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Fridays for Future - Happening oder Bitterer Ernst

ENERGIE & ROHSTOFFE | GENIOS BranchenWissen Nr. 02 vom 25.02.2019


Greta Thunberg und Fridays for Future

We have to understand the emergency of the situation. Our leadership has failed us. Young people must hold older generations accountable for the mess they have created. We need to get angry, and transform that anger into action. (Twitter post, 23 December 2018)

Mit diesen Worten kritisierte Greta Thunberg, die 16jährige Klimaaktivistin, die Klimapolitik der Weltgemeinschaft. Sie sorgte für Aufmerksamkeit auf der UN-Klimakonferenz in Katowice und auf dem World Economic Forum in Davos. Das schwedische Mädchen mit den Zöpfen initiierte einen Schulstreik für das Klima. In immer mehr Ländern und Städten folgen jeden Freitagvormittag mittlerweile Tausende von Schülerinnen und Schüler ihrem Beispiel und demonstrieren in den Innenstädten für eine konsequente Klimapolitik und die Einhaltung der in Paris vereinbarten Ziele. Über die Bewegung Fridays for Future verschafft sich die junge Generation allmählich Gehör, äußert ihre Interessen, schwänzt dafür die Schule, nimmt Verweise und Fehlzeitenvermerke in Zeugnissen in Kauf. Am 15. März soll ein erster Höhepunkt sein. Für diesen Tag haben sie - gut vernetzt über WhatsApp, Facebook, Twitter, Instagram - zu einem globalen Streik von Schülern aufgerufen. Proteste von Schweden über Deutschland bis nach Australien, den Vereinigten Staaten, Uganda und auf den Fidschi-Inseln werden erwartet. Die verbindenden Losungen lauten #FridaysForFuture (Freitage für die Zukunft) und #YouthForClimate (Jugend fürs Klima). (1), (2)

Our leaders are behaving like children, we will have to take the responsibility they should have taken long ago. (Greta auf der UN-Klimakonferenz)


Deutsche Klimapolitik hat Geschichte

Die deutsche Klimapolitik hat eine etwa dreißigjährige Geschichte, wenn man die Einberufung der Enquete-Kommission Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre 1987 als Anfang nimmt. Deren Arbeit führte bereits dazu, dass politische Empfehlungen zur Kohlendioxidreduktion ausgesprochen wurden. Ministerien wurden neu geordnet, in Koalitionsvereinbarungen konkrete Minderungsziele festgelegt, EU-weite Ziele kamen hinzu. Tschernobyl im Jahr 1986 und Fukushima im Jahr 2011 hinterließen ihre Spuren.
2010 legte die deutsche Bundesregierung ein Energiekonzept vor, das Leitlinien für die zukünftige, umwelt- und ressourcenschonende Energieversorgung definierte. Festgeschrieben wurde, dass die erneuerbaren Energien bis 2050 zum Hauptenergieträger ausgebaut werden sollen. Der komplette Ausstieg aus der Atomenergie wurde beschlossen. Ebenfalls enthalten sind Vorgaben zur Emissionsminderung gegenüber 1990: Danach sollen bis 2020 40 Prozent, bis 2030 55 Prozent, bis 2040 70 Prozent, und bis 2050 80 bis 95 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 pro Jahr ausgestoßen werden.
Die Ökosteuer, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und die Energie-Einsparverordnung (EnEV) wurden verabschiedet. 2007 einigte man sich in Meseberg dann auf einen 8-Punkte-Plan und ein darauf aufbauendes integriertes Energie- und Klimaprogramm (IEKP). Die Gebäudesanierung, Energieeffizienz und der Verkehrsbereich rückten zusätzlich ins Augenmerk. Das Programm enthält insgesamt 29 Einzelmaßnahmen und gilt als wichtiger Baustein, um das Ziel Deutschlands für 2020 zu erreichen: 40 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber 1990.


Ehrgeizig oder halbherzig?

Bereits 2011 warnte das Umweltbundesamt davor, dass die Maßnahmen nicht ausreichen würden, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Immer wieder kollidieren wirtschaftliche und ökologische Interessen. Immer wieder scheitern neue Energien an Bürgerinitiativen.
Der Klimaschutzbericht 2018 bestätigt, dass Deutschland im Jahr 2020 voraussichtlich rund 32 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990. Das Ziel der Verminderung von 40 Prozent wird also verfehlt werden.
Freilich ist es eine Herausforderung für die Weltgemeinschaft, gleichzeitig mehr Energie herzustellen und die Kohlendioxidemissionen zu senken.
Das sind zentrale Erkenntnisse der Studie: Der aktuelle BP Energy Outlook zeigt auf, dass der globale Energiebedarf bis 2040 um rund ein Drittel steigen wird. Die aufsteigenden Energiegierigen sind - aufgrund der fortschreitenden Verbesserung des Lebensstandards - vor allem Indien, China und ganz Asien. Die gute Nachricht ist, dass 85 Prozent des Wachstums bei der Energieversorgung von erneuerbaren Energien und Erdgas erzeugt werden, wobei die Erneuerbaren bis 2040 zum größten Energieträger bei der weltweiten Stromerzeugung werden. Diese Entwicklung ist die rasanteste, die ein Energieträger jemals genommen hat! Doch die Anstrengungen, den klimaschädlichen Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, dürfen nicht nachlassen. Die Pariser Klimaziele sind nur erreichbar, wenn in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die verbleibenden Emissionen stark eingedämmt werden. (3), (4)
Halbherzigkeit ist also nicht angesagt!


