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Preisschock bei Lebensmitteln - Milchprodukte werden teurer

LEBENSMITTEL | GENIOS BranchenWissen Nr. 08/2007 vom 14.08.2007

Beitrag

Die Milchseen sind weitgehend entleert, Butterberge abgetragen. Milch ist dank steigender Weltnachfrage ein knappes Gut. Seit 1. August ziehen die Preise für Molkereiprodukte kräftig an.

Die Zentrale Markt- und Preisberichtsstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft (ZMP) hatte vor wenigen Wochen einen Preisanstieg bei Milchprodukten um bis zu 50 Prozent angekündigt. Milch, Butter und andere Molkereierzeugnisse sind seitdem deutlich teurer geworden. So stieg der Preis für das 250-Gramm-Päckchen Butter bei den Discountern Aldi Nord, Lidl, Netto und Plus sowie in den Supermärkten Real, Edeka und Rewe um 50 Prozent von 79 Cent auf 1,19 Euro an. Quark soll bis zu 40 Prozent, Milch zehn bis 20 Prozent teurer werden. (1)

Die Lebensmittelindustrie erlebt derzeit die größte Preiserhöhungswelle der vergangenen zehn Jahre - eine Entwicklung, die nach Einschätzung des Handels abzusehen war. Denn das Preisniveau bei Milcherzeugnissen ist in den vergangenen Jahren eher gesunken als gestiegen. Während die Deutschen in den fünfziger und sechziger Jahren noch die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel ausgaben, sind es heute gerade einmal zwölf Prozent. Grund für die rückläufigen Ausgaben für Lebensmittel ist die Marktmacht der Discounter wie Aldi und Lidl, die starken Druck auf die Milchbauern ausüben und damit das Preisniveau im Einzelhandel drücken. Geiz ist geil lautet die Devise, vor allem bei Milch, Fleisch, Gemüse und anderen Grundnahrungsmitteln. Die Lebensmittelpreise blieben sogar konstant, obwohl die Energie- und Transportkosten gestiegen waren. In deutschen Supermärkten sind mit die preisgünstigsten Lebensmittel in ganz Europa zu haben. Die Preise für Lebensmittel in Deutschland liegen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern im unteren Mittelfeld. In Italien, Österreich, Dänemark und Großbritannien kosten sie deutlich mehr. (1), (2), (3), [Abb.1]



Milch boomt in China

Eine Ursache für den Preisanstieg ist die Verknappung von Milch, hervorgerufen durch die seit einigen Monaten weltweit zunehmende Nachfrage nach Milcherzeugnissen. Nicht nur die Preise für Milchpulver, sondern auch die für Butter und Käse sind seit vergangenem Jahr stark angestiegen und sollen sich nach einer Prognose der OECD bis zum Jahr 2016 weiterhin auf hohem Niveau bewegen. Zugenommen hat nicht nur der Bedarf in Deutschland, sondern vor allem in den Wachstumsregionen Asien, Russland und Südamerika. So hat China nach Angaben des Milchindustrieverbands (MIV) im vergangenen Jahr 25 Prozent mehr Milch importiert. Milch gilt dort als Trend-Getränk, der Pro-Kopf-Verbrauch nahm zwischen 2000 und 2006 um 76 Prozent zu. Australien und Neuseeland, die traditionell die asiatischen Märkte beliefern, können die steigende Nachfrage derzeit nicht mehr befriedigen - zuletzt, weil der Milchviehbestand und damit die Milchproduktion wegen einer Dürreperiode reduziert war. Auch Indien, mit 90 Millionen Tonnen jährlich der weltgrößte Milcherzeuger, kann der steigenden Nachfrage nach Milch nicht nachkommen, weil Ausfuhren durch die hohe Exportsteuer weitgehend unterbunden werden.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht dagegen davon aus, dass nicht die große Nachfrage in Asien zum Preisanstieg bei Milchprodukten geführt hat, sondern, dass einige große Lebensmittelhändler kartellrechtlich fragwürdige Preisabsprachen getroffen haben. (4), (5), (6), [Abb.2]

