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Biopharmazeutika - Biosimilar-Verordnungen in 2018 fast verdoppelt

MEDIZIN, PHARMA & CHEMIE | GENIOS BranchenWissen Nr. 03 vom 26.03.2019


Biopharmazeutika und Biosimilars

Biopharmazeutika, auch Biologika genannt, zählen zu den wachsenden Geschäftsfeldern der Pharma-und Biotechnologie. Sie werden in lebenden, vorher gentechnisch veränderten Zellen mithilfe von sehr aufwendigen biotechnologischen Verfahren hergestellt. Ihre einzelnen Bestandteile sind größer als bei herkömmlichen Medikamenten, daher können sie nicht gut als Tablette verabreicht werden, sondern werden gespritzt oder als Infusion gegeben. Das erste Biologikum war ab 1982 verfügbar und hieß Insulin. Heute sind Krebs, rheumatoide Arthritis oder Schuppenflechte (Psoriasis), Stoffwechselstörungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, die Optimierung der Blutgerinnung und die Behandlung von Blutarmut Einsatzgebiete für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Sie wirken gezielter, sind allerdings wesentlich teurer als die konventionellen Medikamente.
Da kommen die Biosimilars ins Spiel. Sie sind sozusagen die Nachahmerprodukte der pharmazeutischen Biotechnologie. Biosimilars sind Nachbaupräparate, die nach Patentablauf des Originalpräparates auf den Markt kommen. Sie sind keine Generika, denn es ist unmöglich, eine identische Kopie eines Biologikums zu erstellen. Ein Biosimilar ist seinem Original höchst ähnlich und weist nur Restunterschiede auf, die klinisch nicht relevant sind. An die gleiche Wirksamkeit und Sicherheit werden hohe regulatorische Maßstäbe gesetzt. (1)


Adalimumab-Biosimilars puschen den Markt

Jedes Jahr werden von mehr Ärzten Biosimilars verschrieben, die Zahl der Verordnungen insgesamt steigt. Wie der Branchenverband ProGenerika meldet, haben sich die Biosimilar-Verordnungen von 0,7 Millionen Rezepten in 2017 auf 1,3 Millionen in 2018 fast verdoppelt.
Der Rückenwind für die Biosimilars bläst seit 16. Oktober 2018 stärker, denn als der Patentschutz für das bislang umsatzstärkste Medikament der Welt endete, standen sofort drei Biosimilars parat. Es handelt sich um den Rheuma-Antikörper Adalimumab, dessen Originalpräparat Humira® vom Pharmahersteller Abbvie ist. In kürzester Zeit lag der Listenpreis um 40 Prozent unter dem Preis des Originalpräparats. Genau dieser Effekt ist es, den sich vor allem die Kostenträger im Gesundheitswesen erhoffen. Sie erhoffen sich von den Biosimilars Einsparungen in Milliardenhöhe. Anfang Februar 2019 lag der Versorgungsanteil der Adalimumab-Biosimilars bereits bei 40 Prozent.
Interessanterweise befindet sich Europa in diesem Markt in der Vorreiterrolle gegenüber den USA. Während dort nur 14 Biosimilars zugelassen sind, sind es in der EU über 50 Produkte. (2), (3), (4)


Gesetz stärkt Biosimilar-Verordnung

In Deutschland werden die Biosimilars vom Gesetzgeber gepuscht. Vor kurzem hat das Bundeskabinett das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) verabschiedet. Auch die Biosimilars werden thematisiert. Der Wettbewerb und die Marktdurchdringung sollen gefördert werden. Die kostengünstigeren Nachahmer von hochpreisigen biologischen Arzneimitteln sollen stärker in die Versorgung gebracht werden. Das Gesetz hält Ärzte und Kassen an, feste Versorgungsziele für Biosimilars zu vereinbaren. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen auch Apotheker bestimmte patentfreie Biologika gegen ein kostengünstigeres Biosimilar austauschen können. Welche das sein dürfen, soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) festlegen. (5)


Arzneimittelkosteneinsparungen in Milliardenhöhe

Derzeit belaufen sich die Ausgaben der Kassen für patentfreie biologische Arzneimittel auf jährlich vier Milliarden Euro. Bei einem GKV-Gesamtmarkt in Höhe von 39,4 Milliarden Euro entspricht das einem Marktanteil von zehn Prozent. Die Krankenkassen hoffen auf Einsparungen in Höhe von knapp drei Milliarden Euro. Dabei schielen sie nach Großbritannien oder Norwegen und hoffen, dass sich die dortigen Preisnachlässe von bis zu 70 Prozent auch hierzulande einstellen werden.
Der Preisverfall bei Adalimumab liegt bei 37 Prozent. (6)


