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Keine Handbreit unter dem Kiel - Werften und Zulieferer fürchten um die Existenz

MASCHINEN- UND ANLAGENBAU | GENIOS BranchenWissen Nr. 10/2009 vom 21.10.2009


Schiffbau-Zulieferer in der Krise

Die Schiffbau- und Offshore-Zulieferindustrie zählt zu den Teilbranchen des Maschinenbaus. Die Sparte hat bis zum vergangenen Jahr einen mehrjährigen Höhenflug erlebt, mit dem es infolge der Finanzkrise jedoch vorbei ist. Noch 2008 erzielten die Schiffbau-Zulieferer mit insgesamt 72 000 Mitarbeitern ein Umsatzwachstum gegenüber dem Vorjahr in Höhe von 8,4 Prozent. Die Exportquote betrug dabei 75 Prozent. Schon im Herbst hatte sich allerdings gezeigt, dass die fetten Jahre zu Ende gehen. Die seitdem zu verzeichnenden Auftragseinbrüche waren zunächst als notwendige Konsolidierung betrachtet worden, weiteten sich aber schnell zu einer handfesten Krise aus. Derzeit hofft die Branche auf ein Ende der Flaute und will ihre Position als weltweite Nummer eins bei einem Anziehen der Konjunktur noch weiter ausbauen. (1), (2), (3), [Abb. 1]


Dramatische Auftragseinbrüche

So weit ist es aber noch nicht. Seit nunmehr einem Jahr muss die Sparte Auftragsrückgänge verkraften, die dramatische Dimensionen angenommen haben. Schon 2008 gingen um 17,7 Prozent weniger Bestellungen ein als im Vorjahr. Zu diesen Einbrüchen kommen in diesem Jahr auch noch Stornierungen hinzu, da die Auftraggeber nicht mehr in der Lage sind, ihre Rechnungen zu bezahlen. Weiter erschwert wird die Situation durch neue Konkurrenten aus den BRIC-Staaten. (1), (2), (3)


Abhängig von der Situation der Werften

Die Schiffsbau-Zulieferer arbeiten im Schlepptau der Werftindustrie. Da die Werften derzeit die kritischste Situation seit Jahrzehnten auszuhalten haben, ist die schwierige Situation der Zulieferer nicht verwunderlich. In den vergangenen Jahren hatten sich die Werften gegenseitig dabei überboten, wer über den höchsten Auftragsbestand verfügt. Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise stehen die Räder im Schiffsbau jedoch still. Die Lage ist so bedrohlich, dass allerorten bereits der Verlust echter Substanz befürchtet wird. Es bestehe die Gefahr, dass industrielle Kapazitäten und Know-how unwiederbringlich verloren gehen, sagen Fachleute. Die IG Metall sieht inzwischen sogar die Existenz der Branche bedroht. (2), (3), (4)


Beschäftigung auf Rekordtief

Mit nur noch 17 500 Werftarbeitern haben die deutschen Schiffsbauer ein Rekordtief erreicht. Noch 1996 waren 10 800 Menschen mehr beschäftigt. In Bremen verloren 15 Prozent der Belegschaften ihren Arbeitsplatz, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind es 4,4 bzw. sechs Prozent. Nur in Hamburg gab es einen geringfügigen Zuwachs. Auch auf die verbleibenden Werftarbeiter kommen noch härtere Zeiten zu: Die Unternehmen setzen immer weniger auf die Stammbelegschaft, sondern auf Werksverträge und Leiharbeitskräfte. Die Arbeit bis zur Ablieferung des letzten Schiffes reicht bei HDW Kiel noch für drei, auf der Volkswerft für 29, der Peenewerft für 35 und der Lürssen Werft für 46 Monate. (2), (3), (4)


Keine Chance für Containerschiffe

Für den in Deutschland wichtigen Containerschiffbau könnte die Krise das endgültige Aus bedeuten, da die Nachfrage quasi zum Erliegen gekommen ist. Als die einzige Sparte, in der die deutschen Werften auch zukünftig ihre Position verteidigen könnten, gilt der Spezialschiffbau. Diese Umstellung dauert allerdings Zeit und wird, so befürchten Experten, mit einer Pleitewelle einhergehen. (2), (3)


