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Zu viel Nitrat im Wasser - EU verklagt Deutschland am Europäischen Gerichtshof

UMWELTMANAGEMENT | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 05 vom 17.05.2016


Peinlich, peinlich und potenziell auch teuer

Die Europäische Kommission hat die Faxen dicke: Sie hat vor kurzem Deutschland verklagt, weil das Land ihrer Meinung nach die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie missachtet und sich folglich viel zu wenig um den Schutz seiner Gewässer kümmert. Für die Bundesregierung, die sich gerne als Musterschülerin in Sachen Umweltschutz aufspielt, ist das ein Schlag ins Gesicht, oberpeinlich und potenziell auch teuer. Denn gibt der Europäische Gerichtshof der Klage Recht, richtet sich die Höhe der Strafe nicht nur nach der Dauer und Schwere des Vergehens, sondern auch danach, wie viel Geld der Übeltäter in der Kasse hat. (1), (2), (4)


Krebserreger Nitrit

Im Detail wirft die Europäische Union den Verantwortlichen Folgendes vor: Sie bekämen die zunehmende Nitratbelastung des Grundwassers und der Oberflächengewässer einschließlich der Ostsee nicht in den Griff. Die EU bezieht sich mit ihrem Vorwurf auf Zahlen aus dem Jahr 2012 sowie auf aktuelle Berichte aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die eine zunehmende Nitratbelastung der oben genannten Gewässer bestätigen. Zwar ist Nitrat für Erwachsene kaum gesundheitsgefährdend, potenziell sehr gefährlich ist aber das Nitrit, zu dem es unter Umständen umgewandelt wird, wenn es in den Organismus gelangt. Nitrit kann zu Sauerstoffmangel in Organen führen und gilt außerdem als krebserregend. Vor allem Säuglinge und Menschen mit einer anfälligen Darmflora sind besonders betroffen. (1), (2), (4), (6), (7)


Sündenbock Landwirtschaft

Verantwortlich für die hohen Nitratwerte in deutschen Gewässern soll vor allem die Landwirtschaft sein. Um das Pflanzenwachstum anzuregen, bringen hiesige Bauern riesige Mengen Gülle und Kunstdünger auf ihren Feldern aus. Was riesig in diesem Zusammenhang heißt, lässt sich am besten mit folgenden Zahlen verdeutlichen: In Deutschland produzieren rund 27 Millionen Schweine und 13 Millionen Rinder Jahr für Jahr zirka 200 Millionen Tonnen nitratreicher Gülle, die selbst über den Umweg von Biogasanlagen irgendwann im Boden landet. Was für die Landwirtschaft ein Segen ist, trägt in Gewässern zur Algenwucherung und daher letztendlich zur Erstickung einer variantenreichen Flora und Fauna bei - neben der Gesundheitsgefährdung von Menschen ist das ein weiterer Aspekt, warum der Nitratspiegel in Gewässern möglichst niedrig bleiben sollte. Angesichts der Pauschalverurteilung der Landwirte versteht es sich fast von selbst, dass die so arg Gescholtenen sich nicht alleine den Schwarzen Peter zuschieben lassen wollen. (5), (7)



Trends


Bundesregierung will Düngeverordnung novellieren

Die Bundesregierung ist bereits dabei, die Düngeverordnung zu novellieren. Sie enthält laut Umweltministerium entscheidende Optimierungen, die einen besseren Schutz der Gewässer garantierten. Allerdings steht noch nicht fest, ob die neue Düngeverordnung tatsächlich wie geplant im Herbst dieses Jahres in Kraft treten kann. Die EU-Kommission hat bei einigen Punkten, die ihr unklar sind, nachgehakt und um Stellungnahme gebeten. Es wird darauf hinauslaufen, dass sie noch bessere Sicherheitsmaßnahmen für die Reinhaltung der Gewässer fordern wird. Nervös ist indessen der Bauernverband. Er hofft für seine Mitglieder, dass die Neuregelungen nicht über das Ziel hinausschießen und entsprechend realitätsnah bleiben werden. (1), (2)



Fallbeispiele


Vertracktes Thema

Bayerische Wasserversorger warnten anlässlich einer Tagung, die sie vor kurzem mit dem Bayerischen Gemeindetag in Rothenburg ob der Tauber organisiert hatten, vor einer noch stärkeren Belastung des Grundwassers mit Nitrat. Gefährdet seien vor allem die Weinanbaugebiete in Unterfranken, Teile von Mittelfranken und Schwaben, niederbayerische Flächen um Straubing und Landshut sowie in der Oberpfalz ein Streifen Landes, der von Amberg bis Regensburg reicht. Als relativ gut beschrieben sie dagegen die Lage in Oberbayern.