Unter ärztlichem Vorbehalt

Die Verordnung von Biosimilars stieß bei etlichen Ärzten auf Vorbehalte - und tut es vereinzelt sicher nach wie vor. Trotz aller Prüfungen lassen sich die Bedenken, dass es bei biologisch beziehungsweise biosimilar hergestellten Arzneimitteln Unterschiede in der Wirkung geben könnte, nicht ganz ausräumen. Noch herrschen Unsicherheiten bei Ärzten und natürlich auch den Patienten, wenn von einem bewährten Medikament auf ein Neues umgestellt werden soll. Es gibt noch kaum Switch-Studien, also Studien, die einen Wechsel von einem Originalpräparat auf ein Biosimilar untersuchen. Langzeitstudien zu den Biosimilars liegen noch nicht vor. Offene Fragen stellen sich in der Praxis beispielsweise auch hinsichtlich der richtigen Dosierung. Die Ärzte beklagen zudem, dass die Beratung der Patienten erheblich mehr Zeit in Anspruch nehme, die nicht vergütet werde. Weil viele Patienten eine Umstellung skeptisch sehen, dauere eine Beratung durchaus zusätzliche 20 Minuten.
Auch das Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigungen ist bislang völlig verschieden. Die einen agieren sehr aufgeschlossen, die anderen eher zurückhaltend. (2), (4), (7), (8)





Fallbeispiele

Roche: 2018 musste Roche hierzulande rund 308 Millionen Euro Umsatz an generische Wettbewerber seiner Krebs-Antikörper Rituximab (MabThera®) und Trastuzumab (Herceptin®) abgeben. (9)

Amgevita: In der Dermatologie ist zur Behandlung von Schuppenflechte seit Kurzem das Adalimumab-Biosimilar AMGEVITA als systemische Therapieoption bei Patienten mit Plaque-Psoriasis auf dem deutschen Markt verfügbar. (10)

Trastuzumab: Die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA ließ vor kurzem mit Ontruzant" (Trastuzumab-dttb) den dritten Nachbau des ursprünglich von Roche entwickelten Krebsantikörpers (Herceptin®) zu. In Europa ist Ontruzant® seit November 2017 zugelassen. (11)

Auch Trastuzumab-Similars von Mylan und Biocon (Ogivri") sowie von Celltrion und Teva (Herzuma") wurden für den amerikanischen Markt zugelassen. (11)


Zahlen & Fakten


Derzeit (Stand November 2018) sind in der EU insgesamt 52 Biosimilars für 15 Referenzprodukte zugelassen.
Acht Wochen nach Markteintritt, also in der 49. Kalenderwoche 2018, erreichten die vier in Deutschland verfügbaren Adalimumab-Biosimilars 28 Prozent Verordnungsanteil.
Der Preisabstand zum Originalprodukt Humira® beträgt in etwa 40 Prozent.
Humira® erzielte zuletzt rund eine Milliarde Euro GKV-Jahresumsatz und gilt weltweit als einer der größten Blockbuster in der Pharmageschichte.
Bislang entfällt auf Biosimilars im biosimilarfähigen Marktsegment ein Anteil von etwa elf Prozent. (12)


Weiterführende Literatur:

(1.) Biologika Die Revolution In Der Medizin
aus "Gesünder Leben" Nr. 03/2019 vom 08.03.2019 Seite 30,31,32,33,34

(2.) Biosimilars: Die Umstellung ist zeitaufwendig
aus Deutsches Ärzteblatt 11/116 vom 15.03.19 Seite 512

(3.) Biosimilar-Verordnung hat sich 2018 fast verdoppelt
aus Ärzte Zeitung, Heft 22-37/2019, S. 12

(4.) Europa in der Vorreiterrolle
aus "Pharmaceutical Tribune" Nr. 01/2019 vom 23.01.2019 Seite 4

(5.) Arzneimittel: Bundesregierung will Versorgung sicherer machen
aus Deutsches Ärzteblatt 6/116 vom 08.02.19 Seite 234

(6.) Einsparpotenzial in Milliardenhöhe
aus PZ Pharmazeutische Zeitung vom 07.02.2019 Seite 14

(7.) Biosimilars: Experten für Vergütung von Arztgesprächen
aus Deutsches Ärzteblatt 5/116 vom 01.02.19 Seite 180

(8.) Biosimilars: Strategien für die Versorgung
aus Ärzte Zeitung, Heft 30/2019, S. 4

(9.) Roche kämpft weiterhin mit Biosimilars
aus Ärzte Zeitung, Heft 17-29/2019, S. 14

(10.) Adalimumab-Biosimilar Amgevita: Zielorientierte Therapie
aus Deutsches Ärzteblatt 11/116 vom 15.03.19 Seite [33]

(11.) Trastuzumab: FDA gibt drittem Similar grünes Licht
aus Ärzte Zeitung, Heft 13/2019, S. 8

(12.)Adalimumab: Similars kommen gut in den Markt
aus Ärzte Zeitung Nr. 8-14 von 2019

Anja Schneider

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 03 vom 26.03.2019
Dokument-ID: s_pha_20190326

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