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Mindestlöhne - Heilsbringer oder Jobkiller

WIRTSCHAFTSRECHT UND -POLITIK | GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 01/2008 vom 14.01.2008

Beitrag

Die Große Koalition streitet sich vehement über das Thema Mindestlohn. Die SPD sieht darin die Möglichkeit, mehr soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Union hingegen warnt vor Arbeitsplatzabbau.



Politische Diskussion

Das Thema Mindestlohn beschäftigt Wirtschaft und Politik seit geraumer Zeit. Grund der Diskussion ist, dass sich in Deutschland die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr vertieft. Im Niedriglohnsektor bewegen sich Arbeitnehmer etwas über der Grenze zum Hartz-IV-Einkommen. Doch auch die Mittelschicht hat Angst, in die Armut abzurutschen. Topmanager hingegen verdienen Gehälter und bekommen Abfindungen in Millionenhöhe. Die SPD und die Gewerkschaften fordern deswegen die Einführung eines allgemeinverbindlichen gesetzlichen Mindestlohns, die Union kämpft allerdings vehement gegen diese Forderung an. Sie begründet dies damit, dass durch Mindestlöhne Arbeitsplätze verloren gingen. Die SPD scheint ihrem Ziel schrittweise näher zu kommen: Anfang 2008 ist für die Postbranche ein Mindestlohn eingeführt worden. In der Vergangenheit konnte selbiges in anderen Branchen durchgesetzt werden, wie etwa im Bau, bei Dachdeckern oder Gebäudereinigern. (1), (4), (5)



Veränderte Einkommensentwicklung

Laut Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) steigt das Einkommen der Wohlhabenden eklatant an, dasjenige der weniger Reichen hingegen nimmt stetig ab. Diese Entwicklung beobachtet das DIW erst seit ein paar Jahren. Zuvor stiegen die Einkommen beider Gruppen an. Im Vergleich zum Jahr 1992 ist das Einkommen der ärmeren Schichten preisbereinigt um 13 Prozent zurückgegangen. Die Bessergestellten verdienten im selben Vergleichszeitraum hingegen fast ein Drittel mehr. Das DIW stellt zudem fest, dass den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung fast 60 Prozent des bundesdeutschen Immobilien-, Aktien- und Geldvermögens gehören. Diesen Trend gibt es allerdings nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industrieländern. Das Tempo dieser Entwicklung in der Bundesrepublik ist aber schneller als anderorts. Die Stimmung unter den Bundesbürgern ist dementsprechend schlecht: Laut einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie in Allensbach meinen nur noch 15 Prozent, dass es in Deutschland gerecht zugehe. Obwohl die Wirtschaft wieder wächst und die Arbeitslosenzahlen seit 2005 um 1,5 Millionen gesunken sind, sind die Bundesbürger unzufrieden. Nur 17 Prozent stimmen der Bundeskanzlerin Angela Merkel zu, dass der Aufschwung bei immer mehr Menschen ankommt. Und noch viel schlimmer: Die Deutschen haben Angst vor der Zukunft. Insbesondere die Mittelschicht hat Angst vor einem Abstieg. Das beweist der Angstindex der Versicherungsgruppe R+V, der im Jahre 2005 auf über 50 Prozent kletterte. (8)



Allgemein und gesetzlich

Um in Deutschland wieder eine gerechte Einkommensverteilung zu erlangen, wollen die SPD und die Gewerkschaften eine flächendeckende Lohnuntergrenze einführen, die für alle Beschäftigten, gleich welcher Branche, gelten soll. Über die Höhe des Mindestlohns sind sich seine Befürworter allerdings noch nicht einig: Die Gewerkschaften und die SPD fordern einen Stundenlohn von 7,50 Euro. Wirtschaftsexperten, wie etwa Bert Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrats, plädieren ebenfalls für eine flächendeckende Lösung allerdings mit einem Stundenlohn von 4,50 Euro anstelle eines Flickenteppichs von verschiedenen branchenspezifischen Lohnuntergrenzen. Nicht so geschlossen tritt die Union auf: Einige wie etwa Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) lehnen die flächendeckende Regelung vehement ab, andere wie etwa Kurt Lauk, der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, fordern einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn, der aber von den Tarifparteien selbst ausgehandelt werden soll. Merkel vertritt dieselbe Meinung wie ihr Wirtschaftsminister, hat sich aber bereits auf einen Kompromiss eingelassen. Auf der Kabinettsklausur in Meseberg hatten Union und SPD nämlich vereinbart, dass Branchen mit einer Tarifbindung von mehr als 50 Prozent der Beschäftigten die Möglichkeit haben, bis Ende März 2008 ihre Aufnahme in das Entsendegesetz zu beantragen. Das bedeutet, dass damit ein tariflicher Mindestlohn allgemeinverbindlich für die gesamte Branche wird (wie es etwa in der Postbranche durchgesetzt worden ist). (2), (3), (6), (7)