Wie vertrackt die Diskussion rund um das Thema Wasser ist, zeigte die Zusammenkunft ebenfalls. Die Bauern, die in der Regel als Schuldige ausgemacht werden, wenn es um hohe Nitratwerte im Wasser geht, wehrten sich dagegen, als alleinige Sündenböcke gebrandmarkt zu werden. Sie wiesen darauf hin, dass Industrie, Verkehr und eine lecke Kanalisation ebenfalls einen Anteil an der Misere hätten. In welchem Konflikt sich die Gemeinden befinden, wurde auf der Tagung ebenfalls deutlich. Natürlich sind sie auf hochwertiges Wasser angewiesen. Allerdings bedeutet eine Ausdehnung der Schutzgebiete gleichzeitig eine Einengung der Bau- und Gewerbeflächen. In der Konsequenz führt dies zu einer Stagnation der Gemeindeentwicklung. (6), (7)

Noch ist die Frage offen, ob europäische Bauern in Zukunft auch über den Juni 2016 hinaus das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat verwenden dürfen. Für einige Kritiker wäre ein Verbot ein Erfolg, da sie von der Kanzerogenität von Glyphosat überzeugt sind. Andere weisen jedoch darauf hin, dass ein Verzicht auf das Mittel den Nitratgehalt im Wasser nach oben treiben würde. Sie führen dafür folgende Begründung an: Ohne Glyphosat müssten Landwirte den Boden öfter umpflügen, um der Unkrautwucherung auf natürliche Weise Einhalt zu gebieten. Die Erde käme so allerdings mit mehr Sauerstoff in Kontakt. Dies wiederum würde zu einer natürlichen Reaktion mit dem im Humus enthaltenen Stickstoff führen, der zu Nitrat umgewandelt würde. (3)


Fakten rund ums Wasser

In Bayern werden rund 90 Prozent des Trinkwassers aus dem Grundwasser gewonnen. Bedenklich aus bayerischer Sicht: Neben Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist in Deutschlands südlichstem Bundesland die Nitratbelastung des Grundwassers besonders hoch. (4), (6)

Die Europäische Nitratrichtlinie ist seit 1991 in Kraft. Deutschland hat sich als Mitunterzeichner der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die im Jahr 2000 verabschiedet wurde, dazu verpflichtet, sich besonders für den Gewässerschutz einzusetzen. Mit der Trinkwasserverordnung aus dem Jahr 2001 hat die Bundesrepublik eine Obergrenze von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Trinkwasser festgelegt. Dieser Wert ist noch nicht einmal besonders ambitioniert. In der Schweiz beläuft sich die entsprechende Zahl auf 25 Milligramm pro Liter Wasser. (4), (7)

Zu viel Dünger vergiftet das Wasser. Um es so aufzubereiten, dass es unbedenklich trinkbar ist, sind teure Maßnahmen erforderlich. Zwischen acht und 25 Milliarden Euro verschlingen sie pro Jahr. Das ärgert den Verbraucher: Er muss die Kosten tragen und nicht der Verursacher. (4)



Weiterführende Literatur:

(1.) Mangelnder Umweltschutz. EU-Kommission verklagt Deutschland
aus Handelsblatt online vom 28.04.2016

(2.) Der EU-Kommission reißt der Geduldsfaden
aus agrarzeitung 18 vom 06.05.2016 Seite 002

(3.) Gleiches Recht für alle Bauern
aus agrarzeitung 18 vom 06.05.2016 Seite 002

(4.) Große Sorge um das Grundwasser
aus Die Kitzinger vom 07.05.2016, S. 16

(5.) "Landwirte werden pauschal verurteilt"
aus Bramscher Nachrichten, 09.05.2016, Seite 12

(6.) Wein- und Hopfenanbau gefährden Wasser
aus Bramscher Nachrichten, 09.05.2016, Seite 12

(7.) Schlag ins Wasser
aus Coburger Tageblatt vom 12.05.2016, S. 2

Harald Reil

Metainformationen

Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 05 vom 17.05.2016
Dokument-ID: c_umwelt_20160517

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