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One Belt, One Road - Chinas neues Superprojekt macht den Rest der Welt nervös

STRATEGIE | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 01 vom 29.01.2019


Zu gut, um wahr zu sein

Es klingt zu gut, um wahr zu sein, und wahrscheinlich ist es das auch nicht. Das chinesische Superprojekt One Belt, One Road, das heute offiziell unter dem Namen Belt and Road Initiative (BRI) firmiert, möchte an die glanzvollen Zeiten der alten Seidenstraße, die von der Antike bis zum Mittelalter auf rund 6 400 Kilometern China mit dem Mittelmeer verband, anknüpfen und die Handelsbeziehungen zwischen dem Osten und dem Westen weiter intensivieren. Die interkontinentale Zusammenarbeit soll sich nach dem Willen der Chinesen auf über 60 Nationen in Afrika, Asien und Europa erstrecken. Rund zwei Drittel der Menschheit würden davon profitieren, so zumindest behauptet es das Reich der Mitte.

In Deutschland hat diese Initiative auch unter dem Namen Neue Seidenstraße Schlagzeilen gemacht. Vorangetrieben wird das Projekt zu Wasser und zu Land. Die Schwerpunkte sind der Auf- und Ausbau des Transportwesens, der Energieversorgung und der Telekommunikation. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass China nicht nur wirtschaftliche Motive verfolgt, sondern auch militärstrategische. Letztendlich gehe es dem Land um die Vormachtstellung in der Welt. (1), (2)


Xi Jinpings schöne neue Welt

Offiziell kann davon natürlich keine Rede sein. Im Gegenteil. In einem weltweit viel beachteten Vortrag, den Präsident Xi Jinping vor einigen Jahren an der kasachischen Nasarbajew Universität gehalten hat, klang es fast so, als könne das One-Belt-One-Road-Projekt seines Landes ein utopisches Zeitalter einläuten, das endlich den Frieden auf Erden garantieren würde. Im Hinblick auf die Geschichte der alten Seidenstraße meinte er, auch die neuen, noch intensiveren Handelsverflechtungen könnten Kulturen enger zusammenführen und eine Zusammenarbeit fördern, die von gegenseitigem Vertrauen, Gleichheit, Toleranz sowie wechselseitigem Lernen geprägt sei; dies alles seien mögliche Entwicklungen, die im Erfolgsfall tatsächlich allen beteiligten Nationen zugutekommen würden. (2)


Chinas System der Abhängigkeiten

In der Praxis sieht es allerdings so aus, dass die Chinesen andere Staaten von sich abhängig machen. Sie bauen Straßen, verlegen Eisenbahnschienen, legen Pipelines an, stampfen Flughäfen aus dem Boden, errichten neue Städte und verschaffen sich damit Einfluss auf die Infrastruktursysteme der Länder, in denen sie tätig sind. Der größte brasilianische Energieversorger ist beispielsweise State Grid und kommt aus China. Mit dem Geld, das die Chinesen in Länder stecken, mit denen es zusammenarbeitet, schafft es politische Abhängigkeiten, die es auch dazu nutzen könnte, um ihre militärische Schlagkraft zu erhöhen.

Ein Beispiel sind die Hafenprojekte in Pakistan und Sri Lanka. Oder noch genauer formuliert: Es gibt Befürchtungen, dass China die Häfen nicht nur kommerziell, sondern auch für die heimische Marine nutzen könnte. Das amerikanische Verteidigungsministerium hat entsprechende Bedenken bereits öffentlich geäußert. (3), (9)



Trends


Asia-Africa Growth Corridor

Indien und Japan sind nur zwei der Länder, die Chinas Neue-Seidenstraßen-Strategie mit Misstrauen beobachten. Sie wollen das Expansionsstreben des mächtigen Nachbarn mit einem Gegenentwurf beantworten, den sie Asia-Africa Growth Corridor (AAGC) genannt haben. Diese wirtschaftspolitische Initiative deckt sich dementsprechend auch mit vielen geografischen Regionen und Kooperationsfeldern, die die Chinesen in ihrer Agenda abgesteckt haben. Insbesondere sollen auch afrikanische Staaten in die Zusammenarbeit miteinbezogen werden. (4)


Geld für Autokraten

China verschafft sich mit seinem Riesenprojekt nicht nur eigene wirtschaftliche und militärstrategische Vorteile, was von misstrauischen Beobachtern mit wachsender Nervosität vermerkt wird. Das Reich der Mitte zieht auch noch in anderer Hinsicht den Unmut von Kritikern auf sich; denn die Machthaber vergeben großzügig Kredite an autokratisch geführte Staaten, wenn es ihnen opportun für ihren ehrgeizigen Ausbau des Handels- und Infrastrukturnetzes scheint. Angesichts der Tatsache, dass China selbst autokratisch geführt wird, ist diese Praxis allerdings nicht verwunderlich, auch wenn sie natürlich bedenklich bleibt.