Rettung oft nur durch Verkauf

Besonders stark betroffen von der Krise sind die Wadan-Werften in Rostock und Wismar. Die beiden Werften waren früher auf den Bau von Containerschiffen spezialisiert und konnten jetzt nur durch den Notverkauf an einen russischen Investor am Leben erhalten werden. Die Bremer Hegemann-Gruppe kann ihre Containerfrachter nur noch fertig stellen, wenn sie staatliche Hilfe erhält. ThyssenKrupp Marine Systems steigt infolge der Krise komplett aus dem zivilen Schiffbau aus und konzentriert sich künftig auf Rüstungsaufträge. In Deutschland haben neben Wadan inzwischen fünf weitere Werften Insolvenz angemeldet: Cassens, Lindenau, SMG Rostock, SSW Shipyard und die Nessewerft. (2), (3)


Erlahmter Welthandel

Der stagnierende Welthandel hat die Schifffahrtsbetriebe an Nord- und Ostsee stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Reedereien haben deutlich weniger Fracht zu transportieren; überdies sind die sogenannten Frachtraten gesunken, so sehr, dass selbst erfolgte Fahren oft kaum Gewinn abwerfen. Im nächsten Schritt sind die Reeder daran gegangen, geplante Schiffsbestellungen auszusetzen und bereits georderte Schiffe zu stornieren. Das Hamburger Emissionshaus Lloyd Fonds gab kürzlich bekannt, acht von 29 bestellten Schiffen storniert zu haben. (2), (3)


Steuerhilfen lindern die Not

Deutschlands Schiffbauer und Reedereien erhalten derzeit hohe Staatshilfen, um nicht in die Pleite zu schlittern. Den Wadan-Werften wurden Kredite und Bürgschaften in dreistelliger Millionenhöhe zur Verfügung gestellt. Deutschlands größte Container-Reederei, die Hapag-Lloyd AG, soll mit Hilfe einer Staatsbürgschaft einen überlebenswichtigen Kredit in Höhe von 1,2 Milliarden Euro erhalten. Die Bremer Hegemann-Gruppe hat für ihre Werften in Stralsund, Berne und Wolgast Staatsbürgschaften beantragt. (3)



Fallbeispiele


ThyssenKrupp Marine Systems zieht Konsequenzen

ThyssenKrupps Pläne, den zivilen Schiffsbau ganz aufzugeben, nehmen Gestalt an. So sollen die traditionsreichen Emdener Nordseewerke an Siag Schaaf Industrie verkauft werden. Das Unternehmen stellt Offshore-Windkraftanlagen her und will 720 der 1 200 Mitarbeiter übernehmen. Für den Schiffbau gehen bei den Nordseewerken damit die Lichter aus. ThyssenKrupp sieht sich zu diesem Schritt gezwungen, da die Lage mehr als prekär sei: Es gibt keine Aufträge im Handels- und Containerschiffbau, sagte eine Unternehmenssprecherin. (5)


Auch Blohm und Voss wechseln den Besitzer

Trennen wird sich ThyssenKrupp Marine Systems überdies von Blohm und Voss. Unter dem Dach von B + V versammelt ThyssenKrupp eine ganze Reihe von Firmen, wie etwa Reparaturbetriebe und Komponentenhersteller. Derzeit sieht es so aus, als ob B + V etwa in einem Jahr vollständig in der Hand eines arabischen Scheichs aus Abu Dhabi liegt. Für den Bau von militärischen Schiffen wie Fregatten, Korvetten und Patrouillenbooten ist hingegen eine langfristige Partnerschaft anvisiert. ThyssenKrupp und die arabischen Investoren wollen hierfür ein Gemeinschaftsunternehmen namens Blohm + Voss Naval gründen, an dem jeder Partner 50 Prozent hält. (6)


Negative Folgen für die Bundesmarine

Obwohl sich ThyssenKrupp zukünftig auf Marineschiffe konzentrieren will, wächst in der Bundesregierung die Sorge über eine kommende Unterversorgung der Bundesmarine. Im Verteidigungsministerium wird befürchtet, dass die Krise kaum noch Werften übrig lässt, die mit dem Bau und der Wartung von Kriegsschiffen beauftragt werden können. Unter Druck stehen jedoch auch die Marinewerften nicht nur die stagnierende Handelsschifffahrt: Denn auch die Bundesregierung will ihren Wehretat für Kriegsschiffe weiter herunterfahren. (9)


