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Urbane Logistik - die letzte Meile bleibt ein Nadelöhr

TRANSPORT & LOGISTIK | GENIOS BranchenWissen Nr. 08 vom 17.08.2017


Pakethandel - die Logistik drängt von der grünen Wiese in die Städte

Die deutsche Logistikwirtschaft legt seit Jahren verlässliche Wachstumszahlen vor. Auch das Transportwesen wächst kontinuierlich an. Die wahren Hidden Champions bei den Zuwachsraten sind innerhalb der Logistikbranche jedoch weder Straßen noch Luftfracht, sondern die so genannten KEP-Dienste. KEP steht für Kurier-, Express- und Paketdienste und ist damit der Sammelbegriff für jene Unternehmen, die seit dem Aufkommen von Ebay und Amazon von den explodierenden Bestellzahlen im Online-Handel profitieren. Die drei größten Paketdienste in Deutschland sind Deutsche Post DHL, DPD und UPS. Jedes Jahr wachsen die Umsätze im Online-Handel - auch als E-Commerce bezeichnet - um zweistellige Prozentsätze.

Sowohl Versender wie eben Amazon als auch die Paketdienste sind bestrebt, Kunden so schnell wie möglich zu beliefern. Die aktuellen Megatrends im Onlinehandel heißen daher Same-Day- oder sogar Same-Hour-Delivery. Branchenriese Amazon etwa bietet seit zehn Jahren den Auslieferungs-Service Prime, bei dem die Bestellung spätestens am nächsten Tag erfolgt. Allen Schnellliefer-Diensten gemeinsam ist, dass für sie das große Auslieferungslager außerhalb der Städte nicht geeignet ist, um ein bestelltes Gut schon am nächsten Tag zum Kunden zu bringen.

Je anspruchsvoller die Kunden werden und je mehr Waren schon am nächsten Tag vor die Tür gebracht werden sollen, desto mehr Logistikflächen werden innerhalb der Städte benötigt. Bezeichnet wird der kurze Umkreis auch als letzte Meile, deren Überbrückung darüber entscheidet, wie schnell moderne City-Logistik noch werden kann. Besonders gefragt sind bei Auslieferern wie Online-Versendern kleine Logistikimmobilien, nah an der City und verkehrstechnisch bestens angeschlossen. Solche Flächen und Immobilien sind jedoch rar, was die letzte Meile immer noch vielerorts zu einem Nadelöhr macht.

Um die beengten Platzverhältnisse in Stadtgebieten bestmöglich auszunutzen, ist es ein aktueller Trend, auch Logistikimmobilien mehrgeschossig hochzuziehen. Dies ist immer noch ungewöhnlich, denn Lagerhallen haben normalerweise zwar hohe Wände und ebenso hohe Regale, jedoch keine Zwischendecken. Ein weiterer Trend sind die stark steigenden Mieten für stadtnahe Logistikflächen und -Gebäude. (1)


Letzte Meile macht Probleme

Nach wie vor schafft es die KEP-Branche nicht, den neuen Paketfluten wirklich Herr zu werden - auch dann nicht, wenn es gar nicht um Schnelllieferung geht, sondern auch schon bei der normalen Zustellung. Die fehlenden Logistikimmobilien innerhalb der City sind dafür nur ein Grund; auch die Zahl der Zusteller und die materielle Ausrüstung mit Lieferwagen wächst nicht in gleichem Maße, wie der Pakethandel zunimmt. Die letzte Meile ist damit immer noch ein Nadelöhr, und den Schaden haben die Besteller. So sind die KEP-Dienste schon lange nicht mehr in der Lage, ein Paket, das wegen verschlossener Tür nicht ausgeliefert werden konnte, am nächsten Tag noch einmal vorbei zu bringen. Stattdessen gehen DHL und Co. immer mehr Kooperationen mit Mini-Supermärkten, Kiosken und Trinkhallen ein, in den sich in chaotischer Weise die Pakete der verschiedenen Zustelldienste auf einem einzigen Haufen mischen. Viele Kunden sind über die Zustände bei der Paketzustellung ungehalten, denn in dem nun seit Jahren herrschenden Chaos gehen viele Pakete auf nimmer Wiedersehen verloren. Die Probleme der letzten Meile betreffen damit gar nicht so sehr die Lagerhaltung innerhalb der urbanen Lebensräume, sondern viel mehr die Auslieferungspraxis direkt beim Kunden. (2)



Trends


Paketzeitalter - der Online-Handel krempelt die Logistik um

Der Online-Handel ist nicht nur ein boomender Zweig des Einzelhandels. Viel mehr zeigt der stark zunehmende Pakethandel, dass sich die Logistikströme im privaten Konsum prinzipiell verändern. So zeigt beispielsweise der im Mai von Amazon gestartete Dienst Fresh - der frische Lebensmittel ausliefert -, dass der Versandhandel auch dabei ist, Dinge des täglichen Bedarfs spätestens am nächsten Tag anzuliefern. Für die Logistik könnte dies bedeuten, dass LKW nicht mehr Supermärkte anfahren, sondern Kunden. Wie das Filialsterben bei den Banken zeigt, könnte sich das Kaufverhalten der Menschen komplett weg von der selbst durchgeführten Besorgung hin zum reinen Einkaufsverhalten per Mausklick entwickeln - mit allen Folgen für die bisher noch obligatorische Anlieferung, Lagerhaltung und Distribution.

