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Europäische Versicherer - die Kapitalausstattung bröckelt

VERSICHERUNGEN | GENIOS BranchenWissen Nr. 06 vom 29.06.2012


Trendumkehr bei der Kapitaldecke

Bei den europäischen Versicherern schrumpft die Kapitalausstattung. Dies geht aus dem halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa hervor. Zwar liegen die Solvabilitätsquoten der größten zwanzig europäischen Versicherer bei 199 Prozent, was bedeutet, dass die Mehrzahl der Gesellschaften nach wie vor "gut" kapitalisiert ist. Allerdings sinken die Quoten inzwischen. Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Solvenzkennziffer noch bei 211 Prozent. Die sinkenden Quoten schlagen auch auf das Eigenkapital, die Gewinne und teilweise sogar auf die Prämieneinnahmen durch. (1), (2)


Eurokrise belastet Versicherer

Das große Problem der europäischen Versicherer sind die historisch niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten. Nach Ansicht der Eiopa können die Versicherer damit einige Zeit klarkommen, solange die Eurokrise nicht eskaliert. Geschieht dies doch, litten zunächst kleinere, nationale Versicherer, später dann auch die Branchenführer. Von den Großkonzernen wäre vor allem die italienische Generali betroffen. Bei Europas Nummer drei entfallen mehr als 40 Prozent des Staatsanleiheportfolios von 114 Milliarden Euro auf Italien. Dagegen sieht sich die französische Axa, der zweitgrößte Versicherer Europas, gut gegen die Eurokrise gewappnet. Die Franzosen haben gegenüber dem griechischen Staat keine Ausstände mehr. Problematisch sind zudem Pensionspläne, wie sie in Großbritannien und den Niederlanden üblich sind. Dort werden die auszuzahlenden Renten im Vorhinein garantiert, doch mit den niedrigen Zinsen haben es die Versicherer schwer, die Versprechen einzuhalten. (2), (4), (6), [Abb. 1]





Fallbeispiele


Italien

In Italien ist die Versicherungskultur im Vergleich zu anderen Ländern Europas nicht besonders stark ausgeprägt. Der Großteil der Beiträge konzentriert sich auf die Lebensparte und die Kfz-Haftpflichtversicherung. Erst durch die Liberalisierung des Versicherungsmarktes in den neunziger Jahren gelang es ausländischen Assekuranzunternehmen, sich auf dem vorher weitgehend abgeschotteten Markt zu etablieren. Die Branche befindet sich zurzeit in einem Konsolidierungsprozess. Ein Zeichen dafür ist die bevorstehende Fusion zwischen den Versicherungsgesellschaften Fonsai, Milano Assicurazioni und Unipol. Die hoch verschuldete Fonsai-Gruppe ist bereits seit gut einem Jahr konkursreif. Trotzdem soll sie gerettet werden. (3)

Marktführer in Italien und zugleich drittgrößter Versicherungskonzern Europas ist die Assicurazioni Generali. Die Gesellschaft kommt auf einen Börsenwert von 19 Milliarden Euro und Prämieneinnahmen von knapp 70 Milliarden Euro, wobei etwa zwei Drittel der Einnahmen auf Lebensversicherungen und ein Drittel auf Sachversicherungen entfallen. Größter Aktionär ist die italienische Großbank Mediobanca mit einem Anteil von 13 Prozent. Auf dem deutschen Markt ist die Generali hinter dem Branchenführer Allianz der zweitgrößte Erstversicherer. Die Italiener wurden 2011 deutlich heftiger gebeutelt als die Konkurrenz. 76 Prozent auf griechische Staatsanleihen musste man abschreiben. Zudem wurde der Wert der Beteiligung an der Gesellschaft Telco nach unten revidierte. Dies führte dazu, dass sich der Nettogewinn auf 856 Millionen Euro halbierte. Im Juni 2012 gab es zudem einen Wechsel an der Führungsspitze. Dem elf Jahr lang amtierenden Giovanni Perissinotto hatte der Verwaltungsrat das Misstrauen ausgesprochen. Neuer Konzernlenker ist nun Mario Greco, bisher Chef der Zürich Versicherungsgruppe. (3), (4)


Frankreich

Der französische Versicherungskonzern Axa hat 2011 den Gewinn um 49 Prozent auf 4,32 Milliarden Euro gesteigert. Allerdings hatten Analysten im Schnitt mit einem Nettogewinn von sechs Milliarden Euro gerechnet. Belastet wurde der Jahresgewinn vor allem von Abschreibungen von 943 Millionen Euro auf fondsgebundene US-Lebensversicherungen des Typs "Variable Annuities", die unter dem Dauerzinstief in den USA leiden. Zusätzlich belastet wurde das Ergebnis durch Abschreibungen von insgesamt 732 Millionen Euro auf griechische und andere Staatsanleihen sowie auf Aktien infolge der Börsenturbulenzen. Im Sommer 2011 hatte Konzernchef Henri de Castries den Strategieplan "Ambition 2015" vorgelegt, der eine Steigerung des Betriebsgewinns auf mehr als sechs Milliarden Euro, den Rückzug aus reifen, unrentablen Märkten und die Expansion in Wachstumsregionen vorsieht. Dadurch ist der Umsatz 2011 um 3,7 Prozent auf 86,1 Milliarden Euro gefallen, gleichzeitig hat sich aber die Rentabilität verbessert. (5)


