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Das Risiko eines ungeregelten Brexit - wie stark ist die Automobilindustrie betroffen

AUTOMOBIL | GENIOS BranchenWissen Nr. 03 vom 21.03.2019


Britischer Automarkt bremst vor Brexit ab

Der britische Automobilmarkt zeigt vor dem Brexit starke Bremsspuren. So sank die Zahl der Neuzulassungen 2018 um 6,8 Prozent auf gut 2,3 Millionen. Bereits 2017 schrumpfte der Markt um 5,7 Prozent. Grund dafür waren die Brexit-Unsicherheiten, die Dieselkrise und neue Emissionstests. Der Branchenverband SMMT prognostiziert für 2019 einen weiteren Rückgang der Neuwagenverkäufe um zwei Prozent, allerdings nur, wenn es doch noch zu einem geregelten Brexit kommt. Andernfalls dürfte das Minus noch größer ausfallen. Großbritannien ist in Europa der zweitgrößte Absatzmarkt und der viertgrößte Produktionsstandort. Die Wirtschaftsleistung der Branche betrug zuletzt 20,2 Milliarden Pfund, also rund 23 Milliarden Euro. Etwa 865 000 Personen sind in der Branche beschäftigt. (2), (9)


Das Horror-Szenario "No-Deal-Brexit"

Die Automobilindustrie wäre von einem ungeregelten Brexit besonders stark betroffen. Wegen ihrer Just-in-time-Produktion und den europaweiten Lieferketten ist gerade die Automobilbranche von offenen Grenzen abhängig. Hinzu kommt die offene Zollfrage. Bei einem ungeregelten Brexit würden die Regeln der Welthandelsorganisation WTO gelten. Dann wäre mit Zöllen von zehn Prozent zu rechnen. Die Branche sieht im Falle eines "No-Deal-Brexit" eine erhebliche Zahl an Stellen in Gefahr. Weil in Großbritannien fast nur ausländische Hersteller produzieren, könnten viele Arbeitsplätze in andere Länder verlagert werden. (1), (8), (9)





Fallbeispiele

Der japanische Honda-Konzern gibt die Automobilproduktion in Großbritannien auf. Nach mehr als drei Jahrzehnten wird das Unternehmen seine Fabrik im englischen Swindon schließen. Dadurch gehen 3 500 Arbeitsplätze verloren. Tausende weitere sind bei Zulieferunternehmen bedroht. Der Autohersteller begründete die Fabrikschließung mit einer globalen Umstrukturierung und Neuausrichtung der Produktion. Dies soll Kosten sparen. Die Entscheidung habe nichts mit dem Brexit zu tun. Fachleute bezweifeln allerdings, dass der Brexit für die Honda-Entscheidung ganz irrelevant ist. (1), (4)

Der japanische Hersteller Nissan hatte wenige Monate nach dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 erklärt, dass das Werk in Sunderland in Zukunft den Geländewagen X-Trail fertigen soll. Außerdem sollte die größte Fahrzeugfabrik auf der Insel weiterhin das Erfolgsmodell Qashqai bauen. Inzwischen aber kam die Kehrtwende. Zwar bleibt der Qashqai dem Werk erhalten, aber der X-Trail wird nicht in Großbritannien gebaut. Nissan nannte als Hauptgrund die sinkende Nachfrage nach Dieselautos. Zugleich kritisierte Europa-Chef Gianluca de Ficchy, dass "die fortdauernde Unsicherheit über die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU nicht hilfreich" sei. (8)

Der US-Autokonzern Ford hat vor den "katastrophalen" Folgen eines harten No-Deal-Brexits für seine Fabriken in Großbritannien gewarnt. Das Unternehmen werde "alle notwendigen Maßnahmen" ergreifen, um seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa sicherzustellen. Ford soll die Verlagerung von Fabriken bereits vorbereiten. Der US-Hersteller ist seit vielen Jahrzehnten auf der Insel vertreten. Modelle wie der Focus und der Fiesta zählen dort zu den meistverkauften Autos. Allerdings bedroht nicht nur der Brexit die Arbeitsplätze. Zuvor schon hatte Ford eine tiefgreifende Sanierung seines Europa-Geschäfts angekündigt. (6)

Der britische Autohersteller Jaguar Land Rover streicht in Großbritannien 4 500 Jobs und damit rund zehn Prozent seiner Stellen. Vor allem Jobs in der Verwaltung sollen wegfallen. Der Abbau ist Teil eines Sparprogramms, mit dem der Autobauer in 18 Monaten rund 2,5 Milliarden Pfund einsparen will. Jaguar Land Rover ist der größte Fahrzeughersteller Großbritanniens und gehört inzwischen zum indischen Konzern Tata Motors. Bereits im Sommer 2018 hatte Jaguar Land Rover vor möglichen Milliardeneinbußen bei einem "schlechten Brexit" gewarnt und mit einer drastischen Anpassung des Investitionsbudgets gedroht. (11)

BMW stellt die Produktion der Konzerntochter Mini in Oxford auf den Prüfstand, sollte es zu einem chaotischen Brexit kommen. Ein Teil der Motoren-Fertigung des Konzerns könnte aus Warwickshire nach Österreich verlagert werden. Eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. (10)

