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Platooning - wenn Lkw automatisch im Konvoi fahren

PRODUKTION, MATERIALWIRTSCHAFT & LOGISTIK | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 05 vom 24.05.2019


Trucks sind mit einer "virtuellen Deichsel" verbunden

Logistikexperten verstehen unter Platooning eine Kolonne von Fahrzeugen, bei der mindestens zwei Lastwagen auf der Autobahn in äußerst geringem Abstand hintereinanderfahren. Richtung und Geschwindigkeit werden vom führenden Lkw bestimmt, die nachfolgenden Fahrzeuge folgen und stehen mit den anderen Trucks durch digitale Fahrassistenz- und Steuerungssysteme in Verbindung. Wenn der erste Lkw beschleunigt, lenkt oder bremst, reagiert das nachfolgende Fahrzeug automatisch in unmittelbarer Folge mittels der übertragenen Daten. Der aus dem Englischen stammende Begriff Platooning, der ursprünglich einen Zug von Soldaten beim Militär bezeichnet, weist bei dieser Innovation im Straßenverkehr auf die militärische Disziplin der im Konvoi fahrenden Lkw hin. Am Ziel oder an Gefahrenstellen löst sich ein Platoon wieder auf. Auch in den hinteren Lkw sitzt vorerst jeweils ein Fahrer, der aber im besten Fall in der Kolonne eine Ruhepause einlegt. (1), (2)


Vorteile des Platooning

Da die Fahrzeuge im Konvoi den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand durch Sondergenehmigung der Verkehrsbehörden deutlich unterschreiten dürfen, können sie im Windschatten ihren Spritverbrauch erheblich senken. Der geringere Windwiderstand erlaubt nach Angaben der Systementwickler eine Einsparung an Treibstoff von bis zu zehn Prozent. Gleichzeitig verspricht der reduzierte Abstand mehr Platz auf den zunehmend verstopften Autobahnen. Zum Vorteil wird damit eine verbesserte Nutzung des vorhandenen Verkehrsraumes auf Autobahnen. Außerdem rechnen Experten mit einer Erhöhung der Verkehrssicherheit in digital geführten Kolonnen. (2), (3), (4)

Platooning stellt aber auch neue Anforderungen an die Berufskraftfahrer. Der Fahrer im Führungs-Lkw muss schließlich für alle nachfolgenden Fahrzeuge mitdenken und -lenken. Gleichzeitig besteht für die anderen Fahrer die Gefahr, dass ein passives Überwachen des Verkehrsgeschehens auch ermüdend sein kann. (5)


Zwischenbilanz nach Feldversuch

Vor Kurzem wurde der erste große Feldversuch im deutschen Straßenverkehr auf der Autobahn A 9 zwischen München und Nürnberg beendet (siehe auch Fallbeispiel). Insgesamt legten die Lastwagen in dem Experiment mit Namen "Elektronische Deichsel - Digitale Innovation" (EDDI) 35 000 Kilometer ohne Unfall zurück. Als positive Ergebnisse wurden die Verkehrssicherheit, die Zuverlässigkeit und die prinzipielle Einsetzbarkeit von Platooning-Systemen im Logistikalltag hervorgehoben. Darüber hinaus konnten wichtige Erkenntnisse zur Praxis des automatisierten Fahrens gewonnen werden. Als weniger erfreuliches Resultat ergab der Versuch, dass unter den derzeitigen Bedingungen die wirtschaftlichen Vorteile der Technik erheblich geringer ausfallen als prognostiziert. Statt der erwarteten zehn Prozent Ersparnis an Treibstoff konnten nach Angaben der Hersteller nur drei bis vier Prozent weniger Dieselverbrauch gegenüber einem allein fahrenden Lkw verzeichnet werden. Das Bundesverkehrsministerium beabsichtigt, die Technik weiterhin zu fördern, sieht aber noch Klärungsbedarf wie beispielsweise den Sicherheitsabstand zwischen den Lastwagen. (1), (4), (6), (8)



Trends


Großes Potenzial - erheblicher Forschungsbedarf

Autonome Laster ohne Fahrer können eine Zeitenwende im Gütertransport einleiten und stellen durchaus eine realistische Vision dar. Eine Vorstufe dafür bildet das Platooning, wobei allerdings bis zur Marktreife des Verkehrskonzepts noch zirka zehn Jahre vergehen werden. Nach Meinung von Experten stehen der Umsetzung aus heutiger Sicht keine wesentlichen technischen Probleme im Weg. Trotzdem gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf.