Großbritannien

In Großbritannien ist die Ertragslage der großen Versicherer stabil. Bei Prudential ist der operative Gewinn 2011 um sieben Prozent auf 2,07 Milliarden Pfund gestiegen. Die Gesellschaft profitierte vor allem von ihrem starken Standbein in Asien. Der operative Gewinn im dortigen Lebensversicherungsgeschäft legte um 32 Prozent auf 709 Millionen Pfund zu. Bei Aviva hingegen ist 2011 der operative Gewinn vor Steuern auf 2,50 Milliarden von zuvor 2,55 Milliarden Pfund gesunken. Der Versicherer erzielt etwa die Hälfte seines Gewinns in Großbritannien. Aus Asien zieht sich Aviva allmählich zurück. Dies ist ein neuer Trend in der Finanzbranche. Viele Banken und Versicherer verkleinern oder verkaufen dort ihr Geschäft, um ihr Kapital zu stärken. So konzentriert sich Aviva mittlerweile nur noch auf zwölf Kernmärkte - vor drei Jahren waren es 30. Darüber hinaus musste Aviva-Chef Andrew Moss im Mai seinen Hut nehmen. Grund war eine Revolte der Aktionäre, die Moss gemessen an seiner Leistung für zu gut bezahlt hielten. (6), (7), (8)


Schweiz

Einen prominenten Neuzugang kann der Schweizer Versicherer Zurich Financial Services verzeichnen. Neuer Vorsitzender des Verwaltungsrats ist der frühere Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Sein Amtsantritt geht einher mit der Namensänderung des Konzerns von Zurich Financial in Zurich Insurance Group. Damit verabschiedet sich die Gesellschaft endgültig von früheren Allfinanz-Ideen und unterstreicht ihre Konzentration auf das Versicherungsgeschäft. Zurich gilt als gut aufgestellt, auch wenn Naturkatastrophen 2011 das Ergebnis belasteten. (9)

Der Versicherungssektor setzt in der Schweiz rund 55 Milliarden Franken um, wobei die fünf wichtigsten Versicherer des Landes die Hälfte des Marktvolumens halten. Dabei konnten sich in den letzten Jahren die europäischen Versicherungskonzerne Allianz, Axa und Scor im Schweizer Markt durch Übernahmen wesentliche Anteile sichern. (11)



Zahlen & Fakten


Abbildung 1: Größte Erstversicherer Europas nach Umsatz 2010
UnternehmenLandUmsatz*Gewinn*Beschäftigte
Allianz D106,45,2151.300
AxaF85,53,1103.000
GeneraliI68,4285.400
AvivaGB42,3245.300
Zurich Financial ServicesCH37,72,654.900
CNP Assurances F32,31,34.500
PrudentialGB28,61,726.000

* Angaben in Milliarden Euro Quelle: FAZ, eigene Berechnungen Entnommen aus: Fakt - Markt- und Branchenstatistiken (10)

Weiterführende Literatur:

(1.) Solvenz im Rückwärtsgang
aus Portfolio institutionell vom 13.06.2012

(2.) Historisch niedrige Zinsen - Europas Versicherern bröckelt das Kapital weg
aus Handelsblatt online vom 11.06.2012

(3.) Turbulenzen am italienischen Versicherungsmarkt
aus Börsen-Zeitung, 14.06.2012, Nummer 112, Seite 8

(4.) Harte Zeiten für Generali-Aktionäre - Europas drittgrößter Versicherer senkt Dividende für 2011 drastisch - Verhaltener Ausblick
aus Financial Times Deutschland vom 22.03.2012, Seite 17

(5.) Axa enttäuscht trotz Gewinnsprung - Versicherer profitiert vom Verkauf von Unternehmensanteilen - Hohe Abschreibungen
aus Börsen-Zeitung, 17.02.2012, Nummer 34, Seite 5

(6.) Britischer Versicherer Aviva übertrifft die Erwartungen - Kapitalüberschuss erhöht - Aktie legt zu
aus Börsen-Zeitung, 09.03.2012, Nummer 49, Seite 4

(7.) Aviva startet Kehraus in Asien - Britischer Versicherer will Geschäft in Südkorea, Sri Lanka, Malaysia und Taiwan verkaufen - Konzern soll in China und Indien präsent bleiben
aus Financial Times Deutschland vom 25.05.2012, Seite 18

(8.) Prudential dringt auf Anpassung von Solvency II - Britischer Versicherer fürchtet Wettbewerbsnachteile
aus Börsen-Zeitung, 14.03.2012, Nummer 52, Seite 5

(9.) Ackermann mit neuem Amt bei Zurich Financial
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.03.2012, Nr. 63, S. 16

(10.)Europa: Top 20 Kreditinstitute, Top 100 Unternehmen 2010
aus Fakt - Markt- und Branchenstatistiken vom 10.08.2011

(11.) Versicherer an der «Schmerzgrenze»
aus Finanz und Wirtschaft vom 14.03.2012, Seite 10

Thomas Trares

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 06 vom 29.06.2012
Dokument-ID: s_ver_20120629

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