SMG findet Retter

Die kleine Werft SMG in Rostock hat einen Retter gefunden. Neuer Besitzer ist der Hamburger Kaufmann Heiner Tamsen, der jetzt in den deutschen Schiffbau einsteigen will. Tamsen will sich mit den 67 Beschäftigten und sieben Auszubildenden, die übernommen werden, einen Lebenstraum erfüllen. Innerhalb der nächsten drei Jahre soll ein 52 Meter langer, neuer Yachttyp nach eigenen Vorstellungen entwickelt werden. (8)


Stahlindustrie leidet weiter

Die europäische Stahlindustrie leidet seit 2008 an einem drastischen Nachfrage- und Produktionseinbruch. Bisher bestand die Hoffnung, baldmöglichst auf einen Wachstumspfad zurückzufinden - wonach es nach neuester Sachlage aber nicht aussieht. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl rechnet für 2009 bestenfalls mit einer Produktion von 31 bis 32 Millionen Tonnen Rohstahl. Damit würde der Ausstoß der Branche auf das Niveau der 60er Jahre zurückfallen. (7)

Zahlen & Fakten Abbildung 1: Umsatzanteile der Schiffsbau-Zulieferer 2008 Quelle: Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) Entnommen aus: www.vdma.com Zahlen & Fakten


Abbildung 1: Umsatzanteile der Schiffsbau-Zulieferer 2008

Quelle: Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) Entnommen aus: www.vdma.com

Weiterführende Literatur:

(1.) Werften: Deutscher Schiffbau - ein Auslaufmodell / Weltwirtschaftskrise erzwingt Neuordnung der hiesigen Unternehmen / Der größte Werftbetreiber TKMS steigt aus dem Bau von Handelsschiffen aus. Bei Blohm + Voss in Hamburg soll die Marineschiffsparte aufgewertet werden
aus Hamburger Abendblatt, 02.10.2009, Nr. 230, S. 25

(2.) Schiffbauer flüchten in die Nische / - Jahrelang spielte es keine Rolle, welche Schiffstypen deutsche Werften bauten. Der Welthandel boomte, doch dann kam die Krise
aus ftd.de.

(3.) Land unter an der deutschen Küste / Die Wirtschaftskrise trifft die Schifffahrt hart / Lloyd Fonds storniert Aufträge
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.09.2009, Nr. 227, S. 11

(4.) Deutschen Werften droht der Untergang / Einbrüche wegen Wirtschaftskrise und Überkapazitäten - ThyssenKrupp verkauft Nordseewerke in Emden
aus DIE WELT, 30.09.2009, Nr. 228, S. 11

(5.) ThyssenKrupp stößt Nordseewerke ab / Weitgehender Rückzug aus dem Handelsschiffbau
aus Börsen-Zeitung, 30.09.2009, Nummer 187, Seite 12

(6.) Blohm + Voss vor dem Ausverkauf / Betriebsrat befürchtet vollständigen Rückzug von ThyssenKrupp vom zivilen Schiffbau in einem Jahr
aus DIE WELT, 17.10.2009, Nr. 242, S. 43

(7.) Angst vor China / Die europäische Stahlindustrie findet keinen Weg aus der Krise und fürchtet immer mehr die Billigkonkurrenz aus Asien
aus Süddeutsche Zeitung, 12.10.2009, Ausgabe Bayern, München, Deutschland, S. 19

(8.) Schiffbau: Der Hamburger Unternehmer Heiner Tamsen übernimmt Rostocker SMG-Werft / Vom Luxusautohändler zum Yachtbauer
aus Hamburger Abendblatt, 13.10.2009, Nr. 238, S. 21

(9.) Sorge um die deutsche Werftindustrie
aus Handelsblatt Nr. 178 vom 16.09.09 Seite 2

R.Reuter<b></b><b><i>R.Reuter</i></b>

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 10/2009 vom 21.10.2009
Dokument-ID: s_mas_20091021

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