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EU-Taxonomie - Finanzströme sollen nachhaltig werden

BANKEN | GENIOS BranchenWissen Nr. 01 vom 27.01.2022


Grüner Wandel - Nachhaltigkeit wird zur Pflicht

Der spürbare Klimawandel, Fridays-for-Future-Demonstrationen und auch Corona sind die Gründe, warum es in diesem Jahr mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft ernster wird. Finanzströme, Investitionen und die Entscheidungen der Unternehmen sollen auf Nachhaltigkeit gepolt werden, wofür die EU-Kommission ein 1 000 Seiten dickes Regelwerk namens Taxonomie für nachhaltige Investitionen geschaffen hat. Die Taxonomie gilt seit dem 1. Januar dieses Jahres und soll Finanzierer und Realwirtschaft zu ökologischem Handeln verpflichten. Die jetzt festgeklopften Nachhaltigkeitsregeln sind ein wichtiger Bestandteil des europäischen Green Deal, der darauf abzielt, dass die Länder der Europäischen Union spätestens 2050 klimaneutrale Umweltbilanzen vorlegen können.

Für den Finanzsektor war Corporate Social Responsibility (CSR) - also das Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht - viele Jahre lang nur ein Nischenthema, das meist nur als lästig empfunden, nicht aber als Erfolgsfaktor gesehen wurde. In der Finanzwelt wurde CSR zu ESG, Environmental Social Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Heute steht das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit in den Banken ganz oben auf der Agenda, denn die Folgen der politischen Willensbildung für eine ökologische Steuerung der Wirtschaft werden auch für sie immer konkreter.

Darüber hinaus dringt der Klimawandel durch Ereignisse wie die Ahrtal-Katastrophe und abschmelzende Pole so greifbar in das öffentliche Bewusstsein, dass auch Investoren und Kunden vermehrt Nachhaltigkeit verlangen. Und dies nicht nur bei Produkten wie etwa Nachhaltigkeits-Fonds, sondern ebenso in der grundsätzlichen Ausrichtung ihrer Bank, ihrer Automobilmarke oder des Computerlieferanten.

Ganz entscheidenden Einfluss auf den Fortschritt von Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben Banken und Investoren, denn sie sind die Finanziers der Realwirtschaft. Mit ihren Krediten bestimmen sie, ob ein Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß die nächsten Jahre überlebt, oder ob das Geld beispielsweise kleinen Start-ups zugutekommt, die an Innovationen für die grüne Transformation arbeiten. Dies ist der Grund, warum die Banken beim Thema Nachhaltigkeit bei Politikern und Aufsicht besonders im Fokus stehen.

Mit dem Green Deal und der jetzt geltenden Taxonomie will die EU-Kommission Kapitalströme so lenken, dass sie nachhaltigen Aktivitäten nützen. Die Taxonomie - von Fans auch als der Brockhaus der Nachhaltigkeit gefeiert - stellt dabei ein Klassifizierungssystem dar, auf dem die Standards für grüne Produkte aufbauen sollen. Für die Banken entstehen aus dem neuen Regelkatalog und den jetzt erweiterten Berichtspflichten einige Veränderungen und neue Aufgaben.

Operativ müssen die Geldhäuser die bestehenden Regeln auf ihre Finanzprodukte anwenden. Hierfür muss geklärt werden, welche Investments welche ESG-Risiken mit sich bringen. Um diese Transparenz herzustellen, müssen eine Reihe von Informationen gesammelt und ausgewertet werden. Detailreich geht es weiter: Banken brauchen künftig ein neues Risikomanagement, denn sie müssen ESG-Risiken bei der Kreditprüfung einkalkulieren. Mit einkalkuliert werden muss auch, ob das Geschäftsmodell des Unternehmens, das einen Kredit braucht, auch für eine klimaneutrale Zukunft taugt. (1), (5), (6), (9)


Regelschwemme bereitet Sorgen

Angesichts der bevorstehenden Regelflut wird manchem Banker derzeit mulmig zumute. Immerhin zeigt die Taxonomie, dass die ohnehin seit der Finanzkrise rigide regulierten Banken - bisher freilich zum Zweck ihrer Stabilisierung - erster Ansatzpunkt auch für den Kampf gegen den Klimawandel sind. Schon jetzt gibt es eine solche Flut an Regeln, Verordnungen und Empfehlungen, dass es den Instituten schwerfällt, den Überblick zu behalten. Einige Banken bilden eigene Teams, die sich alleine darum kümmern, die Regelwerke für ESG und Taxonomie im Auge zu behalten.

Nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise und der anschließenden Regulierung besteht zudem die Sorge, dass zu viele Nachhaltigkeitsregeln für reguläre Banken am Ende nur dem Schattenbankensektor nützen. So könnten sich Taxonomie und ESG-Regeln als Förderprogramme für den Schattensektor erweisen, etwa, wenn Hedgefonds daran gehen, im Wert gefallene, braune Anlagen (also herkömmliche Investments) einzusammeln. Gleichwohl können sich Banken aus dem Trend nicht ausklinken, denn wer nur Greenwashing betreibt - also ein grünes Mäntelchen um eigentlich herkömmliche Praktiken wirft - geht hohe Reputationsrisiken ein. Dies ist im Herbst 2021 der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank passiert, der DWS. Die Nachhaltigkeitschefin der DWS hatte die ESG-Kompetenzen des Unternehmens öffentlich angezweifelt und stürzte ihren Arbeitgeber in eine schwere Krise.

