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Windenergie - Das stille Sterben der heimischen Windmüller

ENERGIE & ROHSTOFFE | GENIOS BranchenWissen Nr. 09 vom 18.09.2019


Déjà vu?

Rückblick1: Raus aus der Atomenergie, rein in die Ökoenergie. Das war die Parole, die für die deutsche Energiepolitik nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ausgerufen wurde. Der Beschluss folgte in Windeseile: Die schwarz-gelbe Koalition und das Bundeskabinett beschlossen am 6. Juni 2011 das sofortige Aus für acht Atomkraftwerke und den stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022, am 30. Juni stimmte der Bundestag zu, am 8. Juli der Bundesrat - alles im Jahr 2011.

Seither wird die Energiewende unablässig durch Medien und Politik getrieben. Mehr Strom aus Wind und Sonne braucht das Land! Außerdem sind Energiesparen und Energieeffizienz angesagt. Und mehr Gasheizungen und Gaskraftwerke.

Rückblick 2: In den Jahren 2000 bis 2012 erfolgte prompt der beachtliche Aufschwung der deutschen Solarindustrie. Doch dann hagelte es schlechte Nachrichten. Eine Insolvenz jagte die andere. Inder, Araber, Südkoreaner und Katarer kauften sich ein, erwarben, was sie brauchen konnten. Nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums halbierte sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Photovoltaikbranche in Deutschland zwischen 2012 und 2013 von 100 300 auf rund 56 000. Die Umsätze gingen dramatisch zurück. Inzwischen dominieren Hersteller aus China den Weltmarkt.

Rückblick 3: Raus aus der Kohleenergie, noch mehr rein in die Ökoenergie. Diese Devise wurde im Januar 2019 von der Kohlekommission ausgegeben, nahezu parallel streikten im Hambacher Forst Umweltaktivisten für den Erhalt der Bäume. Bis Ende 2038 will Deutschland den Ausstieg aus der Verstromung von Stein- und Braunkohle geschafft haben.

Und derzeit? Man reibt sich die Augen &. Déjà vu? Dem stillen Sterben der heimischen Windindustrie kann man zuschauen. Die deutsche Windbranche, die in den Jahren 2014 bis 2017 noch prächtig gedieh, ist gewaltig ins Trudeln geraten. Inzwischen hats auch der Herr Bundeswirtschaftsminister gemerkt und zu einem Krisengipfel geladen. Als übergeordnetes Ziel bekräftigte Minister Altmaier, dass der Anteil des erneuerbaren Stroms bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent zu steigern sei. (1)


Die Krisensymptome der heimischen Windmüller

Für die deutschen Windmüller war das Ausbaujahr 2017 noch erfolgreich, doch mittlerweile ist der Windanlagenaufbau an Land um zwei Drittel geschrumpft. Im ersten Halbjahr 2019 wurden bundesweit nur 86 neue Windkraftanlagen bzw. 235 Megawatt Leistung installiert. Damit sind wir auf das Niveau von vor 20 Jahren zurückgefallen!
Die Ausschreibungsergebnisse sind mau. Bei der jüngsten Ausschreibung Anfang September gab es nur für knapp ein Drittel des Volumens überhaupt Gebote. Von den 2 500 Megawatt-Windenergieleistung, die bisher im laufenden Jahr ausgeschrieben wurde, konnte weniger als die Hälfte bezuschlagt werden.
Immer mehr deutsche Windmüller verschwinden aus dem Markt. Derzeit macht die Insolvenz von Senvion Schlagzeilen. Deutsche Turbinenhersteller, Zulieferer und Projektierer geraten zunehmend unter wirtschaftlichen Druck. Viele kleinere Entwicklungsbüros und Fachfirmen stehen vor dem Aus.
Nach offiziellen Zahlen der Bundesregierung und der Gewerkschaften sind seit Anfang 2017 bis Mitte dieses Jahres mehr als 35 000 Arbeitsplätze in der Windbranche verloren gegangen. 2016 waren in der Onshore-Windenergie über 160 000 Menschen beschäftigt. 2017 entließen Nordex und Senvion bereits Beschäftigte, weil es an Folgeaufträgen mangelte. In der Branche mussten rund 26 000 Stellen abgebaut werden. Seit Beginn 2018 gingen weitere 8 000 bis 10 000 Arbeitsplätze verloren. Betroffen sind nicht nur die küstennahen norddeutschen Bundesländer, sondern auch Zulieferbetriebe vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg.
An dieser Stelle wird gerne darauf hingewiesen, dass in den Braunkohlerevieren demnächst rund 20 000 Arbeitsplätze verloren gehen werden. Gesetzesentwürfe für Strukturhilfen in Höhe von 44 Milliarden Euro für Sachsen und Brandenburg wurden Ende August vor den Landtagswahlen vorgelegt.
Know-how Verlust ist die logische Folge. Fachkundige Ingenieure werden die Branche (oder gar das Land?) wechseln, die Unternehmen werden versuchen, jenseits des deutschen Standorts einen Fuß auf den Boden zu setzen. Enercon ließ bereits verlauten, dass es sich international aufstellen und wohl auch eine Produktion im Ausland aufbauen wolle.
Der Exportanteil der deutschen Windkraftunternehmen liegt bei rund zwei Drittel und könnte nach Einschätzung des VDMA gefährdet sein.
Die Prognosen für 2019 sind schlecht. Es ist davon auszugehen, dass der Windzubau kräftig einbrechen wird, obwohl das ausgeschriebene Volumen hoch ist wie nie. (2), (3)


