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Online-Geschäft - Verlage springen auf den Web-2.0-Zug auf

MEDIEN & VERLAGE | GENIOS BranchenWissen Nr. 07/2007 vom 09.07.2007

Beitrag

In Deutschland investieren vor allem die drei großen Verlage Burda, Holtzbrinck und Springer kräftig in das Web 2.0, in dem die Internetnutzer die Inhalte selbst erstellen. Zanox, Sevenload oder StudiVZ heißen die übernommenen Unternehmen, die zum Teil nur geringe Umsätze erwirtschaften. Aufgeschreckt wurden die Medienkonzerne vor allem durch die Vermarktungserfolge von Google & Co.


Medienkonzerne investieren wieder ins Netz

Nach der Ernüchterung des Internethypes im Jahr 2000 haben sich die meisten Medienkonzerne aus dem Online-Geschäft zurückgezogen oder ihre traditionellen Inhalte lediglich für das Internet aufbereitet und bereitgestellt. Doch im Zeitalter von Web 2.0 geben die Konzerne ihre die defensive Strategie wieder auf. Aus Sorge, im Internet die Zukunft zu verpassen, haben Unternehmen wie Axel Springer aus Berlin ("Bild", "Welt"), Burda aus München ("Focus", "Bunte") oder Holtzbrinck aus Stuttgart ("Zeit", "Handelsblatt") wieder fremde Marken hinzugekauft. Die Konzerne fahren eine Doppelstrategie. Zum einen bauen sie ihre traditionellen Marken im Internet aus. Zum anderen gehen sie auf Einkaufstour nach dem Motto "trial and error". Noch hat in der Branche aber niemand die richtigen Antworten auf die Herausforderungen im Online-Geschäft gefunden. Klar ist nur: Inhalte mit den bisherigen Marken zu verbinden, reicht nicht aus, denn das Nutzerverhalten ändert sich rasant. Neue Zielgruppen entstehen quasi über Nacht und damit auch neue Marken. (2), (5)


Vermarktungserfolg bei Google bedroht Geschäftsmodell der Branche

Die Medienkonzerne treibt vor allem das kräftige Wachstum und die neuen Geschäftsmodelle beim Suchmaschinenanbieter Google um. Dies hat ihnen vor Augen geführt, dass auch branchenfremde Firmen in eine ihrer Domänen eindringen können, nämlich in die Werbevermarktung. So beherrscht Google heute bereits einen Großteil der Onlinewerbung und drängt zudem über Kooperationen mit Sendern in klassische Medien wie Fernsehen und Radio. Was den Medienanbietern Kopfzerbrechen bereitet, ist nicht, dass Google wie sie auch Reklameplätze verkauft. Sondern dass der Internetgigant ein Geschäftsmodell salonfähig macht, das ihr eigenes bedroht. Während TV-Sender, Zeitschriften und Zeitungen sich Werbung pauschal bezahlen lassen und die Preise an der Zahl möglicher Kontakte orientieren, zahlt der Werbekunde beim Onlinegiganten nur dann, wenn der Nutzer der Werbung seine Seite anklickt. (3)


Rein in die Rendite raus aus dem Journalismus?

Wer jetzt nicht ins Online-Geschäft investiert, gilt in der Medienbranche als verschlafen. Nicht nur die Preise für Zukäufe schießen in die Höhe. Auch die Etats für Werbung im Internet wachsen in atemberaubendem Tempo. So hat eine Flucht aus Print eingesetzt - dem Nutzer, dem Leser und der Werbung hinterher. Doch dies ist häufig auch eine Flucht aus dem Journalismus. Mit Nachrichten und Informationen ist im Netz schwer Geld zu verdienen, deshalb investieren Häuser wie Holtzbrinck, Springer und Burda zurzeit lieber in Preisvergleichsmaschinen, Gesundheitsportale und Hotelbewertungsseiten. Da ist die Werbung näher - und damit auch die Rendite. Noch sind Zeitungen und Zeitschriften der wichtigste Ertragsbringer der Verlage - über 90 Prozent des Umsatzes stammen hierher. Doch das Printgeschäft findet derzeit wenig Beachtung. Verleger Stefan von Holtzbrinck spendierte der "Zeit" jüngst die Wiederauflage des "Zeit Magazins". Doch sonst passiert wenig. Bei der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") liegt das Projekt einer Sonntagszeitung auf Eis. (5)