In Europa trägt auch die Milchquote zur Preiserhöhung bei Milchprodukten bei. Problematischerweise dürfen die Milchbauern ihr Angebot nicht ohne Weiteres ausweiten. Denn die Milchmenge, die jeder Landwirt abgeben darf, ist in der Europäischen Union seit 1984 durch die Milchquote vorgeschrieben. Nur dieses Kontingent wird zu einem mit der Molkerei vereinbarten Festpreis abgenommen. Produziert ein Landwirt zu viel, muss er empfindliche Strafen bezahlen. Ziel der Quote war es einst Milchüberschüsse zu verhindern. Doch Milchseen und Butterberge sind inzwischen deutlich kleiner, Milch knapp geworden. Erst 2015 soll die Quote wegfallen - im Herbst debattieren die EU-Agrarminister jedoch über die vorzeitige Abschaffung dieses Gesetzes. Auch die EU hat auf die Preissteigerung bereits reagiert und dafür gesorgt, dass die Milch im Lande bleibt: Sie strich die Exporterstattungen für Butter und Käse. (1), (4), (7)

Eine weitere Ursache für die Preissteigerungen: In den vergangenen Monaten konnten die Milchproduzenten nach Jahren sinkender Milchpreise deutlich höhere Erzeugerpreise in den Lieferverträgen durchsetzen. 20 000 Milchbauern haben vor wenigen Wochen in ganz Deutschland für höhere Milchpreise demonstriert. An 110 Standorten, darunter Werke der größten deutschen Molkereien wie Müller Milch und Nordmilch, forderten sie eine bessere Beteiligung der Landwirte am weltweiten Milchboom und drohten mit einem Lieferboykott, sollten die Molkereien keine höheren Preise zahlen. Anlass für die Proteste waren die turnusmäßigen Preisverhandlungen zwischen Milchwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel. Zu Beginn des Jahres erhielt ein Milchbauer noch durchschnittlich 27 Cent für den Liter Rohmilch - ein Preis, bei dem die Landwirte jedoch draufzahlen mussten. Auch mit den aktuell 30 bis 32 Cent pro Liter sind sie noch weit von den 40 Cent entfernt, ab denen sie kostendeckend arbeiten können. Hinzu kommen steigende Betriebskosten und Preise für Futtergetreide. (1), (2), (8)

Ökonomen rechnen jedoch trotz der Preiserhöhung für Molkereierzeugnisse nicht mit einem Anstieg der Teuerungsrate in Deutschland. Die Commerzbank schätzt, dass Molkereiprodukte in Deutschland nur um durchschnittlich zehn Prozent teurer werden. Da sie jedoch gerade einmal 1,4 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs eines Konsumenten ausmachen, blieben die Auswirkungen auf die Inflation nach Ansicht von Experten gering. Selbst wenn sämtliche Milchprodukte um 50 Prozent ansteigen sollten, würde die Jahresinflation lediglich von 2,0 auf 2,3 Prozent steigen. Inflationsdämpfend wirken sich nämlich die Preise für Obst und Gemüse aus, die dieses Jahr aufgrund guter Ernten niedriger ausfallen. (3), (4)

Der starke Preisanstieg bei Milch und Milchprodukten könnte nach Ansicht der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP) eine Chance für den Biolebensmittelhandel darstellen. Viele Bioläden könnten auf eine starke Preiserhöhung verzichten, um die Kundenbindung nicht zu gefährden oder gar neue Kunden zu gewinnen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) empfiehlt den Verbrauchern sogar Biomilch zu kaufen, damit der Preisanstieg den Milchbauern zu Gute kommt. Denn viele Abnehmer von Biomilch zahlen den Milchbauern kostendeckende 40 Cent je Liter Milch. (9)



