GENIOS BranchenWissen > MARKETING & WERBUNG
Logo GENIOS BranchenWissen

Digital-Paket - Mehr Fairness, mehr Verantwortung, weniger Macht

MARKETING & WERBUNG | GENIOS BranchenWissen Nr. 01 vom 18.01.2021


EU bringt zwei Gesetzentwürfe auf den Weg

Was offline illegal ist, ist auch online illegal. So einfach ist das, was die dänische EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales Margrethe Vestager auf den Punkt bringt. Um künftig für freien und fairen Wettbewerb in der digitalen Welt zu sorgen, hat sie am 15. Dezember 2020 zwei Gesetzentwürfe als erste Vorschläge auf die Schiene gesetzt.
Sie sollen die Marktmacht von digitalen Unternehmen eingrenzen, die über die Jahre so groß geworden ist, dass sie die Ordnungsmacht der Staaten in Europa und den USA auf den Plan ruft. Die schier grenzenlose Freiheit der Internetgiganten in kapitalistischen Wirtschaftssystemen soll enden. Kleinere Anbieter sollen bessere Chancen haben, Käufer im Netz eine große Auswahl sicherer Produkte und Dienste vorfinden. Die EU-Gesetzgebung der künftigen Jahre soll darauf aufbauen können, um Probleme wie Kinderpornografie, Terrorismus und Hassrede im Internet schlagkräftiger bekämpfen zu können. Die EU-Kommissionsvizepräsidentin begründete, dass sie die Demokratie durch die Tech-Giganten bedroht sehe - sie tat das zu einem Zeitpunkt, an dem das amerikanische Capitol noch nicht gestürmt war und Twitter dem scheidenden US-Präsidenten Trump das Zwitschern noch gar nicht verboten hatte. (1)


Marktmacht der GAFA reduzieren

Die Gesetze werden für alle Online-Plattformen gelten. Im Visier sind freilich diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren de facto eine mächtige Marktstellung aufgebaut haben. Bisher bewegen sich die so genannten GAFA - also große Internet-Unternehmen wie etwa die US-Konzerne Facebook, Amazon, Google, Apple - auf dem digitalen Markt weitgehend frei. Wenn sie in Fällen von erwiesenen Fake-News einschreiten, tun sie dies freiwillig. So sperrte auch Twitter den Account von Donald Trump aus eigenem Antrieb, aber nicht auf einer gesetzlichen Grundlage. Wie sollen Onlinedienste und -plattformen künftig gegenüber ihren Kunden und Nutzern agieren dürfen?


Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA)

Die EU-Behörden wollen die systemrelevanten Plattformen endlich enger an die Leine nehmen. Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen hatten sie zuletzt vor 20 Jahren aufgestellt. Google war frisch gegründet, Amazon verkaufte vor allem Bücher, Facebook, Twitter, WhatsApp entstanden Jahre später. Auf dem Tisch liegen das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA), das sich mit den wettbewerbsrechtlichen Aspekten beschäftigen wird und als Neufassung der überalteten, bislang gültigen E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 gilt, und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA), das sich gesellschaftlichen Fragen widmet.


Was wurde bisher vorgeschlagen?