Windgipfel ohne Ergebnisse, aber jede Menge Handlungsbedarf

Der von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für die erste Septemberwoche eher überraschend einberufene Krisengipfel zur Windenergie ist zu Ende gegangen, ohne dass konkrete Abhilfemaßnahmen beschlossen wurden. In den kommenden Wochen soll über Wege gesprochen werden, die Flaute beim Windenergieausbau zu überwinden, kündigte Altmaier an.
Zu tun gäbe es etliches:
Seit der Einführung des Ausschreibungsmodells habe sich der Kostendruck in der Branche deutlich erhöht.
Die Deckelung auf 15 Gigawatt müsste bei der Offshore-Windenergie angehoben.
Bund und Länder sollten die Genehmigungsverfahren vereinfachen und straff durchführen. Sie sollten dazu in den Behörden mehr Personal einstellen und auf digitale Unterstützung setzen. Innerhalb von drei Jahren habe die durchschnittliche Dauer von 300 auf 800 Tage zugenommen.
Bei den hohen Abstandsvorgaben von Windparks zu Radaranlagen der Luftfahrt und der Bundeswehr gibt es Änderungsbedarf. Seit Monaten streiten die Bundestags-Fraktionen CDU und SPD über das Thema. Die Union will bundeseinheitliche Abstände von 1 000 Metern zur Wohnbebauung durchsetzen. Die SPD lehnt dies ab. Eine rasche Lösung sollte gefunden werden.
Beim Thema Arten- und Naturschutz sollte es gemeinsame Leitfäden geben und klare gesetzliche Regelungen.
Die Beteiligung der Menschen vor Ort muss umfassend gewährleistet sein, sei es finanziell oder frühzeitig in den Planverfahren. (1), (4)


Offshore Windenergie

Die Wachstumsrate der Windenergie in der deutschen Nordsee lag im ersten Halbjahr 2019 bei 16 Prozent, in der deutschen Ostsee bei 145 Prozent. Wesentlich dazu beigetragen hat die vollständige Inbetriebnahme des 385-Megawatt-Windparks Arkona vor Rügen.
Ab 2020 erwarten Branchenbeobachter jedoch eine Lücke im Offshore-Aufbau. Abhilfe könne der im Koalitionsvertrag vorgesehene Sonderbeitrag schaffen. Dann müssten noch in diesem Jahr die rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausschreibung der Flächen für Anfang des Jahres 2020 geschaffen werden. So könnte die Inbetriebnahme der Projekte im Rahmen des Sonderbeitrages bereits ab 2023 beginnen. Bestehende freie Konverter-Kapazitäten ließen sich volkswirtschaftlich sinnvoll nutzen.
Weltweit ist die Offshore-Windenergiekapazität im ersten Halbjahr 2019 um zehn Prozent gewachsen. Das Offshore-Segment hat seine Schwerpunkte in Deutschland, Benelux, Großbritannien und Frankreich. Potential wird auch in Taiwan, Südkorea, Japan und den USA gesehen. (5), (6), (7)



