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Mitarbeiterbindung stärken - durch Förderung, Flexibilität und Wertschätzung

PERSONAL | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 07 vom 19.07.2018


Mitarbeiter binden statt finden

Boomender Arbeitsmarkt und fehlender Nachwuchs haben die Mitarbeitersuche für die Unternehmen schwieriger werden lassen. Zudem steht der Renteneintritt der Baby-Boomer-Generation bevor, der die Verknappung der Ressource Mensch noch weiter verschärfen wird. Die Gedanken kreisen daher immer mehr darum, wie sich die vorhandene Belegschaft halten lässt. Mitarbeiterbindung - auch bezeichnet als Retention - wird zugleich auch deshalb immer wichtiger, weil die investierten Gelder in die Weiterqualifikation verloren sind, sobald der Kollege/die Kollegin der Firma den Rücken zukehrt. Weitere Kosten entstehen in der Anfangszeit, wenn neue Mitarbeiter eingearbeitet werden müssen und noch nicht voll einsetzbar sind.

Mitarbeiterbindung beginnt damit, dass sich das Unternehmen um die Zufriedenheit der Belegschaft kümmert. Hier gibt es einiges zu tun. So zeigt die viel zitierte Gallup-Studie auf, dass sich ein erschreckend hoher Anteil in der inneren Kündigung befindet und daher bestenfalls Dienst nach Vorschrift verrichtet. Nur 15 Prozent der Angestellten sollen Gallup zufolge mit innerer Motivation zu Werke gehen, 70 Prozent fühlen sich emotional nur wenig mit dem Unternehmen verbunden. Hauptursache für unzufriedene Mitarbeiter ist das Verhalten von Führungskräften und Vorgesetzten.

Eine Studie des ADP Research Institute unterstreicht den Befund. Demnach fühlen sich nur 57 Prozent der Mitarbeiter in ihren Unternehmen wirklich anerkannt und wertgeschätzt. Zudem wurde ermittelt, dass viele Unternehmen ihre Leistungen bei der Förderung junger Talente stark überbewerten. 72 Prozent der Unternehmen bezeichnen das eigene Talent Management als sehr gut, während es bei den Arbeitnehmern nur 43 Prozent sind, die die Bemühungen ihres Unternehmens in diesem Bereich positiv sehen.

Recht unterschiedlich ist die Wahrnehmung auch beim Thema Karriereplanung. Nur 45 Prozent der Mitarbeiter geben an, dass sie in ihrem Unternehmen eine klare Karriereperspektive haben. Demgegenüber glauben 70 Prozent der Unternehmen, besonders viel für die Karriereambitionen ihrer Belegschaft zu tun. (1), (2), (7)


Mitarbeiterbindung durch Talent Management

Viele Ansätze zur Stärkung der Mitarbeiterbindung kommen aus dem sogenannten Talent Management. Die Disziplin hat zum Ziel, geeignete Talente auch unter den bereits vorhandenen Mitarbeitern aufzuspüren und gezielt zu fördern. Hierdurch wird das Unternehmen bei der Suche nach Fachkräften entlastet, zum anderen sorgt die Förderung für stärkere Bindung an das Unternehmen. Allerdings ist ein gekonntes Talent Management keine leichte Herausforderung. Sollen begabte Mitarbeiter gehalten werden, muss für sie das passende Umfeld geschaffen werden. Sie sollen ihre Fähigkeiten ausschöpfen können, Verantwortung übernehmen dürfen und spüren, dass sie wertgeschätzt werden. Vorgesetzte stehen zudem vor der Aufgabe, nicht durch Autorität zu drangsalieren, sondern für ein Klima zu sorgen, das motiviert. (2)


Junge Talente wollen New Work

Junge Talente sind damit die eigentlichen Taktgeber, wenn es um die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Aufgaben geht. Die sogenannten Digital Natives wissen, was sie wollen, kennen die Situation des Arbeitsmarkts und können darum Bedingungen stellen. Den Arbeitgeber stellt die selbstbewusste neue Generation damit vor die Aufgabe, sich insbesondere mit jenen Ideen auseinanderzusetzen, die dem Kosmos von New Work entstammen. Der Begriff ist zwar unscharf gefasst, gleichwohl verbergen sich dahinter all jene Veränderungen der Arbeitsorganisation, die für junge Talente besonders interessant sind. So steht New Work für flexible Arbeitszeitmodelle genauso wie für offene Kommunikation, Teilhabe, flache Hierarchien und eine motivierende Arbeitsatmosphäre. Hinzu treten die spezifischen Elemente aus dem Talent Management wie individuelle Förderung, die Erlaubnis zur Verantwortung und motivierende Karriereaussichten. (2)


Emotionale Bindung braucht Wertschätzung

Vorrangige Voraussetzung für eine hohe Identifikation des Mitarbeiters mit dem Unternehmen ist die ihm entgegengebrachte Wertschätzung. Hierüber ist schon viel geschrieben worden, gleichwohl bleibt die Sache schwierig. Wertgeschätzt zu sein, ist ein Gefühl, das sich allein durch pflichtschuldig ausgesprochenes Lob oder die Anerkennung auf der Weihnachtsfeier nicht erreichen lässt. Vielmehr zeigt sich Wertschätzung darin, dass Menschen etwas zugetraut wird, ihre Meinung eingeholt und auf ihre Anwesenheit wert gelegt wird. Ein solches Binnenverhältnis von Vorgesetzten zu Mitarbeitern stellt sich oft jedoch gar nicht oder höchstens gegenüber ausgesuchten Kollegen ein.