Fallbeispiele



Auch wer gerne Schokolade nascht, wird in den kommenden Wochen tiefer in die Tasche greifen müssen. Nicht nur der Preisanstieg bei Milch, sondern auch bei anderen Inhaltsstoffen wie Kakao und Glukosesirup, wirkt sich nachteilig auf die Preise für Schokolade aus. Vor allem Kakao ist innerhalb eines Jahres um 20 bis 30 Prozent teurer geworden. Nach einer Rekordernte im Jahr 2006 rechnet der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie in diesem Jahr mit einem Rückgang um sieben Prozent. Vor allem die führenden Erzeugerländer Elfenbeinküste und Ghana - aus denen zwei Drittel des hierzulande verarbeiteten Kakaos stammen - werden voraussichtlich weniger liefern. (3)

Nach den Milchbauern fordert nun auch die deutsche Fleischwirtschaft deutlich höhere Preise für Fleisch. Der Deutsche Bauernverband verlangt vom Handel 30 bis 50 Cent mehr pro Kilogramm Schlachtfleisch, das entspricht einem Preisanstieg von rund 30 Prozent. Nach Angaben des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft bestehen rund 60 Prozent des Erzeugerpreises aus Kosten für Futtergetreide - und auch diese steigen derzeit. Die Preise für Getreide sind vor allem wegen der größeren Nachfrage in Schwellenländern erhöht. Bei wohlhabenden Chinesen und Indern ersetzt ein Stück Fleisch immer häufiger die Schale Reis. Mehr Fleisch lässt sich jedoch nur mit mehr Getreide produzieren, das als Futtermittel dient. Ursächlich für die steigenden Getreidepreise sind auch Ernteausfälle in Südeuropa und Australien. Zudem werden immer mehr Getreideflächen für die Erzeugung von erneuerbaren Energien genutzt. (9), (10)

Zahlen & Fakten

Abbildung 1: Preisniveauindex 2005 für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in der EU



Quelle: Süddeutsche Zeitung

Entnommen aus: Süddeutsche Zeitung, 1.08.2007



Abbildung 2: Preise für Milchprodukte



Quelle: OECD

Entnommen aus: Focus, 6.08.2007

Weiterführende Literatur:

(1.) Liebrich, Silvia, Milch wird erheblich teurer, Süddeutsche Zeitung, 30.07.2007
aus Süddeutsche Zeitung, 30.07.2007, Ausgabe Bayern, München, Deutschland, S. 17

(2.) Hummel, Manfred, Schluss mit billig, Süddeutsche Zeitung, 31.07.2007
aus Süddeutsche Zeitung, 31.07.2007, Ausgabe Bayern, München, S. 33

(3.) Liebrich, Silvia, Der Deutsche isst günstig, Süddeutsche Zeitung, 1.08.2007
aus Süddeutsche Zeitung, 01.08.2007, Ausgabe Deutschland, Bayern, München, S. 5

(4.) Kühnlenz, André / Dunkel, Monika, Milch lässt Ökonomen kalt, Financial Times Deutschland, 31.07.2007
aus Financial Times Deutschland vom 31.07.2007, Seite 14

(5.) O.V., Empörung über Preise für Milchprodukte, Frankfurter Rundschau, 6.08.2007
aus Frankfurter Rundschau v. 06.08.2007, S.15, Ausgabe: S Stadt

(6.) O.V., Preisanstieg bei Milch alarmiert Brüssel, Süddeutsche Zeitung, 6.08.2007
aus Süddeutsche Zeitung, 06.08.2007, Ausgabe Deutschland, Bayern, München, S. 19

(7.) Meier, Nicola, Kuhwarm in den Kälbertrog, Stern, Nr. 32, 6.08.2007
aus STERN Nr. 32

(8.) O.V., Bauern verlangen mehr Geld für die Milch, Die Welt, 10.05.2007
aus DIE WELT, 10.05.2007, Nr. 108, S. 11

(9.) O.V., Jetzt soll auch Fleisch teurer werden, Spiegel Online, 31.07.2007
aus DIE WELT, 10.05.2007, Nr. 108, S. 11

(10.) Borst, Stefan / Körner, Andreas / Kowalski, Matthias / Schuster, Jochen, Schock am Frühstückstisch, Focus, Nr. 32, 6.08.2007
aus Focus, 06.08.2007; Ausgabe: 32; Seite: 128-132

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Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 08/2007 vom 14.08.2007
Dokument-ID: s_leb_20070814

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