SystemrelevantePlattform: Erstmals wird definiert, was eine "sehr große Plattform" ist. Dieser Begriff soll greifen, wenn eine Plattform von mehr als zehn Prozent der EU-Bevölkerung genutzt wird, also von über 45 Millionen Nutzern. Sie gelten laut DAS als systemrelevant. Das können Internetanbieter, Hosting-Plattformen und soziale Netzwerke sein. Sie müssen hohe Anforderungen an ihre innere Struktur (Compliance) erfüllen und sollen sich künftig der Aufsicht eines neuen Europäischen Ausschusses für digitale Dienste stellen.
Gatekeeper: So werden Dienste bezeichnet, über die viele Geschäftskunden wiederum ihre Kunden erreichen. Das können Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Online-Vermittlungsdienste, Videoplattformen und Werbenetze sein. Als Kriterien gelten erstens der Umsatz (mehr als 6,5 Milliarden Euro in den vergangenen drei Jahren in Europa) oder eine Marktkapitalisierung von mehr als 65 Milliarden Euro, zweitens mehr als 45 Millionen aktive Nutzer pro Monat oder mehr als 10 000 Business-Kunden. Von Marktmacht spricht der Digital Markets Act (DMA) erst, wenn beide Kriterien kontinuierlich über drei Jahre vorliegen. Beispiele sind Amazon, Microsoft, Airbnb und Booking.com.
Strafen: Bei Verstößen gegen das Gesetz sind Geldstrafen von bis zu sechs Prozent des jährlichen Umsatzes (DSA) oder gar zehn Prozent des Umsatzes (DMA) geplant. Frühere Wettbewerbsstrafen wurden zwar in der Praxis bereits verhängt, doch es dauerte Jahre, bis das getan werden konnte. Die Zerschlagung der Konzerne wird als letzte Option angedroht, wenn sich die Ordnung des digitalen Raumes in der EU nicht anders herbeiführen ließe.
Interoperabilität: Wenn sie einen neuen Dienst entwickeln, müssen Gatekeeper die Interoperabilität mit den Diensten anderer, kleinerer Unternehmen sicherstellen. Die Gatekeeper müssen sich also öffnen. Google beispielsweise müsste zulassen, dass sich seine Dienste unter Android durch solche des Mitbewerbers vom Nutzer problemlos ersetzen lassen. Facebook müsste seinen Messengern Schnittstellen zu denen der Konkurrenz verpassen. Amazon müsste Marketplace-Händler dieselben Bedingungen anbieten, die sich der Konzern zur Darstellung der eigenen Produkte einräumt.
Transparenz in der Werbung: Der DSA fordert, dass Nutzer von Plattformen zu jeder eingeblendeten Anzeige Informationen darüber erhalten, weshalb sie sie sehen und wer sie geschaltet hat. Leichter erkennbar werden soll das Microtargeting, wenn also personalisierte Botschaften an besonders kleine Zielgruppen ausgespielt werden. Gesponsorte Inhalte und Produkte müssen deklariert werden. Das zielt auf das bisherige Geschäftsmodell von Influencern. Über definierte Meldewege dürfen sich Nutzer zu potenziell illegalen Werbeanzeigen beschweren.
Empfehlungsalgorithmen: Auf zugängliche und leicht verständliche Art müssen die Plattformen erklären, wie ihre Empfehlungen zustande kommen und welche Faktoren ihre Empfehlungsalgorithmen beeinflussen. Diese darf der Nutzer dann selbst ändern oder sogar ganz auf Empfehlungen verzichten. Dann könnten ihm beispielsweise Newsfeeds ungefiltert in chronologischer Folge angezeigt werden, sofern er das möchte und so einstellt. Plattformeigene Angebote dürfen nicht mehr bevorzugt werden, also nicht mehr höher angezeigt werden als andere.
Illegale Angebote: Die digitalen Unternehmen sollen Daten darüber, wie sie mit illegalen Inhalten umgehen, mit Behörden und Forschern teilen. Hassreden und Missbrauchsdarstellungen müssen zudem zügig entfernt werden.
Meldesysteme: Effiziente Meldesysteme müssen eingerichtet werden. Einzelpersonen, aber auch in- und ausländischen Behörden soll es so erleichtert werden, illegale Inhalte zu melden. Dabei kann es sich um Postings oder um gefälschte Produkte handeln. Beschwerden müssen zeitnah, sorgfältig und objektiv bearbeitet werden. Menschen und Organisationen mit besonderen Kenntnissen, als Trusted Flaggers bezeichnet, erhalten einen eigenen Meldekanal, der von der Content-Moderation priorisiert bearbeitet wird.
Fälschungen: Verkaufsplattformen sollen die Anbieter auf ihren Seiten überprüfen und sicherstellen, dass die Verbraucher vor gefälschten Produkten geschützt werden.
Haftung: Eine grundsätzliche Haftung der Plattformen für illegale Inhalte auf ihren Seiten plant die EU-Behörde nicht. Auch im DSA gilt, dass Anbieter für fremde Inhalte auf ihren Plattformen erst ab Kenntnis haften. Eine Vorab-Prüfpflicht sieht der DSA nicht vor. (2), (3), (4), (5)


Was sagt die Werbebranche?