Fallbeispiele



Von den großen Medienunternehmen agiert derzeit nur Bertelsmann aus Gütersloh zögerlich. Kern des Problems ist, dass ausgerechnet in dem Moment, da die Medien sich aufgrund der neuen Impulse aus dem Mitmach-Web neu erfinden müssen, dem Unternehmen das Geld für strategische Investitionen fehlt. (7)

Viele Medienunternehmen drohen im Kampf um die Aufmerksamkeit unterzugehen. "Die Medienkonzerne in Deutschland haben beim Markenaufbau im Internet versagt. Es gibt hierzulande überraschend wenige Medienmarken im Web", sagte Florian Haller, Chef und Gesellschafter der Münchener Werbegruppe Serviceplan. (2)

Das Medienhaus Burda ist beim Video- und Fotoportal Sevenload eingestiegen. Das Kölner Internetunternehmen entstand erst vor zwei Jahren und stieg ähnlich wie der internationale Marktführer Youtube schnell zur Marke auf. (2)

Bis zu knapp 300 Millionen Euro zahlt Springer gemeinsam mit dem Schweizer Werbevermarkter Publigroupe für die Internetfirma Zanox aus Berlin. Zunächst fließen 215 Millionen Euro. Wenn das Geschäft in den kommenden Jahren wie geplant um 50 bis 70 Prozent jährlich wächst, wird der restliche Betrag gezahlt. "Das ist nicht nur die größte, sondern auch die wichtigste Onlinetransaktion", sagte Springer-Chef Mathias Döpfner. Die Vermarktungsfirma hat das Prinzip von Google weitergetrieben. Sie platziert Werbung für Kunden wie Jamba, Amazon, Dell oder Bertelsmann-Club auf allen möglichen Internetseiten - lässt sich dafür aber nur durch eine prozentuale Provision bezahlen, wenn eine Transaktion zustande kommt. (3)

Im Januar hat Holtzbrinck die Studentenkontaktbörse StudiVZ für 85 Millionen Euro übernommen. Umsatz erwirtschaftet die Internetplattform so gut wie keinen. Gut 15 Unternehmen verleibte sich der Verlag in den vergangenen 18 Monaten ein, darunter so Skurriles wie das Berliner Mietportal Erento. Zu leihen gibt es dort etwa Wohnmobile und Stripperinnen. Konkurrent Burda betreibt mit den Münchner Nachtagenten seit vergangenem Jahr eine Online-Community für das bundesweite Szeneleben. 65 Millionen Euro investierte der Verlag allein 2006 in Videospielseiten wie Gamona oder Portale wie HolidayCheck. Auch Axel Springer interessiert sich derzeit für fast jede Online-Firma. Seit Döpfner die Digitalisierung zur obersten Verlagsmaxime ausgerufen hat, bewerten seine Beteiligungsexperten 300 bis 400 Unternehmen im Jahr. (5)

Zahlen & Fakten

Dass "Spiegel Online" zum einzigen deutschen Online-Leitmedium mit zwölf Millionen Seitenaufrufen täglich geworden ist, führt Chefredakteur Matthias Müller von Blumencron vor allem auf den langen Atem seines Verlages zurück. Während die Konkurrenz nach dem Platzen der Internet-Blase 2001 ihre Online-Auftritte drastisch gekürzt habe, sei "Spiegel Online" weitgehend unbehelligt geblieben. Heute ist er einer der wenigen Onlinedienste, die Gewinn abwerfen. Zwei Millionen Euro waren es 2006 bei 15 Millionen Euro Umsatz. Für 2007 erwartet Blumencron noch deutlich höhere Gewinne. (4)