Kohleausstieg in zwanzig Jahren

1957 ging in Deutschland das erste Kernkraftwerk in Betrieb, am 31. Dezember 2022 muss das letzte abgeschaltet sein. 250 Jahre lang wurde Steinkohle, das Schwarze Gold abgebaut; 2018 schloss die letzte Zeche. Jetzt will Deutschland als einer der ersten großen Industriestaaten aus der Kohleverstromung aussteigen. Das freilich gilt in erster Linie für die Braunkohle, dem klimaschädlichsten Brennstoff für Kraftwerke.
Viele Monate tagte die Kohlekommission. Jetzt haben sich Regierung, Klimaschützer, Gewerkschafter, Unternehmer und Wissenschaftler geeinigt, haben Kompromisse gefunden. Sie empfehlen in ihrem 336-seitigen Bericht den Kohleausstieg zum Ende des Jahres 2038. Ein früherer Ausstieg ist möglich und soll zu definierten Zeitpunkten auf Machbarkeit überprüft werden.
Ende 2017 waren Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 42,6 Gigawatt (GW) am Markt. Dazu gibt es eine Reserve für den Winter, wenn es kaum Solarstrom gibt. Die größten Braunkohlekraftwerke sind Neurath und Niederaußem im Rheinland sowie Jänschwalde und Boxberg in der brandenburgischen Lausitz. Bis 2022 sollen als Einstieg in den Kohleausstieg insgesamt 12,5 GW vom Netz gehen. Bis 2030 sollen noch höchstens 17 GW am Markt sein. Nun gilt es also, in den kommenden Jahren einen Anteil von einem Drittel der Stromproduktion zu ersetzen - ein Ansporn für Solarstrom, Windstrom an Land, Windstrom auf dem Meer, Gaskraftwerke und Speichertechnologien. Die Debatte um die Empfehlungen der Kohlekommission ist angelaufen. Umweltverbände drohen bereits mit Ausstieg aus Kohlekompromiss. Und noch liegt viel Arbeit vor den Experten: die konkreten Maßnahmen müssen erst noch ausgearbeitet und dann in die Tat umgesetzt werden! Nicht halbherzig, sondern ehrgeizig! (5), (6), (7), (8), (9)


Bitterer Ernst oder Happening?

Zurück zu Greta. Sie nannte als Begründung für ihren Schulstreik, bei dem sie ihre Schulpflicht vernachlässigt, die Zukunftsvergessenheit der Erwachsenen:

Wir Kinder tun oft nicht das, was ihr Erwachsenen von uns verlangt. Aber wir ahmen euch nach. Und weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten. (Greta Thunberg: Zitiert in: Der Tagesspiegel, 3. Dezember 2018)

Sind die Schülerstreiks nun als politisches Engagement zu werten oder als willkommene Gelegenheit für Schulschwänzerei? Sind sie bitterer Ernst oder Happening? Ansichtssache. Individuell. Schwarze Schafe gibt es immer.
Angela Merkel ließ per Twitter wissen: Das Engagement der Schüler für die Klimapolitik findet sie ausdrücklich gut.
Gesine Schwan plädiert für mehr Einbettung und Partizipation auf allen Ebenen, setzt auf das Engagement der Menschen und fordert, die Bürger an allen wichtigen Entwicklungsprozessen teilhaben zu lassen. Sie sagt: Beim Klimawandel sind wir sehr viel mehr unter Druck, da müssen wir schneller handeln. Meiner Beobachtung nach haben vor allem junge Menschen das auch erkannt und sorgen für mehr Schub. (10)
Die Schulleitung einer bayerischen Realschule antwortete auf die Frage von Eltern, wie sich die Schule zu der Bewegung stelle: Auch in Bayern gibt es eine Schulpflicht, d.h. die Schüler müssen die Schule besuchen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Von Schule zu Schule wird derzeit unterschiedlich reagiert und agiert.
Das Recht auf Demonstration ist im Grundgesetz verankert. Für Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren gilt gleichzeitig aber auch die Schulpflicht. Luftsicherheitsassistenten, Zugführer und Amazon-Mitarbeiter streiken während der Arbeitszeit, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Sollen Schüler dasselbe also außerhalb ihrer Pflicht tun? Ansichtssache. Möglicherweise auch Organisationssache. Schulen könnten Fridays for Future auch nutzen, um gelebte Demokratie draußen zu üben. Vielleicht in wechselnden, kleinen Gruppen von Klassenabgesandten? Verbunden mit griffigen Aktionen wie beispielsweise Müll und Zigarettenkippen auf der Straße einsammeln, keine Fertigprodukte in Plastik kaufen, auf den Kauf des neuesten Handys verzichten? Mit freiwilligen Referaten zu Themen aus Energieversorgung, Rohstoffverbrauch, Klimawandel? Oder mit einem schulweiten Umweltprojekttag am 15. März? Zum Zeitpunkt des realisierten Kohleausstiegs - sofern er zeitgemäß durchgezogen wird - werden die heute streikenden Schülerinnen und Schüler vielfach bereits selbst Eltern sein.