Die Werbebranche ist erleichtert drüber, dass personalisierte Werbung weiterhin erlaubt sein wird. Da Gatekeeper ihnen laut DAS künftig Zugang zu Analytics-Daten gewähren müssten, könnten sie ihre Werbekampagnen besser auf Wirksamkeit überprüfen. Allerdings sei nicht eindeutig definiert, welche Möglichkeiten die angestrebte Transparenz ganz konkret vorschreibe; es geht um Datenzugang, -verarbeitung und -verwendung. (2)


Das deutsche GWB-Digitalisierungsgesetz

Bis Digital Services Act und Digital Markets Act in Kraft treten können, dürften noch mindestens 18 Monate verstreichen, in denen in den EU-Mitgliedsstaaten und im Europaparlament verhandelt wird. Da sie als Verordnungen geplant sind, können sie nach einer Frist direkt wirksam werden, ohne zuerst in nationales Recht umgesetzt werden zu müssen. Dennoch bleibt viel Zeit für Lobbyisten, sich an die Arbeit zu machen - viel Zeit für Google, seine YouTuber zu aktivieren, Zeit für die US-Konzerne, in ihren europäischen Headquartern in Irland oder in Luxemburg, für Schlagkraft zu sorgen.
Der Deutsche Bundestag ist derweil nicht untätig. Mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz, also der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, will er missbräuchliches Verhalten der Digitalkonzerne unterbinden. Der neue Paragraf 19a soll es dem Bundeskartellamt erlauben, Plattformunternehmen zu verbieten, ihre eigenen Angebote in den Suchergebnissen gegenüber denen der Konkurrenz zu bevorzugen. Dazu reicht eine "überragende marktübergreifende Bedeutung". Der Bundestag verabschiedete die Novelle am 15. Januar 2021. (6), (7)



Trends

WhatsApp ist mit über zwei Milliarden Nutzern der weltweit erfolgreichste Chatdienst gefolgt vom Facebook Messenger, der rund 1,3 Milliarden User hat. In den vergangenen Wochen hatten die WhatsApp-Wettbewerber wie Telegram, Signal oder Threema eine hohe Zahl neuer Nutzer gemeldet. Sie hatten die Nase voll, nachdem WhatsApp eine neue Datenschutz-Richtlinie angekündigt hatte. WhatsApp sieht sich freilich missverstanden, verschob die Geltung der neuen Richtlinie erst einmal auf Mitte Mai 2021. Der Staat - das sind zuweilen durchaus noch die einzelnen Bürger, die sich zur Wehr setzen! Wenngleich die aktuelle gesetzliche Lage in der EU und in Großbritannien das Teilen von Daten aus WhatsApp mit Facebook zu Zwecken der Produktverbesserung oder Werbung ohnehin bereits untersagt. Das ist aber nicht überall auf der Welt so.
Chinesische Tech-Konzerne und Social-Media-Plattformen wollen nicht nur den chinesischen Markt erobern, sondern haben globale Wachstumsambitionen. Beispiele dafür sind: Alibaba, WeChat, TikTok, QQ, QZone. Allerdings werden ihnen die geopolitischen Auseinandersetzungen zum Hemmschuh. Tencent mit seiner App WeChat und Bytedance mit seiner App TikTok sollen in den USA und in Indien sie verboten werden bzw. wurden bereits verboten. [Abb. 1], [Abb. 2] (8), (9), (10)