Auch Toyota will keine Job-Garantien geben, bevor nicht Klarheit über den Brexit herrscht. Zudem weisen die Japaner darauf hin, dass es schwierig werden könnte, künftige Modelle auf der Insel zu produzieren. Toyota produziert an zwei Standorten in Großbritannien. (10)



Zahlen & Fakten


Die Automobilproduktion ist in Großbritannien 2018 um neun Prozent auf 1,5 Millionen Fahrzeuge geschrumpft. Auch die Investitionen gingen um fast die Hälfte auf 589 Millionen Pfund zurück. In den Jahren davor hatte die britische Autobranche dagegen einen unverhofften Wiederaufschwung erlebt. Zwischen 2009 und 2017 expandierte die Produktion um mehr als 60 Prozent. In Großbritannien war dies eine der großen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten. Denn in den vergangenen Jahrzehnten sind auf der Insel Millionen von Industriearbeitsplätze verlorengegangen. (4), (8), (9)

Die Autohersteller bereiten ihre Kunden jetzt schon auf Preiserhöhungen infolge des Brexit vor. So müssen Porsche-Käufer in Großbritannien seit Mitte Januar bei der Bestellung eine Klausel in ihren Verträgen unterzeichnen, dass sie eine Preiserhöhung bei möglichen Importzöllen akzeptieren. Dieser könnte bis zu zehn Prozent betragen. Der schwedische Hersteller Volvo soll einen Preisanstieg in gleicher Höhe planen. Weitere Hersteller schließen solche Maßnahmen nicht aus. (5)

Bei einem ungeregelten EU-Austritt wären in Deutschland rund 100 000 Arbeitsplätze in Gefahr, die meisten davon in der Autoindustrie. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die größten Auswirkungen gäbe es, gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten, am VW-Standort Wolfsburg. 500 Arbeitnehmer seien potenziell betroffen, was rund 0,4 Prozent der gesamten Beschäftigten entspräche. VW hält diese Zahlen für fragwürdig, da der politische Prozess noch nicht abgeschlossen ist. (7)

Die Aktien von europäischen Autoherstellern, Fluglinien und Banken würden von einem ungeregelten Brexit am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Zu diesem Ergebnis kommt die Privatbank Oddo BHF in einer Studie. Bei den Autoherstellern wären BMW, Volkswagen, Daimler und Peugeot besonders betroffen, bei den Zulieferern Faurecia und Valeo. (3)



Weiterführende Literatur:

(1.) Briten fürchten um ihre Autoindustrie - Der japanische Hersteller Honda kündigt die Schließung seines Werkes an - Die gesamte Branche warnt vor den Brexit-Folgen
aus Badische Zeitung vom 20.02.2019, Seite 19

(2.) Britischer Automarkt bremst ab - Absatz bricht so stark ein wie seit der Finanzkrise nicht mehr - Lobby warnt wegen Brexit vor Jobabbau
aus Börsen-Zeitung vom 08.01.2019, Nr. 4, S. 8

(3.)Harter Brexit hart für Autoaktien - Oddo BHF schlüsselt die größten Verlierer eines ungeregelten britischen EU-Austritts am Aktienmarkt auf
aus Börsen-Zeitung Nr. 42 vom 01.03.2019, Seite 17

(4.) Honda gibt Autofertigung in Europa auf - Japaner schließen Fabrik in Großbritannien - Entscheidung kommt kurz vor dem Brexit
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.02.2019, Nr. 43, S. 26

(5.)Brexit: Autohersteller planen Preiserhöhungen in UK
aus news aktuell vom 19.02.2019

(6.) Ford befürchtet die Brexit-Katastrophe - Der Autokonzern droht im Fall eines chaotischen Austritts mit einer Abwanderung von der Insel
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.02.2019, Nr. 38, S. 26

(7.)500 Jobs in Wolfsburg in Gefahr? VW hält Zahlen für fragwürdig
aus Wolfsburger Allgemeine Zeitung vom 12.02.2019, Seite 11

(8.) Vertrauen verloren - Als Nissan kurz nach dem EU-Referendum seinem britischen Werk mehr Arbeit versprach, jubelte die Regierung in London.
aus Süddeutsche Zeitung, 05.02.2019, Ausgabe München, Bayern, Deutschland, S. 17

(9.) Brexit gefährdet Produktionslogistik - In der Automobilindustrie stoßen Notfallpläne schnell an Grenzen
aus DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung, Heft BALO/2019, S. 4

(10.) Brexit-Unsicherheit versetzt Autobauer in Panik - BMW prüft Verlagerung der Motorenproduktion für den Mini nach Österreich. PSA verschiebt Entscheidung über Bau von E-Fahrzeugen
aus DIE WELT, 07.03.2019, Nr. 56, S. 10

(11.) Nach Brexit-Warnung - Jaguar Land Rover streicht jede zehnte Stelle
aus FAZ.NET, 10.01.2019

Thomas Trares

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 03 vom 21.03.2019
Dokument-ID: s_aut_20190321

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