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Preis für Kohlendioxid - Deutschland kocht noch, andere essen schon

ENERGIE & ROHSTOFFE | GENIOS BranchenWissen Nr. 05 vom 20.05.2019


Frischer Wind in der Debatte um eine Bepreisung von CO2

Ob es an dem frischen Wind liegt, den die schwedische Schülerin und Klimaaktivistin Greta Thunberg in die Klimaschutzdebatte gebracht hat, oder ob etwas anderes den Druck auf Einhaltung der Klimaschutzverpflichtungen erhöht hat, wer vermag es zu beurteilen - jedenfalls ist die Debatte um eine Bepreisung von CO2 in Bewegung geraten. Das Thema stand nicht mehr auf der politischen Agenda für 2019, doch nun wird sich das neue Klimakabinett der Bundesregierung unter Angela Merkel noch im Juli und August damit auseinandersetzen.
Es geht darum, ein Preismodell für Kohlendioxidausstoß im Verkehrs- und im Wärmemarkt zu finden.
Im Trend der letzten Jahre sind die deutschen Treibhausgasemissionen um zehn Millionen Tonnen CO2 pro Jahr gesunken. Gefordert ist von 2021 bis 2030 eine jährliche Minderung um 25 Millionen Tonnen!
Gelingt das nicht, muss Deutschland CO2-Zertifikate zukaufen und das würde bis zum Jahr 2030 rund 30 bis 60 Milliarden Euro kosten. Aktuell sind im Bundeshaushalt 300 Millionen Euro bis 2021 für den Zukauf von Zertifikaten eingeplant. Deutschland ist nach EU-Recht dazu verpflichtet, weil es CO2-Minderungsziele nicht erreicht hat. Peinlich!
Prompt ist derzeit allen Parteien etwas zu diesem Thema zu hören, Wirtschaftsministerium und Umweltministerium äußern sich, Verbände lassen hören, was sie gut fänden und was nicht, Gutachten werden erstellt, in energiepolitischen Think Tanks rauchen die Köpfe. Die Meinungen sind unterschiedlich; Einigkeit herrscht darüber, dass CO2 einen Preis erhalten muss, über die konkrete Ausgestaltung herrscht Uneinigkeit.
Diskutiert wird über ein Ja oder ein Nein zu Steuererhöhungen, über direkte Rückzahlungen an die Bürger, über Preiserhöhungen für Kraftstoffe und Heizöl, ob die Steuerbefreiung von Flugbenzin abgeschafft werden soll und ob die Stromsteuer gesenkt werden soll. Soll national oder europäisch oder international vorgegangen werden? Ein globales und völkerrechtlich vereinbartes CO2-Handelssystem anstreben? Wird es doch der Markt allein noch richten? Werden technologische Lösungen ausreichen? Abwarten bis Airbus einen Flieger baut, der kein CO2 mehr ausstößt? Soll der Gebäudesektor in den Emissionshandel einbezogen werden? Soll der Verkehrssektor in den Emissionshandel integriert werden? (1), (2), (3)


Agora Think Tanks: 15 Eckpunkte für ein Klimaschutzgesetz und 50 Euro für die Tonne CO2