Lohnuntergrenzen durch das Mindestarbeitsbedingungsgesetz

Auf Forderung von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) wird das Mindestarbeitsbedingungsgesetz aktualisiert. Die Union stimmte diesem Vorhaben im Sommer im Koalitionsausschuss zu. Das Gesetz aus dem Jahre 1952 soll neu gefasst werden. Scholz Ziel ist es, mit Hilfe dieses Gesetzes Mindestlöhne auch in Branchen mit einer Tarifbindung von unter 50 Prozent einzuführen. Eine Kommission, besetzt mit Sachverständigen und Tarifpartnern, soll darüber entscheiden, ob sie in der jeweiligen Branche eine Lohnuntergrenze für relevant hält. Die Union plädiert jedoch gegen diese Neufassung. Denn im Endeffekt würde nach Scholz Entwurf ein immer größerer Flickenteppich von branchenspezifischen Mindestlöhnen entstehen. Bundeskanzlerin Merkel appelliert deswegen an die Arbeitgebervertreter: Die Tarifautonomie muss sich in den nächsten Monaten wirklich bewähren; sie muss auch genutzt werden, wenn sie wirklich Zukunft haben soll. Sie sehe es als besser an, die Dinge selbst zu regeln, als vom Gesetzgeber regeln zu lassen. (6), (8)



Fallbeispiele



Der Postmindestlohn ist lange und heiß diskutiert worden. Trotz vieler Kritik und Drohungen von Mitbewerbern des Marktführers Deutsche Post, wie der Pin Group oder TNT, ist dieser branchenspezifische Mindestlohn Ende Dezember 2007 vom Bundesrat als letzter Entscheidungsinstanz gebilligt worden. Ab 1. Januar 2008 gilt also ein Stunden-Mindestlohn in Höhe zwischen 8,00 Euro und 9,80 Euro für die Postdienstleistungsbranche. Die marode Pin Group und TNT haben bis zuletzt gegen die Entscheidung gekämpft, weil sie nur einen Stundenlohn zwischen 6,50 Euro und 7,50 Euro zahlen wollen. (2), (9)

Weiterführende Literatur:

(1.) Löwenstein, Stephan, Mihm, Andreas, Fickinger, Nico, Die Angst der Union vor der emotionalen Keule, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2007, S. 04
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2007, Nr. 298, S. 4

(2.) O.V., DGB will mehr Mindestlöhne, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2007, S. 12
aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2007, Nr. 297, S. 12

(3.) Doemens, Karl, Bundesrat nickt Mindestlohn ab, Handelsblatt, 21.12.2007, S. 35
aus Handelsblatt Nr. 247 vom 21.12.07 Seite 35

(4.) Doemens, Karl, Riedel, Donata, Sympathie für gesetzlichen Mindestlohn wächst, Handelsblatt online, 20.12.2007
aus HANDELSBLATT online 20.12.2007 06:00:00

(5.) Marschall, Birgit, DGB droht mit Mindestlohn für alle, Financial Times Deutschland, 21.12.2007, S. 13
aus Financial Times Deutschland vom 21.12.2007, Seite 13

(6.) Bovensiepen, Nina, Schritt für Schritt, Süddeutsche Zeitung, 21.12.2007, S. 20
aus Süddeutsche Zeitung, 21.12.2007, Ausgabe Deutschland, Bayern, München, S. 20

(7.) O.V., Steinbrück fordert gleichen Mindestlohn für alle, Spiegel Online, 18.12.2007
aus Süddeutsche Zeitung, 21.12.2007, Ausgabe Deutschland, Bayern, München, S. 20

(8.) Deggerich, Markus, Feldenkirchen, Markus, Hawranek, Dietmar, Kurbjuweit, Dirk, u. a., Der große Graben, Der Spiegel, 17.12.2007, S. 22
aus Der Spiegel, 17.12.2007, Nr. 51, Seite 22

(9.) O.V., Nur FDP-mitregierte Länder verweigern Zustimmung, Handelsblatt online, 20.12.2007
aus HANDELSBLATT online 20.12.2007 10:28:33

W.Sydow

Metainformationen

Quelle: GENIOS WirtschaftsWissen Nr. 01/2008 vom 14.01.2008
Dokument-ID: c_wipol_20080114

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