Wertschätzung zu vermitteln, bleibt damit eine Herausforderung an die emotionale Reife wie an die soziale Kompetenz von Führungskräften ebenso wie von Kollegen. Um andere anerkennen zu können, muss man mit sich selbst im Reinen sein. Doch auch dann bleibt es schwierig, denn eine grundlegende Wertschätzung beziehungsweise Achtung darf nicht abhängig gemacht werden vom Verhalten der betreffenden Person. So fällt Wertschätzung natürlich besonders schwer, wenn man den Kollegen nicht leiden kann - obwohl er gut arbeitet - oder ihn als Konkurrenten fürchtet. Nicht zuletzt drückt sich Wertschätzung in der Gehaltshöhe aus. Gerade selbstbewusste Talente, die ihren Wert kennen, erwarten eine angemessene Honorierung ihrer Leistungen. Lohngerechtigkeit ist damit ein weiterer wichtiger Baustein im Kontext von Wertschätzung, Arbeitszufriedenheit und emotionaler Bindung an das Unternehmen. (3)



Trends


Flexibilisierung der Arbeitszeit nimmt zu

In Beton gegossene Arbeitszeiten von neun bis fünf Uhr sind jungen Leuten wie auch manchen Älteren häufig ein Graus. Erwartet werden heute Modelle, die es erlauben, Kind, Familie und Lebensinteressen mit den Anforderungen des Jobs flexibel zu verweben. So bieten manche Unternehmen heute die Möglichkeit an, Home-Office-Tage einzulegen. Die Arbeit wird dann fallweise von zu Hause aus erledigt, was es beispielsweise erlaubt, für das Unternehmen auch dann tätig zu werden, wenn die Handwerker in der Wohnung sind oder das Kind Betreuung braucht.

Auch die Gewerkschaften tragen diesem wachsenden Bedürfnis der Menschen Rechnung. So hat die IG Metall für die Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie die Möglichkeit zur vorübergehenden Arbeitszeitreduzierung durchgesetzt. Das Bundesarbeitsministerium will dem Trend sogar mit gesetzlichen Regelungen entsprechen. Bisher haben es Arbeitnehmer, die in Teilzeit gehen, sehr schwer, wieder auf eine Vollzeitstelle zurückzugelangen. Da der Vollzeit-Job immer noch die Lieblingsbeschäftigungsform der Unternehmen ist, werden freie Vollzeitstellen schnell neu besetzt - womit dem Teilzeiter der Rückweg versperrt ist. Experten berichten zudem von dem Trend, dass Teilzeitarbeitsplätze - auch ohne Tarifbestimmungen und Gesetze - immer öfter sukzessive zu Vollzeitjobs werden, etwa indem der Teilzeitangestellte die Zeit zu Hause für das Home Office nutzt. (4)



Fallbeispiele


Nachwuchsarbeit bei Edeka und Bayer

Der Einzelhandel gilt infolge seiner schwierigen Arbeitszeiten nicht eben als Paradies für Arbeitnehmer. Die Supermarktkette Edeka zeigt, wie sich die Branche trotzdem für den Nachwuchs interessant machen kann. Das beginnt schon beim Recruiting: Edeka weiß um die nachlassende Reichweite von Annoncen und spricht Schüler und Berufserfahrene auf Online-Kanälen an. Die sogenannten Azubi-Wochen fördern Kreativität und Eigenverantwortung, denn in diesen Zeiträumen übernehmen die Auszubildenden das Kommando in den Märkten komplett. Auch die von jungen Talenten oft erwünschten Karriereperspektiven werden geschaffen, unter anderem in Form eines 18-monatigen Trainee-Programms. Dieses geht auf individuelle Interessenlagen ein und erstreckt sich über Fachbereiche vom Marketing bis zum Controlling. Sogar den immer noch wenig bekannten Trend der Gamification setzt Edeka für sein Talent Management ein. Hierfür gibt es eine Quiz-App, die auf spielerische Weise wertvolles Wissen vermittelt.

Der Chemiekonzern Bayer setzt für die Stärkung der Mitarbeiterbindung ebenfalls auf Förderung durch Bildungsmaßnahmen. Das Unternehmen bietet berufsbegleitende Masterstudiengänge nicht nur an, um gut ausgebildete Mitarbeiter zu erhalten, sondern um Perspektiven zu bieten und so die Loyalität zu stärken. (5), (6)



Weiterführende Literatur:

(1.) Die innere Kündigung
aus Personalmagazin, Heft 07/2018, S. 96

(2.) Mitarbeiter binden, Wissen sichern
aus wissensmanagement, Heft 2/2018, S. 22-23

(3.) Wertschätzung ist der Schlüssel zum Mitarbeiter
aus Fleischwirtschaft 6 vom 14.06.2018 Seite 070 bis 072

(4.) Kostbare Zeit
aus Personalwirtschaft, Heft 06/2018, S. 26-33

(5.) Mitarbeiterentwicklung: Talent Management wird individueller
aus www.lebensmittelzeitung.net vom 07.05.2018

(6.) Talente ans Unternehmen binden
aus Personalwirtschaft, Heft Sonderheft MBA/2018, S. 22-25

(7.) Das Nachhaltigkeitskonzept in HR - Im Rekrutierungsverfahren kaum von Bedeutung
aus PERSONALquarterly Nr. 03 vom 08.06.2018 Seiten 30 - 35

Robert Reuter

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Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 07 vom 19.07.2018
Dokument-ID: c_perso_20180719

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