Dem Beratungsunternehmen Accenture zufolge werden im kommenden Jahr 77 Prozent der befragten Manager in Web-2.0-Angeboten wie Myspace oder Youtube werben. Ein noch größerer Teil will zudem in Anzeigen auf Portalen wie Yahoo, AOL oder T-Online investieren. Für die Studie hatte Accenture weltweit Topmanager aus 116 Medienunternehmen zur Entwicklung im Internet befragt - neun davon aus Deutschland. (6)



Fragt man angelsächsische Medienmanager, ob Web 2.0 eine Blase sei, die in den kommenden zwei Jahren platze, antwortet die große Mehrheit mit einem klaren Nein. Auf die gleiche Frage antworten aber 47 Prozent der deutschen Führungskräfte dieser Branche mit Ja. Auch in der Einschätzung, ob Web 2.0 eine große Wachstumschance für Medien darstelle, gehen die Meinungen auseinander: 65 Prozent der angelsächsischen Manager, aber nur 36 Prozent ihrer deutschen Kollegen sehen das soziale Internet als Wachstumsmotor für das eigene Unternehmen. Dies ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Accenture. (1)



Zwischen 1991 und 2006 büßten die deutschen Tageszeitungen über zwölf Prozent ihrer Auflage ein. Von 2000 bis 2005 sind die Umsätze um 17 Prozent gefallen. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen ist die Reichweite von Online-Medien schon weit höher als die der Tageszeitungen. (5)

Weiterführende Literatur:

(1.) Siebenhaar, Hans-Peter, Deutsche Medienmanager halten nicht viel vom Web 2.0 - "Es herrscht Skepsis, bis ein richtiges Geschäftsmodell gefunden ist" - Bewertung im Ausland optimistischer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2007, Nr. 132, S. 23
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2007, Nr. 132, S. 23

(2.) Seidler, Christoph, Im WEB 2.0 spielen Medienmarken eine immer stärkere Rolle - Nicht Inhalte, sondern die Verbindungen zwischen Inhalt und Marke entscheiden über Aufstieg und Fall - Die traditionellen Medienkonzerne suchen noch ihren Platz in der digitalen Welt, Handelsblatt Nr. 108 vom 08.06.07 Seite 14
aus Handelsblatt Nr. 108 vom 08.06.07 Seite 14

(3.) Meier, Lutz, Gegenangriff aus der Fabriketage - Seit Langem zittern Medienkonzerne davor, dass Google ihnen bei der Werbevermarktung davonzieht - Der Springer-Verlag glaubt nun, dass er darauf eine Antwort gefunden hat - die teuer werden dürfte, Financial Times Deutschland vom 24.05.2007, Seite 5
aus Financial Times Deutschland vom 24.05.2007, Seite 5

(4.) O.V., Medium bauen Internetauftritte aus Suche nach dem Online-Gral, Handelsblatt online 20070512 10:00:00
aus Financial Times Deutschland vom 24.05.2007, Seite 5

(5.) Brauck, Markus / Hülsen, Isabell, Auf der Flucht, Der Spiegel, 04.06.2007, Nr. 23, Seite 106
aus Der Spiegel, 04.06.2007, Nr. 23, Seite 106

(6.) Ohler, Arndt, Medienunternehmen drängen ins Web 2.0 - Werbebudgets wandern in neue Internet-Netzwerke - Verlage planen weitere Zukäufe - Wachsende Gefahr für traditionelle Erlösquellen, Financial Times Deutschland vom 05.06.2007, Seite 8
aus Financial Times Deutschland vom 05.06.2007, Seite 8

(7.) Turi, Peter, Das große Zaudern in Gütersloh - Der Medien-Riese Bertelsmann agiert im Web bislang nur zögerlich - Es fehlt an Geld und einer klaren Strategie - Dem künftigen Vorstandsboss Hartmut Ostrowski steht eine schwierige Mission bevor, werben und verkaufen Nr. 18 vom 03.05.2007 Seite 064
aus werben und verkaufen Nr. 18 vom 03.05.2007 Seite 064

T.Trares

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Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 07/2007 vom 09.07.2007
Dokument-ID: s_med_20070709

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