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Alle Daten sind gleich - doch manche sind gleicher

INFORMATION & KOMMUNIKATION | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 01 vom 29.01.2018


Zweiklassengesellschaft im Internet

In den USA laufen seit über einem Jahr die Uhren anders. Donald Trump hat die politische und gesellschaftliche Landschaft gewaltig aufgemischt. Unter der Vielzahl der Neuerungen, Skandälchen und Skandale mag die Aufhebung der Netzneutralität vielleicht gar nicht so sehr hervorstechen, dennoch beginnt mit dieser Entscheidung ein neues Zeitalter. Das Internet, das die Demokratisierung der Welt vorantreiben sollte, hat aufgehört, ein Medium der Demokratisierung zu sein. Der Entscheid, den Ajit Pai, der von Trump ernannte Chef der US-Telekommunikationsaufsicht FCC, vor kurzem verkündete, hat die Zweiklassengesellschaft im Netz der Netze eingeführt, die jenen Unternehmen zugutekommt, die ohnehin schon mächtig und reich sind. Am besten lässt sich die neue Situation mit einem Satz paraphrasieren, dessen Grundidee George Orwells berühmter Parabel Animal Farm entnommen ist: Alle Daten sind gleich, doch manche sind gleicher. (1), (2), (3)


Großkonzerne werden immer mächtiger

Welche weitreichenden Folgen der Verlust der Netzneutralität nach sich zieht, lässt sich mit wenigen Sätzen erklären. Die Aufhebung der Netzneutralität kommt vor allem zwei Arten von Unternehmen zugute. Das sind einerseits die Provider wie Comcast, AT&T und Verizon, die sozusagen als Torwächter die Oberaufsicht zum Zugang des Internets haben. Andererseits sind es Großkonzerne wie Microsoft, Amazon, Google, Facebook, Spotify oder Netflix, die sich dank ihrer Marktmacht den Vorteil erkaufen können, dass ihre Daten schneller durch das Netz geleitet werden als die Daten anderer Firmen, die nicht über so viel Geld verfügen. Damit aber ist es mit der demokratischen Ordnung im Internet vorbei. Die Aufhebung der Netzneutralität, so befürchten Kritiker, wird zu einer Machtkonzentration führen, die Großkonzerne immer mächtiger werden lässt und kleinen Unternehmen den Aufstieg verwehrt, selbst wenn deren Leistungen vielleicht sogar besser sein sollten als jene der etablierten Anbieter. (2)


Scheinheilige Befürchtungen

Angesichts dieser Vorteile, die die Aufhebung der Netzneutralität Großkonzernen wie Google, Facebook, Amazon oder Netflix verschafft, scheinen die Befürchtungen dieser Unternehmen, sie müssten an die Provider jetzt noch mehr Geld als früher bezahlen, scheinheilig. Ihre Kriegskassen sind so gut gefüllt, dass sie sicherlich in der Lage sein werden, die Mehrkosten leicht zu verschmerzen. Die Vorteile, die sie von der Neuregelung erwarten dürfen, sind dagegen unbezahlbar. Und in der Tat sind ihre Stimmen, die sich vor wenigen Jahren noch laut gegen die Aufhebung der Netzneutralität erhoben haben, in letzter Zeit deutlich leiser geworden. (2), (3)


Ajit Pai rechtfertigt sich

Welch sensiblen Nerv die Entscheidung der US-amerikanischen Telekommunikationsbehörde FCC getroffen hat, zeigt allein die Tatsache, dass ihr Vorsitzender, Ajit Pai, Morddrohungen erhalten hat. Dieser hingegen argumentiert, dass die bisherige Regelung Investitionen in die Breitbandinfrastruktur verhindern würde. Und in der Tat sind die Ausgaben, welche die zwölf größten Internet-Service-Provider zwischen 2014 und 2016 getätigt haben, um 5,6 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen bedeutet das einen Rückgang um 3,6 Milliarden Euro. (5)


Klagen haben wenig Aussicht auf Erfolg

Die Entscheidung der Federal Communications Commission wird eine Klagewelle nach sich ziehen, die Provider, so Fachleute, noch rund ein Jahr davon abhalten wird, ihre Tarife anzuheben. Nutzen wird das den Klägern allerdings kaum etwas. Das Oberste Gericht der USA hat bereits klargemacht, dass die FCC in der Frage der Netzneutralität das alleinige Sagen hat. Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass das Urteil noch gekippt wird. (7)



Trends

Kritiker befürchten, dass Provider wie Comcast, die ebenfalls Dienste anbieten würden, in Zukunft ihre eigenen Services bevorzugen könnten. (2), (3)


Haben die USA Vorbildcharakter?