Neben Befürchtungen und vielleicht auch Abwehrreflexen bewirkt das Thema Nachhaltigkeit bei den Banken aber auch viel Optimismus, denn nachhaltige Geldanlagen boomen. Zudem können die Geldhäuser durch grüne Angebote und grünes Auftreten ihr angeschlagenes Image aufpolieren und sich durch besonders gute Öko- und Sozial-Noten von Wettbewerbern absetzen. (2), (3)





Fallbeispiele


Neue Berichtspflichten

Die grünen Aktivitäten von Unternehmen müssen transparent und vergleichbar werden, doch noch herrscht bei den Reportingpflichten ein ziemliches Dickicht. Bis zum Sommer dieses Jahres will die EU (genau genommen das Sustainability Reporting Board der European Financial Reporting Advisory Group, Efrag) erste Vorschläge für eine vergleichbare Nachhaltigkeitsberichtserstattung machen, in zwei Jahren sollen die Standards feststehen.

Schon seit dem 1. Januar dieses Jahres müssen berichtspflichtige Unternehmen auch entsprechend den Taxonomieregeln Auskunft über ihr Nachhaltigkeitsengagement geben. Wer den Taxonomieerwartungen von Investoren nicht entspricht, kann den Zugang zum Kapitalmarkt verlieren.

Die Banken selbst haben derzeit erst einmal genug damit zu tun, sich mit der 1000 Seiten dicken Taxonomie zu beschäftigen. Zudem müssen sie sich den neuen Offenlegungspflichten gemäß der künftigen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) stellen, die bis Anfang Dezember 2022 umgesetzt werden soll. Anwendung finden die Offenlegungspflichten erstmals ab dem Geschäftsjahr 2023. (4), (8)



Zahlen & Fakten


Viele Kommentatoren zweifeln daran, dass die EU-Taxonomie positive Wirkungen für Klima, Umweltschutz und Soziales entfalten wird. Sie sehen den Green Deal als neuerliches bürokratisches Monster, vergleichbar der EU-Agrarpolitik, die für Überproduktion, Höfesterben und gesponserte Tierquälerei steht. In der Tat ist abzusehen, dass Europas Bedeutung gegenüber Asien und den USA weiter abnehmen wird und eine auf dem alten Kontinent betriebene Klimaschutzpolitik folglich am globalen Problem nicht viel ändern kann. Energieunternehmen schätzen, dass die Europäische Union 2050 gerade einmal sieben Prozent der globalen Strommenge verbraucht, während Asien fast die Hälfte des weltweit produzierten Stroms nachfragt.

Befürchtet wird auch, dass die Schmutzfinken unter den Unternehmen vom grünen Kapitalmarkt gar nicht ausgeschlossen werden, sondern dankbare Ersatz-Investoren finden - nicht nur im Schattenbanksektor.

Heftige Kritik hat die EU zudem damit auf sich gezogen, dass sie ausgerechnet Atomstrom und Erdgas zumindest übergangsweise zu den nachhaltigen Energiegewinnungsformen zählt. Die Idee konterkariert nicht nur die Energiepolitik der Bundesregierung. Auch eine Gruppe von Klimaexperten und Unternehmen hat die EU-Pläne scharf kritisiert und fordert die Rücknahme der Klassifizierung. (7), (10)



Weiterführende Literatur:

(1.) Nachhaltigkeit als Treiber der Transformation im Bankensektor
aus bank und markt - Die digitale Bank, Heft 1/2022, S. 37

(2.) Revolution am Reißbrett
aus Börsen-Zeitung vom 04.01.2022, Nr. 1, S. 2

(3.) "Der politische Druck ist enorm"
aus Börsen-Zeitung vom 05.01.2022, Nr. 2, S. 3

(4.) Grüne Bilanzierung nimmt Form an
aus Börsen-Zeitung vom 11.01.2022, Nr. 6, S. 9

(5.) Nachhaltige Finanzwirtschaft
aus Finanzierung Leasing Factoring, Heft 1/2022, S. 45

(6.) Finanzierung der Transformation zur Nachhaltigkeit - eine Herkulesaufgabe für die EU?
aus Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft 1/2022, S. 35

(7.)Kritik an den EU-Anlageregeln reißt nicht ab
aus Saarbrücker Zeitung vom 06.01.2022, Seite 7

(8.) Die Komplexität der Regeln ist atemberaubend
aus Börsen-Zeitung vom 19.01.2022, Nr. 12, S. 3

(9.) Europäische Bankenregulierung - Gewinner gesucht
aus bank und markt - Die digitale Bank, Heft 1/2022, S. 18

(10.)Das Monster Taxonomie
aus WELT am SONNTAG Nr. 4 vom 23.01.2022, Seite 34

Andreas Menzen

Metainformationen

Quelle: GENIOS BranchenWissen Nr. 01 vom 27.01.2022
Dokument-ID: s_ban_20220127

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