Die Think Tanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende haben ein Maßnahmenpaket zur Erreichung der Klimaschutzziele bis 2030 vorgelegt und 15 Eckpunkte für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, vier übergreifende und elf spezifische Instrumente für die Sektoren Energiewirtschaft, Verkehr, Gebäude und Industrie.
Die Agora-Fachleute sehen den Preis für eine Tonne CO2 bei 50 Euro. Die Energiesteuer soll um einen CO2-Aufschlag von 50 Euro pro Tonne CO2 auf Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas ergänzt werden. Kohle, Öl und Gas, die außerhalb des ETS zur Strom- und Wärmeproduktion eingesetzt werden, sollen einen CO2-Aufschlag in Höhe des ETS-Zertifikatepreises erhalten. Die Einnahmen werden komplett rückverteilt durch eine Stromsteuersenkung, eine jährliche Pro-Kopf-Klimaprämie in Höhe von 100 Euro, Härtefallfonds und Klimasofortprogramme.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss vorangetrieben und beziffert werden: fünf Gigawatt Solar, vier Gigawatt Wind Onshore und 20 Gigawatt Wind Offshore jährlich bis 2030. Der Kohleausstieg muss gesetzlich verankert werden, wie von der Kohlekommission vorgeschlagen. Es wird ein Sofortprogramm für grüne Fernwärmenetze gestartet, ein Gebäudeenergiegesetz mit ambitionierten Standards für Neubau und Sanierung verabschiedet und die energetische Gebäudesanierung durch steuerliche Abschreibung und einfache Zuschüsse vorangetrieben.
Bis 2030 sollte es mindestens zehn Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen geben. Die Agora empfiehlt ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer für die Neuzulassung von Autos ab 2020. Pro Gramm CO2, das (zunächst) unter dem Schwellenwert von 95 Gramm pro km liegt, soll es einen Bonus von 50 Euro geben. Damit erhält ein Elektroauto bei der Anschaffung einen Bonus von knapp 5 000 Euro, für einen SUV mit 200 g CO2/km würde man einen Malus in ähnlicher Höhe zahlen müssen.
Die Agora plädiert für eine Ausweitung der LKW-Maut auf alle Straßen und alle Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen. Deutschland braucht ein Investitionsprogramm für CO2-freie Technologien in der Industrie, eine Quote für grünen Wasserstoff im Gasnetz, die Abschaffung des Diesel-Privilegs, die Verkehrsverlagerung auf die Schiene, die Förderung alternativer Antriebe und dringend ein Förderprogramm für die Verkehrswende in den Städten. (4), (5)


Ja, aber & Viele Köche arbeiten am Brei

Eine Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die Sektoren Wärme und Verkehr begrüßen die Union und die FDP als Alternative zur CO2-Bepreisung. Wäre sicher sinnvoll, kann aber dauern. Mindestens fünf Jahre, kontert die SPD. Halbwegs schnell und unabhängig handlungsfähig ist Deutschland sicher nur mit einer CO2-Bepreisung außerhalb des europäischen Emissionshandels. Das Umweltministerium will den Emissionshandel für den Energie- und Industriesektor (EU ETS) nicht auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ausweiten. Die neuen Sektoren würden Zertifikate aus dem ursprünglich für Energie und Industrie vorgesehenen Budget herauskaufen. Höhere Preise und damit eine größere Belastung für den Energie- und Industriesektor seien die absehbare Folge. (6)
Der Mineralölwirtschaftsverband (MWV) und der Bundesverband Wärmepumpe (BWP) lehnen eine CO2-Bepreisung nicht generell ab oder begrüßen sie sogar. Freilich weisen die Vertreter der Mineralölbranche darauf hin, die Autofahrer bei Benzin und Diesel nicht unfair zu belasten, da auch E-Autos nicht CO2-frei seien und die Straßeninfrastruktur nutzten. (7)
Die Luftfahrtbranche lehnt zusätzliche Abgaben auf Sprit ab, weil der innerdeutsche Flugverkehr durch die Aufnahme in den Emissionshandel schon seit 2012 klimaneutral wachse. Auf lange Sicht müssen die Kraftstoffe strombasiert sein. (8)
Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff) betont, dass eine CO2-Bepreisung eine gute ausreichende Lenkungswirkung entfalten und die Unternehmen und Privatverbraucher zum Energiesparen motivieren soll. Sie sei kein Allheilmittel. Stromsparende Hausgeräte, Beleuchtungsmittel oder Motoren gäbe es bereits heute - doch sie würden noch nicht von allen eingesetzt. Daran gälte es zu arbeiten, also informieren, aufklären. Eine finanzielle Belastung müsse nach dem Verantwortlichkeitsprinzip erfolgen. Um die weitgehende Dekarbonisierung von Industrie und Gebäuden zu erreichen, sei ein Preis von 20 Euro pro Tonne CO2 nicht hoch genug. (9)
Es gibt viele offene Fragen, viele Rezepte und viele Köche, die hoffentlich den Brei, also das Klima, nicht mehr allzu lange verderben. Schmecken wird es ohnehin nie allen.





