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Mainstream-Markt - große Anbieter kämpfen ums Überleben

TEXTIL | GENIOS BranchenWissen Nr. 02 vom 07.02.2019


Auf Wachstum ausgelegtes Geschäftsmodell führt zu wirtschaftlichen Problemen

Große Mainstream-Modemarken wie Gerry Weber, Esprit, Tom Tailor oder s.Oliver stehen mit dem Rücken zur Wand. Eine Ursache ist der stark wachsende Internethandel, Onlineplayer wie Zalando graben ihnen das Wasser ab. Fast noch schwerer wiegt ein hausgemachtes Problem. Die Marken haben die eigenen Ladennetze stark ausgebaut, anstatt sich auf Kunden, Marke und Produktqualität zu konzentrieren. Diese Expansionsstrategie fällt ihnen auf die Füße. Denn das Flächenwachstum ließ zwar die Umsätze steigen, doch gleichzeitig liefen die Kosten aus dem Ruder, so dass die Gewinne sanken.

Dies bekamen vor allem Gerry Weber, Esprit und Tom Tailor zu spüren. Die Schieflage bei Gerry Weber führte dazu, dass zunächst fast 150 Geschäfte im In- und Ausland geschlossen wurden. Die Aktie führt nur noch ein Schattendasein, das Unternehmen entging Ende letzten Jahres nur knapp der Pleite. Am 25. Januar kam der Paukenschlag. Das Unternehmen kündigte ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung für die Gerry Weber International AG an. Das heißt, dass weder die Tochter Hallhuber, noch die Gerry Weber Retail GmbH, die Lifestyle Fashion GmbH und die Showroom-Tochter TB Fashion Gerry Weber GmbH von der Insolvenz betroffen sind. Auch die 32 Ländergesellschaften sind davon nicht berührt. Die Insolvenz bezieht sich nur auf die Muttergesellschaft, die Schuldscheindarlehen mit den Gläubigern über 218 Millionen Euro eingegangen ist und nun Gläubigerschutz genießt. Im Zuge des Verfahrens sollen rund 900 der insgesamt 6 500 Beschäftigten entlassen und 230 weitere Läden geschlossen werden. Ob das allerdings reicht, um den Konzern aus der Krise zu führen, ist ungewiss.

Bei Esprit gehen die Probleme in die gleiche Richtung. Das Unternehmen musste im abgelaufenen Geschäftsjahr, das am 30. Juni 2018 endete, einen operativen Verlust von rund 250 Millionen Euro verkraften, der Umsatz sank auf 1,7 Milliarden Euro. Das erste Quartal des laufenden Geschäftsjahres lief auch nicht besser. Der Umsatz reduzierte sich um fast 17 Prozent. Die Erlöse in den eigenen Läden sanken um 18 Prozent, im Onlinehandel um mehr als 15 Prozent. Nun soll gespart werden, vor allem durch Reduzierung der Zahl der insgesamt 6 400 Beschäftigten. Zudem soll das Geschäft mit eigenen Shops zurückgefahren, das mit Handelspartnern dagegen ausgebaut werden.

Auch Tom Tailor setzte auf den Ausbau des Filialnetzes. 2012 wurde die Marke Bonita gekauft, die fast 1 000 Filialen mitbrachte. Die Erwartungen wurden nicht erfüllt, die Bonita-Umsätze sackten in den Keller, der Gesamtkonzern leidet darunter. Deswegen wurde innerhalb von zwölf Monaten das Tom Tailor-Filialnetz von 830 auf 772 Stores ausgedünnt. Bonita soll restrukturiert werden, sogar ein Verkauf der Marke steht im Raum. (1), (2), (3), (9)


Mainstream-Anbieter sind verwechselbar geworden

Die Konzentration auf Umsatzwachstum und die Vernachlässigung des Portfolios und der Prozesse führte dazu, dass die Produkte von Gerry Weber, Esprit, Tom Tailor, s.Oliver, Street One oder Cecil von den Konsumenten vermehrt geschmäht werden. Discounter wie die irische Modekette Primark machen sich erfolgreich breit und jagen ihnen mit günstigen Preisen und abwechslungsreichen Kollektionen Kunden ab. Doch auch langjährige Wettbewerber wie Zara und H&M und deren Tochter- und Schwesterunternehmen wie Cos, &Other Stories oder Bershka sind mit modisch pointierten, günstigen Angeboten und einer schnellen Umsetzung von Trends bei den Kunden angesagter. Hinzu kommen neue Namen wie Opus, Someday, Cartoon, Betty&Co, Soyaconcept, Talk About oder #One More Story, die den Multilabel-Händlern vielversprechende Alternativen bieten. Ihre Kollektionen sind spannender und tragen dem zunehmenden Wunsch der Verbraucher nach Individualisierung Rechnung.

Dennoch ist der Modefachhandel von den großen Mainstream-Anbietern abhängig. Es ist wichtig, dass sich deren Kollektionen gut verkaufen, da sie oftmals feste Flächenvereinbarungen mit den Marken haben. Doch die Multilabel-Händler vermissen bei ihren großen Lieferanten klare Linien und Innovationskraft, es wird kritisiert, dass die Kollektionen einförmig und verwechselbar sind. Dabei sind eine schnelle Umsetzung von Trends und neue, spitze Programme wichtig für drei Viertel aller befragten 130 Händler der Studie "Concept Mainstream 2018" der Fachzeitschrift TextilWirtschaft (TW), um mit den schnell wechselnden Angeboten von Primark oder Zara mithalten zu können. Eben diese Schnelligkeit sprechen die Händler den großen Mainstream-Anbietern ab. Befragt nach den Herstellern, die schnell auf Veränderungen im Nachfrageverhalten reagieren, ist nur Street One, eine Marke der CBR Fashion Holding, als einer der großen Anbieter unter den Top Ten. Ganz vorne liegen junge Labels wie Opus, #One More Story oder Cartoon. (3), (4), [Abb. 1]