Es gilt, gemeinsame Standards für die Schnittstellen und Systeme zu entwickeln, weitere Erfahrungen und Daten zu sammeln und eine Regulierung in Europa zu erreichen. Weiterhin müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen und konkrete Logistik-Geschäftsmodelle entwickelt werden. Nur so können möglichst viele Logistikunternehmen an Platooning-Systemen teilnehmen und von den Vorteilen profitieren. (3), (4), (5), (6)

Offen sind bislang auch zahlreiche Fragen der Infrastruktur. Für den Platooning-Verkehr bieten sich insbesondere kreuzungsfreie Fernstraßen wie Autobahnen beziehungsweise die Highways in den USA oder in Skandinavien an. Es besteht zum Beispiel Klärungsbedarf, ob die Brücken für die Belastung durch mehrere beladene Lkw ausgelegt sind. Für die praktische Umsetzung müssen darüber hinaus passende Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen vorhanden sein, damit Pkw an einem Platoon vorbeifahren können.(5)



Fallbeispiele


Schenker und MAN haben Platooning erfolgversprechend getestet

Die Logistik-Tochter der Bahn, Schenker, sowie MAN haben Platooning in einem ersten Großprojekt, das vom Bundesverkehrsministerium mit knapp zwei Millionen Euro gefördert wurde, gemeinsam mit der Hochschule Fresenius auf der Autobahn A9 zwischen München und Nürnberg getestet. Die Technik sei erfolgversprechend. Man geht bei Schenker davon aus, dass etwa 40 Prozent der gefahrenen Kilometer im euroweiten Transportnetz der Spedition durch Einsatz von Platoons übernommen werden könnten. Auch MAN bestätigt, dass die technische Umsetzung von Platooning durchaus machbar sei. Auf der Teststrecke war ein manueller Eingriff der Fahrer in die Steuerung der Lkw nur alle 2 000 Kilometer erforderlich.(2), (3)


Daimler verabschiedet sich vom Thema Platooning

Der Daimler-Konzern hat vergleichbare Tests in den USA durchgeführt und bereits im Januar 2019 seinen Ausstieg aus dem Projekt Platooning verkündet. Die Ergebnisse hatten gezeigt, dass die Einsparungen selbst unter optimalen Platooning-Bedingungen (Langstreckenfahrten in den USA) in der Praxis geringer ausfallen als erhofft. Daimler will sich stattdessen ganz auf die Entwicklung voll autonom fahrender Lkw konzentrieren. Probleme liegen dabei offenbar nicht in der Technik, sondern eher in den Anforderungen im Alltagsbetrieb. In der Praxis müssen die im Konvoi fahrenden Trucks immer wieder neu zusammenfinden, wenn zum Beispiel das Führungsfahrzeug ausschert oder ein Fahrer eine Pause machen muss. Außerdem werden die Verbrauchswerte negativ beeinflusst, wenn Fahrzeuge abgebremst und wieder beschleunigt werden müssen, um unterschiedlichen Fahrzeuggewichten, Ladungen und Motorleistungen im Konvoi Rechnung zu tragen. (4), (7), (8)



Weiterführende Literatur:

(1.) Platooning
aus Süddeutsche Zeitung, 11.05.2019, Ausgabe München, Bayern, Deutschland, S. 4

(2.) Laster ohne Fahrer
aus Lebensmittel Zeitung 1 vom 04.01.2019 Seite 021

(3.) Lkw fahren automatisch Kolonne
aus Der Tagesspiegel vom 11.05.2019, Seite 18

(4.) Platooning auf dem Prüfstand
aus VDI NR. 20 VOM 17.05.2019 SEITE 25

(5.) Platooning - was sind die Vorteile, wenn Lkw dicht auffahren?
aus BA Beschaffung aktuell, Heft 10, 2018, S. 52

(6.) Sprit-Spar-Traum geplatzt
aus Verkehrs Rundschau, Heft 20/2019, S. 18-19

(7.) Spritersparnis enttäuschend
aus DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung, Heft 20/2019, S. 11

(8.) Laster am Schnürchen
aus Süddeutsche Zeitung, 18.05.2019, Ausgabe München, Bayern, Deutschland, S. 72

Anja Schlatt

Metainformationen

Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 05 vom 24.05.2019
Dokument-ID: c_produktion_20190524

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