Trends

Weltweit betrachtet sind die Aussichten für die Windenergie positiv. Das Marktforschungsinstitut Wind Research rechnet bis 2030 mit einem weltweiten Wachstum von über 180 Prozent. Gute Wachstumsaussichten werden in Asien gesehen, vor allem in Taiwan, Südkorea und Japan. Auch der südamerikanische Markt werde wachsen. Fraglich ist, inwieweit diese Märkte für deutsche Unternehmen zugänglich sind. (6)

Power Purchase Agreements (PPA) sind in den USA, Skandinavien und Spanien bereits beliebt. Marktbeobachter erwartet nun auch eine Bewegung in Deutschland. Zunehmend würden die Betreiber von Windanlagen ihre Erträge über langfristige Stromabnahmeverträge absichern. Für den deutschen Markt wird sich das Geschäftsmodell vor allem auf Photovoltaik-Großanlagen beziehen, die nicht über das EEG gefördert werden können beziehungsweise im Ü20-Markt, wenn Anlagen nach Auslaufen der EEG-Förderung weiterbetrieben werden sollen. (7)

Für die städtische Nutzung wird ein Windenergiesystem benötigt, welches aus standardisierten, effizienten und preiswerten Windenergiemodulen besteht. Im urbanen Raum könnte ein standardisierter Ausbau von kleinen und effizienten Windkraftanlagen eine Lösung darstellen. (9)

In den nächsten fünfzehn Jahren könnten Offshore immer mehr Windkraftanlagen auf schwimmenden Fundamenten aufgestellt werden. Noch ist diese Technologie nicht marktfähig, da es sich bei den Fundamenten um Einzelstücke handelt, das ist aufwendig und teuer. (10)

Zunehmend lassen Windkraftbetreiber nicht nur Getriebe wieder aufbereiten, sondern nun auch Getriebe- und Generatorenlager. Ein Branchenstandard ist das noch nicht. (11)



Fallbeispiele

Senvion war vor wenigen Jahren zeitweise der zweitgrößte Lieferant von Windturbinen in Deutschland - jetzt ist der Turbinenproduzent insolvent. Derzeit laufen die Verhandlungen, wie viele der rund 1 400 Mitarbeiter in Transfergesellschaften wechseln dürfen. Freilich ist an dieser Pleite nicht nur die derzeitige Marktschwäche schuld. Der norddeutsche Hersteller wurde zuerst in die technologiegierigen Hände der indischen Suzlon verkauft, dann vergriff sich die Unternehmensleitung in der Wahl der Strategie, Internationalisierung und Börsengang scheiterten. Überraschend? (12), (13)

Bei der Ausschreibung für neue Windanlagen an Land zum 1. September 2019 mit einem möglichen Volumen von 500 Megawatt (MW) Windkraft meldeten sich nur 22 Investoren mit 187 MW Gebotsvolumen und Zuschlagsvolumen - eindeutig zu wenig. Gewinner nach Zuschlagsmenge war Nordrhein-Westfalen mit 64,2 MW verteilt auf vier Gebote. Sechs Zuschläge gingen nach Schleswig-Holstein (insgesamt 30,2 MW). Die verbleibenden elf Zuschläge verteilten sich mit je ein oder zwei Projekten auf Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen.
Der nächste Ausschreibungstermin für Windenergie an Land ist der 1. Oktober 2019. (14)

Gemeinsam mit dem Mineralölkonzern Shell und der dänischen Firma Stiesdal Offshore Technologies A/S (SOT) will innogy das modulare TetraSpar-Konzept in einem Pilotprojekt testen. Es soll der schwimmenden Offshore-Windtechnologie auf die Sprünge helfen, materialeffizient, mit erprobten Produktionsmethoden, modular, günstiger Montage und insgesamt deutlich geringeren Kosten. (10)

