhundert stammt. Beim Bremsen rauen sie die Laufflächen der Räder auf und es entsteht eine Verriffelung, die die Güterzüge höllisch laut werden lässt. Bei neuen Wagen sind die alten Bremsen freilich nicht mehr erlaubt, doch weil Güterwaggons 40 Jahre und länger im Einsatz sind, hat die Deutsche Bahn erst 7 000 Neuwagen mit leiseren Bremsen ausgestattet. 180 000 Waggons bremsen noch mit alter Technik und bilden so die Hauptquelle für den Bahnlärm. (1)


Politik will leisere Bahn

Im Juni letzten Jahres haben das Bundesverkehrsministerium und die Deutsche Bahn die Eckpunktevereinbarung zur Einführung eines lärmabhängigen Trassenpreissystems auf dem Schienennetz der DB Netz AG unterschrieben. Durch diese Vereinbarung müssen ab Ende 2012 für laute Güterwaggons höhere Schienengebühren bezahlt werden als für leise Wagen. Hierdurch sollen Bahnbetriebe und -betreiber motiviert werden, ihre Waggons möglichst schnell auf leise Bremsen umzurüsten. Als Ziel wurde formuliert, dass ab Ende 2020 möglichst keine Güterwagen mehr mit lauten Bremsen auf deutschen Schienen unterwegs sein sollen. Die lärmabhängige Trassenpreiskomponente für laute Waggons alter Bauart beträgt ein Prozent des Trassenpreises. Experten haben ausgerechnet, dass sich eine Güterzugfahrt durch die Lärmkomponente um durchschnittlich zehn Euro verteuert. Obgleich die Bahn bereits leisere Waggons einsetzt, gibt es bei der Minderung des Bremslärms noch immer Luft nach oben. Als fortschrittlichste Flüsterbremse gilt die sogenannte LL-Sohle, die aber noch nicht für den öffentlichen Verkehr zugelassen ist. Die High-Tech-Bremse aus Verbundstoff wird seit Jahren getestet, verursacht aber immer wieder technische Schwierigkeiten. Die kräftig zubeißenden Stopper führen zu übermäßigem Radverschleiß, der im schlimmsten Fall die Entgleisung der Waggons zur Folge haben kann. (1), (2)


Lärmminderung macht die Schiene teurer

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat ausgerechnet, dass der Schienengüterverkehr durch das Gesamtpaket zur Lärmminderung bis 2015 um 27 Prozent teurer wird. Mit eingerechnet sind hier auch die höheren Unterhaltskosten, die die neue LL-Bremssohle - wenn sie denn endlich zugelassen wird - verursachen wird. (4), (5)


DB Schenker Rail will gegensteuern

Die Schienengütersparte der Deutschen Bahn will den Kostensteigerungen nicht tatenlos zusehen und plant daher die Einführung eines verbesserten Waggonmanagements. Hierfür sollen sowohl die Flottendimensionierung als auch der Flotteneinsatz und die Flottensteuerung optimiert werden. Ziel ist es, den Wagenbestand an die Kundenbedürfnisse anzupassen und die Umlaufzeiten zu reduzieren. Am Ende des Maßnahmenpakets soll eine Ergebnisverbesserung um stattliche 60 Millionen Euro stehen. (6)





Fallbeispiele


Fortschrittliche Schweiz

Schon einige Schritte weiter als Deutschland ist man mit der Lärmminderung in der Schweiz. Schon am Ende der neunziger Jahre waren die Schweizer Bürger aufgerufen, über ein Programm zur Lärmsanierung abzustimmen. Das eidgenössische Parlament bewilligte 1,8 Milliarden Franken, die damals rund 1,1 Milliarden Euro entsprachen. Durch den Bau von Lärmschutzwänden und die Einführung leiserer Waggonbremsen wurde erreicht, dass die Zahl unter Lärmbelästigung leidender Bürger von 265 000 im Jahr 2000 auf heute 95 000 gesenkt werden konnte. Die in der Schweiz verwendete Waggonbremse heißt K-Sohle, besteht ebenfalls als Verbundstoff und ist, anders als die deutsche LL-Sohle, bereits zum Einsatz freigegeben. Ihr Nachteil ist der gegenüber der deutschen Lösung deutlich höherer Preis. (1)


DIN-Norm für Transportdienstleister

Nach rund vier Jahren Normungsarbeit erhält die deutsche Logistikbranche jetzt eine DIN-Norm, die dabei helfen soll, den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen der Transporteure zu ermitteln. Eine vergleichbare Norm gibt es in keinem anderen Staat, weshalb die Berechnungsmethoden überall auf großes Interesse stoßen. Derzeit sieht es so aus, dass andere Länder wie insbesondere Frankreich die deutsche Norm übernehmen werden. (8)



Zahlen & Fakten


Die Deutsche Bahn (DB) hat im Jahr 2011 die Bundesmittel für Erhalt und Ausbau des Schienennetzes, der Bahnhöfe und Energieanlagen in Höhe von 4,2 Milliarden Euro komplett abgerufen. 2,5 Milliarden Euro wurden in den Erhalt der bestehenden Infrastruktur investiert, wofür die Deutsche Bahn noch einmal 500 Millionen Euro eigene Gelder aufwendete. Rund 280 Millionen Euro flossen in die Modernisierung der Bahnhöfe, 105 Millionen Euro gingen in die Erneuerung der Anlagen zur Bahnstromversorgung. 1,1 Milliarden Euro aus dem Bundeszuschuss wurden in den Bau neuer Strecken investiert. Darüber hinaus flossen von 2009 bis 2011 aus den Konjunkturprogrammen des Bundes rund 1,4 Milliarden Euro aus Bundesmitteln sowie etwa 100 Millionen Euro Eigenmittel in Schienenwege, Bahnhöfe, Energieanlagen und in den Lärmschutz. Im laufenden Jahr will die Deutsche Bahn 2 600 Kilometer Schienen, 1 870 Weichen und zwei Millionen Eisenbahnschwellen modernisieren. (9)

Weiterführende Literatur:

(1.) Krach um die Flüsterbremse
aus DIE ZEIT, 23.02.2012 Nr. 09 Seite 018

(2.) Extra-Prozent gegen den Eisenbahnlärm
aus DVZ, Nr. 18 vom 11.02.2012

(3.) Güterverkehrsentwicklung legt Verschnaufpause ein
aus DVZ, Nr. 33 vom 17.03.2012

(4.) Warum explodieren die Kosten im Bahnverkehr?
aus Verkehrs Rundschau, Heft 06/2012, S. 9

(5.) Steigende Kosten schwächen die Bahn
aus DVZ, Nr. 15 vom 04.02.2012

(6.) Besserer Wageneinsatz soll DB 60 Mio. EUR bringen
aus DVZ, Nr. 16 vom 07.02.2012

(7.) Deutsche Bahn verfehlt eigene Ziele
aus Handelsblatt online vom 20.03.2012

(8.) Europas neuer Standard
aus Verkehrs Rundschau, Heft 11/2012, S. 24

(9.)DB verbaut 2011 Bundesmittel komplett
aus DVZ Deutsche Logistik-Zeitung vom 01.03.2012, Seite 26

Robert Reuter

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 03 vom 30.03.2012
Dokument-ID: s_tra_20120330

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