Lassen wir Greta das letzte Wort:

Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future? And what is the point of learning facts when the most important facts clearly means nothing to our society? ("School Strike for Climate: Meet 15-Year-Old Activist Greta Thunberg, Who Inspired a Global Movement", Democracy Now!, 11 December 2018).





Fallbeispiele

In Australien zeigten Ende November 2018 tausende junge Menschen auf der Straße Flagge für das Klima. Schüler in den USA, der Schweiz und in Polen streiken. Deutsche Schüler beteiligen sich landauf, landab in Erding, München, Göttingen, Heidelberg, Aachen, Karlsruhe, Köln, Hamburg, Kiel und andere mehr.
Trotz des anvisierten Kohleausstiegs muss das ostsächsische Dorf Mühlrose dem Tagebau Nochten weichen. Der Energiekonzern Leag will die geplante Umsiedlung von etwa 200 Menschen durchziehen und 150 Millionen Tonnen Braunkohle fördern. Die umzugswilligen Einwohner von Mühlrose werden endlich entschädigt und können umsiedeln. (11)
Ab 2030 sollen in Schweden keine mit Benzin oder Diesel angetriebenen Neuwagen mehr verkauft werden. Der Verkauf von Dieselfahrzeugen soll auch in Dänemark und Island ab 2030 verboten werden. Norwegen will bereits ab 2025 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen; fast jedes zweite neue Auto fährt schon ganz oder zum Teil mit Strom. Die EU verschärft die Lkw-Grenzwerte; die Automobilindustrie muss den Kohlendioxid-Ausstoß von neuen schweren Lkw bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 30 Prozent reduzieren. Die Automobilindustrie zeigt sich besorgt - nicht ums Klima, sondern um die fehlende Infrastruktur. (12), (13)


Zahlen & Fakten


Nach Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatten erneuerbare Energien 2018 einen Anteil von 35 Prozent an der Stromerzeugung. Auf 35 Prozent kamen Braun- und Steinkohle. Knapp 13 Prozent des Stroms stammte aus Gaskraftwerken, Atomkraftwerke steuerten noch zwölf Prozent bei. Der Rest resultiert aus Pumpspeicher- und Ölkraftwerken. (5)



Weiterführende Literatur:

(1.) Streik gegen den Klimawandel: Der Greta-Effekt
aus Edison online 07.02.2019 um 16:35:01 Uhr

(2.) ... und freitags gehen sie das Klima retten
aus neue energie - Das Magazin für erneuerbare Energien Heft 1/2019 S. 80-81

(3.) Deutschland wird Klima-Ziele für 2020 nicht erreichen
aus www.powernews.org Meldung vom 06.02.2019 - 13:25

(4.) BP Energy Outlook sieht doppelte Herausforderung
aus www.powernews.org Meldung vom 14.02.2019 - 16:56

(5.) Was der Kohleausstieg bis 2038 bedeutet
aus Edison online 25.01.2019 um 18:10:54 Uhr

(6.) Wie bewerten Sie den Abschlussbericht der Kohlekommission? Matthes: Ein schmerzhafter, aber akzeptabler Kompromiss
aus neue energie - Das Magazin für erneuerbare Energien Heft 2/2019 S. 14-17

(7.) Debatte um Empfehlungen der Kohlekommission hält an
aus energate vom 14.02.2019

(8.) Umweltverbände drohen mit Ausstieg aus Kohlekompromiss
aus energate vom 18.02.2019

(9.) Peter: Volllaststunden der Kohlekraftwerke müssen runter
aus energate vom 08.02.2019

(10.) Es gibt für uns keinen chinesischen Weg
aus neue energie - Das Magazin für erneuerbare Energien Heft 2/2019 S. 20-26

(11.) Lausitzdorf Mühlrose muss Tagebau weichen
aus energate vom 15.02.2019

(12.) Auch Schweden will weg vom Verbrennungsmotor
aus neue energie - Das Magazin für erneuerbare Energien Heft 2/2019 S. 71

(13.) EU einigt sich auf schärfere Lkw-Grenzwerte
aus www.powernews.org Meldung vom 19.02.2019 - 11:23

Anja Schneider

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 02 vom 25.02.2019
Dokument-ID: s_ene_20190225

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