Fallbeispiele

Die britische Regierung arbeitet an einem Online-Sicherheitsgesetz, das Social Media-Plattformen stärker in die Verantwortung für die verbreiteten Inhalte nimmt. Die Regulierungsbehörde Ofcom soll Strafen von bis zu 18 Millionen Pfund oder zehn Prozent des Unternehmensumsatzes verhängen können.
In den USA streben die Regierung in Washington und über 40 Bundesstaaten vor Gericht wegen unfairen Wettbewerbs die Zerschlagung von Facebook an. Zum Konzern gehören der Messenger-Dienst WhatsApp sowie die Foto-App Instagram.


Zahlen & Fakten


Abbildung 1: WhatsApp hat die Nase vorn
Top 10 Social-Media-Dienste nach Nutzung 2018-2020
Nutzung 2020
Gesamt14-2930-4950-69Ab 70
202020192018Jahre(n)
RangOnline-Dienstin Prozent
1WhatsApp *81777297907949
2Facebook3738406247288
3Instagram252419692873
4Snapchat14101249831
5Xing1189141881
6LinkedIn **116k.A.1416101
7Twitter1077221352
8Twitch **107k.A.291031
9TikTok **73k.A.16741
* WhatsApp 2018: Wert stammt aus dem Convergence Monitor.
** 2018 nicht erfasst.
Basis: Deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (2020: n=3.003; 2019: n=2.000; 2018: n=2.009).
Mindestens selten genutzt.

Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudien 2018-2020 Entnommen aus: Media Perspektiven, 09/2020, S. 473 (11)
Abbildung 2: Konkurrenz aus China
Top 10 Internetunternehmen nach Umsatz 2019
RangUnternehmenin Milliarden Euro
1JD.com74,6
2Alibaba Group65,9
3Tencent Holdings48,8
4Suning.com34,8
5ByteDance (TikTok)17,5
6Baidu13,9
7Meituan-Diangping12,6
8NetEase7,7
9Pinduoduo3,9
10Kuaishuo3,8

Quelle: Bloomberg, Unternehmen Entnommen aus: Handelsblatt, 18.09.2020, S. 14 (9)

Weiterführende Literatur:

(1.) Marktversagen
aus Tourist Austria International Nr. 2383, 11.09.2020, S. 30

(2.) Gatekeeper
aus werben & verkaufen Nr. 01 vom 06.01.2021, S. 10 - 11

(3.) Macht der GAFAs
aus W&V Online-Magazin vom 15.12.2020

(4.) Das sind die neuen Spielregeln fürs Internet
aus W&V Online-Magazin vom 15.12.2020

(5.) Der ganz große AufschlagWie die EU-Kommission Facebook, Google & Co. bändigen will
aus c't Heft 2/2021 S. 12-13

(6.) Der Gegenwind weht rauerGAFAs: Politik und Kartellwächter machen mobil, um Machtmissbrauch zu verhindern
aus c't Heft 2/2021 S. 12-13

(7.) Stärkere Kontrolle großer Internetkonzerne
aus DIE WELT, 15.01.2021, Nr. 12, S. 9

(8.) Fluchtpunkt Singapur
aus Handelsblatt Heft 181/2020 vom 18.09.2020, S. 14

(9.) China: Top 10 Umsatzstärkste Internetunternehmen 2019
aus Handelsblatt, 18.09.2020, S. 14

(10.) Whatsapp ändert Regeln - Nutzer flüchten zur Konkurrenz
aus manager-magazin.de vom 13.01.2021

(11.)Deutschland: Top 10 Meistgenutzte Social-Media-Dienste 2018-2020
aus GENIOS Statistiken vom 25.11.2020

Anja Schneider

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 01 vom 18.01.2021
Dokument-ID: s_mar_20210118

Alle Rechte vorbehalten. © GBI-Genios Deutsche Wirtschaftsdatenbank GmbH