Der Energiekonzern EnBW wollte bis Ende 2020 rund 1 000 Megawatt Windkraft in Betrieb haben. Stand heute sind es in Deutschland 610 Megawatt. Zwar sind weitere 550 Megawatt Windkraftleistung im Genehmigungsverfahren haben, doch das Ziel für 2020 wird nur durch den Aufbau von Windenergieanlagen im Ausland erreicht werden. (3)

Der Ökostromanbieter Naturstrom AG aus Düsseldorf hat ein Power Purchase Agreement (PPA) abgeschlossen, also einen ersten Stromabnahmevertrag mit zwei Windrädern, die nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung herausfallen. (15)

Auch Enercity moniert, dass es kein Konzept gibt, was mit den vielen alten Windenergieanlagen passieren soll, die nach 20-jähriger Förderung keine Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz mehr halten. Viele werden nicht repowert, andere werden abgeregelt. Es fehle an Power-to-Heat-Anlagen. Power Purchase Agreements für Windstrom sind auch für Enercon eine Option - wenngleich abhängig von der künftigen CO2-Bepreisung. (16)

Zahlen & Fakten


Die Windenergie hat einen steigenden Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland.
2018 stellte sie erneut den zweitgrößten Anteil an der deutschen Stromproduktion und lag damit vor Atomenergie und Steinkohle.
In Deutschland standen Ende 2018 insgesamt 29 213 Onshore-Windenergieanlagen.
2017 wurden 1 792 Anlagen zugebaut. 2018 waren es 743 Windenergieanlagen. Im ersten Halbjahr 2019 waren es nur noch 86. (17)


Weiterführende Literatur:

(1.) Windbranche fordert Neustart bei Genehmigungsprozessen
aus energate vom 02.09.2019

(2.) Immer mehr Stellen in der Windbranche gehen verloren
aus www.powernews.org Meldung vom 04.09.2019 - 15:24

(3.) Windkraft muss in die Hufe kommen
aus www.powernews.org Meldung vom 03.09.2019 - 08:59

(4.) Windkraftgipfel bleibt ohne konkretes Ergebnis
aus energate vom 05.09.2019

(5.) Offshore-Windbranche fordert Sonderbeitrag
aus www.powernews.org Meldung vom 03.09.2019 - 17:03

(6.) Offshore-Ausbau konzentriert sich weiter auf Europa
aus energate vom 30.08.2019

(7.) Commerzbank bleibt beim globalen Windmarkt optimistisch
aus www.powernews.org Meldung vom 09.09.2019 - 15:23

(8.)Darwisch: "Unsere Nachbarn sind uns bei Repowering um einiges voraus"
aus energate Energie News vom 10.09.2019

(9.) Windkraft im urbanen Raum
aus neue energie - das magazin für klimaschutz und erneuerbare energien Heft 9/2019 S. 87-88

(10.) innogy bringt Windrädern das Schwimmen bei
aus neue energie - das magazin für klimaschutz und erneuerbare energien Heft 9/2019 S. 85-86

(11.) Windenergie: Warum sich Kreislaufwirtschaft jetzt rechnet
aus neue energie - das magazin für klimaschutz und erneuerbare energien Heft 9/2019 S. 99-100

(12.) Transfergesellschaft für Teil der Senvion-Mitarbeiter
aus www.powernews.org Meldung vom 10.09.2019 - 13:24

(13.) Adieu, Senvion!
aus www.powernews.org Meldung vom 29.08.2019 - 12:32

(14.) Wenig Interesse an Windkraft-Ausschreibung
aus www.powernews.org Meldung vom 10.09.2019 - 13:46

(15.) Naturstrom schließt PPA mit Altanlagen ab
aus www.powernews.org Meldung vom 04.09.2019 - 13:37

(16.) Zapreva: Die Rahmenbedingungen sind bescheiden
aus www.powernews.org Meldung vom 05.09.2019 - 09:20

(17.) Windenergie in Deutschland - Zahlen und Fakten
aus www.powernews.org Meldung vom 05.09.2019 - 09:20

Anja Schneider

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 09 vom 18.09.2019
Dokument-ID: s_ene_20190918

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