Sie warnen auch davor, dass die Regelungen, die in den USA getroffen worden sind, für die EU und damit ebenfalls für Deutschland Vorbildcharakter haben könnten. Europäische Konzerne könnten argumentieren, dass sie im Vergleich zu ihren amerikanischen Konkurrenten nun im Nachteil seien. Andrus Ansip, der Vizevorsitzende der EU Kommission, hat indessen die Bedenken bereits abgewiegelt. Er wies darauf hin, dass das offene Internet im EU-Recht verankert sei. (4)



Fallbeispiele


Nicht wasserdicht

Ganz so einfach, wie es Ansip darstellt, ist die Sache allerdings nicht. Die EU-Regulierung zur Netzneutralität muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie weniger wasserdicht ist, als ihre Verteidiger behaupten. Kritiker bemängeln zum Beispiel die sogenannten Zero-Rate-Tarife, die etwa auch die Deutsche Telekom anbietet. Dabei handelt es sich um Inhalte von Partnern wie Apple Music, Spotify, Netflix oder Amazon Prime, die das Unternehmen, ohne den Datenverkehr zu berechnen, an Kunden weiterleitet. Diesen Dienst, StreamOn genannt, hat die Bundesnetzagentur mittlerweile unter die Lupe genommen und folgende Verfügung getroffen: Die Telekom darf den Service zwar weiter anbieten, muss ihn aber auf das europäische Ausland ausdehnen.

Auch Vodafone hat ein Angebot vorgelegt, das die Bundesnetzagentur gerade prüft. Der sogenannte Vodafone Pass soll es Kunden, ähnlich wie bei der Telekom, ermöglichen, Angebote von bestimmten Partnern zu nutzen, ohne dass eine Berechnung des Datenverkehrs fällig wird. (4), (6)


Netzneutralität nicht selbstverständlich

Die Netzneutralität ist keineswegs selbstverständlich. In China ist sie zum Beispiel nicht existent. In Chile hingegen wachen die Behörden streng darüber, dass es keine Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebene Netzneutralität gibt. Singapur wiederum ist weitaus laxer. Dort kann es schon einmal vorkommen, dass die Bandbreite gedrosselt wird. (4)


Gegen den Willen der Bürger

Die FCC hat sich mit ihrer Entscheidung, die Netzneutralität aufzuheben, eindeutig gegen den Willen der Mehrheit der Bürger durchgesetzt. Umfragen vor der Neuregelung haben gezeigt, dass 83 Prozent der Amerikaner für den Status quo waren. Kritisiert wurde auch, dass die Behörde zu keinen öffentlichen Anhörungen zu bewegen war. (6)


Burger Kings viraler Hit

Eine kreative Art zu zeigen, was Netzneutralität in der Praxis bedeutet, demonstriert die Fast-Food-Kette Burger King in einem Videoclip, der zum viralen Hit geworden ist. Abhängig vom Preis, den die hungrigen Gäste bereit sind zu zahlen, bekommen sie mehr oder weniger schnell die Ware ausgehändigt, die sie bestellt haben. Da einige Produkte von dieser Regelung ausgenommen sind, ist die Konfusion perfekt. Gleichermaßen anschaulich stellt der Clip den Ärger und das Unverständnis der Kunden dar. (8)



Weiterführende Literatur:

(1.) USA führen Zwei-Klassen-Internet ein
aus W&V Online-Magazin vom 15.12.2017

(2.) Wer hat, dem wird gegeben
aus Süddeutsche Zeitung, 16.12.2017, Ausgabe München, Bayern, Deutschland, S. 23

(3.) Amerika weicht Regeln für Netzneutralität auf
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12.2017, Nr. 291, S. 20

(4.) Weicht die Netzneutralität auch in Europa auf?
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2017, Nr. 292, S. 17

(5.) Bemerkenswerte Entgleisungen. Netzneutralität in den USA: Ajit Pai setzt sich für eine Deregulierung des Internet-Zugangs ein und wird bedroht
aus BaZ Ausgabe vom 13.01.2018, Seite 6

(6.) Überholspuren. Die Netzneutralität wird ausgehöhlt
aus c't Heft 1/2018 S. 16

(7.) Knappe Entscheidung
aus Macwelt Online, Meldung vom 15.12.2017

(8.) Wie Burger King Netzneutralität mit Whoppern erklärt
aus W&V Online-Magazin vom 25.01.2018

Harald Reil

Metainformationen

Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 01 vom 29.01.2018
Dokument-ID: c_info_20180129

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