Die steigenden Anforderungen der Kunde an die Qualität der Auslieferung - die sich auf das Tempo genauso richtet wie auf die Frage, ob man sein Paket später im Tabakladen aufklauben muss - machen Logistik zudem viel sichtbarer als früher. Immer mehr Verbraucher sehen die Logistikleistung daher als die eigentliche Kompetenz von Anbietern und Transporteuren. Gleichwohl haben KEP-Dienste bis heute Probleme, für ihre Leistungen adäquate Bezahlungen zu erhalten. So muss Amazon seinen Prime-Service vielerorts immer noch wie Sauerbier anbieten, obwohl die Same-Day-Delivery in vielen Regionen keinen Cent kostet. (3)



Fallbeispiele


Das Parkhaus als Logistik-Hub

Die Platznot in den Städten lässt Logistikplaner immer neue Ideen finden, wie man den langen Weg vom Depot auf der grünen Wiese zum Kunden abkürzen kann. Eine Idee ist es zum Beispiel, Parkhäuser anteilig für die Lagerung von Waren für die Same-Day-Delivery zu nutzen. Auch im Fokus steht die stärkere Nutzung von Elektrofahrzeugen für die Auslieferung, zumal diese beispielsweise in Form von kleinen Lastenrollern besonders flexibel eingesetzt werden könnten. Auch das heute bestehende Problem der in zweiter Reihe parkenden LKW - die damit den Verkehr behindern - könnte durch kleinere Elektro-Transportfahrzeuge gemildert werden. (5), (8)


Drohnen und Roboter klingeln an der Tür

Noch sehr utopisch und dennoch schon greifbar nah ist die Überbrückung der Probleme, die die letzte Meile mitbringt, durch Drohnen und Roboter. So ist die Pizzakette Domino´s dabei, zusammen mit dem Technologie-Unternehmen Starship Lieferroboter zu entwickeln. Von Amazon ist bekannt, dass das Unternehmen versucht, Drohnen praxistauglich zu machen. (6)


Ersatzteilservice in Echtzeit

Ersatzteile für Autos und Maschinen sollen am liebsten noch am selben Tag angeliefert werden; in der Praxis sind es aber doch immer einige Tage, bis solch ein Paket ankommt. Die Siemenstochter Axit zeigt aber derzeit, wie bestellte Ersatzteile mit Hilfe voll digitalisierter Prozesse am selben Tag hergestellt und ausgeliefert werden können. (7)



Zahlen & Fakten


Im vergangenen Jahr haben die KEP-Dienste in Deutschland erstmals mehr als drei Milliarden Pakete transportiert. 3,16 Milliarden Zustellungen bedeuteten gegenüber 2015 eine Zunahme um 7,2 Prozent. Die Umsätze in der KEP-Branche lagen bei 18,5 Milliarden Euro.

Für 2017 sagen Experten dem Pakethandel ein etwas niedrigeres Plus von sechs Prozent voraus. Dies wären 180 Millionen Pakete mehr als 2016. Die Umsätze sollen um etwa fünf Prozent steigen. Der Onlinehandel insgesamt soll laut dem deutschen Handelsverband um elf Prozent auf 48,8 Milliarden Euro zulegen.

Der Pakethandel entwickelt sich zum Jobmotor. Ende 2016 arbeiteten knapp 220 000 Menschen in der Branche und damit 10 000 mehr als 2015. Experten rechnen damit, dass in den nächsten vier Jahren weitere 40 000 neue Jobs im Paketgeschäft entstehen werden. (4), (9)



Weiterführende Literatur:

(1.) Die Kehrseite des E-Commerce-Booms
aus DVZ Verkehrs-Zeitung, Heft 54/2017, S. 10

(2.) Kep-Branche hinkt Onlineboom hinterher
aus DVZ Verkehrs-Zeitung, Heft 23/2017, S. 5

(3.) Paketzeitalter
aus "Industriemagazin" Nr. 06/2017 vom 31.05.2017 Seite 75,76,77

(4.)Boomender Onlinehandel treibt das Paketgeschäft
aus DVZ Verkehrs-Zeitung Nr. 50/2017, Seite 3

(5.) Das Parkhaus als lokales Depot
aus Verkehrs Rundschau, Heft 28/2017, S. 20-21

(6.) Die letzte Meile an erster Stelle
aus Logistra, Heft 7-8 vom 04.07.2017 Seite 16-17

(7.) In Echtzeit geliefert
aus Logistik Heute, Heft 6 vom 20.06.2017 Seite 34

(8.) Ein Kurier der anderen Art
aus Verkehrs Rundschau, Heft 24/2017, S. 22-23

(9.)Mit 5,9 Mrd. EUR Jahresumsatz führt die Deutsche Post DHL das Ranking der stärksten KEP-Dienste in Deutschland an
aus KEP-Nachrichten Nr. 43 vom 27.10.2016

Robert Reuter

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 08 vom 17.08.2017
Dokument-ID: s_tra_20170817

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