Fallbeispiele

Schweiz: Die Schweiz hat seit 2008 eine CO2-Bepreisung auf fossile Brennstoffe wie Heizöl, Sprit und Erdgas. Seit 2018 beträgt sie 96 Franken pro Tonne CO2. Die Einnahmen fließen zu zwei Dritteln über die Krankenversicherung an die Bürger zurück. Etwa ein Drittel geht in die Förderung von CO2-vermindernden Maßnahmen an Gebäuden, 25 Millionen Franken werden dem Technologiefonds zur Erforschung klimaschonender Innovationen zugeteilt.
Auch Frankreich, Schweden, Großbritannien und Kanada haben eine CO2-Steuer; die Niederlande diskutieren darüber. (2), (10)

Modellrechnung: Das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) hat in einer Modellrechnung durchgespielt, wie eine für Privathaushalte weitgehend einkommensneutrale CO2-Abgabe in den Sektoren Verkehr und Wärme funktionieren könnte. (11)

Unternehmen wie die BASF, Siemens oder die Metro haben bereits einen wirksamen Preis auf Treibhausgasemissionen oder stehen kurz vor seiner Einführung. Volkswagen will intern CO2 in Höhe von 100 Euro je Tonne bepreisen. BASF will bei allen neuen Projekten einen theoretischen CO2-Preis einkalkulieren. (12)



Zahlen & Fakten


Was sagen die deutschen Bürger?
Nur gut ein Drittel ist für eine CO2-Steuer.

Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend ergab folgende Ergebnisse:
Nur gut ein Drittel (34 Prozent) sprach sich für den Steueraufschlag etwa auf Sprit und Heizöl aus, 62 Prozent waren dagegen.
Eine Mehrheit findet die CO2-Steuer bei den Anhängern der Grünen (60 Prozent).
Unter SPD-Anhängern sind 40 Prozent dafür, bei den Linken 36 Prozent, bei der Union 32 Prozent.
Unter den Anhängern der FDP, die die Steuer strikt ablehnt, sind 31 Prozent dennoch für ihre Einführung.
Am geringsten ist die Zustimmung mit elf Prozent bei den Anhängern der AfD. (13)

Weiterführende Literatur:

(1.) Diskussion über CO2-Bepreisung nimmt Fahrt auf
aus www.powernews.org Meldung vom 29.04.2019 - 12:44

(2.) Schulze: EU muss sich ehrgeizigere Klimaziele setzen
aus energate vom 13.05.2019

(3.) EVP-Spitzenkandidat Weber gegen CO2-Steuer
aus www.powernews.org Meldung vom 07.05.2019 - 11:12

(4.) Agora präsentiert 15 Eckpunkte für ein Klimaschutzgesetz
aus www.powernews.org Meldung vom 13.05.2019 - 17:15

(5.) Agora-Thinktanks machen Vorschläge für Klimaschutzgesetz
aus energate vom 13.05.2019

(6.) Umweltministerium will Emissionshandel nicht ausweiten
aus energate vom 09.05.2019

(7.) CDU arbeitet an Konzept zur CO2-Bepreisung
aus energate vom 29.04.2019

(8.) UBA: Ausweitung des Emissionshandels nur schwer möglich
aus energate vom 30.04.2019

(9.) Deneff-Empfehlungen für CO2-Preis und Energieeffizienz
aus www.powernews.org Meldung vom 29.04.2019 - 17:18

(10.) Wo CO2 bereits richtig Geld kostet
aus WirtschaftsWoche online 09.05.2019 um 16:37:52 Uhr

(11.) Einkommensneutrale CO2-Bepreisung scheint möglich
aus www.powernews.org Meldung vom 06.05.2019 - 12:25

(12.) Kastner: Die Zeit ist reif für einen CO2-Preis
aus energate vom 03.04.2019

(13.)Nur gut ein Drittel ist für eine CO2-Steuer
aus Energie & Management/Powernews.org Nr. 13:34 vom 03.05.2019

Anja Schneider

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 05 vom 20.05.2019
Dokument-ID: s_ene_20190520

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