Mit neuen Strategien soll der innovativen Konkurrenz begegnet werden

Die großen Marken im Mainstream-Markt haben wirtschaftlich hart zu kämpfen. Bedrängt werden sie auch von neuen, erfolgreichen Anbietern, die mit schnellen und modisch aktuellen Kollektionen bei den Verbrauchern punkten. Was die Newcomer richtigmachen, zeigt die Marke Opus, die komplette Outfits für Damen anbietet. Opus steht stilistisch für eine zurückhaltende und doch innovative Modernität, die viele Basics beinhaltet. Auch die Schwestermarke Someday steht für einen ruhigen Stil. Dieser zielt jedoch auf mutigere, Premium-orientierte Kundinnen ab. Das hochwertiger angesiedelte Label ist häufig neben Opus platziert. Der Handel findet, dass beide Labels gut nebeneinander passen. Mit mehr Farbe und mehr Drucken punkten Kollektionen von Rich & Royal, Lieblingsstück, Cartoon oder Yaya.

Doch wie schaffen es die großen Unternehmen, schneller und flexibler auf die sich ständig wandelnde Nachfrage zu reagieren? Sie reduzieren nicht nur die Kosten, indem sie zum Beispiel ihr Filialnetz ausdünnen, sie setzen auch andere Schwerpunkte. Ein selektiver Vertrieb soll ihre Produkte wieder attraktiver machen. Das eigene Ladennetz soll an Bedeutung verlieren, es wird mehr Wert auf den Großhandel gelegt. Um die Quadratmeterumsätze und Erträge in den Läden der Partner wieder zu steigern, wollen sie auch stärker auf die Fläche durchgreifen und mitbestimmen, wie welche Produkte von ihnen präsentiert werden.

Konkret will Esprit deutlich mehr In-Season-Lieferungen bieten. s.Oliver will die Möglichkeit haben, Kapsel-Kollektionen auch kurzfristig an den PoS zu bringen. Ein neues Partnersystem, das das bisherige Bewirtschaftungssystem ersetzen soll, soll dafür sorgen, dass bis 2020 bis zu 80 Prozent des Flächenumsatzes beim Partner vertikal gesteuert werden. s.Oliver oder Gerry Weber wollen nicht die volle Vororder ausliefern, sondern viel Raum lassen für das, was die Kundin wirklich spannend findet. Die Kollektion wird modularer und agiler. Insgesamt soll das Warenvolumen reduziert und die Kennzahlen verbessert werden. (3), (4), (5), (6)





Fallbeispiele


s.Oliver: baut Anzuggeschäft aus

s.Oliver Black Label Men will den Händlern im Mainstream-Markt der Männer moderne Anzüge mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis bieten. Unter dem Label "s. Oliver Suits Me s.O" werden zwei neue Anzüge im NOS auf den Markt gebracht werden, die den im Frühjahr 2019 eingeführten Jogg Suit ergänzen werden, dabei handelt es sich um einen Anzug aus elastischem Jogginghosen-Schlafanzugmaterial. Untereinander kombiniert sollen sich neue Stylingmöglichkeiten ergeben.

Das neue Programm ist ab Juli ab Lager erhältlich. Der Anzug kostet 199,99 Euro, das Sakko 139,99 Euro, die Hose liegt bei 59,99 Euro. (7)


Esprit: Teile exklusiv im eigenen Onlinestore

Esprit will mit einer limitierten Kapsel-Kollektion globale Trends aufgreifen. Zu den Modellen, die aus der asiatischen Esprit-Kollektion stammen, gehören sportive Dufflecoats aus Double-Wolle, die mit Spitzenblusen, Glencheck-Culottes und Denim kombiniert werden können.

Zu kaufen gibt es die Modelle seit September exklusiv im eigenen Esprit-Internetladen. Die Verkaufspreise bewegen sich zwischen 49,99 Euro für das Sweatshirt bis zu 149,99 Euro für den Double-Mantel. (8)



Zahlen & Fakten


Abbildung 1: Den Großen wird nicht viel zugetraut

Entnommen aus: TextilWirtschaft, 22/2018, S. 54, (4)

Weiterführende Literatur:

(1.) Warum straucheln Esprit, Gerry Weber und Tom Tailor?
aus WirtschaftsWoche online 25.11.2018 um 20:26:58 Uhr

(2.) Tom Tailor hübscht Bonita für Verkauf auf
aus TextilWirtschaft 51 vom 20.12.2018 Seite 004

(3.) In der Zange
aus TextilWirtschaft 34 vom 24.08.2017 Seite 014 bis 017

(4.) Schneller ans Ziel in kleinen Schritten
aus TextilWirtschaft 22 vom 31.05.2018 Seite 054

(5.) Das Traum-Sortiment
aus TextilWirtschaft 22 vom 31.05.2018 Seite 053

(6.) TW-Studie Concept Mainstream 2018
aus TextilWirtschaft 22 vom 31.05.2018 Seite 048 bis 051

(7.) S.Oliver
aus TextilWirtschaft 2 vom 10.01.2019 Seite 078

(8.) Schritt für Schritt: Fashion-Offensive von Esprit
aus www.textilwirtschaft.de vom 09.08.2018

(9.) Analysten beurteilen Sanierung von Gerry Weber kritisch
aus TextilWirtschaft 5 vom 31.01.2019 Seite 020 bis 021

Markus Hofstetter

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 02 vom 07.02.2019
Dokument-ID: s_tex_20190207

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