Frei von Doppelmoral ist diese Kritik jedoch nicht. Denn auch demokratisch geführten Staaten ist die Kooperation mit autoritären Regimes nicht fremd. Man denke nur an den florierenden Waffenhandel mit Saudi-Arabien, dem auch die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi zumindest in den meisten Fällen nichts anhaben konnte. (5), (6)


Wissenschaftler warnen vor Gefahr für Ökosysteme

Ein Aspekt, der bei der Diskussion um das Neue-Seiden-Straßen-Projekt Chinas eher im Hintergrund steht, der aber dennoch wichtig ist, sind die potenziellen negativen Auswirkungen auf die Natur. Wissenschaftler befürchten, dass durch den Ausbau der Infrastruktur in verschiedenen Weltregionen fremde Arten eingeschleppt und die heimischen Ökosysteme dadurch gefährdet werden könnten. Veröffentlicht haben die Forscher, zu denen auch Fachleute der chinesischen Akademie der Wissenschaften zählen, ihre Erkenntnisse in dem Magazin Current Biology. Sie fordern einen Sonderfonds für ein Projekt, "das auf frühe Vorbeugung, schnelle Reaktion und wirksame Kontrolle fremder Arten in BRI-Ländern abzielt, um sicherzustellen, dass die Entwicklung nachhaltig ist". (7)



Fallbeispiele


Kein Hafen für den Handel

Dass China mit seinem Neuen-Seidenstraßen-Projekt neben wirtschaftlichem Hegemoniestreben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch militärstrategische Pläne verfolgt, zeigt ein Beispiel aus Sri Lanka. Dort bauten die Chinesen an der Südküste des Landes, in Hambantota, einen Hafen, obwohl von Anfang an klar gewesen war, dass sich dieser wirtschaftlich kaum rentieren werde. Sri Lanka jedenfalls ist nun bei den Chinesen so hoch verschuldet, dass es den Hafen für 99 Jahre zur Nutzung an China abgetreten hat. Kaum jemand glaubt, dass das Reich der Mitte ihn für kommerzielle Zwecke nutzen wird. Nervös ist unter anderem Indien, zumal in den vergangenen Jahren immer wieder chinesische U-Boote an der Küste Sri Lankas gesichtet worden sind. (8)


Das Riesenprojekt in Zahlen

Welche Dimensionen die Neue-Seiden-Straßen-Initiative der Chinesen hat, lässt sich am einfachsten mit ein paar Zahlen belegen. Da sich das Riesenprojekt in einer Vielzahl kleinerer Projekte auffächert, stehen auch unterschiedliche Geldquellen zur Verfügung. Insgesamt beläuft sich die Summe auf 1 000 Milliarden US-Dollar. Allein die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) ist mit einem Startkapital von 100 Milliarden US-Dollar ausgestattet. Der sogenannte Seidenstraßen-Fonds verfügt über eine Summe von 40 Milliarden US-Dollar. Dagegen nehmen sich die zehn Milliarden Euro des China Central Europe Fund, der für Investitionen in Infrastruktur, Hochtechnologie und Konsumgüter in Mittel- und Osteuropa aufgelegt wurde, fast schon mickrig aus. Die Chinesen haben überdies rund 100 Länder und Organisationen aufgerufen, sich an diesem Projekt zu beteiligen. (1), (10)



Weiterführende Literatur:

(1.) "Neugier führt immer weiter als Arroganz und Besserwisserei"
aus "Verkehr" Nr. 49/2018 vom 07.12.2018 Seite 8

(2.) Mythos Seidenstraße - Teil 1: Hintergrund und Befindlichkeiten
aus "Verkehr" Nr. 01-04/2019 vom 25.01.2019 Seite 8

(3.) China, wir und die neue Aufteilung der Welt
aus Focus vom 26.01.2019, Nr. 5, S. 44-56

(4.) The challenge to China's New Silk Road
aus Focus vom 26.01.2019, Nr. 5, S. 44-56

(5.) Weltweiter Widerstand
aus DIE WELT, 18.01.2019, Nr. 15, S. 7

(6.) Schwieriger zweitgrößter Waffenkunde der Welt
aus "Der Standard" vom 22.11.2018 Seite: 3

(7.) Bedroht neue Seidenstraße das Ökosystem?
aus Mitteldeutsche Zeitung vom 26.01.2019 Seite 29

(8.) China sichert sich Hafen in Sri Lanka
aus Täglicher Hafenbericht, Heft 244/2018, S. 13

(9.) China arbeitet sich im Indischen Ozean vor
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.01.2019, Nr. 15, S. 23

(10.) Der chinesische Masterplan
aus Die Zeit vom 24.01.2019, Nr. 5, S. 6

Harald Reil

Metainformationen

Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 01 vom 29.01.2019
Dokument-ID: c_strategie_20190129

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